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Luxemburg
"Juncker muss jetzt handeln, oder er muss gehen"

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker müsse aufklären über seine Rolle bei der Positionierung Luxemburgs als größte Steueroase in Europa, sagte Sven Giegold, Europaabgeordneter der Grünen, im DLF. Außerdem müsse der frühere Ministerpräsident Luxemburgs einen Aktionsplan gegen Steuerdumping vorlegen.

Sven Giegold im Gespräch mit Christiane Kaess |
    Grünen-Politiker Sven Giegold bei der Präsentation der Europawahlkampagne im April 2014
    Grünen-Politiker Sven Giegold (picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka)
    "Wenn er das nicht tut, ist er völlig unglaubwürdig", sagte Giegold, der finanzpolitischer Sprecher seiner Fraktion ist. Jetzt müsse kontrolliert werden, ob das luxemburgische Vorgehen auch juristisch illegale Beihilfe sei. "Die Aussage, die ständig wiederholt wird, es sei alles legal gewesen, ist nicht richtig." Luxemburg habe mit dieser Praxis gegen europäisches Beihilferecht verstoßen. "Und dann haben wir einen Kommissionspräsidenten, der selber an dem Bruch europäischen Rechts beteiligt war."
    Das könne Juncker nur ausgleichen, wenn er die Bereitschaft zeige, den "europäischen Steuersumpf" trocken zu legen. In der Verantwortung dabei seien auch die Finanzminister.
    Giegold betonte, es gehe nicht nur um Luxemburg, sondern auch um andere Staaten wie die Niederlande. "Wir müssen diese Chance nutzen, jetzt mit diesem Steuerdumping Schluss zu machen." Die Vorschläge lägen alle auf dem Tisch.
    Juncker war zuletzt unter Druck geraten, weil sein Heimatland internationalen Konzernen Steuervorteile gewährt. Die EU-Kommission untersucht derzeit neben der Steuerpraxis in Luxemburg auch die in den Niederlanden, Irland und Malta.

    Das Interview in voller Länge:
    Christiane Kaess: Die Vorwürfe gegen den neuen EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker wiegen schwer. Er soll als Finanzminister und Regierungschef in den Jahren 1989 bis 2013 mitverantwortlich dafür gewesen sein, das Großherzogtum Luxemburg in ein Paradies umgebaut zu haben für Konzerne, die Steuern vermeiden wollten, auf Kosten natürlich von Steuerzahlern in anderen Ländern. Steht deshalb die politische Glaubwürdigkeit von Juncker auf dem Spiel? „Nein!", sagen zum Beispiel die Abgeordneten der konservativen EVP-Fraktion im Europäischen Parlament. Viele sehen das allerdings anders.
    Am Telefon ist jetzt Sven Giegold. Er sitzt für die Grünen im Europäischen Parlament und ist dort Mitglied im Wirtschaftsausschuss. Guten Morgen!
    Sven Giegold: Guten Morgen, Frau Kaess.
    Kaess: Sie verlangen, dass Juncker sich einer Diskussion im Parlament stellt. Was soll er denn eigentlich noch erklären?
    Giegold: Herr Juncker soll zum einen aufklären, was genau seine Rolle bei der Positionierung Luxemburgs als größte Steueroase Europas neben den Niederlanden ist. Und zweitens muss er einen Aktionsplan vorlegen, wie wir die massiven Steuerpraktiken zur Steuersenkung bei Großunternehmen in Europa beenden. Kurzum: Er muss jetzt handeln, oder er muss gehen.
    Kaess: Vonseiten Junckers heißt es aber, man werde erst antworten, sobald es eine konsolidierte Position des Plenums des Europaparlaments gibt. Wie könnte die denn aussehen, denn das Parlament ist ja komplett gespalten?
    Giegold: Also: Zunächst mal sind das ja zwei verschiedene Dinge. Die Kommission hat das Recht zur Initiative. In einem Moment einer solchen europäischen Krise ist die Verantwortung der Europäischen Kommission, vorzulegen, was jetzt geschehen soll. Und die Vorschläge liegen ja alle auf dem Tisch. Es geht ja nicht nur um Luxemburg, sondern es geht darum, dass in Europa viele Länder daran beteiligt sind, den jeweils anderen Nachbarstaaten gegen das europäische Prinzip der Solidarität in die Tasche zu greifen. Jetzt muss aufgeklärt werden, aber vor allem brauchen wir volle Steuertransparenz bei den Großunternehmen und Regeln wie Mindeststeuersätze und ein Ende dieser Dumping-Verschieberei, wo welche Steuern eigentlich bezahlt werden. Einen solchen Plan muss er jetzt vorlegen und wenn er das nicht tut, ist er völlig unglaubwürdig.
    EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker stellt seine neue Mannschaft in der EU-Kommission vor.
    Der EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker gerät wegen seiner Rolle bei Steuererleichterungen für ausländische Unternehmen in Luxemburg unter Druck. (AFP/Emmanuel Dunand)
    Kaess: Aber im Moment, Herr Giegold, geht es ja vor allem darum, dass der Druck auf Juncker ganz massiv wächst. Es ist ja aber nicht neu, dass in Luxemburg Steuern vermieden werden. Warum haben Sie denn Juncker nicht früher und expliziter danach gefragt?
    Giegold: Oh, das haben wir getan! Ich habe Herrn Juncker persönlich in den letzten Jahren mehrfach mit seiner Rolle in Luxemburg konfrontiert und das wurde dann immer sehr deutlich. Aber in der jetzigen Situation geht es um mehr als nur Luxemburg oder Juncker, denn die größte Steueroase für Großunternehmen sind die Niederlande. Die Niederlande, dort der Finanzminister ist Chef der Euro-Gruppe, Sozialdemokrat, Herr Dijsselbloem, und der zeigt derzeit nur mit dem Finger auf Luxemburg und tut so, als gäbe es in den Niederlanden überhaupt kein Problem, obwohl die die gleichen Steuersparmodelle anbieten wie Luxemburg für die Großunternehmen. Das bedeutet, wir müssen diese Chance nutzen, jetzt mit diesem Steuer-Dumping Schluss zu machen. Und alle, die nur auf Luxemburg zeigen, lenken davon ab, dass Europa insgesamt ein großes Steuerloch für Großunternehmen ist.
    Maßgeschneiderte Steuererklärungen für ausländische Unternehmen
    Kaess: Im Moment fokussiert sich alles auf Luxemburg, sagen Sie. Das stimmt natürlich. Aber auch da kommt ja Widerspruch. Der luxemburgische Finanzminister Pierre Gramegna sagt heute in der „Süddeutschen Zeitung" noch einmal, Luxemburg trickst nicht, das ist alles legal.
    Giegold: Das, ehrlich gesagt, ist eine sehr mutige Aussage, denn es ist ja so gewesen: Europaweit wurde verboten, dass man ausländische Unternehmen anders behandelt als heimische. Daraufhin hat Luxemburg Folgendes erfunden: Man hat das zwar in den Gesetzen geändert, offiziell werden inländische und ausländische Unternehmen gleich behandelt, aber für ausländische Großkonzerne gibt es diese maßgeschneiderten Steuererklärungen. Und das ist mit dem europäischen Wettbewerbsrecht nicht vereinbar!
    Das Pikante an der Geschichte ist allerdings: Wenn das wirklich zur illegalen Staatsbeihilfe erklärt wird durch die EU-Kommission, dann müssen die Unternehmen dieses Geld zurückzahlen. Die EU-Kommission muss das zurückfordern und der Empfänger des Geldes wäre der Luxemburger Staat. Genau das gleiche in Irland und den Niederlanden. Dieses Geld darf nicht letztlich in Luxemburg landen, sondern das muss für die dringend notwendigen Maßnahmen gegen die Krise jetzt bereitgestellt werden, und da muss auch Luxemburg ein paar Worte zu sagen.
    Kaess: Herr Giegold, wenn ich Sie richtig verstehe, dann gehen Sie davon aus, dass man über diesen Missbrauch der vorherrschenden Gesetzgebung hinausgegangen ist und dass es Sondervereinbarungen zwischen Staat und Unternehmen gegeben hat.
    Giegold: Das ist ja offensichtlich, dass es Sondervereinbarungen gab. Genau das haben ja die Journalisten jetzt öffentlich gemacht. Wir wussten das im Prinzip auch vorher schon, aber wir hatten die Papiere nicht. Jetzt muss kontrolliert werden, ob es wirklich auch juristisch illegale Beihilfe ist. Wenn es das ist, dann ist es für Herrn Juncker doppelt pikant, weil zwar nicht in dem Sinne haben die Unternehmen Recht gebrochen, aber die Aussage, die ständig wiederholt wird, das sei alles legal gewesen, ist nicht richtig, sondern Luxemburg hat mit dieser Praxis gegen europäisches Beihilferecht verstoßen, und dann haben wir einen Kommissionspräsidenten, der selber an dem Bruch europäischen Rechts beteiligt war. Das kann er nur heilen, wenn er massiv jetzt sichtbar macht, dass er bereit ist, diesen europäischen Steuersumpf - und wie gesagt, da geht es dann nicht nur um Luxemburg - zu beenden. Da müssen auch die Finanzminister der Mitgliedsländer jetzt handeln, denn sie sind diejenigen, die jeden Fortschritt in Europa seit 30 Jahren im Bereich der Unternehmensbesteuerung blockieren.
    Keine Transparenz bei Steuern
    Kaess: Sie sagen, Sie hatten die Papiere nicht. Der luxemburgische Finanzminister Gramegna, der sagt heute auch in der „Süddeutschen Zeitung", die Finanzämter aus betroffenen Ländern könnten die Entscheidungen der luxemburgischen Steuerbehörden einsehen und widersprechen, wenn sie nicht einverstanden seien. Welche Schuld trifft denn dann die anderen Länder? Was haben denn zum Beispiel auch deutsche Behörden da verpasst?
    Giegold: Absolut, denn wir haben im Bereich der Steuern keine Transparenz. Es ist richtig: Die verflochtenen Auslandsunternehmen, das kann das jeweilige Finanzamt oder die Steuerbehörden des Heimatlandes eines Unternehmens einsehen und kontrollieren. Das wird auch gemacht. Aber es wird schlecht gemacht und deshalb sage ich ja, es ist auch die Verantwortung der Finanzminister wie Herrn Schäuble, Herrn Sapin und so weiter, die in der Vergangenheit nicht mit dem gleichen Druck vorgegangen sind. Man sieht es ja sehr deutlich. Innerhalb der Troika wurden die Krisenländer massiv unter Druck gesetzt, Reformen durchzuführen. Ich sage, auch diese Reformen waren notwendig. Nicht alle waren richtig, aber Reformen waren notwendig. Wenn es um das Steuerzahlen der Großunternehmen geht, da galt zweierlei Recht. Dort gab es angeblich eine völlige Blockade im Rat, da war nichts durchzusetzen, und deshalb sind jetzt auch die Finanzminister gefordert, diese Blockade in Europa aufzulösen, einen Maßnahmenplan mit Herrn Juncker zusammen auf den Weg zu bringen. Die Regeln, die wir brauchen, sind alle klar, aber bisher gab es diesen politischen Druck nicht. Und dass der Aufklärungswille sich in Grenzen hielt, das sieht man daran, dass die deutschen Steuerbehörden diese Deals auch vielfach letztlich mitgemacht haben.
    Kaess: Sven Giegold, Grünen-Abgeordneter im Europäischen Parlament. Er ist dort Mitglied im Wirtschaftsausschuss. Danke für dieses Interview.
    Giegold: Sehr gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.