Lyrik - die Urform, die Reinform der deutschen Dichtung ist nicht unbedingt das Genre, das in der Regel mit coolen Jungs assoziiert wird. Ganz anders Slam-Poetry - das gilt schon als viel rauer, viel straßentauglicher und wenn dann einer auch noch aus dem herben Ruhrgebiet kommt und nicht nur dichtet, sondern auch noch singt, dann verschiebt sich womöglich die Zielgruppe ein wenig.
Jason Bartsch, 22 Jahre jung ist so jemand - er kann E. und U., Lyrik, Slam-Poetry und Songs. Heute beginnt er seine neue Tour "Heiterkeit als Recht auf Freizeit" und hat netterweise vorher noch ein wenig Zeit, um mit uns zu sprechen.
Susanne Luerweg: Schönen guten Tag, Herr Bartsch.
Jason Bartsch: Ja, guten Tag, hallo.
Luerweg: Herr Bartsch, wo genau ist jetzt eigentlich der Unterschied zwischen Lyrik und Slam-Poetry? Können Sie mir den mal erklären?
Bartsch: Also eigentlich ist es schwierig, das jetzt so zu unterscheiden, weil gerade auch Lyrik beim Poetry-Slam vorgetragen werden kann. Und diese Gattung Slam-Poetry ist mehr so eine artifizielle. Wenn man das unterscheiden müsste, dann wäre es der Unterschied zwischen Page-Poetry und Stage-Poetry vielleicht, also Lyrik – oder generell Texte – die gelesen werden und auch geschrieben werden, um gelesen zu werden. Und halt Texte, die auch für die Bühne geschrieben werden oder zumindest für die Bühne adaptiert werden.
"Es gibt nicht 'die' Slam-Poetry"
Luerweg: Das heißt, diese Unterscheidung, die ich da jetzt gerade in der Anmoderation gemacht habe, zwischen E. und U., also Hoch- und Popkultur, die ist eigentlich obsolet? Das ist doch eigentlich Quatsch, in Zeiten wie diesen, oder?
Bartsch: Ja, es ist schwierig. Also ich weiß nicht, da müsste man wahrscheinlich jetzt einen Wissenschaftler dransetzen, der ich nicht bin, zumal ich ja auch mein Literaturwissenschafts-Studium abgebrochen habe …
Luerweg: … Aha!
Bartsch: Also mein dilettantisches Wissen diesbezüglich, kann ich jetzt irgendwie nicht besonders anwenden. Ich glaube aber, dass beides auch irgendwie seinen Platz im Poetry-Slam oder in der Slam-Poetry finden kann. Also es gibt ja auch nicht "die" Slam-Poetry, das macht es ja so spannend, dass wirklich jede Gattung, jede Ausrichtung auf dieser Bühne Gehör findet.
Luerweg: Ist es nicht trotzdem doch eine sehr lautstarke Veranstaltung oft? Also nicht unbedingt so eine Geschichte, wo Menschen andächtig Lyrik lauschen?
Bartsch: Doch, das kann es auch sein. Und gerade das macht es so spannend, dass halt wirklich jeder und jede hat ja nur circa fünf Minuten Zeit. Und die unterschiedlichsten Ausrichtungen treffen aufeinander. Also da kann es auch sein, dass jemand, der gerade sehr, sehr laut und sehr brachial einen sehr lustigen Text vorgetragen hat, auf einmal von der Bühne geht - und dann jemand auf die Bühne kommt und sehr, sehr sanfte Klänge anschlägt. Ich finde, das macht es genauso aus, dass die Leute sowohl feierwütig sind und eben auch diese Lautstärke genießen können, aber dann eben auch sich zurücklehnen können, um, ja, vielleicht einen Moment innezuhalten.
"Moderne Unterhaltung literarischer Art"
Luerweg: Das heißt, es kann durchaus passieren, dass die dann Lyrik entdecken, auch in dem Moment nach Hause gehen, den großen Conrady aus dem Bücherregal nehmen und sich denken: Gut, das war schön, aber jetzt lese ich auch noch mal ein paar andere, ältere Gedichte?
Bartsch: Ja, ich glaube schon, dass das passiert. Das ist auch schön. Also dadurch, dass das Publikum sehr durchmischt ist, gibt es sowohl – ich sage jetzt mal, junge Leute, die vielleicht nicht so viel Berührung mit Lyrik vorher hatten – die dann über den Poetry-Slam, vielleicht auch, weil sie zunächst dachten, dass sie sich unterhalten lassen wollen, dann eben auch einen Zugang zur Literatur finden, der ganz neu und anders ist. Aber eben auch andersrum: Also vielleicht Leute, die ihre Leidenschaft im Lesen haben und vielleicht sogar in der klassischen Literatur, dann eben auch Gefallen finden an moderner Unterhaltung, die trotzdem natürlich literarischer Art ist.
"Rockstar-Leben mit Lyrik"
Luerweg: Wie war das denn bei Ihnen? Wenn ich Ihren Lebenslauf richtig gelesen habe, dann haben Sie, glaube ich, während des Abiturs, also während der Prüfungen, an einem Wettbewerb auch teilgenommen, im Rahmen des Slam-Poetry-Daseins und einen Preis gewonnen. Wann haben Sie gemerkt: Das ist meins?
Bartsch: Eigentlich sofort. Also ich habe schon als Jugendlicher, ich weiß nicht, mit 14, 15, angefangen, Lyrik zu schreiben. Damals noch nicht für die Bühne, da wusste ich noch gar nicht, dass es so was wie Poetry-Slam überhaupt gibt. Und bin dann über Powerpoint-Partys zum Poetry-Slam gekommen. Und ich fand das, also auch, wenn das Wort eigentlich so hohl ist, ich fand das tatsächlich irgendwie: cool.
Also es war, es hat mir irgendwie eine Perspektive gegeben, das war was ganz Neues. Und als ich dann zum ersten Mal auf so einer Slam-Bühne stand, da wusste ich: Das ist irgendwie richtig. Weil ich trotzdem ein Stück weit auch das Rockstar-Leben von meinen Schülerbands leben konnte - und das Ganze dann mit Lyrik. Das ist natürlich schon irgendwie seltsam. Aber auch nicht schlecht.
Luerweg: Aber das Rockstar-Leben können Sie natürlich auch ausleben, weil Sie, neben der Lyrik, ja auch Songs schreiben. Ja, also da vermischen Sie ja so ein bisschen auch beides. Wie entscheiden Sie?
Bartsch: Das entscheidet irgendeine höhere Macht. Wenn ich eine Idee habe, dann setze ich mich hin und versuche, die zu verwirklichen. Natürlich denke ich manchmal darüber nach, was das beste Sprachrohr oder die beste Möglichkeit des Ausdrucks dafür sein kann, aber das nimmt auch ganz unterschiedliche Wege. Also es gibt auch Textstellen, die ich später zu Songs verarbeitet habe – aber eben auch andersrum. Und eigentlich ist es auch nie fertig. Es ist so ein ewiger Wandel und so eine Verschiebung der Dinge – und das ist eigentlich auch spannend. Weil man halt sieht, wie die unterschiedlichen Dinge, die ich versuche mitzubringen und umzusetzen, dann halt auch ganz, ganz unterschiedliche Resultate hervorbringen.
Der große Ruhrgebiets-Roman?
Luerweg: Und natürlich Sie schreiben auch, habe ich zumindest gelesen, Literaturkritiken über Kollegen im weitesten Sinne. Ist da auch mal die Idee entstanden, selber einen Roman zu schreiben? Also darauf warten wir ja alle, nicht der große Berlin-Roman, sondern der große Ruhrgebiets-Roman.
Bartsch: Also einen Roman habe ich geschrieben, da werde ich jetzt …
Luerweg: Der ist noch nicht veröffentlicht.
Bartsch: Der ist noch nicht veröffentlicht, ich bin gespannt, was daraus wird. Das ist so ein Projekt, was ich jetzt auch als Nächstes mal angehen möchte. Und der große Ruhrgebiets-Roman, ja, ich hab da so eine Idee – für ein zweites Buch.
"Heiterkeit als Recht auf Freizeit"
Luerweg: Kommen wir jetzt noch mal ganz kurz zum Schluss auf die heute beginnende Tour zurück: "Heiterkeit als Recht auf Freizeit" – das ist auch gleichzeitig der Text eines Songs oder einfach nur mal die plakative Überschrift?
Bartsch: Nee, es ist gleichzeitig der Titel eines Textes, tatsächlich, in dem es vor allem darum geht, dass wir Deutschen ja, ich sag mal eine sehr besondere Art haben, mit unserem Humor umzugehen. Und das ganze Programm spielt auch ein bisschen darauf aus, dass man vielleicht mit diesen starren Normen und irgendwie auch diesen gesellschaftlichen Konventionen ein bisschen bricht. Und das halt eben auch durch den Humor. Ich glaube, dass der Humor ein ganz großer Schlüssel ist, um Menschen so ein bisschen ausbrechen und freier werden zu lassen. Und das ist auch so ein bisschen der rote Leitfaden des Programms dann.
Luerweg: Und wer es sehen und hören möchte: ab heute ist Gelegenheit! Auftakt gibt es in Krefeld und Hamburg, aber dann so ganz richtig … richtig startet die Tour eigentlich erst im September. Zwischendurch treten Sie auf Festivals auf?
Bartsch: Ich bin auf Festivals und dann beginnt die Tour, wie es schöner nicht sein könnte, zuhause in Duisburg und Bochum.
Luerweg: So soll es sein. Der Künstler und Slam-Poet Jason Bartsch über sein Dasein als Slam-Poet, sein neues Programm und überhaupt das Leben als Lyriker. Vielen Dank für das Gespräch.
Bartsch: Ja, ich habe zu danken, vielen Dank.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.