"Von hier aus kann ich das ein bisschen erklären …"
27. Etage. Ein Büroturm im Bahnhofsviertel von Lyon. "Tour Oxygène" ist das Hochhaus getauft worden. Das ganze Viertel, die ganze Stadt wird gerade einer Art Frischluftkur unterzogen. Es wird gebaut, an jeder Ecke. Der Bürgermeister steht, wie ein Feldherr, am Fenster:
"Sehen Sie, das Gebäude am Bahnhof da, das reißen wir ab. So schaffen wir einen großen Platz, direkt bis zur städtischen Bibliothek."
Gérard Collomb hat viele Geschichten dieser Art zu erzählen. In der gläsernen Etage ist der Sozialist ganz in seinem Element. Hier, sagt er, zeigen wir den Investoren, was wir planen und was wir bereits machen. Deshalb heißt der Raum auch Show-Room, und das in einem Land, das zur Rettung der französischen Sprache eine eigene und sehr rege Kommission am Werk hat.
Collomb ist kaum zu stoppen, wenn es um seine Stadt geht. Ein Urgestein der Sozialistischen Partei Frankreichs, Abgeordneter, Senator und seit elf Jahren Bürgermeister in Lyon. 66 Jahre, gut sitzender Anzug, begeisterungsfähig, stolz:
"Lyon ist eine der stärksten europäischen Regionen."
Auch Lyons Vorstädte haben Unruhen erlebt, soziale Brände, die nur mit viel Mühe und Aufwand gelöscht werden konnten. Auch Lyon spürt die allgemeine Krise. Und auch Lyon drücken Schulden, aber zuletzt waren die Statistiken rückläufig. Es herrscht Aufbruchsstimmung in der Stadt. Alle Kennziffern weisen nach oben. Selbst die Arbeitslosenstatistik liegt zwei Punkte unter dem hohen nationalen Niveau.
Im alten Seidenmacher-Viertel der Stadt liegt eine Künstlermeile. Hier werden – mit kommunalen Mitteln – junge Talente gefördert. Die einen machen Mode, die anderen Kunstobjekte, Design. Wer den Wettbewerb besteht, bekommt ein Ladenlokal, Ausstellungsfläche, Chancen für den Markteinstieg. Die Stadt will, dass sich hier im alten Quartier die Künstler etablieren, dass Leben in die bislang nur teilweise sanierten Straßenzüge kommt. Am hinteren rechten Ende der steinernen Galerie haben ein paar junge Frauen ihren Redaktionsraum eingerichtet:
"Wir geben ein Frauenmagazin über die Region Lyon heraus, mit Ideen, wie man seine Stadt leben kann."
Das Hochglanzblatt ist seit zwei Jahren auf dem Markt, 116 Seiten, Erscheinungsdatum alle zwei Monate. Es verkauft sich:
"Lyon ist eine sehr reiche Stadt. Es gibt enorm viel zu berichten. Sicher, wir spüren die Krise auch ein wenig, aber wir nehmen auch das kreativ. Mit weniger Mitteln etwas zu schaffen, das ist doch eine spannende Zeit."
Das ist der Geist, der in Lyon um jede Ecke zu wehen scheint. Kreativität. Die Stadt wirbt seit geraumer Zeit weltweit für sich, mit dem Anagramm "Only-Lyon". Seit sieben Jahren werden gezielt Unternehmen der sogenannten "Clean-Tech"-Branche und der Biowissenschaften umworben. Die Rechnung geht auf.
"In vergangenen Jahren habe wir unseren historischen Rekord gebrochen, 71 neue Unternehmen haben sich 2012 in Lyon niedergelassen."
Jacques Chilly ist Exekutivdirektor von "Aderly-Invest". Träger der Agentur sind unter anderem die Stadt, die Industrie- und Handelskammer, der Arbeitgeberverband und das Département Rhône.
So gute Zahlen hatte es zuletzt 2008 gegeben. Mit 1850 neuen Arbeitsplätzen im vergangenen Jahr stemmt sich der Großraum Lyon erfolgreich gegen die Krise.
"In erster Linie deutsche Investoren, gefolgt von Nordamerikanern. Auf dem dritten Platz italienische Investoren, aber, mehr und mehr, auch chinesische."
Das Team rund um Kommune, Departement und Handelskammer überlässt nichts dem Zufall.
"Die Interessenten kommen meist zwei, drei Tage. Und wir machen es möglich, dass sie alle nötigen Akteure treffen können. Abgeordnete, andere Unternehmen, Forschungseinrichtungen, universitäre Einrichtungen. Wir zeigen ihnen das gut zugängliche Netzwerk in einer Stadt, die groß ist, aber ihre Menschlichkeit bewahrt hat."
Was bei Jacques Chilly wie ein Text aus den zahlreichen Werbebroschüren klingt, die überall im Präsentierraum für Investoren ausgelegt sind, hört sich beim Bürgermeister schon bodenständiger an. Gérard Collomb ist der Mann fürs Praktische:
"Das Ankommen erleichtern – darum geht es für Firmen und alle ihre Mitarbeiter. Wenn ein ausländisches, ein asiatisches, ein amerikanisches Unternehmen sich hier niederlässt, ist es extrem wichtig, dass im Hintergrund gute Bedingungen geschaffen sind. Die Agentur kümmert sich deshalb auch um Wohnraum, um Schulplätze, um Universitätsplätze und wir haben sogar eine internationale Schule auf die Beine gestellt, damit die Kinder ihre Ausbildung so fortsetzen können, wie sie sie in anderen Ländern begonnen haben."
Als in Frankreich 1966 per Gesetz die kommunalen Kräfte besser gebündelt werden sollten, da war Lyon eine der ersten Städte, die die Gelegenheit beim Schopfe fassten. Am Zusammenfluss von Rhône und Saône, unweit von Jura, Alpen und Zentralmassiv, entstand "Groß-Lyon", ein Verbund aus 58 Gemeinden, der zweitgrößte Ballungsraum in Frankreich. "Sie finden nicht mehr einen Bürgermeister in und um Lyon, der die Entscheidung von damals heute noch schlecht fände." sagt Gérard Collomb.
"Und selbst nicht mehr eine gewisse Anzahl von kommunistischen Bürgermeistern."
Mit denen sich der sozialistische Bürgermeister von Lyon die Macht im urbanen Gebilde des "Großraums Lyon" teilt. Und weil die Erfahrungen mit Gemeindereformen gut sind, soll nun der nächste Schritt gemacht werden. Lyon will "Europäische Metropole" werden, "Métropole Européenne." Ein Titel, der mit der dritten Stufe der Dezentralisierung in Frankreich vergeben wird, Marseille und Paris haben es sich vorgenommen, aber Lyon schafft bereits Fakten.
"Ich denke, es sind in Europa die Metropolen, die die Investoren anlocken."
Erklärt Jacques Chilly als Chef der öffentlichen Investitionsagentur Lyons. Bürgermeister Collomb hat die Konkurrenz im Blick:
"Man sieht, dass sich viele großstädtische Regionen in Europa weiterentwickeln, in Osteuropa zum Beispiel. Wenn wir nicht aufpassen, werden wir abgehängt."
Im Dezember hatte die Entscheidung zur Bündelung der kommunalen und der regionalen Strukturen zur Metropole für Aufsehen gesorgt. Der langjährige Departement-Präsident Michel Mercier, ein Zentrumspolitiker, hatte sich mit dem sozialistischen Bürgermeister von Lyon geeinigt. Die beiden, obwohl politische Gegner und obwohl Territorialreformen zum schwierigsten Geschäft einer Kommune gehört, die beiden wollen die Landkarte komplett neu zeichnen. Und haben das recht einsam entschieden – öffentliche Konsultationen, eine breite Debatte gab es nicht. Aber es regt sich auch kaum Widerstand.
Da reiben sich andere Kommunal- und Regionalpolitiker in Frankreich die Augen: Denn immerhin verschwindet das traditionsreiche Departement Rhône mit der Ordnungsnummer 69. Ab 2015 soll der Generalrat des Departements nur noch für das Beaujolais und die Region rund um die Lyonnaiser Berge zuständig sein, nur noch für den ländlichen Raum also. Ansonsten werden die Kompetenzen etwa für Sozialhilfe, Bildung, Behindertenpolitik an die neue Einheit, an die "Metropole" abgegeben. Es werde leichter, Dinge zu entscheiden und umzusetzen. Gérard Collomb nennt als Beispiel den Wohnungsbau: Die Stadt baue Wohnungen, das Departement auch:
"Auf zweihundert Metern beide Einrichtungen, ohne, dass miteinander gesprochen wurde. Wir hatten Leute in unseren Sozialwohnungen, wussten aber nicht viel über sie, weil die gesamte Kompetenz wiederum beim Generalrat des Departements lag."
Diese Kompetenzen sollen nun zusammengelegt werden. Gegenwind gibt es kaum, allerdings wird hinter den Kulissen heftig gerungen, wer welchen Posten in der neuen Struktur einer "Europäischen Metropole" bekommen soll. Schließlich stehen 2014 in Frankreich Kommunal- und 2015 Regionalwahlen an. Es geht um Macht, Einfluss, aber auch um Geld. Man wisse ja auch noch nicht genau, heißt es in der Opposition in Lyon, welche Schulden das Departement Rhône in die Ehe mit der Kommune "Groß Lyon" einbringe.
Während im Rathaus und in der Departement-Vertretung die territoriale Revolution vorbereitet wird, erscheint am Kiosk ein Sonderheft mit einem heiklen Vergleich: Lyon – Marseille. Die frisch gebackene europäische Kulturhauptstadt am Mittelmeer soll ebenfalls "Europäische Metropole" werden, das wünscht sich nicht zuletzt die Regierung in Paris. Denn in Marseille gibt es viele Probleme zu lösen und eine straffere Kommunalstruktur soll dabei helfen. Aber Marseille, das ist ein anderer Fall.
"Die Lage ist da wirklich schwierig."
Sagt der Bürgermeister von Lyon diplomatisch. Tatsächlich kämpft in und um Marseille jeder gegen jeden.
Schon der Zusammenschluss zum "Groß-Marseille" war schwierig, nur 17 unglückliche Nachbargemeinden machten mit und das auch erst Jahrzehnte, nachdem das entsprechende Gesetz in Kraft getreten war. Und nun lässt die Aussicht auf die nächste Territorialreform die Bürgermeister rund um die Hafenstadt auf die Barrikaden gehen. Sie wollen nicht mit Marseille in einen Topf geworfen werden, mal geht es ums Image, mal um Posten, immer um Politik und um Macht. Von 119 Bürgermeistern sind 100 gegen das Modell "Metropole". In der Handelskammer von Marseille stöhnen die Verantwortlichen, es werde blockiert, sobald alle lokalen Kräfte an einem Tisch säßen. In Paris will der Premierminister nun mit einer Art Sondereinheit dafür sorgen, dass die Sache in Marseille doch noch vorangeht. Und auch in Lyon würde man sich über den Erfolg im Süden Frankreichs durchaus freuen.
"Ich mag Marseille sehr! Bevor ich Bürgermeister von Lyon wurde, war ich dort regelmäßig als Segler, hatte mein Boot dort. Jetzt bin ich oft in Barcelona und schaue mir die Entwicklung der beiden Städte an. Da ist die eine, die sich wow!, enorm entwickelt hat und da ist die andere, die verkommt"
Mancher Emissär aus Marseille habe ihn schon zum Essen getroffen um zu fragen, "Mensch, wie macht Ihr das in Lyon?"
"Ich denke, dass der Staat sich da autoritär einmischen muss."
Sagt Gerard Collomb, der daran erinnert, dass auch Lyon in den 60er-Jahren, als die Stadt sich mit den umliegenden Kommunen zum "Groß Lyon" zusammenschloss, den gesetzlichen Druck aus Paris brauchte, um auf diesen Weg einzubiegen.
Es steht viel auf dem Spiel in einem Land, in dem die Hauptstadt Paris die Investoren an sich zieht. Einem Land, das im europäischen Wettbewerb der Regionen steht. Problemzonen kann sich kaum eine Stadt noch leisten, heißt es in Lyon:
"Schauen Sie sich die nördlichen Stadtviertel von Marseille heute und gestern an, da ist nichts geschehen, schauen Sie sich die einstigen Brennpunkte bei uns an, da hat sich was bewegt."
Aber: Marseille hat den Hafen und auch in Lyon drückt man die Daumen. Die Kulturhauptstadt Marseille-Provence zwinge zur Zusammenarbeit und vielleicht würden die Lokalpolitiker daraus ja die richtigen Schlüsse ziehen. Viel Zeit, sich mit den Sorgen anderer zu beschäftigen, haben die Verantwortlichen am Zusammenfluss von Rhône und Saône allerdings nicht. In Lyon geht es längst nicht mehr um den Wettbewerb innerhalb Frankreichs. Der Bürgermeister träumt in anderen Dimensionen, in der Provinz denkt man global. Regionen müssten sichtbar sein, um im weltweiten Wettbewerb mitspielen zu können.
"Eine Stadt wie Berlin hat sich mit einem breiten kulturellen Angebot einen Namen gemacht, ich beobachte, was in Barcelona geschieht, schaue mir Kopenhagen in puncto Erneuerbare Energien an.-Ich nenne das Wettbewerb!"
Auch deshalb wird jeder Stein umgedreht in der Stadt. Collomb nennt Namen der Stadtviertel. Vier gewaltige Stadtviertel werden um- oder neu gebaut. Die Immobilienpreise sind hier deutlich günstiger als in Paris, auch das lockt die Investoren an. Drei Schnellbahnhöfe, Anbindung an den Flughafen Lyon-Saint-Exupéry, der seit einigen Monaten fünf Mal täglich auch die Strecke nach Dubai anbietet. Und, sofern das Geld in Brüssel und auf beiden Seiten der Alpen aufgebracht wird, träumt Lyon von der Schnellbahnstrecke nach Turin. Der Staatspräsident hat es versprochen und der Bürgermeister findet das folgerichtig.
"Piemont-Lombardei – die zweitgrößte Region Europas - wenn wir Piemont-Lombardei und den Großraum Lyon aneinander binden, wird das DIE zukünftige Region Europas werden!"
Außerdem arbeiten wir hier heute schon enger mit Turin zusammen als mit Marseille, fügt der Bürgermeister von Lyon hinzu. Dessen Eifer geht so weit, dass er die Busrundfahrt durch die Stadt selbst kommentieren möchte. Seine Mitarbeiter schmunzeln nur. Während das Stadtoberhaupt von den neuesten Entwicklungen spricht, von intelligenter Wohnweise, um der Hitze zu trotzen; von nachhaltigem Bauen; von Firmen, die an einem Verkehrsleitsystem und Ampelschaltungen für Lyon arbeiten, die Staus verhindern; von Abfallverwertung und überhaupt, von seinen vielen Visionen, währenddessen geht es oberhalb des Stadtzentrums, auf dem Hügel des alten Seidenmacher-Viertels deutlich traditioneller zu. Hier ist viel saniert worden in den vergangenen Jahren, die hohen Fenster der einstigen Ateliers sind charakteristisch.
Auch an Wochentagen geht es recht beschaulich zu in diesem Teil der Großstadt, von dem aus der Blick weit bis zu den Bergen rund um Lyon geht.
"Man spürt, dass sich hier die Händler niederlassen, die kreativer sind, näher an der Natur, an den Menschen."
In ihrem kleinen Laden an der steilen Kopfsteinpflaster-Straße, die hinunter ins Zentrum der Stadt führt, wird Schokolade verkauft. Keine Industrieware, Handarbeit – Lebensmittel und ihre solide Verarbeitung werden in Frankreich immer noch wertgeschätzt.
"Schokolade ist teuer, 79 Euro das Kilo. Sicher, man findet das immer billiger, aber man schmeckt eben auch den Unterschied zwischen echter Schokolade und der aus dem Supermarkt."
Die junge Frau ist "Chocolatier", sie hat sich für den Handwerksberuf ihrer Eltern entschieden, wie es immer noch viele junge Franzosen in dieser Branche tun, wenn auch die Zahlen rückläufig sind.
"Ja, das stimmt, denn es sind harte Berufe, viele Arbeitsstunden, man muss viel investieren, aber wenn man erst einmal dabei ist, bedauert man das nicht, es ist ein tolles Abenteuer."
Wenige Meter weiter eine Hutmacherin. Auch hier, alles Handarbeit. Eine junge Praktikantin sitzt im Hinterzimmer auf ihrem Hocker und näht die Etiketten in die Ware. Die Chefin sieht noch ein bisschen verschlafen aus, trägt dafür aber die eigene Kollektion mit großer Würde auf dem Kopf.
"Lyon , das ist was für gute Arbeit, für Kenner – Paris, das ist die Stadt, um sich einen Namen zu machen."
Das gilt für viele Branchen. Dennoch weist Bürgermeister Collomb die ständigen Vergleiche mit der Hauptstadt von sich. Wir wollen nicht Paris oder sonst einer französischen Stadt Konkurrenz machen, sagt er:
"Wir kämpfen für unsere Entwicklung!"
Dennoch: Nicht zuletzt junge Leute kehren dem teuren Pflaster von Paris, mit seinem teils überzüchteten Klima, den Rücken. Lediglich zwei Stunden beträgt die Fahrzeit mit dem Hochgeschwindigkeitszug in die Hauptstadt – Paris müsse man deshalb ja nicht ganz aufgeben, sagen sie. Und wer es städtisch wolle, ohne im teils überzüchteten Paris unterzugehen, der komme nach Lyon. Das auf sein Kulturangebot ebenso viel Wert legt, wie auf die kulinarische Tradition.
"Essen, gut essen!" gehört immer dazu…
Allez, on y va, on va aller déjeuner…."
…und auch Bürgermeister Gérard Collomb kann sehr ungemütlich werden, wenn auch nur einer an diesem Image rüttelt:
"Die Organisatoren, hören Sie: Das nächste Mal stellen Sie bitte keinen Weißwein auf den Tisch, mitten in die Sonne und dann auch noch in Plastikbechern – das tut man nicht, Sie sind hier in Lyon!"
27. Etage. Ein Büroturm im Bahnhofsviertel von Lyon. "Tour Oxygène" ist das Hochhaus getauft worden. Das ganze Viertel, die ganze Stadt wird gerade einer Art Frischluftkur unterzogen. Es wird gebaut, an jeder Ecke. Der Bürgermeister steht, wie ein Feldherr, am Fenster:
"Sehen Sie, das Gebäude am Bahnhof da, das reißen wir ab. So schaffen wir einen großen Platz, direkt bis zur städtischen Bibliothek."
Gérard Collomb hat viele Geschichten dieser Art zu erzählen. In der gläsernen Etage ist der Sozialist ganz in seinem Element. Hier, sagt er, zeigen wir den Investoren, was wir planen und was wir bereits machen. Deshalb heißt der Raum auch Show-Room, und das in einem Land, das zur Rettung der französischen Sprache eine eigene und sehr rege Kommission am Werk hat.
Collomb ist kaum zu stoppen, wenn es um seine Stadt geht. Ein Urgestein der Sozialistischen Partei Frankreichs, Abgeordneter, Senator und seit elf Jahren Bürgermeister in Lyon. 66 Jahre, gut sitzender Anzug, begeisterungsfähig, stolz:
"Lyon ist eine der stärksten europäischen Regionen."
Auch Lyons Vorstädte haben Unruhen erlebt, soziale Brände, die nur mit viel Mühe und Aufwand gelöscht werden konnten. Auch Lyon spürt die allgemeine Krise. Und auch Lyon drücken Schulden, aber zuletzt waren die Statistiken rückläufig. Es herrscht Aufbruchsstimmung in der Stadt. Alle Kennziffern weisen nach oben. Selbst die Arbeitslosenstatistik liegt zwei Punkte unter dem hohen nationalen Niveau.
Im alten Seidenmacher-Viertel der Stadt liegt eine Künstlermeile. Hier werden – mit kommunalen Mitteln – junge Talente gefördert. Die einen machen Mode, die anderen Kunstobjekte, Design. Wer den Wettbewerb besteht, bekommt ein Ladenlokal, Ausstellungsfläche, Chancen für den Markteinstieg. Die Stadt will, dass sich hier im alten Quartier die Künstler etablieren, dass Leben in die bislang nur teilweise sanierten Straßenzüge kommt. Am hinteren rechten Ende der steinernen Galerie haben ein paar junge Frauen ihren Redaktionsraum eingerichtet:
"Wir geben ein Frauenmagazin über die Region Lyon heraus, mit Ideen, wie man seine Stadt leben kann."
Das Hochglanzblatt ist seit zwei Jahren auf dem Markt, 116 Seiten, Erscheinungsdatum alle zwei Monate. Es verkauft sich:
"Lyon ist eine sehr reiche Stadt. Es gibt enorm viel zu berichten. Sicher, wir spüren die Krise auch ein wenig, aber wir nehmen auch das kreativ. Mit weniger Mitteln etwas zu schaffen, das ist doch eine spannende Zeit."
Das ist der Geist, der in Lyon um jede Ecke zu wehen scheint. Kreativität. Die Stadt wirbt seit geraumer Zeit weltweit für sich, mit dem Anagramm "Only-Lyon". Seit sieben Jahren werden gezielt Unternehmen der sogenannten "Clean-Tech"-Branche und der Biowissenschaften umworben. Die Rechnung geht auf.
"In vergangenen Jahren habe wir unseren historischen Rekord gebrochen, 71 neue Unternehmen haben sich 2012 in Lyon niedergelassen."
Jacques Chilly ist Exekutivdirektor von "Aderly-Invest". Träger der Agentur sind unter anderem die Stadt, die Industrie- und Handelskammer, der Arbeitgeberverband und das Département Rhône.
So gute Zahlen hatte es zuletzt 2008 gegeben. Mit 1850 neuen Arbeitsplätzen im vergangenen Jahr stemmt sich der Großraum Lyon erfolgreich gegen die Krise.
"In erster Linie deutsche Investoren, gefolgt von Nordamerikanern. Auf dem dritten Platz italienische Investoren, aber, mehr und mehr, auch chinesische."
Das Team rund um Kommune, Departement und Handelskammer überlässt nichts dem Zufall.
"Die Interessenten kommen meist zwei, drei Tage. Und wir machen es möglich, dass sie alle nötigen Akteure treffen können. Abgeordnete, andere Unternehmen, Forschungseinrichtungen, universitäre Einrichtungen. Wir zeigen ihnen das gut zugängliche Netzwerk in einer Stadt, die groß ist, aber ihre Menschlichkeit bewahrt hat."
Was bei Jacques Chilly wie ein Text aus den zahlreichen Werbebroschüren klingt, die überall im Präsentierraum für Investoren ausgelegt sind, hört sich beim Bürgermeister schon bodenständiger an. Gérard Collomb ist der Mann fürs Praktische:
"Das Ankommen erleichtern – darum geht es für Firmen und alle ihre Mitarbeiter. Wenn ein ausländisches, ein asiatisches, ein amerikanisches Unternehmen sich hier niederlässt, ist es extrem wichtig, dass im Hintergrund gute Bedingungen geschaffen sind. Die Agentur kümmert sich deshalb auch um Wohnraum, um Schulplätze, um Universitätsplätze und wir haben sogar eine internationale Schule auf die Beine gestellt, damit die Kinder ihre Ausbildung so fortsetzen können, wie sie sie in anderen Ländern begonnen haben."
Als in Frankreich 1966 per Gesetz die kommunalen Kräfte besser gebündelt werden sollten, da war Lyon eine der ersten Städte, die die Gelegenheit beim Schopfe fassten. Am Zusammenfluss von Rhône und Saône, unweit von Jura, Alpen und Zentralmassiv, entstand "Groß-Lyon", ein Verbund aus 58 Gemeinden, der zweitgrößte Ballungsraum in Frankreich. "Sie finden nicht mehr einen Bürgermeister in und um Lyon, der die Entscheidung von damals heute noch schlecht fände." sagt Gérard Collomb.
"Und selbst nicht mehr eine gewisse Anzahl von kommunistischen Bürgermeistern."
Mit denen sich der sozialistische Bürgermeister von Lyon die Macht im urbanen Gebilde des "Großraums Lyon" teilt. Und weil die Erfahrungen mit Gemeindereformen gut sind, soll nun der nächste Schritt gemacht werden. Lyon will "Europäische Metropole" werden, "Métropole Européenne." Ein Titel, der mit der dritten Stufe der Dezentralisierung in Frankreich vergeben wird, Marseille und Paris haben es sich vorgenommen, aber Lyon schafft bereits Fakten.
"Ich denke, es sind in Europa die Metropolen, die die Investoren anlocken."
Erklärt Jacques Chilly als Chef der öffentlichen Investitionsagentur Lyons. Bürgermeister Collomb hat die Konkurrenz im Blick:
"Man sieht, dass sich viele großstädtische Regionen in Europa weiterentwickeln, in Osteuropa zum Beispiel. Wenn wir nicht aufpassen, werden wir abgehängt."
Im Dezember hatte die Entscheidung zur Bündelung der kommunalen und der regionalen Strukturen zur Metropole für Aufsehen gesorgt. Der langjährige Departement-Präsident Michel Mercier, ein Zentrumspolitiker, hatte sich mit dem sozialistischen Bürgermeister von Lyon geeinigt. Die beiden, obwohl politische Gegner und obwohl Territorialreformen zum schwierigsten Geschäft einer Kommune gehört, die beiden wollen die Landkarte komplett neu zeichnen. Und haben das recht einsam entschieden – öffentliche Konsultationen, eine breite Debatte gab es nicht. Aber es regt sich auch kaum Widerstand.
Da reiben sich andere Kommunal- und Regionalpolitiker in Frankreich die Augen: Denn immerhin verschwindet das traditionsreiche Departement Rhône mit der Ordnungsnummer 69. Ab 2015 soll der Generalrat des Departements nur noch für das Beaujolais und die Region rund um die Lyonnaiser Berge zuständig sein, nur noch für den ländlichen Raum also. Ansonsten werden die Kompetenzen etwa für Sozialhilfe, Bildung, Behindertenpolitik an die neue Einheit, an die "Metropole" abgegeben. Es werde leichter, Dinge zu entscheiden und umzusetzen. Gérard Collomb nennt als Beispiel den Wohnungsbau: Die Stadt baue Wohnungen, das Departement auch:
"Auf zweihundert Metern beide Einrichtungen, ohne, dass miteinander gesprochen wurde. Wir hatten Leute in unseren Sozialwohnungen, wussten aber nicht viel über sie, weil die gesamte Kompetenz wiederum beim Generalrat des Departements lag."
Diese Kompetenzen sollen nun zusammengelegt werden. Gegenwind gibt es kaum, allerdings wird hinter den Kulissen heftig gerungen, wer welchen Posten in der neuen Struktur einer "Europäischen Metropole" bekommen soll. Schließlich stehen 2014 in Frankreich Kommunal- und 2015 Regionalwahlen an. Es geht um Macht, Einfluss, aber auch um Geld. Man wisse ja auch noch nicht genau, heißt es in der Opposition in Lyon, welche Schulden das Departement Rhône in die Ehe mit der Kommune "Groß Lyon" einbringe.
Während im Rathaus und in der Departement-Vertretung die territoriale Revolution vorbereitet wird, erscheint am Kiosk ein Sonderheft mit einem heiklen Vergleich: Lyon – Marseille. Die frisch gebackene europäische Kulturhauptstadt am Mittelmeer soll ebenfalls "Europäische Metropole" werden, das wünscht sich nicht zuletzt die Regierung in Paris. Denn in Marseille gibt es viele Probleme zu lösen und eine straffere Kommunalstruktur soll dabei helfen. Aber Marseille, das ist ein anderer Fall.
"Die Lage ist da wirklich schwierig."
Sagt der Bürgermeister von Lyon diplomatisch. Tatsächlich kämpft in und um Marseille jeder gegen jeden.
Schon der Zusammenschluss zum "Groß-Marseille" war schwierig, nur 17 unglückliche Nachbargemeinden machten mit und das auch erst Jahrzehnte, nachdem das entsprechende Gesetz in Kraft getreten war. Und nun lässt die Aussicht auf die nächste Territorialreform die Bürgermeister rund um die Hafenstadt auf die Barrikaden gehen. Sie wollen nicht mit Marseille in einen Topf geworfen werden, mal geht es ums Image, mal um Posten, immer um Politik und um Macht. Von 119 Bürgermeistern sind 100 gegen das Modell "Metropole". In der Handelskammer von Marseille stöhnen die Verantwortlichen, es werde blockiert, sobald alle lokalen Kräfte an einem Tisch säßen. In Paris will der Premierminister nun mit einer Art Sondereinheit dafür sorgen, dass die Sache in Marseille doch noch vorangeht. Und auch in Lyon würde man sich über den Erfolg im Süden Frankreichs durchaus freuen.
"Ich mag Marseille sehr! Bevor ich Bürgermeister von Lyon wurde, war ich dort regelmäßig als Segler, hatte mein Boot dort. Jetzt bin ich oft in Barcelona und schaue mir die Entwicklung der beiden Städte an. Da ist die eine, die sich wow!, enorm entwickelt hat und da ist die andere, die verkommt"
Mancher Emissär aus Marseille habe ihn schon zum Essen getroffen um zu fragen, "Mensch, wie macht Ihr das in Lyon?"
"Ich denke, dass der Staat sich da autoritär einmischen muss."
Sagt Gerard Collomb, der daran erinnert, dass auch Lyon in den 60er-Jahren, als die Stadt sich mit den umliegenden Kommunen zum "Groß Lyon" zusammenschloss, den gesetzlichen Druck aus Paris brauchte, um auf diesen Weg einzubiegen.
Es steht viel auf dem Spiel in einem Land, in dem die Hauptstadt Paris die Investoren an sich zieht. Einem Land, das im europäischen Wettbewerb der Regionen steht. Problemzonen kann sich kaum eine Stadt noch leisten, heißt es in Lyon:
"Schauen Sie sich die nördlichen Stadtviertel von Marseille heute und gestern an, da ist nichts geschehen, schauen Sie sich die einstigen Brennpunkte bei uns an, da hat sich was bewegt."
Aber: Marseille hat den Hafen und auch in Lyon drückt man die Daumen. Die Kulturhauptstadt Marseille-Provence zwinge zur Zusammenarbeit und vielleicht würden die Lokalpolitiker daraus ja die richtigen Schlüsse ziehen. Viel Zeit, sich mit den Sorgen anderer zu beschäftigen, haben die Verantwortlichen am Zusammenfluss von Rhône und Saône allerdings nicht. In Lyon geht es längst nicht mehr um den Wettbewerb innerhalb Frankreichs. Der Bürgermeister träumt in anderen Dimensionen, in der Provinz denkt man global. Regionen müssten sichtbar sein, um im weltweiten Wettbewerb mitspielen zu können.
"Eine Stadt wie Berlin hat sich mit einem breiten kulturellen Angebot einen Namen gemacht, ich beobachte, was in Barcelona geschieht, schaue mir Kopenhagen in puncto Erneuerbare Energien an.-Ich nenne das Wettbewerb!"
Auch deshalb wird jeder Stein umgedreht in der Stadt. Collomb nennt Namen der Stadtviertel. Vier gewaltige Stadtviertel werden um- oder neu gebaut. Die Immobilienpreise sind hier deutlich günstiger als in Paris, auch das lockt die Investoren an. Drei Schnellbahnhöfe, Anbindung an den Flughafen Lyon-Saint-Exupéry, der seit einigen Monaten fünf Mal täglich auch die Strecke nach Dubai anbietet. Und, sofern das Geld in Brüssel und auf beiden Seiten der Alpen aufgebracht wird, träumt Lyon von der Schnellbahnstrecke nach Turin. Der Staatspräsident hat es versprochen und der Bürgermeister findet das folgerichtig.
"Piemont-Lombardei – die zweitgrößte Region Europas - wenn wir Piemont-Lombardei und den Großraum Lyon aneinander binden, wird das DIE zukünftige Region Europas werden!"
Außerdem arbeiten wir hier heute schon enger mit Turin zusammen als mit Marseille, fügt der Bürgermeister von Lyon hinzu. Dessen Eifer geht so weit, dass er die Busrundfahrt durch die Stadt selbst kommentieren möchte. Seine Mitarbeiter schmunzeln nur. Während das Stadtoberhaupt von den neuesten Entwicklungen spricht, von intelligenter Wohnweise, um der Hitze zu trotzen; von nachhaltigem Bauen; von Firmen, die an einem Verkehrsleitsystem und Ampelschaltungen für Lyon arbeiten, die Staus verhindern; von Abfallverwertung und überhaupt, von seinen vielen Visionen, währenddessen geht es oberhalb des Stadtzentrums, auf dem Hügel des alten Seidenmacher-Viertels deutlich traditioneller zu. Hier ist viel saniert worden in den vergangenen Jahren, die hohen Fenster der einstigen Ateliers sind charakteristisch.
Auch an Wochentagen geht es recht beschaulich zu in diesem Teil der Großstadt, von dem aus der Blick weit bis zu den Bergen rund um Lyon geht.
"Man spürt, dass sich hier die Händler niederlassen, die kreativer sind, näher an der Natur, an den Menschen."
In ihrem kleinen Laden an der steilen Kopfsteinpflaster-Straße, die hinunter ins Zentrum der Stadt führt, wird Schokolade verkauft. Keine Industrieware, Handarbeit – Lebensmittel und ihre solide Verarbeitung werden in Frankreich immer noch wertgeschätzt.
"Schokolade ist teuer, 79 Euro das Kilo. Sicher, man findet das immer billiger, aber man schmeckt eben auch den Unterschied zwischen echter Schokolade und der aus dem Supermarkt."
Die junge Frau ist "Chocolatier", sie hat sich für den Handwerksberuf ihrer Eltern entschieden, wie es immer noch viele junge Franzosen in dieser Branche tun, wenn auch die Zahlen rückläufig sind.
"Ja, das stimmt, denn es sind harte Berufe, viele Arbeitsstunden, man muss viel investieren, aber wenn man erst einmal dabei ist, bedauert man das nicht, es ist ein tolles Abenteuer."
Wenige Meter weiter eine Hutmacherin. Auch hier, alles Handarbeit. Eine junge Praktikantin sitzt im Hinterzimmer auf ihrem Hocker und näht die Etiketten in die Ware. Die Chefin sieht noch ein bisschen verschlafen aus, trägt dafür aber die eigene Kollektion mit großer Würde auf dem Kopf.
"Lyon , das ist was für gute Arbeit, für Kenner – Paris, das ist die Stadt, um sich einen Namen zu machen."
Das gilt für viele Branchen. Dennoch weist Bürgermeister Collomb die ständigen Vergleiche mit der Hauptstadt von sich. Wir wollen nicht Paris oder sonst einer französischen Stadt Konkurrenz machen, sagt er:
"Wir kämpfen für unsere Entwicklung!"
Dennoch: Nicht zuletzt junge Leute kehren dem teuren Pflaster von Paris, mit seinem teils überzüchteten Klima, den Rücken. Lediglich zwei Stunden beträgt die Fahrzeit mit dem Hochgeschwindigkeitszug in die Hauptstadt – Paris müsse man deshalb ja nicht ganz aufgeben, sagen sie. Und wer es städtisch wolle, ohne im teils überzüchteten Paris unterzugehen, der komme nach Lyon. Das auf sein Kulturangebot ebenso viel Wert legt, wie auf die kulinarische Tradition.
"Essen, gut essen!" gehört immer dazu…
Allez, on y va, on va aller déjeuner…."
…und auch Bürgermeister Gérard Collomb kann sehr ungemütlich werden, wenn auch nur einer an diesem Image rüttelt:
"Die Organisatoren, hören Sie: Das nächste Mal stellen Sie bitte keinen Weißwein auf den Tisch, mitten in die Sonne und dann auch noch in Plastikbechern – das tut man nicht, Sie sind hier in Lyon!"