Zur Zeit Martin Luthers sind die christlichen Mächte in Europa untereinander zerstritten, führen Kriege. Doch was einige von ihnen eint, ist ein gemeinsamer Feind, ein islamischer: das Osmanische Reich, "die Türken", wie man damals sagte. Sein Leben lang setzt sich auch Martin Luther mit "den Türken" auseinander. Zunächst spricht sich Luther gegen einen Kreuzzug gegen die Türken aus. Er ist überzeugt, dass die Türken eine Strafe Gottes sind - eine "Zuchtrute", wie der evangelische Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann erläutert:
"Gott knallt mit dieser Peitsche über die Christenheit und die Christenheit ist durch die Bedrohung durch die Türken zu Buße gerufen und nicht dazu, sich militärisch gegen die von Gott verfügte, verhängte Strafe zu wehren."
"Im Grunde die besseren Katholiken"
Wegen dieser Haltung wird Luther von der katholischen Kirche als "Türkenfreund" beschimpft. Umgekehrt nutzt auch Luther "die Türken", um die katholische Kirche anzugreifen. Die Lehren von Papst und Türken seien sich sehr ähnlich: Beide würden die Bibel missachten. Luther schreibt:
"Wie der Papst der Antichrist ist, so ist der Türke der leibhaftige Teufel."
In ihrer Religionsausübung allerdings seien die Türken konsequenter als die Katholiken:
"Die Türken büßen glaubhafter, die Türken sind in ihren asketischen Leistungen viel überzeugender, sie sind in Hinblick auf das Ordenswesen, die Askese viel eindrücklicher. Also sie sind im Grunde die besseren Katholiken. Im Sinne einer durch Werke, durch religiöse Leistungen gekennzeichneten Religion."
Bedrohung durch das Osmanische Reich
So fasst der Göttinger Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann die Haltung Martin Luthers zusammen. Er geht außerdem davon aus, dass die Bedrohung durch das Osmanische Reich die Reformation begünstigt habe:
"Ich selbst habe mal sehr zugespitzt formuliert: 'Ohne Türken keine Reformation.' Das kann man, denke ich, aus verschiedenen Gründen sagen. Also zum einen: Die Mitbeteiligung der Protestanten an der Türkenabwehr wurde sozusagen in gewisser Weise erkauft mit dem Schutz der reformatorischen Lehre, jedenfalls befristet, bevor es dann den dauerhaften Religionsfrieden gab."
Ohne den äußeren Feind hätten die Katholiken - allen voran der katholische Kaiser Karl V. - die Protestanten bekämpfen können, so die Vermutung. So aber mussten sich Katholiken und Protestanten gegen die Türken verbünden.
"Insofern haben die Türken im Prinzip dazu beigetragen, dass sich die Reformation ausbreiten konnte."
Thomas Kaufmann sieht noch einen dritten Punkt, durch den "die Türken" die Reformation begünstigt haben. Die Bedrohung von außen machte die Kritik der Reformatoren an der Kirche noch plausibler:
"Dass die Christenheit sozusagen derartig heimgesucht wird, muss ein Strafhandeln Gottes sein; und das setzt in gewisser Weise diejenigen, die diese Kirche kritisieren, also die Reformatoren, ins Recht."
Die Gefahr für das "christliche Europa" nimmt zu – durch die militärische Bedrohung durch das Osmanische Reich. 1529: "die Türken vor Wien". Ein Ereignis, das sich in das europäische Bewusstsein einbrennt. In dieser Situation überdenkt Martin Luther seine Haltung zum Krieg gegen die Türken. Er verfasst seine "Heerpredigt", ist jetzt dafür, dass die christlichen Mächte militärisch gegen die Türken vorgehen.
"In dieser Situation wird Luther immer klarer, dass der Türke ein Element der Endzeit ist, also in den apokalyptischen Schriften der Bibel, konkret in Daniel 7, gefunden werden kann", sagt Kaufmann. "Er ist das kleine Hörnlein, das einige christliche Mächte unterdrücken wird, und sozusagen der letzte Vorbote vor der Endzeit, also vor dem Erscheinen des Antichristen und der Wiederkunft Christi."
"Die Türken saufen und fressen nicht so, wie wir es tun"
Vor diesem Hintergrund setzt sich Luther immer wieder mit der Religion der Türken auseinander, dem Islam. Den Begriff "Islam" verwenden Luther und seine Zeitgenossen allerdings nicht, wie Thomas Kaufmann erklärt:
"Der Begriff 'Islam' war nicht geläufig. Einen Beleg habe ich bei Luther gefunden, dass er diejenigen, die - wir würden sagen - dem Islam anhängen, als 'Muslime' bezeichnet. Also dieser Begriff taucht auf. Aber die sonst geläufigere Redeweise ist die von den 'Mohammedanern', also den Anhängern des Mohammeds."
Detailliertes Wissen über die Religion der "Mohammedaner" besitzt Luther jedoch nicht. Er stützt sich auf die zumeist polemischen Schriften anderer, auf das Hörensagen. Der Islam ist für Luther eine Irrlehre, eine christliche Häresie. Diese Annahme ist zu der Zeit üblich. Zugleich erkennt Luther bei den "Mohammedanern" aber auch positive Eigenschaften:
"Sie trinken nicht Wein, saufen und fressen nicht so, wie wir es tun, kleiden sich nicht so leichtfertig und fröhlich, bauen nicht so prächtig, prahlen auch nicht so."
Luther blickt auch neidvoll auf den islamischen Gottesdienst: "Zum anderen wirst Du auch finden, dass sie in ihren Kirchen oft zum Gebet zusammenkommen und mit solcher Zucht, Stille und schönen äußerlichen Gebärden beten, wie bei uns in unseren Kirchen solche Zucht und Stille nirgends zu finden ist. Denn da sind die Weiber an einem abgesonderten Ort und so verhüllt, dass man keine ansehen kann."
All diese Dinge, die Luther scheinbar bewundert, sind für ihn letztendlich jedoch ein Blendwerk des Teufels.
"All der Unflat, den der Teufel durch andere Ketzer hin und wieder gestreut hat, den hat er durch Muhammad auf einmal herausgespien."
"Gerade das, was am Türken so eindrucksvoll ist, entspricht der Fähigkeit des Teufels, sich in einen Engel des Lichts zu verwandeln. Also gerade sozusagen in dem Attraktiven, Eindrucksvollen, Betörenden, im Schönen wird die Abgründigkeit des Teufels camoufliert und diese Religion sozusagen für Christen attraktiv gemacht", erläutert Thomas Kaufmann.
Luther will den Koran verbreiten
Dennoch spricht sich Luther gegen Ende seines Lebens dafür aus, den Koran in Deutschland zu verbreiten. Das war damals hoch umstritten. Kurz zuvor hatte Luther den Koran erstmals selbst lesen können, in einer lateinischen Übersetzung. Danach empfahl er:
"Darum sehe ich es als nützlich und notwendig an, dieses Büchlein zu verdeutschen, dass doch bei uns Deutschen auch erkannt werde, was für ein schändlicher Glaube des Muhammads Glaube ist, damit wir gestärkt werden in unserem christlichen Glauben."
"Luther ist der Meinung, man soll das verbreiten, weil es sich selber widerlegt", sagt Kaufmann. "Jeder, der das liest, merkt, was das für ein Müll ist, was das für ein abgründiges Zeug ist, und deshalb ist gerade sozusagen die Verbreitung des Koran der Weg, um ihn zu bekämpfen."
Diesen Weg gehen einige Islamgegner auch heute noch, 500 Jahre nach Luther - wie der Aktivist Michael Stürzenberger, hier bei einer Kundgebung in München:
"Wenn Sie es noch nicht gelesen haben: Lesen Sie dieses gefährlichste Buch der Welt, lesen Sie den Koran. Sie bekommen ihn sogar umsonst, weil die Salafisten in Deutschland 30 Millionen Korane verteilen."
Die Evangelische Kirche in Deutschland hält sich in ihrem Umgang mit dem Islam hingegen nicht mehr an die Ratschläge Luthers. Im Gegenteil: Die Kirche setzt sich ein für Islamunterricht an Schulen oder für islamische Theologie an Universitäten. Islamgegner kritisieren das, sie fordern: Die Kirche solle sich an die Worte Luthers erinnern. Für den evangelischen Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann ist das kein angemessener Umgang mit dem Erbe Martin Luthers:
"Wir können nicht einfach durch Rekurs auf Luther das eigene Denken aufgeben. Wir haben im Horizont unserer eigenen Zeitgenossenschaft und sicher auch in Respekt gegenüber der religiösen Tradition, die mit Luthers Namen verbunden ist, unsere Aufgaben in Angriff zu nehmen. Und dazu gehört meines Erachtens, dass wir in einem religionspluralen gesellschaftlichen Kontext anders mit einer anderen Religion umzugehen haben, als es für Luther selbstverständlich war."