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Lundahl & Seitl in Berlin
Virtuelle Reise im Museum

Bei dieser Museumsführung bekommt man die Augen verbunden: In der "Symphony of a Missing Room" nimmt das britisch-schwedische Künstlerpaar Lundahl und Seitl seine Besucher akustisch an die Hand. Der 2009 konzipierte Rundgang ist nun in einer neuen Version im Berliner Martin-Gropius-Bau zu erleben.

Von Oliver Kranz |
    Frau mit Augenbinde
    Man braucht keine 3D-Videos, um durch fremde Welten zu wandern. Die lebendigsten Bilder produziert die eigene Fantasie. (picture alliance / dpa)
    Die Stimme im Kopfhörer duldet keinen Widerspruch. Wenn man die Augen schließt, wird einem eine Brille aufgesetzt, durch deren weiß getöntes Glas man nichts mehr sehen kann. Nur die Helligkeit nimmt man wahr. Die Hand, von der die Stimme spricht, ist wirklich da. Wenn man sie ergreift, wird man zu einem Fahrstuhl gebracht.
    Liegt der verlorene Raum im Keller? Christer Lundahl, der den Rundgang gemeinsam mit Martina Seitl inszeniert hat, antwortet salomonisch: "Der verlorene Raum ist ein Raum, den sich die Besucher auf der Grundlage der Informationen, die wir ihnen geben, selbst vorstellen."
    Das Konzept haben Christer Lundahl und Martina Seitl schon 2009 entwickelt und seitdem in Museen auf der ganzen Welt erprobt. In der Regel wird bei dem Rundgang auf die gerade laufenden Ausstellungen verwiesen. In Berlin geht es um die Geschichte des Gebäudes. Der Martin-Gropius-Bau steht gleich neben den Grundmauern des ehemaligen Hauptquartiers der Gestapo.
    Findet der Rundgang im Museum statt oder in einem Gefängnis?
    Die Kopfhörerstimme erinnert an Käthe Niederkirchner, eine kommunistische Widerstandskämpferin, die 1944 von der SS erschossen wurde. Findet der Rundgang im Museum statt oder in einem Gefängnis? Beides ist denkbar.
    Man müsse einen engen Tunnel durchqueren, erklärt die Stimme im Kopfhörer und die Hand, die einen führt, bewegt sich nach unten. Man muss sich bücken, wenn man sie nicht verlieren will.
    "Ich glaube, man hat eine Erinnerung, wie sich enge Räume anfühlen. Und diese Erinnerung kommt automatisch hoch, wenn man gebückt gehen muss. Da wirkt auf einmal alles eng und unbequem. In der Neurologie nennt man das eine multisensorische Erfahrung. Wenn ich die habe, bin ich wirklich davon überzeugt, in einem engen Raum zu sein. Besucher haben mir nach dem Rundgang gesagt, dass sie einen muffigen Geruch wahrgenommen haben, weil sie dachten, in einem Keller zu sein. Was man spürt, hängt nicht von den realen räumlichen Gegebenheiten ab, sondern von den ganz persönlichen Erinnerungen, die durch eine körperliche Erfahrung hochgeholt werden."
    Die Fantasie liefert die entsprechenden Bilder
    Mal wird man an der Hand geführt, mal darf man selbständig laufen. Man spürt, wie das Parkett vibriert, wenn Menschen an einem vorbeilaufen, ansonsten wird die Raumwahrnehmung durch den Klang im Kopfhörer bestimmt. Die Illusion ist perfekt. Selbst als die Stimme behauptet, man sei durch eine Wand gelaufen und befände sich nun außerhalb des Gebäudes, liefert die Fantasie die entsprechenden Bilder.
    Man begegnet einer Frau, die Käthe Niederkirchner sein könnte. Doch über ihre Geschichte wird wenig mitgeteilt. Das ist ein Schwachpunkt der Inszenierung. Christer Lundahl will keine historischen Fakten vermitteln, sondern die Illusion einer Reise durch Raum und Zeit vermitteln.
    "Der Mensch hat zwei einander widersprechende Bedürfnisse: Man wünscht sich Sicherheit, möchte aber auch Abenteuer erleben und neue Welten entdecken."
    "Virtual Reality" ist ein Riesengeschäft
    Nicht zuletzt deshalb verkaufen sich auch Computerspiele und Filme so gut, die dem Betrachter virtuelle Welten vorgaukeln. "Virtual Reality" ist ein Riesengeschäft. Auch in der Werbung werden 3D-Effekte benutzt, um Bilder und Töne noch überzeugender wirken zu lassen. Man kann es auch Manipulation nennen. Sind Kunstwerke, die dem Betrachter die Möglichkeit zur kritischen Reflektion nehmen, nicht genauso gefährlich? Christer Lundahl schüttelt den Kopf.
    "Ich glaube nicht, dass es automatisch falsch ist, wenn ein Kunstwerk bestimmte Gefühle provoziert. Kunst soll ja aufrütteln und Menschen aus ihrer täglichen Routine herausreißen. Unser Rundgang funktioniert nur, wenn die Teilnehmer mitmachen. Wer innerlich auf Distanz bleibt, erlebt nichts. Man muss dem Kunstwerk vertrauen. Das ist die Quintessenz unserer Arbeit."
    "Symphony of a Missing Room" ist ein Kunstwerk, dem man sich guten Gewissens ausliefern kann. Man wird nicht in Gefahr gebracht, erlebt nichts Schockierendes und muss am Ende auch nichts kaufen. Doch eines macht der gut 30-minütige Rundgang klar. Man braucht keine 3D-Videos, um durch fremde Welten zu wandern. Die lebendigsten Bilder produziert die eigene Fantasie.