Peter Kapern: Kennen Sie die Industriellen-Familie Riemann? Falls nicht, dann geht es Ihnen so wie den allermeisten Deutschen. Der Clan zählt zu den reichsten Unternehmer-Dynastien unseres Landes, lebt allerdings völlig zurückgezogen. Ihr Unternehmen produziert Hautwässerchen gegen Pickel, Pulver gegen Kalkablagerungen und Kondome gegen ungewollte Schwangerschaften. Sachkundig in Sachen Verhütung zeigte sich das Unternehmen allerdings auch in anderer Hinsicht. Auch das Steuern zahlen hat das Unternehmen gut verhütet: Durch Firmenkonstrukte, die in Luxemburg sitzen und mit den dortigen Behörden Vereinbarungen über Steuersätze vereinbart haben, getroffen haben, die dem Durchschnittsverdiener die Tränen in die Augen treiben. Das Unternehmen steht damit allerdings nicht allein, das haben die jüngsten Recherchen einer internationalen Journalistengruppe im sogenannten Lux-Leaks-Skandal ergeben.
Bei uns am Telefon ist Sven Giegold, der Steuer- und Finanzmarktexperte der Grünen im Europaparlament. Herr Giegold, ich grüße Sie.
Sven Giegold: Guten Tag, Herr Kapern.
Kapern: Herr Giegold, über die sogenannten Tax Rulings in Luxemburg hat die breite Öffentlichkeit ja vor einigen Wochen schon erfahren, also über diese Sondervergünstigungen für Unternehmen bei der Steuerberechnung. Was ist für Sie das Bemerkenswerteste an den jüngsten heutigen Enthüllungen?
Giegold: Ja das Bemerkenswerteste ist natürlich, dass wir jetzt Dokumente aller großen Wirtschaftsprüfungs- und Wirtschaftsberatungsgesellschaften haben. Aber vor allem ist die Botschaft, es reicht jetzt. Die EU-Kommission muss endlich handeln und einen entscheidenden Maßnahmenplan vorlegen. Gleichzeitig darf die Große Koalition hier im Europaparlament den Untersuchungsausschuss in all diesen Vorgängen nicht länger blockieren.
"Nicht alles, was legal ist, ist auch legitim"
Kapern: Bleiben wir noch mal bei Ihrem ersten Punkt. Es ist also die Mitwirkung aller namhaften Wirtschaftsberatungsgesellschaften an diesen Tax Rulings nun dokumentiert. Kann man das eigentlich skandalisieren? Genau dafür sind doch Wirtschaftsberatungsunternehmen da.
Giegold: Ja, das ist schon richtig. Die machen ihr Geschäft. Allerdings ist nicht alles, was legal ist, auch legitim. Ich finde schon, dass man seinen Lebensunterhalt auch anders verdienen kann. Aber jenseits dessen ist das natürlich kein Wunder. Wenn die politischen Rahmenbedingungen in Europa Steuerdumping ohne Grenzen erlauben, dann wird es auch Akteure geben, die das nutzen, und deshalb ist es auch vor allem eine politische Verantwortung, dem ein Ende zu setzen. Die Erfahrung zeigt, dass weder die Regierungen der Steueroasen-Länder, noch die Regierungen Deutschlands, Frankreichs und so weiter in diesen Fragen in der Vergangenheit wirklich Druck gemacht haben, sondern man hat die Großunternehmen gewähren lassen, und damit muss endlich Schluss sein.
Kapern: Dass internationale Konzerne bei der Steuerberechnung bevorzugt behandelt werden, das mag ja ungerecht sein. Aber unrechtmäßig ist das Ganze ja offenbar doch nicht, wenn auch der nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans noch einmal einen genauen Blick darauf werfen will. Wie schätzen Sie die Sache ein? Ist das noch mal ein Fall für den Staatsanwalt, oder ist das damit erledigt, dass wir uns darüber aufregen?
Giegold: Die Frage der Rechtmäßigkeit stellt sich ja in zwei verschiedener Hinsicht. Die eine Frage ist, war es illegale Beihilfe aus Sicht des europäischen Rechts. Dann ist das kein Fall für den Staatsanwalt, sondern dann müssen die jeweiligen Unternehmen die gewährte steuerliche Sonderbehandlung zurückzahlen. Das prüft derzeit die EU-Kommission, leider nach wie vor lediglich mit acht Beamten. Statt wirklich einige Dutzend europäische Experten daran zu setzen, sind es acht arme Beamte in der Generaldirektion Wettbewerb, die sich darum kümmern müssen.
Kapern: Ist das Absicht? Vermuten Sie dahinter Absicht?
Giegold: Das weiß ich nicht, ob das Absicht ist. Es hat lange gedauert, bis sie sich überhaupt darum gekümmert haben. Wir haben das schon zu Beginn der letzten Legislaturperiode gefordert. Dann zwei Jahre vor Ende hat Herr Almunia damals das dann eingeleitet. Und dass es nur acht sind, ist bedauerlich, und auch die Forderung von uns, das aufzustocken, nachdem Lux-Leaks, die erste Skandalwelle rollte, ist bisher nicht nachgekommen worden. Ich hoffe, dass sich das jetzt spätestens ändert. Das europäische Wettbewerbsrecht ist das eine. Das andere ist, ob das aus deutscher Sicht praktisch Missbrauch von steuerlichen Rahmenbedingungen war, und das muss in Deutschland geprüft werden. Und da haben wir auch die Situation, dass leider im Bereich der Steuerverwaltung die Länder jeweils eigenständig handeln. Wir haben keine starke Steuerbehörde auf nationaler Ebene, die sich um diese Dinge wirklich systematisch kümmert. Es wäre eigentlich richtig, dass wir in dem Bereich auch den Wettbewerb zwischen den Bundesländern beenden.
"Das Parlament muss aufklären"
Kapern: Das Bemerkenswerte, Herr Giegold, an diesen Veröffentlichungen von heute ist ja auch, dass Luxemburg allen Ländern, die das wollen, Einzelheiten über die vereinbarten Tax Rulings mit in diesen Heimatländern ansässigen Unternehmen liefert. Bemerkenswerterweise hat ausgerechnet Deutschland keinen solchen Informationsaustausch beantragt. Wie bewerten Sie das?
Giegold: Ja, das ist interessant. Das entspricht wieder der Sicht, dass es falsch ist, nur auf Herrn Juncker und Luxemburg zu zeigen, sondern auch die großen Mitgliedsländer, die eigentlich die Geschädigten sind, sind der Sache nicht ernsthaft nachgegangen. Deshalb wollen wir einen Untersuchungsausschuss, der genau schaut, wer hat eigentlich in der Vergangenheit nachdrücklich auf Beendigung des Steuerdumpings gedrängt und wer hat das nicht gemacht und wer hat das behindert? Diese Informationen sind geheim, die Protokolle sind nicht öffentlich. Wir finden, dass das Parlament das aufklären muss, und jenseits dessen brauchen wir nach all diesen Vorgängen jetzt einen konsequenten Aktionsplan gegen Steuerdumping in Europa.
Kapern: Kurz noch zum Schluss, Herr Giegold. Wir haben ja eben in dem Beitrag gehört, Jean-Claude Juncker, der Kommissionspräsident, frühere Luxemburger Ministerpräsident, steht nach wie vor unter Druck. Er hat heute noch mal einen Rücktritt in dieser Sache ausgeschlossen. Kommt er damit durch?
Giegold: Die Diskussion um den Rücktritt, die geht völlig an den Problemen vorbei. Wenn Herr Juncker zurücktritt - es ist ja kein Wunder, dass das im Europaparlament die rechten Europagegner sowie die Linkspartei gefordert haben -, dann ist doch nichts geändert, sondern was wir brauchen sind jetzt Maßnahmen. Und Herr Juncker, gerade weil seine Glaubwürdigkeit beschädigt ist, steht unter mehr Druck als irgendjemand anders, jetzt die entscheidenden Vorschläge zu machen, mit Mindeststeuersätzen, mit voller Steuertransparenz und einem Ende dieser Manipulation der Steuerbemessungsgrundlage. Wir erwarten Maßnahmen von ihm und nicht seinen Rücktritt. Er muss jetzt handeln, nicht zurücktreten.
Kapern: Sven Giegold, der Steuer- und Finanzmarktexperte der Grünen im Europaparlament. Herr Giegold, danke, dass Sie heute Mittag Zeit für uns hatten.
Giegold: Sehr gerne.
Kapern: Einen schönen Tag noch. Tschüss!
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