"Ich kann nicht anders. Hier stehe ich. Gott helfe mir. Amen."
Es ist der wohl berühmteste Satz im Protestantismus, nunmehr 500 Jahre alt. Ein Satz, den Martin Luther so vermutlich nicht gesagt, aber gemeint hat – bei seinem Auftritt auf dem Reichstag zu Worms.
Gilt auch der 31. Oktober 1517, mit der Veröffentlichung von Luthers Thesen, als Gründungsdatum der evangelischen Kirche, so begann ihre eigentliche Geschichte erst drei Jahre später vor den Mauern der Stadt Wittenberg: als Luther die päpstliche Bannandrohungsbulle öffentlich verbrannte. Der zornige Augustinermönch hatte den Papst exkommuniziert!
Erst in dieser Zeit beginnt, so der Kirchenhistoriker Volker Leppin, "die Selbstauslegung der Reformatoren als Begründer einer neuen Epoche, die den alten Glauben als antichristlich hinter sich lässt". Die Jahre 1520/21 seien ein Scharnier in der Entwicklung der Reformation.
Luthers Rede aber vor dem Reichstag zu Worms – an jenem 18. April 1521 – wird auf lange Zeit alles überstrahlen! Volker Leppin dazu:
"Also es wird ja viel darüber nachgedacht, ob nicht das Grundrecht der Gewissensfreiheit sehr stark mit Worms zusammenhängt. Da kann man wiederum sagen, das ist mittelalterlich vorbereitet. Auch Thomas von Aquin wiederum hat gesagt: Keine staatliche Instanz darf in das Gewissen hineinregieren! Aber das nun jemand tatsächlich dem Kaiser gegenübersteht und sagt: Lieber Kaiser, du darfst mir da nicht reinregieren, ich bin gebunden – das ist natürlich schon ein enormer Akt."
Die Theologin Margot Käßmann sieht das ähnlich:
"Ich denke, dass die Bedeutung des Auftritts von Martin Luther überhaupt nicht unterschätzt werden kann. Weil: Hier steht ein einzelner Mensch gegenüber allen Autoritäten von Staat und Kirche und sagt, kurzgefasst: ,Hier stehe ich. Ich kann nicht anders. Gott helfe mir, Amen.' Also die Formel war ja etwas länger: Also wenn ich nicht durch das Zeugnis der Heiligen Schrift, ähm, oder durch gute Argumente überzeugt werde, bleibe ich, dann bleibt mein Gewissen allein an Gottes Wort gebunden. Damit ist dieser Gewissensbegriff durch Martin Luther eingebracht. Der einzelne Mensch darf nach seinem Gewissen urteilen und den Glauben selbst darstellen."
Disput über Jesajas Jungfrau
Luther - der Standfeste. Der Gewissensmann. Das ist der Fokus, wenn von seinem Auftritt beim Reichstag zu Worms die Rede ist. Weniger bekannt ist, dass womöglich auch ein anderes Thema eine Rolle spielte – eines, das oft eher mit dem "später" Luther verbunden wird: sein Verhältnis zu den Juden. Reinhold Lewin machte darauf schon vor über 100 Jahren aufmerksam. Der spätere Rabbiner wurde 1910 an der Universität Breslau zu Luthers Judenfeindschaft promoviert. In seiner Dissertation schreibt er dazu:
Es war zu Worms im April 1521, in jenen denkwürdigen Tagen, da der kühne Mönch von Wittenberg sein neues Evangelium mannhaft vor Kaiser und Reich vertreten. In der Herberge, in der Luther abgestiegen ist, wird es nicht leer. Ein Besuch nach dem anderen meldet sich an, um von Angesicht zu Angesicht den Mann Gottes kennenzulernen, "den Helden, der auf seinen Schultern eine große Last und fast des ganzen Reiches Hass getragen hat".
Fürsten und Grafen und sonstige vornehme Herren drängen sich um ihn, begierig ein Wort mit ihm zu wechseln. Da begehren plötzlich zwei Juden Einlass. Der Herold Kaspar Sturm, der den Befehl empfangen hat, nur hineinzulassen wem es zukomme, hält sie verwundert an und erfährt auf seine Frage, sie hätten gehört, dass in dem Hause der trefflichste Mann weile, der jetzt lebe; er sei zugleich hochgelehrt, und sie wollten von ihm in etlichen Dingen, in denen sie zweifelhaft seien, sich unterweisen lassen; sie brächten ihm auch einige Geschenke mit, um ihn nach Gebühr zu verehren.
Mit der Fürsten und Luthers Erlaubnis treten beide ein. Sie machen nach ihrer Gewohnheit ihre Reverenz, überreichen einige Flaschen süßen Weins und zeigen den Zweck ihres Kommens an; sie begehren nämlich, Luther möge ihnen etwas aus der Heiligen Schrift vorlegen, worauf sie ihm Rede und Antwort stehen mochten. Luther fordert sie zunächst auf, ihm die Meinung des Propheten Jesaja auszulegen in dem Spruch: "Siehe, eine Jungfrau ist schwanger" (Jesaja 7, 14).
Ihre Entgegnung lautet, das hebräische Wort, das man mit Jungfrau übersetze, bedeute generell oder allgemein ein junges Weib. Als Luther dagegen auf Rebekka und Mirjam verweist, die beide ebenso bezeichnet werden (1. Buch Mose 24, 43 und 2. Buch Mose 2, 8), stimmt der eine der beiden Juden ihm zu, der andere verharrt auf seiner Ansicht. Während Luther still schweigt, setzen die Juden den Disput untereinander fort, erhitzen sich in ihrem Streite immer mehr, es fehlt wenig, dass sie tätlich aneinandergeraten. Da greifen die Diener der anwesenden Fürsten ein und stoßen beide unter dem schallenden Gelächter der Zuschauer hinaus.
Fürsten und Grafen und sonstige vornehme Herren drängen sich um ihn, begierig ein Wort mit ihm zu wechseln. Da begehren plötzlich zwei Juden Einlass. Der Herold Kaspar Sturm, der den Befehl empfangen hat, nur hineinzulassen wem es zukomme, hält sie verwundert an und erfährt auf seine Frage, sie hätten gehört, dass in dem Hause der trefflichste Mann weile, der jetzt lebe; er sei zugleich hochgelehrt, und sie wollten von ihm in etlichen Dingen, in denen sie zweifelhaft seien, sich unterweisen lassen; sie brächten ihm auch einige Geschenke mit, um ihn nach Gebühr zu verehren.
Mit der Fürsten und Luthers Erlaubnis treten beide ein. Sie machen nach ihrer Gewohnheit ihre Reverenz, überreichen einige Flaschen süßen Weins und zeigen den Zweck ihres Kommens an; sie begehren nämlich, Luther möge ihnen etwas aus der Heiligen Schrift vorlegen, worauf sie ihm Rede und Antwort stehen mochten. Luther fordert sie zunächst auf, ihm die Meinung des Propheten Jesaja auszulegen in dem Spruch: "Siehe, eine Jungfrau ist schwanger" (Jesaja 7, 14).
Ihre Entgegnung lautet, das hebräische Wort, das man mit Jungfrau übersetze, bedeute generell oder allgemein ein junges Weib. Als Luther dagegen auf Rebekka und Mirjam verweist, die beide ebenso bezeichnet werden (1. Buch Mose 24, 43 und 2. Buch Mose 2, 8), stimmt der eine der beiden Juden ihm zu, der andere verharrt auf seiner Ansicht. Während Luther still schweigt, setzen die Juden den Disput untereinander fort, erhitzen sich in ihrem Streite immer mehr, es fehlt wenig, dass sie tätlich aneinandergeraten. Da greifen die Diener der anwesenden Fürsten ein und stoßen beide unter dem schallenden Gelächter der Zuschauer hinaus.
Der Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann zweifelt an der Historizität dieser Begegnung. Er sagt: "Das Problematische ist, dass diese Szene ausschließlich in einer Überlieferung der Luther-Predigten Nicolaus Selneckers, eines lutherischen Theologen aus Leipzig, aus den 1570er-Jahren greifbar ist. Vorher haben wir keine Überlieferung. Und ich sehe darin durchaus legendarische Züge. Es ist eine Art, denke ich, Wanderlegende.
Denn die Situation, das Setting: Luther trifft Juden und streitet mit ihnen über Jesaja 7, 14, begegnet in Wittenberg in den 1525er, 26er, 27er-Jahren… Und die Überlieferung ist insofern problematisch, als sie hier erstmals auftaucht und ausgesprochen stereotype Züge trägt, bei einem Autor, der ein hohes Interesse daran hat, Juden zu verballhornen und für geistig unzurechnungsfähig zu halten. Das ist bei Selnecker die Tendenz. Und insofern sehe ich sehr große, sagen wir mal, stereotype Momente in dieser Überlieferung und bin deshalb skeptisch. Hinzu kommt, dass er sich auf Kaspar Sturm beruft. Das ist der Reichsherold, der Luther in Wittenberg abgeholt hat und es völlig unklar ist, wo Selnecker diesen Kaspar Sturm je getroffen haben soll."
Wahrhaftig ist die Episode auf jeden Fall. Dazu Kaufmann: "Eine solche Begegnung hätte stattfinden können, an einem Ort wie Worms, in der (sic!) es natürlich eine große jüdische Synagoge gab. Wir wissen auch von Interaktionen zwischen Christen und Juden in Worms. Also insofern ist es nicht unvorstellbar."
Volker Leppin ergänzt: "Das ist die Stärke in Lewins Buch, weil es ausdrückt: Luther geht es darum, die Bibel anders zu interpretieren als die Juden. Ihm geht es im Grunde genommen darum, den Juden das Alte Testament zu entreißen, in seiner Interpretationsgeschichte. Und das drückt diese Episode aus Worms, die Selnecker erstmals berichtet, aus. Das zeigt etwas von dem, wie Luther sich das Alte Testament angeeignet hat, im Gesamtstrom des Christentums. Also allein schon, dass wir vom Alten Testament reden, ist ja eine Form von christlicher Vereinnahmung eines Buches, das zunächst einmal die hebräische Bibel ist."
Reinhold Lewins im Jahr 1911 veröffentlichte Promotionsschrift gilt als Auftakt der wissenschaftlichen Forschung über Luthers Verhältnis zu den Juden – und ist dabei selbst ein Stück Geschichte:
Im Jahr 1910 hatte die Evangelisch-Theologische Fakultät der Universität Breslau ihren Jahrespreis zum Thema "Luthers Stellung zu den Juden" ausgeschrieben. Unter den anonymen Einsendungen ragte eine besonders hervor, und die Überraschung wird groß gewesen sein, als sich herausstellte, dass der Preisträger nicht nur Doktorand der philosophischen Fakultät, sondern noch dazu ein Jude war.
Das Elend der jüdischen Diaspora
Lewins Überblicksdarstellung unterscheidet sich in einem wichtigen Punkt vom Gros der späteren Literatur: Luthers Schriften, auch die gegen die Juden, werden weder verteidigt noch relativiert. Ebenso wenig geht Lewin auf Luthers Lebensphasen ein oder auf den jeweiligen Stand der Reformation. Sein Kontext ist ein anderer: Lewin berichtet vom Elend der jüdischen Diaspora im ausgehenden Mittelalter. Und er findet klare Worte:
"… kein Jahr verstreicht, das nicht neue Verfolgungen heraufbeschwört, Verbannungen und Ausweisungen folgen einander ohne Aufhören. 1492 werden die Juden aus Mecklenburg herausgejagt, 1493 müssen sie das Erzstift Magdeburg verlassen, 1495 Reutlingen, 1496 reinigt man Steiermark, Kärnten und Krain von ihnen, 1499 setzen Nürnberg und Ulm die Ausweisung durch. 1506 tut Nördlingen desgleichen, nachdem Kolmar vorangegangen. 1510 findet in Brandenburg ein großer Hostienschändungsprozess statt. Als 1519 sogar Regensburg die Juden aus seinen Mauern ausschließt, von Rothenburg und Weißenburg zu schweigen, die 1520 dasselbe Muster befolgen, da gibt es in ganz Deutschland, wenn man von Prag absieht, nur noch zwei ansehnliche Gemeinden, die von Worms und Frankfurt am Main, und über deren Haupt schwebt fortwährend das Damoklesschwert [...]."
Ermisst man die ungeheure Summe der Not und des Elends, von denen die trockenen Zahlen predigen, so begreift man, mit welch elementarer Gewalt messianische Schwärmereien die verängstigten Gemüter gefangen nehmen und berücken mussten. Jedes Zeichen, das auf einen Umschwung der Verhältnisse hindeutet, wird begierig aufgegriffen; man horcht ängstlich in die Welt hinaus, ob nicht in irgendeinem Winkel der Erlöser sich zeige.
Und die Christen dieser Zeit? Sie bestärken die Juden in dieser Hoffnung: An den Universitäten erleben die hebräischen Studien eine erste Blüte; händeringend wird nach jüdischen Lehrern gesucht. Die Kabbala, die jüdische Geheimlehre, stößt auf immer mehr Interesse. In aller Munde aber ist der Philosoph und Humanist Johannes Reuchlin. Als im Jahr 1509 der Dominikanerorden gegen die Juden mobilisiert und ein gewisser Johannes Pfefferkorn – ein Geschäftsmann, der gerade erst vom Judentum zum Christentum konvertiert war – in seinen Schmähschriften die Legende propagiert, der Talmud und andere jüdische Schriften würden Jesus lästern und Angriffe gegen die Christenheit enthalten, weshalb die gesamte jüdische Literatur zu verbrennen sei, ist es Reuchlin, der sich den Hetzern mutig entgegenstellt: "Verbrennt nicht, was Ihr nicht kennt!"
Neue Wertschätzung fürs Alte Testament
Dieser Disput wird die Gelehrtenwelt über viele Jahre in seinem Bann halten. Als dann auch noch in Wittenberg ein Augustinermönch für Furore sorgt, ein gewisser Dr. Martinus Luther, der mit seiner Theologie und mit Hilfe des Buchdrucks das Papsttum in seinen Grundfesten erschüttert, da scheint für viele Juden eine neue Zeit anzubrechen.
Luther lehrt und predigt eine Auffassung von Religion, die auf die ursprünglichen Quellen zurückgeht. Sein Grundsatz "sola scriptura" – "allein durch die Schrift!" – und die damit einhergehende neue Wertschätzung des Alten Testaments erschienen als Annäherung an das Judentum. Derselbe Luther forderte 1523 in seiner Schrift "Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei" sogar die Duldung der Juden in den deutschen Territorien.
Der Autor von Hetzschriften wie "Von den Juden und ihren Lügen" scheint noch weit weg. "Kann man es dem einfachen jüdischen Manne übelnehmen", schreibt Reinhold Lewin. "wenn ihm derartige Erfolge zu Kopfe steigen, wenn er sie missversteht und sich einbildet, in ihnen die nicht trügenden Zeichen der Zeit zu erblicken, denen allein die Ankunft des Messias entsprechen kann?"
Margot Käßmann sagt: "Mir ist wichtig, die Judenfeindschaft Martin Luthers nicht zu ignorieren. Das wurde in der Kirchengeschichte allzu lange gemacht, weil, sie hat schon ein schweres Erbe hinterlassen. Nach meinem Eindruck ist er doch aber in den frühen Schriften noch einer, der denkt, er könnte Kontakt aufnehmen. Und er muss ja auch bei einigen Juden etwas geweckt haben, dass sie dachten, hier gebe es vielleicht doch einen Dialog, einen Anknüpfungspunkt. 1523 hat er eine Schrift veröffentlicht, 'Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei'."
Ich meine, das ist was, das viele Christen bis heute noch nicht ganz begriffen haben. Und er sagt dann: Diese ganzen Vorwürfe von Wucherzins und anderem, das seien Lügendinge. Und es habe liebloses Verhalten der Christen gegeben. Und dann schreibt Luther, und da zitiere ich ihn: ,Wir haben die Juden behandelt als wären es Hunde' und sagt: ,Da wäre auch ich eher eine Sau denn ein Christ geworden.' Das ist 1523, also da wirbt er ja eigentlich für Verständnis. Aber dann 1543, sage ich mal: der späte Luther, das ist grauenvoll."
Jüdischer Patriot
Im Biographischen Handbuch der Rabbiner lesen wir: "Lewin, Reinhold, Dr., geb. 3. April 1888 in Magdeburg, gest. März 1943 im KZ Auschwitz..."
Im Ersten Weltkrieg war er Feldrabbiner an der Westfront. Reinhold Lewin fühlte sich als jüdischer Patriot für das deutsche Kaiserreich, ebenso wie viele andere der 96.000 Soldaten mosaischen Glaubens, die seinerzeit in den deutschen Armeen kämpften… Lewins Promotionsschrift ist auch eine Antwort auf den Antisemitismus seiner Zeit.
Thomas Kaufmann: "Es gab in der jüdischen Lesart Luthers immer sozusagen Luther-Freunde und Luther-Kritiker. Die Luther-Freunde haben sich immer auf den jungen Luther bezogen, und die Luther-Feinde haben sich auf den späten Luther bezogen. Eine, wenn man so will, gespaltene Rezeptionsgeschichte, die die christliche im Grunde ähnlich wie die jüdische Luther-Rezeption auch im 19. Jahrhundert prägt. Und bei Lewin haben wir nun die interessante Situation, dass er das eine nicht gegen das andere ausspielt, sondern beides herausarbeitet und auch sehr deutlich macht – und da ist er der Erste, der das sieht –, dass je nach Gusto, je nach Stimmung die eine oder die andere Lesart Luthers bevorzugt wurde."
Volker Leppin ergänzt: "Das ist ein absoluter Klassiker. Also im Grunde beginnt die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Frage ,Luther und die Juden' mit dieser Arbeit von Lewin."
In der Stellung Luthers zu den Juden unterscheidet Reinhold Lewin drei Phasen: eine "erste Periode der Gleichgültigkeit", in der Luther den Juden mit Verachtung, aber ohne praktisches Interesse gegenübersteht. Etwa bis zum Frühjahr 1521 – das heißt bis zu Luthers Auftritt vor dem Reichstag in Worms – bleiben sie und ihre Schriften ihm fremd, was nicht zuletzt Luthers geringer hebräischer Sprachkenntnis geschuldet ist. Dem folgt eine Zeit der Hoffnung, die Juden würden sich dem neuen Evangelium anschließen. In diesem Sinne ist auch Luthers bereits erwähnte Schrift von 1523 zu verstehen: Luther sah in den Juden ein Objekt der Missionierung.
Reinhold Lewin konstatiert:
"Die Bekehrung der Juden bildet den Schlussstein in dem herrlichen Gebäude, das er aufgerichtet hat. Das Papsttum ist an der Aufgabe gescheitert, nicht nur, weil es falsche Mittel anwandte, sondern vor allem, weil sein Fundament auf Fälschungen und Irrlehren beruht. Hat Luther das wahre Christentum entdeckt – und er zweifelt nicht, dass es ihm gelungen ist –, so ist der endgültige Sieg der Kirche über die Synagoge die glänzendste Bestätigung."
Als Luthers Werbung bei den Juden der Erfolg versagt bleibt, folgt die dritte Phase: Der Reformator steigert sich mehr und mehr in seinem Hass. Schon im Jahr 1531 oder 1532 soll er gesagt haben, falls er jemals wieder einen Juden taufen würde, so werde er diesen auf die Elbbrücke führen, ihm dort einen Stein um den Hals hängen und ihn mit den Worten hinunterstoßen: "Ich taufe dich im Namen Abrahams."
Unkontrollierte Menschenverachtung
Luthers Judenhass schloss Motive ein, die nicht mehr "religiös" genannt werden können. Der Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann spricht von einer "theologisch unkontrollierte(n) Menschenverachtung", die angesichts der Autorität, die dem Reformationshelden und ‘Kirchenvater’ des Protestantismus zugewachsen war, heute sehr schwer wiegt.
Thomas Kaufmann: "Es gibt einige wenige Äußerungen Luthers, in denen er sich auf, wenn man so will, jüdische Wesensart bezieht und in die Richtung argumentiert, dass getauft oder nicht getauft Jude Jude bleibt. Das sind Äußerungen, die wir auch bei anderen Judenfeinden der Zeit finden. Und ich sehe in diesen Äußerungen das, was ich frühneuzeit-spezifischen oder vormodernen Antisemitismus nenne, also eine Aussage über ein genus hominum, eine Menschenart, kann Luther formulieren, die Juden, die mit bestimmten Merkmalen verbunden wird."
Die Saat des Judenhasses, die Luther ausstreut, so Reinhold Lewin am Ende des Buches, schießt zu seinen Lebzeiten nur verkümmert empor.
Sie geht aber nicht spurlos verloren, sondern wirkt noch lange durch die Jahrhunderte fort; wer immer aus irgendwelchen Motiven gegen die Juden schreibt, glaubt das Recht zu besitzen, triumphierend auf Luther zu verweisen.
Seine Gemeinde in Breslau soll der Rabbiner Reinhold Lewin aufgefordert haben, den gelben Stern mit Stolz zu tragen. Und vielleicht hätte er sein Leben und das seiner Familie retten können, wenn er sich wie andere rechtzeitig um eine Ausreise bemüht hätte. Im Gedenkbuch des Council of Jews from Germany lesen wir unter seinem Namen:
"Den Versuchen seiner Freunde, ihn nach Amerika zu retten, war kein Erfolg beschieden, weil das amerikanische Generalkonsulat in Berlin die Erteilung des nötigen Visums verweigerte. So ist Reinhold Lewin mit seiner Frau und zwei Kindern zum Märtyrer geworden."