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Luxemburgs Außenminister zur Flüchtlingspolitik
"Kein EU-Land hat das Recht, sich auszuklinken"

Kein EU-Land habe das Recht, sich aus der Flüchtlingsaufnahme auszuklinken, sagte Jean Asselborn, luxemburgischer Außenminister im DLF mit Blick vor allem auf den Widerstand mehrerer osteuropäischer Staaten. Asselborn appellierte an die Einsicht der Mitgliedsländer. Er forderte zudem, an den Hauptrouten nach Europa Registrierungsstellen für Flüchtlinge einzurichten. Für Deutschlands Grenzkontrollen zeigte er Verständnis.

Jean Asselborn im Gespräch mit Bettina Klein |
    Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn steigt bei einem Treffen in Luxemburg mit seinem Sakko in der Hand aus einem Auto aus.
    Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn (afp / Emmanuel Dunand)
    Ungarn, Tschechien, Polen und die Slowakei wollen unter anderen keine Flüchtlinge aufnehmen. "Ich habe die Hoffnung, dass man diese Länder umstimmen kann", sagte Asselborn mit Bezug auf das heutige EU-Innenminister-Treffen in Brüssel: Man könne nicht mit der Solidarität spielen. "Wenn wir die Solidarität infrage stellen, stellen wir die Essenz Europas infrage. Kein Land hat das Recht, sich auszuklinken", fügte er hinzu.
    Auf die Frage, ob bei einer anhaltenden Weigerung dieser Länder politische Konsequenzen möglich seien, entgegnete Asselborn: "Ich kann nur einen Appell machen, dass Europa auf Solidarität aufgebaut ist."
    Registrierung an Zugangspunkten nötig
    Es müsse jetzt ein Paket auf die Beine gestellt werden, bei dem vor allem Zentren an den Zugangspunkten zu Europa entstehen, wo Menschen registriert, interviewt und "würdig empfangen werden", sagte er. "Wenn das funktioniert, dann kann man viel einfacher eine Umverteilung machen". Wenn man das Chaos vermeiden wolle, dann müsse man gerade in Italien und Griechenland solche Änderungen vornehmen.
    Zu den seit Sonntagabend eingeführten Grenzkontrollen Deutschlands zu Österreich sagte Asselborn: "Ich habe großes Verständnis dafür, es ist schwer, Deutschland zu kritisieren." Deutschland habe zahlreiche Asylsuchende aufgenommen. Die Grenze könne nach dem Schengen-Abkommen bis zu zehn Tag geschlossen werden. Asselborn warnte aber davor, dass Schengen kollabieren und ein Dominoeffekt entstehen könnte.

    Das Interview in voller Länge:
    Bettina Klein: Wir haben es mehrfach heute Morgen angesprochen: Die EU-Innenminister werden sich heute in Brüssel zusammenfinden und versuchen, eine Einigung zu finden, was Quoten angeht für die Unterbringung von Flüchtlingen in Europa, und am Telefon ist jetzt Jean Asselborn, Außenminister Luxemburgs und auch zuständig für Migration und Flüchtlinge. Guten Morgen, Herr Asselborn.
    Jean Asselborn: Guten Morgen, Madame Klein.
    Klein: Zunächst mal zur deutschen Entscheidung. War das Ihrer Meinung nach richtig und gefahrlos umzusetzen, jetzt Grenzkontrollen wieder einzuführen?
    Asselborn: Ich habe großes Verständnis dafür. Es ist schwer, Deutschland zu kritisieren jetzt. Das werde ich auch nicht tun. Ich glaube, Deutschland hat hunderttausende Asylsuchende aufgenommen. Das hat der Menschlichkeit in Deutschland und auch in Europa gut getan. Aber Sie wissen, dass Menschlichkeit auch zum Chaos führen kann, wenn alle Regeln über Bord geworfen werden und wenn, sagen wir mal, die Verantwortung und die Solidarität, wenn das kollabiert. Es ist ja für zehn Tage möglich. Die Grenzen werden ja nicht hermetisch zugemacht. Es werden Kontrollen eingeführt. Wir müssen alle zusammen aufpassen, dass jetzt kein Dominoeffekt entsteht und dass Schengen wirklich kollabiert. Da würden der Front National in Frankreich und viele andere uns sehr dankbar sein dafür.
    "Wir müssen auf Solidarität und Verantwortung setzen"
    Klein: Wie soll denn das verhindert werden, denn man verlagert ja im Augenblick eigentlich das Problem, wenn man so will, die Unterbringung und Versorgung der vielen Menschen in Richtung Österreich und Ungarn?
    Asselborn: Wir sind ja heute in Brüssel zusammen und können Akzente setzen, sehr wichtige Akzente setzen. Wissen Sie, ich wünsche mir eigentlich, dass wir die Kraft haben, die Energie und den Willen haben einer Mutter oder eines Vaters aus Aleppo, der mit seinen Kindern sich durchschlägt, teils zu Fuß, aus Syrien bis nach Europa. Wenn wir diese Kraft haben, dann setzen wir heute Zeichen, dass wir wieder auf Solidarität setzen, auf Verantwortung setzen, und die Schlussfolgerungen, die wir als Präsidentschaft vorgeschlagen haben, woran gearbeitet wird, da gibt es Lösungen, die sehr, sehr schnell umgesetzt werden können, damit man dieses Chaos wieder in den Griff bekommt.
    "Registrierungszentren müssen entstehen"
    Klein: Herr Asselborn, wir alle wünschen uns sicherlich diese Kraft von Menschen, die Sie gerade skizziert haben. Aber aus Ungarn, Tschechien, der Slowakei und wohl auch Polen kommt ein ganz klares Nein, zum Beispiel was eine Quotenregelung für ankommende Flüchtlinge angeht. Sie haben noch Hoffnung, dass man die Länder heute umstimmen kann?
    Asselborn: Ich war in Prag mit Frank Steinmeier. Wir sehen, dass große Probleme da bestehen. Aber lassen Sie mich zuerst sagen, bevor wir von diesen Quoten reden, von den Zahlen reden: Wir müssen wissen, wer an unsere Tür klopft und Asyl sucht, und das geht zurzeit ziemlich gut in Italien, geht aber nicht in Griechenland. Wir müssen jetzt ein ganzes Paket heute auf die Beine setzen, Kommission und dann auch das Flüchtlings-Office der Europäischen Union mit der UNHCR, mit dem UNO-Flüchtlingswerk zusammen, und natürlich die Kommission. Wir müssen mit Griechenland zusammen etwas fertig bringen und sehr schnell fertig bringen, dass hier Zentren entstehen, wo die Menschen, die über die Türkei - und das sind ja die allermeisten - nach Europa kommen, dass die registriert werden, dass sie würdig empfangen werden und dass natürlich auch ein Interview gemacht wird und dass man schaut, ob wirklich die Bedingungen der Konvention von Genf, ob sie Asylsuchende sind, dass die erfüllt sind. Wenn das funktioniert, dann kann man natürlich auch viel einfacher diese ganze Umverteilung machen. Wenn das aber nicht funktioniert, dann klappt es nicht!
    Flüchtlinge sollen bis 8. Oktober umverteilt werden
    Klein: Lassen Sie mich noch mal fragen. Es sind ja Zehntausende bereits angekommen. Die sind ja schon in Staaten der Europäischen Union. Was wird die Europäische Union heute beschließen, um diesen Menschen zu helfen und um den Regierungen zu helfen, die jetzt dabei sind, für die Versorgung und für die Unterbringung zu sorgen?
    Asselborn: Wir werden heute konkrete Schritte machen. Wir werden zum Beispiel, nachdem wir das Europaparlament konsultiert haben, für die 40.000 das Jawort geben, dass wir ab morgen, ab dem 15. Anfangen mit der Umverteilung dieser 40.000. Wir sind bei 34.000. Ich habe viel Hoffnung, dass wir selbstverständlich auch sehr schnell auf 40.000 kommen. Das ist das Erste.
    Das Zweite ist: Wir wollen heute ein politisches, sagen wir mal, Einvernehmen finden im Rat, dass wir sehr viel daran arbeiten und es fertig bringen bis zum 8. Oktober, wenn der nächste Rat ist, damit wir die 120.000 umverteilen. Wir werden auch bei der Zahl 120.000 bleiben.
    Aber lassen Sie mich noch einmal sagen: Wir müssen es fertig bringen in der Europäischen Union, wenn wir dieses Chaos verhindern wollen, dass wir wirklich diese Orte, wo die Menschen in die Europäische Union hereinkommen, in Italien, wo es viel besser geht, aber auch in Griechenland, dass wir das fertig bringen. Ohne das und ohne natürlich auch ein großes finanzielles Paket zur Verfügung zu stellen, wird es nicht gehen.
    "Kann nur an Länder appellieren"
    Klein: Herr Asselborn, der Appell ist jetzt angekommen. Mich interessiert noch mal: Sie sagen, wir müssen es durchsetzen. Wie? Wird es zum Beispiel Druckmittel geben, die angewendet werden jetzt mit Blick auf Staaten, die sich einer Quotenregelung verweigern?
    Asselborn: Ich verstehe Sie als Journalist, aber ich habe diesen Rat zu präsidieren. Ich kann nur einen Appell machen, dass Europa aufgebaut ist auf Solidarität, und diese Solidarität, die muss von Ost nach West, von West nach Ost und Nord nach Süd gehen. Wenn wir die Solidarität infrage stellen, stellen wir die Essens der Europäischen Union infrage. Geschichtlich waren wir natürlich solidarisch, die klassischen EU-Länder mit dem, was die Geschichte uns aufgetragen hat nach dem Fall der Mauer.
    Wir sind solidarisch, dass reiche Länder weniger reichen Ländern helfen, dass sie auf einen sehr hohen Lebensstandard kommen. Wir sind auch solidarisch, sagen wir mal, im Ukraine-Konflikt. All das ist ja auf Solidarität der Europäischen Union aufgebaut und kein Land hat das Recht, meines Erachtens, sich auszuklinken. Wenn das geschieht, dann sind da Konsequenzen, politische Konsequenzen, die sehr, sehr negativ sein können, und das müssen wir verhindern.
    Klein: Das heißt, diese Länder müssen eventuell sich auch auf finanzielle Einbußen einstellen, darauf, dass die EU auf anderer Ebene ihnen die Solidarität verweigert, wenn sie bei der Quotenregelung zum Beispiel nicht mitmachen?
    Asselborn: Ich mache einen Appell wirklich an den europäischen Acquis, wirklich heute in der offiziellen Sitzung und auch die Tage, die danach kommen, dass man einsieht, dass man mit der Solidarität nicht spielen kann. Es kann kein Land einfach sagen, ich habe keine Tradition, Flüchtlinge aufzunehmen, oder unser Land verträgt keine Moslems, oder unser Land verträgt keine Menschen mit schwarzer Hautfarbe. Das kann man als Europäer nicht als Argument nehmen. Wir müssen helfen. Ich verstehe, dass viele Länder Probleme haben. Wir müssen helfen, das zu überwinden, und das werden wir auch fertig bringen. Wenn wir das nicht fertig bringen, ich sage das noch einmal, dann geht es der Europäischen Union noch viel schlechter, als es ihr heute geht.
    Substanzielles Finanzpaket ist nötig
    Klein: Ich verstehe die Appelle. Die sind, glaube ich, auch angekommen, Herr Asselborn. Wir werden abwarten müssen, was die Sitzung heute bringt und ob wir wirklich einen Schritt dann weiter sind. Vielleicht noch mal dazu: Das Problem ist ja nicht damit jetzt einfach gelöst, sondern wenn alle Menschen kämen, die wirklich Grund haben zu fliehen, dann sind wir vielleicht bei Millionen. Wo sieht sich denn die Europäische Union im Augenblick dabei, an den Fluchtursachen etwas zu verändern oder dafür zu sorgen, dass der Grund nicht mehr dafür besteht, hier herzukommen?
    Asselborn: Ich glaube, dass wir die Analyse richtig gemacht haben. Natürlich: Der Krieg in Syrien, das was im Irak vor sich geht, das ist alles die Hauptursache. Aber auch eine der Hauptursachen ist, dass dort, wo die Menschen in Lagern sind, in Camps sind, in der Umgebung von Syrien und vom Irak, hat die UNHCR, das Flüchtlingswerk der UNO, nicht mehr genug Mittel, um anständiges Essen zu servieren. Die Kinder bekommen keine Garantie mehr, dass sie in die Schule gehen können. Die Menschen bekommen auch keine Aussicht auf eine Arbeit. Und wir müssen sehr intensiv den Türken, dem Libanon und natürlich auch Jordanien dabei finanzielle Unterstützung geben. Aber wir müssen auch schauen, was wir tun können, selbstverständlich mit der UNHCR, denen schnell wieder mehr Mittel zu geben. Es gibt eine Geberkonferenz, die wird von Norwegen veranstaltet. Wir müssen - und dessen müssen wir uns bewusst sein, auch heute -, wir müssen ein substanzielles Finanzpaket auf die Beine kriegen, denn wir werden in den nächsten zehn Jahren mit diesem Problem der Migration uns zu beschäftigen haben. Das ist eine große Herausforderung. Ich sehe nicht, wie die Sahelzone, wie Nordafrika und wie der Nahe Osten mit allen Problemen, die dort bestehen, sich befrieden oder stabilisieren kann. Also müssen wir jetzt anfangen, wirklich mit sehr, sehr massiven Mitteln dagegen anzukämpfen.
    Klein: Und wir schauen, welche Ergebnisse das heutige Treffen der EU-Innenminister zunächst mal bringt in Brüssel. Das war heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk Jean Asselborn, der Außenminister von Luxemburg. Zunächst mal vielen Dank für dieses Interview.
    Asselborn: Bitte, Madame Klein.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.