" Martin Luther oder Luder, wie er bei Geburt im Jahre 1483 hieß, kam in Eisleben zur Welt, wuchs in Mansfeld auf, verbrachte den größten und wichtigsten Teil seines Lebens in Wittenberg. An diesen drei Wohnorten haben die Archäologen in den letzten Jahren gesucht, und vieles gefunden, was die Lebensumstände Luthers bis ins Detail erhellen wird. Daran arbeiten das Landesdenkmalamt Sachsen-Anhalt und die Martin Luther Universität Halle-Wittenberg nun gemeinsam im Projekt "Luthers Lebenswelt". "
Hans-Georg Stephan leitet an der Uni den Bereich Archäologie des Mittelalters und frühe Neuzeit und hebt als bislang wichtigste Erkenntnisse heraus:
" Es sind einmal die konkreten Gebäude viel besser fassbar geworden. Es kann immer mehr getrennt werden, was jüngerer Bestand ist, was Originalbestand ist, denn es ist seit den Anfängen der Lutherrenaissance im späteren 16. /17. Jahrhundert und vor allem im 19. und frühen 20. Jahrhundert sehr viel an den erhaltenen Gebäuden verändert worden. Vor allen Dingen wichtig ist aber der Zuwachs an Lutherrealien, also an authentischen Objekten, die dem Umfeld der Familie Luther zuzuordnen sind. "
Dazu gehören Haushaltsgegenstände aus Glas und Keramik, Ofenkacheln und Metallfunde.
" Einige nette Kleinigkeiten sind Kindermurmeln oder Trillerpfeifen für die Vogeljagd, Kleidungsbestandteile, die normalerweise nicht im archäologischen Fundkontext auftauchen. "
Und das alles in einer Zahl, die erstaunen lässt, aber trotz allem erklärbar ist, denn Luthers Lebenswelt, zumal die frühe, ist noch nie zuvor so gründlich untersucht worden.
Aber lässt sich daraus erklären, wie Luther die christliche Religion aus dem Mittelalter quasi in die Neuzeit herüberdachte? Durchaus, betrachtet man sie als anbrechendes bürgerliches Zeitalter. Und Luther wuchs als Bürger heran: Mutter Margarete stammte aus einer angesehenen Familie Eisenachs, Vater Hans aus begüterten bäuerlichen Verhältnissen. Sie kümmerte sich um die Erziehung der Kinder, er arbeitete sich im Kupferbergbau des Harzvorlandes empor, wurde Hüttenmeister und Unternehmer. Das hört sich dann doch anders an als das, was man einst dem Volk weismachen wollte. Professor Stephan:
" Hier ist der arme Heuer und die Mutter, die das Holz selbst auf dem Rücken zur Küche trägt, sicherlich ein überzeichnetes Bild, was ein christliches Armutsideal eher demonstriert, als die Realität. Es wird eindeutig fassbar durch die archäologischen Funde, aber auch nicht zuletzt durch die bauhistorischen Untersuchungen, dass es ein weitläufiges, aufwändiges Gebäude der Spätgotik darstellt, so dass die Voraussetzungen für Luther günstig gewesen sind. "
Studieren sollte er in Erfurt und Jurist werden, um für das Familienunternehmen zu arbeiten. Soweit die Absicht des Vaters. Der legendäre Blitzschlag kam dazwischen: Martin wechselte von der Uni ans hiesige Augustiner-Kloster.
Solides bürgerliches Leben ließ sich auch anhand von Nahrungsresten feststellen: Fisch kam nur zu einem Teil aus umliegenden Binnengewässern, die Mehrzahl stammte aus den Meeren. Und an Fleisch schien es auch nicht zu mangeln, stellte Hans-Jürgen Döhle vom Landesdenkmalsamt fest:
" Da gab es die normalen Wirtschaftstiere, die da sind Schwein, Schaf, Ziege, Rind. Aber das besondere Highlight sind sehr viele Kleinvogelknochen, über 250 Knochenfragmente, und wenn man mal auf andere Siedlungsmaterialien dieser Zeit schaut, dann sieht man, dass es höchst selten in diesen Mengen oder überhaupt Nachweise von Kleinvögeln gibt. "
Allerdings dürfe man daraus nicht ableiten, dass man den armen kleinen Tieren aus Not nachgestellt habe; es war eher kindlicher Jagdsport. Luthers mieden Wild - es war zu zäh. "Da kann ich ja gleich Holz essen", soll Luther gesagt haben. Dafür bevorzugten sie Fleisch von Jungtieren. Was am Tisch der Familie Martin Luther in Wittenberg seine Fortsetzung fand:
" Nur machen es hier nicht die jüngeren Schweine aus, sondern Jungrinder und Kälber, und das ist schon ein Aderlass: Von den Rinderbeständen relativ viele im Kalbsstadium zu schlachten, ist wirtschaftlich nicht besonders günstig. Man muss dann schon einen entsprechend hohen Preis dafür verlangen. "
Den Luther auch zahlte. Auch in Wittenberg war er nicht nur Professor und Bücherschreiber, er beherbergte auch eine ganze Reihe zahlender Studenten.
Dass um und nach 1500 nicht nur die Renaissance Deutschland erreichte, sondern sich auch technologisch und wirtschaftlich einiges tat, belegen u.a. die Glasgefäße, die ganz oder in Scherben gefunden wurden: waren jene in Mansfeld oft noch grünlich durch das viele Eisen in der Glasschmelze, waren jene in Wittenberg durch modernere, aufwändigere Prozesse meist farblos. Die Keramik wurde besser, auf den Tischen setzten sich Teller und Tasse durch und - es begann zu glänzen: Metall war nicht mehr allein dem Adel vorbehalten. Martin Eberle vom Städtischen Museum Braunschweig zu Ursachen:
" Also man merkt das um 1500 der Bergbau einen neuen Stellenwert hat, die Metalle spielen in den Haushalten zunehmend eine Rolle. Und das ist wirklich Repräsentation, denn noch waren die großen Silbermengen aus Südamerika nicht da, und man fand einen Ersatz im Messing, diesem goldglänzenden Messing. "
Das für Gebrauchsgegenstände wie Becken, Mörser oder Leuchter verwendet wurde.
Aus all diesen Details, die das gut gebaute Lebens-Fundament des Bürgers Luther erhellen, werden auch der Anspruch seiner Religion und Fundamente für die Reformation deutlicher, nämlich Ehe, Familie und ein wohl bestelltes Haus. Herrschte hier Ordnung im umfassenden Sinne, konnten auch deren Bewohner zum Seelenfrieden, zu Gott finden. Der "Hausfrieden" erlangte zentrale Bedeutung.
Bei der Beratung der archäologischen Ergebnisse will man in Halle nicht stehen bleiben. Im kommenden Jahr, genau am Reformationstag, soll eine Landesausstellung die Forschungsergebnisse und ihre Folgen präsentieren. Wenig Zeit für solch ein großes Vorhaben, weiß auch Hans-Georg Stephan:
" Ich denke, für die wichtigsten Fakten der Ausgrabung sind wir sicherlich soweit, dass wir den Rahmen abstecken können. Die Erforschung des Gesamtkontextes, die Beurteilung wird aber sicherlich erst nach Jahr- und jahrzehntelanger Forschung möglich sein, weil dieses Gebiet bisher von der Archäologie eigentlich gar nicht beackert worden ist, und auch die anderen in Frage kommenden historischen und naturwissenschaftlichen Disziplinen sich derartigen Fragestellungen der Wirtschafts-/Sozialgeschichte/Alltagskultur bisher nur sehr, sehr zögernd zugewendet haben. "
Hans-Georg Stephan leitet an der Uni den Bereich Archäologie des Mittelalters und frühe Neuzeit und hebt als bislang wichtigste Erkenntnisse heraus:
" Es sind einmal die konkreten Gebäude viel besser fassbar geworden. Es kann immer mehr getrennt werden, was jüngerer Bestand ist, was Originalbestand ist, denn es ist seit den Anfängen der Lutherrenaissance im späteren 16. /17. Jahrhundert und vor allem im 19. und frühen 20. Jahrhundert sehr viel an den erhaltenen Gebäuden verändert worden. Vor allen Dingen wichtig ist aber der Zuwachs an Lutherrealien, also an authentischen Objekten, die dem Umfeld der Familie Luther zuzuordnen sind. "
Dazu gehören Haushaltsgegenstände aus Glas und Keramik, Ofenkacheln und Metallfunde.
" Einige nette Kleinigkeiten sind Kindermurmeln oder Trillerpfeifen für die Vogeljagd, Kleidungsbestandteile, die normalerweise nicht im archäologischen Fundkontext auftauchen. "
Und das alles in einer Zahl, die erstaunen lässt, aber trotz allem erklärbar ist, denn Luthers Lebenswelt, zumal die frühe, ist noch nie zuvor so gründlich untersucht worden.
Aber lässt sich daraus erklären, wie Luther die christliche Religion aus dem Mittelalter quasi in die Neuzeit herüberdachte? Durchaus, betrachtet man sie als anbrechendes bürgerliches Zeitalter. Und Luther wuchs als Bürger heran: Mutter Margarete stammte aus einer angesehenen Familie Eisenachs, Vater Hans aus begüterten bäuerlichen Verhältnissen. Sie kümmerte sich um die Erziehung der Kinder, er arbeitete sich im Kupferbergbau des Harzvorlandes empor, wurde Hüttenmeister und Unternehmer. Das hört sich dann doch anders an als das, was man einst dem Volk weismachen wollte. Professor Stephan:
" Hier ist der arme Heuer und die Mutter, die das Holz selbst auf dem Rücken zur Küche trägt, sicherlich ein überzeichnetes Bild, was ein christliches Armutsideal eher demonstriert, als die Realität. Es wird eindeutig fassbar durch die archäologischen Funde, aber auch nicht zuletzt durch die bauhistorischen Untersuchungen, dass es ein weitläufiges, aufwändiges Gebäude der Spätgotik darstellt, so dass die Voraussetzungen für Luther günstig gewesen sind. "
Studieren sollte er in Erfurt und Jurist werden, um für das Familienunternehmen zu arbeiten. Soweit die Absicht des Vaters. Der legendäre Blitzschlag kam dazwischen: Martin wechselte von der Uni ans hiesige Augustiner-Kloster.
Solides bürgerliches Leben ließ sich auch anhand von Nahrungsresten feststellen: Fisch kam nur zu einem Teil aus umliegenden Binnengewässern, die Mehrzahl stammte aus den Meeren. Und an Fleisch schien es auch nicht zu mangeln, stellte Hans-Jürgen Döhle vom Landesdenkmalsamt fest:
" Da gab es die normalen Wirtschaftstiere, die da sind Schwein, Schaf, Ziege, Rind. Aber das besondere Highlight sind sehr viele Kleinvogelknochen, über 250 Knochenfragmente, und wenn man mal auf andere Siedlungsmaterialien dieser Zeit schaut, dann sieht man, dass es höchst selten in diesen Mengen oder überhaupt Nachweise von Kleinvögeln gibt. "
Allerdings dürfe man daraus nicht ableiten, dass man den armen kleinen Tieren aus Not nachgestellt habe; es war eher kindlicher Jagdsport. Luthers mieden Wild - es war zu zäh. "Da kann ich ja gleich Holz essen", soll Luther gesagt haben. Dafür bevorzugten sie Fleisch von Jungtieren. Was am Tisch der Familie Martin Luther in Wittenberg seine Fortsetzung fand:
" Nur machen es hier nicht die jüngeren Schweine aus, sondern Jungrinder und Kälber, und das ist schon ein Aderlass: Von den Rinderbeständen relativ viele im Kalbsstadium zu schlachten, ist wirtschaftlich nicht besonders günstig. Man muss dann schon einen entsprechend hohen Preis dafür verlangen. "
Den Luther auch zahlte. Auch in Wittenberg war er nicht nur Professor und Bücherschreiber, er beherbergte auch eine ganze Reihe zahlender Studenten.
Dass um und nach 1500 nicht nur die Renaissance Deutschland erreichte, sondern sich auch technologisch und wirtschaftlich einiges tat, belegen u.a. die Glasgefäße, die ganz oder in Scherben gefunden wurden: waren jene in Mansfeld oft noch grünlich durch das viele Eisen in der Glasschmelze, waren jene in Wittenberg durch modernere, aufwändigere Prozesse meist farblos. Die Keramik wurde besser, auf den Tischen setzten sich Teller und Tasse durch und - es begann zu glänzen: Metall war nicht mehr allein dem Adel vorbehalten. Martin Eberle vom Städtischen Museum Braunschweig zu Ursachen:
" Also man merkt das um 1500 der Bergbau einen neuen Stellenwert hat, die Metalle spielen in den Haushalten zunehmend eine Rolle. Und das ist wirklich Repräsentation, denn noch waren die großen Silbermengen aus Südamerika nicht da, und man fand einen Ersatz im Messing, diesem goldglänzenden Messing. "
Das für Gebrauchsgegenstände wie Becken, Mörser oder Leuchter verwendet wurde.
Aus all diesen Details, die das gut gebaute Lebens-Fundament des Bürgers Luther erhellen, werden auch der Anspruch seiner Religion und Fundamente für die Reformation deutlicher, nämlich Ehe, Familie und ein wohl bestelltes Haus. Herrschte hier Ordnung im umfassenden Sinne, konnten auch deren Bewohner zum Seelenfrieden, zu Gott finden. Der "Hausfrieden" erlangte zentrale Bedeutung.
Bei der Beratung der archäologischen Ergebnisse will man in Halle nicht stehen bleiben. Im kommenden Jahr, genau am Reformationstag, soll eine Landesausstellung die Forschungsergebnisse und ihre Folgen präsentieren. Wenig Zeit für solch ein großes Vorhaben, weiß auch Hans-Georg Stephan:
" Ich denke, für die wichtigsten Fakten der Ausgrabung sind wir sicherlich soweit, dass wir den Rahmen abstecken können. Die Erforschung des Gesamtkontextes, die Beurteilung wird aber sicherlich erst nach Jahr- und jahrzehntelanger Forschung möglich sein, weil dieses Gebiet bisher von der Archäologie eigentlich gar nicht beackert worden ist, und auch die anderen in Frage kommenden historischen und naturwissenschaftlichen Disziplinen sich derartigen Fragestellungen der Wirtschafts-/Sozialgeschichte/Alltagskultur bisher nur sehr, sehr zögernd zugewendet haben. "