Christiane Knoll: Unter dem Schlachtruf War on Cancer ging US-Präsident Nixon die Sache in den 70er Jahren an. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn nimmt jetzt einen neuen Anlauf mit der Dekade gegen den Krebs. Rund 60 Millionen Euro will die Bundesregierung investieren. Spahns Prognose: Noch 20 Jahre, dann könnten wir den Krebs besiegt haben. Große Worte verbunden mit Geld, da war ich doch etwas überrascht, dass die Nachricht noch gar nicht alle Krebsexperten erreicht hat. Mit einem habe ich nämlich heute Mittag telefoniert: Mit Professor Torsten Bauer vom Helios Klinikum Emil von Behring in Berlin Zehlendort, er ist dort Chefarzt der Lungenklinik: Sie haben gesagt, Sie haben das gar nicht groß mitbekommen, das heißt, das ist gar kein großes Thema bei Ihnen?
Torsten Bauer: Wir sind ja auch, so sage ich mal, Realpolitiker hier im klinischen Alltag, und wenn Politiker medizinische Ziele fordern, ist es ja häufig weit entfernt davon, was in der Realität stattfinden wird. Und deshalb habe ich das so aktuell gar nicht mitbekommen, nein.
Knoll: Jens Spahn sagt, es gäbe gute Chancen, Krebs in 20 Jahren zu besiegen. Schaffen Sie das?
Bauer: Ja, ich bin ja Lungenarzt und Teilgebietsonkologe, das heißt, ich kenne mich gut mit Lungenkrebserkrankungen aus. Ich bin eher skeptisch, dass man den Krebs insgesamt besiegen kann. Was ich als Formulierung akzeptieren könnte, wäre, dass man in 20 bis 30 Jahren die Tumorerkrankungen zu chronischen Erkrankungen machen könnte. Da wäre ich schon eher optimistisch, aber besiegen in dem Sinne des Heilserlebnis, also, ich werde krank, bekomme eine Therapie X und werde nie wieder an dieser Erkrankung erkranken, da bin ich skeptisch, selbst in 20 bis 30 Jahren.
Knoll: Was bedeutet für Sie überhaupt Heilung, auch dieser Begriff ist ja unter Medizinern ganz anders besetzt, als wir als potenzielle Patienten das verstehen würden.
Bauer: Ja, ja. Das sagen wir auch in jedem Aufklärungsgespräch bei Patienten, die Erstdiagnose eines Lungenkrebses haben: Heilung bedeutet für uns Lungenmediziner fünf Jahre Überleben ohne Rezidiv. Das ist eine Spanne, die statistisch einfach für uns wichtig ist, weil die Wiedererkrankungswahrscheinlichkeit für Lungenkrebs nach fünf Jahren deutlich abnimmt.
Knoll: Damit wären Sie schon sehr froh. Gerade bei Lungenkrebs hat es in den letzten Jahren ja große Fortschritte gegeben. Wodurch sind die zustande gekommen?
Chronische Heilung, statt hoffnungslos tumorkrank
Bauer: Ja, also, ich betreue Patienten mit Lungenkrebs seit über 20 Jahren und ich muss sagen, in den ersten 15 Jahren hat sich nur ein Viertel so viel getan wie in den letzten fünf. Wir leben in wirklich sehr fortschrittlichen Zeiten, was die Therapie des Lungenkrebses angeht. Ich hatte letztes Jahr – ich kann es ja mal emotional schildern, wie das für jemanden ist, der mit Lungenkrebspatienten arbeitet, – das erste Mal das Gefühl, als der Nobelpreis für Medizin verliehen wurde, dass ich dachte, das ist aber jetzt wirklich zurecht. Das waren die sogenannten Erstbeschreiber der Checkpoint-Inhibitoren, eine Art Substanzklasse, die wir in der klinischen Prüfung als Lungenärzte so seit vier, fünf Jahren kennen und die jetzt vor drei Jahren dann wirklich auch in die Zulassung gekommen sind. Und das sind Substanzen, die Patienten, die bisher hoffnungslos tumorerkrankt waren, in einen chronischen Heilungszustand bringen können.
Knoll: Die Checkpoint-Inhibitoren sind Substanzen, die am Immunsystem ansetzen, die also das Immunsystem dazu bringen, selbst gegen den Krebs zu kämpfen. Würden Sie sagen, da gibt es die größten Erfolge, bei Substanzen, bei Medikamenten?
Bauer: Ja, für uns aus Sicht der Therapie mit dem Lungenkrebs ist das einer der größten Erfolge. Der andere, der unbedingt genannt werden muss, sind die sogenannten Tyrosinkinase-Inhibitoren, die vor zehn Jahren in die Therapie eingeführt wurden. Sie sind noch viel wirksamer, sie können noch mehr zur Chronifizierung der Erkrankung beitragen, aber die Wahrscheinlichkeit, dass sie wirken in dem Patienten, was wir sehen, ist halt niedriger als bei den Checkpoint-Inhibitoren.
Die Überlebenschance steigt
Knoll: Und das heißt in Zahlen ausgedrückt? Wie viele Patienten mehr überleben jetzt?
Bauer: Das ist schwer zu sagen, insbesondere bei den sogenannten Checkpoint-Inhibitoren, weil die Therapie so jung ist, dass das Fünfjahresüberleben für viele Patienten noch gar nicht erreicht ist. Das heißt, wir haben aktuell über 200 Patienten in unserer Ambulanz, da sind Patienten dabei, die schon 70 Gaben dieser Immuntherapie alle zwei Wochen gesehen haben, die, wenn ich das so sagen darf, immer noch am Leben sind. Das heißt, es gibt noch keine wirklich guten Überlebensdaten in der praktischen Prüfung, weil die Therapien so gut und so viele Leute über fünf Jahre überleben. Man kann nicht sagen, das Überleben ist doppelt so gut, es gibt dazu noch keine Zahlen, aber ich kann Ihnen als Kliniker sagen, es ist erheblich besser.
Knoll: Jetzt soll noch mal eine große Anstrengung unternommen werden, 60 Millionen Euro sollen investiert werden über zehn Jahre. Wo würden Sie das Geld investieren in Ihrem Bereich, zum Beispiel in die Raucherentwöhnung, auch das ist ja ein großes Thema.
Bauer: Die Prävention beim Lungenkrebs ist nach wie vor eines der am meisten vernachlässigten Themen, denn anders als zum Beispiel beim Prostatakrebs oder beim Brustkrebs gibt es ja eine ganz klare Assoziation zwischen dem inhalativen Zigarettenrauchen und der Entstehung von Lungenkrebs. Deshalb würde ich als Lungenmediziner immer noch mehr Geld in die Prävention bringen, heißt: in die Raucherentwöhnprogramme, die nach wie vor, sage ich mal, etwas lauwarm gehandhabt werden.
Knoll: Wie ist Ihre Prognose, werde wir in 20 Jahren wirklich so viel mehr erreicht haben durch die Investitionen, die jetzt angekündigt worden sind?
"Es ist erreicht worden, dass Rauchen uncool ist"
Bauer: Also, wenn man mal zurückblickt in das Rauchverhalten der Deutschen der letzten 20 Jahre, wenn ich mir heute die Jugendlichen angucke, dann ist erreicht worden, dass Rauchen uncool ist. Das heißt, durch die Abschaffung der Werbung und die Assoziation von inhalativem Zigarettenrauch mit schnellen Autos zum Beispiel ist letztendlich gesellschaftliche etwas in Gang gekommen. Die Zahl der Raucher unter den jungen Leuten ist erheblich abgesunken, und das macht eigentlich Hoffnung, dass man auch in 20 Jahren dort einen Abfall der Lungenkrebspatienten sieht.
Knoll: Das würde aber bedeuten, dass die Potenziale in der Gesellschaft größer sind als in der Medizin.
Bauer: Das würde ich beim Lungenkrebs so sagen.
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