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Lust auf Grünes

Fleisch gilt als großer Energielieferant. Viele Paläoanthropologen halten es deshalb für das Hauptnahrungsmittel von Neandertaler und Co. Doch offenbar gab es bereits in der Steinzeit schon viele Vegetarier.

Von Michael Stang |
    Anna Revedin zufolge stimmt das bisherige Bild unserer Vorfahren als typische Jäger- und Sammlergesellschaften nicht ganz. Der Anthropologin vom Italienischen Institut für Vor- und Frühgeschichte in Florenz zufolge ernährten sich die Menschen damals nicht wie bislang angenommen hauptsächlich von Fleisch, sondern überwiegend von pflanzlicher Kost.

    "Wir haben den ältesten Nachweis für Mehl entdeckt. Damit haben unsere Vorfahren also schon vor mehr als 30.000 Jahren komplexe Nahrungsmittel hergestellt. Sie haben die Körner bestimmter Wildpflanzen gezielt gesammelt und mit Steinwerkzeugen gemahlen, um Mehl zu produzieren."

    Anna Revedin hat Steinwerkzeuge aus Italien, Russland und der Tschechischen Republik untersucht, die vor 30.000 Jahren ähnlich wie Mörser und Stößel genutzt wurden. Bei mikroskopischen Analysen im Labor sah die italienische Forscherin an den Abnutzungsspuren der Werkzeuge, dass damit Pflanzen zerstampft und gemahlen wurden. Sie konnte Stärkekörner nachweisen, die vermutlich aus der Verarbeitung von Farnen und Schilfrohr stammen. Diese Pflanzen verfügen über unterirdische Speicherorgane, die sehr viel Stärke enthalten und damit eine ergiebige Energie- und Kohlenhydratquelle sind.

    Um an die Stärke heranzukommen, mussten die Wurzeln erst geschält und getrocknet werden, bevor sie gemahlen werden konnten. Das Mehl musste anschließend noch gekocht oder gebacken worden sein, damit es verdaubar war. Diese komplexen Arbeitsschritte können nicht zufällig abgelaufen sein, sondern müssen sich in jahrelangen Prozessen entwickelt und schon viele Generationen lang existiert haben.

    "Das kann man als wichtige Entdeckung in der Ernährung unserer Vorfahren interpretieren. Vorher dachten alle, dass die Nahrung damals überwiegend aus Fleisch bestanden haben muss. Es waren ja größtenteils auch Jäger und bei Ausgrabungen finden wir immer viele Tierknochen, die auf ein gewisses Maß an fleischhaltiger Nahrung hindeuten. Aber Knochen erhalten sich nun mal besser als Obst- und Gemüsereste."

    Wieder einmal bewahrheitet sich damit einer der Grundsätze in der Anthropologie: "Die Abwesenheit eines Beweises ist nicht der Beweis für seine Abwesenheit." Da unsere Vorfahren und die Neandertaler vor 30.000 Jahren Nomaden waren und sich die Landwirtschaft erst 20.000 Jahre später entwickeln sollte, vermuteten alle Forscher, dass vorher Mehl noch nicht hergestellt und verarbeitet wurde.

    "Und das ist genau der Grund, warum bislang niemand nach solchen Spuren an den Werkzeugen gesucht hat. Mahlsteine wurden immer nur als Werkzeug zur Herstellung von Pigmenten für Körper- oder Wandmalerei interpretiert; hinzukommt, dass die Werkzeuge bei Ausgrabungen immer penibel gesäubert wurden. Dadurch können wir natürlich im Nachhinein keine Stärkereste mehr nachweisen."

    Da Anna Revedins Team die Mehlreste nicht nur in einer Ausgrabungsstelle entdeckte, sondern in halb Europa nachweisen konnte, könnte diese kulturelle Errungenschaft auch mit einem gewissen Überlebensvorteil einhergegangen sein. Ebenso sei es logisch, dass diese Form der Nahrungsmittelherstellung eine viel längere und weitverbreitete Tradition hat als bislang gedacht.

    "Vermutlich hatten unsere Vorfahren mit dieser Ernährung Vorteile gegenüber den Neandertalern. Mehl ist einfach sehr energiereich und im Gegensatz zu Fleisch lange haltbar und lässt sich auch einfach transportieren. Vermutlich half diese Nahrung den Menschen damals, karge Zeiten besser zu überstehen."

    Ihr zufolge könnte diese Ernährung auch einer der entscheidenden Vorteile gewesen sein, warum unsere Vorfahren überlebt haben und die Neandertaler ausgestorben sind.