Wegen eines Formfehlers werden neue Raser-Regeln vorerst nicht umgesetzt. Bund und Länder müssen nun klären, wie es mit der neuen Straßenverkehrsordnung (StVO) weitergeht - es zeichnen sich schwierige Verhandlungen ab. Kritiker bemängeln, offensichtlich sei in der Novelle der StVO das sogenannte Zitiergebot des Grundgesetzes verletzt worden. Bei Erlass einer Verordnung muss demnach angegeben werden, auf welcher Rechtsgrundlage gehandelt wurde. Dies sei hier unzureichend geschehen, so die Kritik.
Dieser schwere Fehler beim Zitiergebot dürfe eigentlich nicht vorkommen, kritisierte Oliver Luksic, verkehrspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion im Dlf. Normalerweise wäre Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) nicht mehr im Amt zu halten. Es seien schon Minister wegen sehr viel weniger Problemen zurückgetreten. Aber auch andere Akteure trügen Mitverantwortung für die neuerliche Panne.
Dirk-Oliver Heckmann: Herr Luksic, erst das Desaster um die PKW-Maut, jetzt das Riesenchaos bei der Straßenverkehrsordnung. Wieviel Murks kann man sich als Bundesminister leisten?
Oliver Luksic: Das ist in der Tat eine Frage. Herr Scheuer steht im Moment für Pleiten, Pech und Pannen, und die Frage muss man ja an die CSU stellen, die ja bisher die schützende Hand darüber hält. Das Maut-Thema alleine ist schon ein dicker Hund, aber in den letzten Wochen kamen einige schwere handwerkliche Fehler dazu, wie zum Beispiel die StVO-Novelle.
Heckmann: Wir haben einige CSU- und auch CDU-Politiker angefragt, aber niemand war bereit, uns heute Mittag im Deutschlandfunk zur Verfügung zu stehen. Umso schöner, dass wir mit Ihnen sprechen können, Herr Luksic.
Luksic: Gerne.
Heckmann: Jetzt will ich mal auf diesen Schlagabtausch zu sprechen kommen. Das Justizministerium sagt ja, Scheuer ist schuld. Er habe dem Justizministerium zu wenig Zeit gelassen, die Verordnung zu prüfen. Ist Zeitdruck eine hinreichende Entschuldigung dafür, dass der Formfehler nicht aufgefallen ist?
Luksic: Bismarck hat ja schon gesagt, die Bürger sollten auch nicht wissen, wie Würste und Gesetze gemacht werden. Das ist ein gutes Beispiel dafür. Das Problem ist ja zum einen im BMVI entstanden. Dem Justizministerium ist es nicht aufgefallen. Aber auch 16 Bundesländern ist ja dieser Formfehler bei dem Zitiergebot nicht aufgefallen.
Heckmann: Auch nicht denen, in denen die FDP vertreten ist.
"Die Behörden werden völlig überlastet"
Luksic: Auch nicht denen. Wir haben allerdings, glaube ich, keinen Justizminister, der für die Prüfung da besonders zuständig wäre. Es ist niemandem aufgefallen und das Entscheidende ist ja: Das ist eine ganz, ganz komplexe und sehr lange Änderung. Und dann gab es ja über den Verkehrsausschuss des Bundesrates und dann den Bundesrat eine ganze Reihe an Änderungen. Diese Änderung, um die es jetzt politisch am stärksten geht, die Frage, ab wann wie der Führerschein entzogen wird, die kam ja über die Bundesländer herein.
Mein Eindruck ist auch, dass viele dieser Sachen nicht immer ganz genau geprüft werden. Das ist absolut nicht in Ordnung, weil es für Rechtsunsicherheit sorgt. Die Behörden werden völlig überlastet und natürlich am Schluss auch Gerichte, wenn geklagt werden würde. Also ein absolut inakzeptabler Zustand.
Heckmann: Es wirkt ein wenig unprofessionell, um es mal so zu sagen. Scheuer sagt jetzt zur Erklärung, in Corona-Zeiten gab es ja oft ultrakurze verkürzte Fristen. Ist das eine Entschuldigung für schlampiges Arbeiten?
Luksic: Das ist richtig, dass das sehr häufig der Fall ist. Aber nichts desto trotz: Dieser schwere Fehler des Zitiergebotes, der darf eigentlich nicht vorkommen. Er müsste eigentlich auch in seinem Haus für Konsequenzen sorgen. Macht er aber wahrscheinlich nicht, weil er, glaube ich, im Moment auch gar nicht in der Lage ist, solche Fehler auszubügeln.
Heckmann: Welche Konsequenzen meinen Sie?
Luksic: Ja, gut. Es wäre die Frage, welcher Mitarbeiter da wo wie für zuständig war. Aber ich glaube, dass er auch intern im Haus jetzt im Moment nicht solche Fehler angehen kann, weil er auch im Haus selber natürlich eine schwache Funktion hat.
"Die Verantwortung dafür trägt natürlich der Verkehrsminister"
Heckmann: Wieso?
Luksic: Ja, weil natürlich aufgrund des Maut-Desasters er eine riesige Menge an Fehlern gemacht hat, und da würde es, glaube ich, nicht gut kommen, wenn er jetzt innerhalb des Hauses für personelle Änderungen sorgen würde, weil jeder sagen würde, moment mal, der Minister hat doch selber so viele Fehler gemacht. Deswegen gehe ich auch nicht davon aus, dass da was passieren wird. Aber wie gesagt: Der Fairness halber sei gesagt: Weder in der Ressortabstimmung innerhalb der Bundesregierung, noch den 16 Ländern ist dieser Fehler aufgefallen. Aber die Verantwortung dafür trägt natürlich der Verkehrsminister, weil es sein Entwurf ist, der letzten Endes, wenn auch mit Änderungen, verabschiedet wurde.
Heckmann: Bei den vielen Fehlern, die Sie gerade aufgezählt haben, ist denn ein solcher Minister überhaupt noch tragbar?
Luksic: Normalerweise wäre er, glaube ich, nicht mehr im Amt zu halten. Es sind schon Minister wegen sehr viel weniger Problemen zurückgetreten. Ich glaube, das ist jetzt hier nur der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.
Die eigentlich schweren Fehler sind ja vor allem bei der Maut geschehen. Da trägt er auch persönlich Verantwortung für. Eine Reihe an Rechtsbrüchen, was Haushalts- und auch das Vergaberecht angeht. Aber Herr Söder scheint ja die schützende Hand über ihn zu halten. Auch Frau Merkel hat ihn ja gelobt. Es ist insofern ein Problem der Union und die muss jetzt beantworten, wie es weitergeht.
Heckmann: Aber an seiner Stelle würden Sie zurücktreten? Habe ich Sie richtig verstanden?
Luksic: Dieser handwerkliche Fehler, das wäre jetzt wahrscheinlich ein bisschen zu viel verlangt, wegen einem einzigen Punkt zurückzutreten. Die Frage ist nur, wie ist die Gesamtbilanz und ist er jetzt noch fähig, große Reformen umzusetzen und große Schritte nach vorne zu bringen. Er ist natürlich im Moment so geschwächt, dass er auch bei allen politischen Initiativen ein bisschen eine Lame Duck ist.
"Es ist ja niemandem aufgefallen"
Heckmann: Es ist die Frage, ob das wirklich ein handwerklicher Fehler ist. Es gibt ja auch Leute, die ihm Absicht unterstellen, diese Verordnung auf diesem Wege hinfällig gemacht zu haben. Was denken Sie dazu?
Luksic: Das halte ich wirklich... Ich bin ja in vielen Punkten ein scharfer Kritiker von Herrn Scheuer, wenn es um die Sache geht. Das halte ich wirklich für einen absolut unberechtigten Vorwurf. Es ist ja niemandem aufgefallen. Herr Scheuer hat ja eine Reihe an Änderungen vorgeschlagen, die richtig sind: Rettungsgasse, rechtsabbiegende LKW, Fahrradzonen. Die sind jetzt ja alle ungültig. Die Änderung, die Herr Scheuer zurücknehmen will, auch auf Druck der FDP, die ich auch für unverhältnismäßig erachte, sofort immer zum Führerscheinentzug zu kommen, die sind ja über die Bundesländer reingekommen. Insofern ist auch rein sachlich dieser Vorwurf nicht nachvollziehbar.
Heckmann: Das ist jetzt in der Tat auch die Frage, wie es jetzt weitergeht mit dieser Verordnung und diesem ganzen Chaos. Jenseits der Frage, was mit den Autofahrern ist, die jetzt schon nach der neuen Verordnung bestraft worden sind. Scheuer – Sie haben es angedeutet – will jetzt im zweiten Durchlauf die Fahrverbote, diese Verschärfungen wieder rückgängig machen. Sie sind auch dafür, haben Sie gerade schon erwähnt. Aber geht es jetzt nicht darum, schnell für Rechtssicherheit zu sorgen und dafür zu sorgen, dass diese Verordnung einfach erst mal gilt, und dann kann man später noch mal darüber diskutieren?
Luksic: Wir haben ja das Problem, dass 14 Bundesländer die alte StVO anwenden, was ich auch für richtig halte, Thüringen und Bremen hier allerdings ausscheren. Das halte ich für sehr schwierig. In der neuen StVO waren ja eine ganze Reihe an Punkten, die, sage ich mal, sehr unkritisch waren, zum Beispiel das Thema Rettungsgasse, die Behinderung, dass es da zu Punkten und Fahrverboten kommen kann, rechtsabbiegende LKW, Schutz von Zweirädern und Fußgängern, Fahrradzonen. Das muss alles kommen. Deswegen brauchen wir jetzt schnell eine neue Verordnung, die in Ordnung ist. Ich wäre dafür, dass diese Punkte alle drin sind, dass wir allerdings beim Thema Geschwindigkeitsübertretung bei dem alten System bleiben, wo es nach 31 und 41 km/h direkt zu einem Fahrverbot kommt und sonst erst beim zweiten Mal zu schnell fahren, weil ich das für verhältnismäßig halte.
Heckmann: Damit machen Sie das Fass ja wieder auf und ziehen den ganzen Prozess weiter in die Länge und die Unklarheit bleibt weiter bestehen, oder?
Luksic: Ja, aber ich gehe davon aus, dass die Länder dem im Zweifel schnell zustimmen. Sie müssen ja sehen, auch das war ein politischer Kompromiss. Es gab ja noch eine ganze Reihe anderer Forderungen. Ich gehe davon aus, wenn das vorgeschlagen wird, werden die Länder dem schnell zustimmen, weil ja auch die anderen Punkte notwendig sind.
Heckmann: Wie kommen Sie darauf? Diese Änderungen, diese Verschärfungen kamen doch gerade von Seiten der Länder.
Luksic: Ja. Aber auch die Länder sind ja kein monolithischer Block und da haben es auch viele kritisch gesehen, und es gab noch eine ganze Reihe anderer Forderungen, die nicht kamen. Sie müssen sich das ein bisschen als türkischen Basar vorstellen, wo dann auch ein solches Chaos am Schluss bei rauskommt, wo keiner mehr auf die juristischen Grundlagen schaut. Insofern ja, wir müssen den gesamten StVO-Katalog neu fassen, aber diese zwei Punkte sind einfach in der Form nicht unverhältnismäßig.
Eine Anfrage von mir hat ergeben, dass sich die Zahl der Fahrverbote mindestens verdreifachen würde, und da würden natürlich auch Gerichte überlastet werden und auch die Behörden, weil natürlich jeder sofort immer dagegen klagt, wenn sofort der Führerschein dran ist. Viele Menschen sind beruflich auf das Fahrzeug angewiesen. Die alte Regel hat eigentlich auch niemand moniert. Insofern wundere ich mich, dass das eigentlich zwischen Tür und Angel auf einmal so reinkam. Das war vorher nie in der Debatte, diesen einen Punkt zu verschärfen. Ich halte das für nicht verhältnismäßig.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.