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Lynn Nottages “Sweat” am Public Theater in New York
Die amerikanische Angst vor der Armut

Zu den Trump-Wählern zählten neben den traditionellen Republikanern vor allem die in Armut gerutschten, oft weißen Wähler, die sich um ihren amerikanischen Traum betrogen und von der Politik allein gelassen fühlen. Das Sozialdrama "Sweat" zeigt die Menschen hinter den Statistiken der neuen Armut in Amerika.

Von Andreas Robertz |
    Flagge der USA hängt an einer Wand in New York
    In "Sweat" geht es um den Niedergang einer einst reichen Arbeiterstadt. Recherchiert hat die Autorin Lynn Nottage in Readings (Pennsylvania), die - nach dem letzten Zensus - ärmste Gemeinde Amerikas. (deutschlandradio.de / Daniela Kurz)
    Zwei wütende junge Männer stehen im kalten Schlaglicht, der weiße Jason und der schwarze Evan. Die ehemaligen Freunde werden nach acht Jahren Haft wegen schwerer Körperverletzung aus dem Gefängnis entlassen. Dann dreht sich das Bühnenbild und aus der kalten Gefängniswand wird ein warmer gemütlicher Pub acht Jahre zuvor.
    Es ist das Jahr 2000, Mitarbeiter des Stahlrohrwerkes wie Jason und Evans Mütter Tracey und Cynthia verbringen hier gerne ihren Feierabend. Im Fernsehen unterzeichnet Präsident Bush den NAFTA Handelsvertrag mit Mexico und verspricht Wohlstand und mehr Arbeit für alle.
    Zusammen mit ihren Söhnen, Freundin Jessie, Barkeeper Stan, den ein Unfall im Werk eine frühzeitige Rente beschert hat und dem stillen Oscar, dessen Eltern aus Südamerika eingewandert sind, bilden sie das Ensemble von Freunden, das in einem Zeitraum von wenigen Monaten den Niedergang der einst so stolzen Fabrik erlebt: Kurzarbeit, Lohnverzicht, Pensionskürzungen, Abbau des Maschinenparks, Kündigung der Gewerkschaftsmitglieder und Billiglöhne.
    Durch diese Belastungen bröckeln die Freundschaften, Rassismus und ohnmächtige Wut brechen sich Bahn, münden in offener Gewalt. Als Oscar einen Billiglohnjob in der Fabrik annimmt, gehen die Söhne mit Baseballschlägern auf ihn los und schlagen Stan, der die Gewalt verhindern will, zum Krüppel.
    Autorin Lynn Nottage spricht von der neuen Armut Amerikas:
    "Ich habe mich gefragt, wie die amerikanische Geschichte heute durch die Armut umgeschrieben wird. Ich denke, es ist die Entindustrialisierung, die wie eine große Revolution die Gesellschaft in Amerika neu gestaltet."
    Die Angst vor der Armut
    In "Sweat" gelingt Lynn Nottage ein ungewöhnlich detailliertes und vielschichtiges Porträt von Menschen, die Angst vor dem finanziellen Abstieg haben.
    Zum Beispiel Cynthia, die ehrgeizige Afroamerikanerin, die sich von der Werkshalle ins mittlere Management hochgearbeitet hat und nun hilflos zusehen muss, wie ihre weißen Freundinnen Jessie und Tracey von heute auf morgen ihre Arbeit verlieren. Am Ende muss auch sie sich mit einem Aushilfsjob über Wasser halten und die Familie ernähren.
    Oder Tracey, deren Familie vor Generationen aus Deutschland eingewandert ist. Sie kann nicht akzeptieren, dass sie ihre Stelle an die für weniger Lohn arbeitenden Latinos verlieren soll. Sie hetzt ihren Sohn auf, er soll an Oscar ein Exempel statuieren. Schließlich verarmt sie und wird drogensüchtig, kann ihrem aus dem Gefängnis kommenden Sohn nicht einmal mehr 5 Dollar leihen.
    Die meisten Figuren in "Sweat" können den Wandel nicht verkraften und sehnen sich in die Vergangenheit zurück. Ähnliches erlebte Autorin Lynn Nottage in der Stadt Reading, in der sie für das Stück recherchierte:
    "Wenn ich die Leute gefragt habe, wie sie ihre Stadt beschreiben würden, haben sie immer von ihr in der Vergangenheit gesprochen. Und ich dachte mir: Eine Stadt, die sich nicht in der Gegenwart oder der Zukunft sehen kann, wird ein großes Problem mit ihrer Identität bekommen."
    Mit Nostalgie kann man keine Zukunft bauen
    Am Ende begegnen sich Jason und Evan im Pub wieder, der jetzt von Oscar betrieben wird. Schweigend sehen sie den schwer behinderten Stan die Tische reinigen.
    Es ist beeindruckend wie das durchweg ausgezeichnet spielende Ensemble von Regisseurin Kate Whoriskey den Figuren Humor, Authentizität und Menschlichkeit verleiht.
    Nach zweieinhalb Stunden meint man, diese Menschen persönlich zu kennen, kann ihre Wut und Angst nachvollziehen. Und man fürchtet sich vor den politischen Folgen ihrer Unzufriedenheit, vor ihrer nächsten Entscheidung an der Wahlurne.
    Es ist die Krankheit der Nostalgie, sagt Barkeeper Stan an einer Stelle, die alles zerstört. Denn mit ihr kann man keine Gegenwart und erst recht keine Zukunft bauen. Doch genau diese Nostalgie propagieren die Populisten dieser Tage.