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Lyrische Prosa
Die Angst vor dem Tod

Die Poesie ist ihr Lebensprinzip: Die österreichische Dichterin Friederike Mayröcker ist auch mit 89 Jahren noch hoch produktiv und hat gerade mit "études" eine Sammlung lyrischer Prosa veröffentlicht. Eine knifflige Lektüre - belohnt durch mysteriöses Entzücken über dieses lyrisch-prosaische Feuerwerk.

Von Günter Kaindlstorfer |
    "Bricolagen", Basteleien, nennt Friederike Mayröcker in Anspielung an Claude Lévi-Strauss die fragmentarischen Notate, mit denen sie in ihrem neuen Buch experimentiert. Es sind kurze, halb- bis zweiseitige Texte an der Grenze zwischen Lyrik und Prosa, die die Dichterin da über zwei Jahre hinweg zu Papier gebracht hat, jeder einzelne dieser Texte ist penibel datiert und in zum Teil eigenwilliger Orthografie gestaltet. Es sind Prosa- und Erinnerungssplitter, Assoziationsfetzen, Wahrnehmungs- und Gedankenschnipsel, die Mayröcker da in freier Gestaltung orchestriert hat.
    "nur noch das : nach dem Abschied vom ungeliebten Schuldienst, damals, '69, nur noch das : diese Sprache : dieser Umgang mit meiner geliebten deutschen Sprache welche einzig HEIMAT weiszt du, ans Herz gedrückt bis zum Ende, ach einzig diese betörende Umhalsung mit meiner Sprache welche HEIMAT : tränenreiche, welche Inbild, Raserei, welche Schreibtäfelchen, Kodex“
    Friederike Mayröcker:
    "Dieses Schreiben ist für mich so furchtbar wichtig geworden, weil ich mich eigentlich nur im Schreiben realisieren kann. Ich bin kein Mensch, der gut reden kann, ich bin kein Mensch, der jemandem etwas erzählen kann. Ich schweige am liebsten. Ich gehe sehr ungern unter Menschen. Und ich könnte mich einfach nicht anders erleben als schreibend."
    Schwer zu sagen, wovon Mayröckers "études" handeln. In ihrer poetischen Versponnenheit, ihrer privatistisch-enigmatischen Hermetik verweigern sich diese Texte jeder narrativen Sinnfälligkeit. So etwas wie Folgerichtigkeit, Stringenz, dramaturgische Schlüssigkeit wird man in Mayröckers "études" vergebens suchen.
    Friederike Mayröcker:
    "Ich bin mir natürlich bewusst, dass dieses Schreiben eine Gnade ist, im religiösen Sinn, eine Gnade, die man empfangen hat, vielleicht sogar schon vor der Geburt, für die man aber etwas einsetzen muss. Gnade wird einem geschenkt, und dafür muss man etwas tun. Ich habe in meinem Leben gelernt, dass ich auf diese Gnade mit Fleiß antworten muss."
    Und fleißig ist sie, die "Sappho aus der Zentagasse" in Wien-Margareten. Das "Verzeichnis lieferbarer Bücher" listet 94 Titel aus Mayröckerscher Produktion auf – ein reiches Oeuvre, qualitativ wie quantitativ. Ihre Liebe zum Schreiben, so die Autorin, resultiere aus einer gewissen Menschenscheu und Schüchternheit:
    Friederike Mayröcker:
    "Ich war immer ängstlich, eine Einzelgängerin, auch in der Schulzeit. Ich hab nie mehrere Freundinnen gehabt. Ich hab mich vor allen möglichen Dingen geschreckt. Ich hab Angst vor den Lehrerinnen und den Mitschülerinnen gehabt. Ich erinnere mich, da sollte einmal Aschenbrödel gespielt werden, ich war da in einer privaten Volksschule, da wurde ich auserwählt, das Aschenbrödel zu spielen. Das war entsetzlich für mich.
    Da war ein Teich in unserem Schulgarten, das war bei den "Englischen Fräulein" in der Nikolsdorfergasse, und da hab ich so eine Angst bekommen, dass ich das nicht kann. Dabei hatte ich nur einen Satz zu sprechen. Das war für mich so entsetzlich, da hab ich mir gedacht, ich muss in diesen Teich springen, um mich zu retten aus dieser Aschenbrödel-Existenz. Es war furchtbar. Ich konnte diesen einen Satz nicht sprechen."
    Aber sie kann und konnte viele, viele Sätze schreiben, die scheue Autorin, die seit Jahrzehnten in ihrer mit tausenden von Büchern, Zetteln, Manuskripten voll geräumten Klause im fünften Wiener Gemeindebezirk haust und dichtet.
    Friederike Mayröcker ist eine ernste Dichterin. Aber: In der einen oder anderen "étude" blitzt so etwas wie Humor auf, etwa in der Erinnerung an eine Begegnung mit dem Schriftsteller Volker Braun in der früheren DDR, wobei man als Leser nicht so recht weiß, ob man sich diese Begegnung als imaginiert oder real vorstellen muss.
    "Volker Brauns Geburtstag" :
    "... sage ich zu ihm ganz grosze Klasse diese Prosa von Volker Braun, hatte vor 3 Jahrzehnten ihn in der Akademie der Künste geküszt, sage ich, "Das Mittagsmahl" : Insel-Bücherei Nr. 1289, gibt einen hype um ihn usw., DER weisz wie man Prosa macht, sage ich, kundig, Brecht, DDR, Herbstmonat, -mond im Zenit da ich nächtens am Fenster, schlaflos, bin ihm jahrzehntelang nicht begegnet, ach (schrubbend) in den Wäldern der DDR damals, bin ich ihm da begegnet? erinnere nicht sein Gesicht ganz grosze Klasse diese Prosa von Volker Braun, "Das Mittagsmahl"... nächtens Wölfe : DDR, Ultraschall der Empfindungen, Vaterkind, nächtens, schlaflos, ans Fenster lehnend, Christa Wolf, Elke Erb, Heidrun Loeper, ach er weisz wie man Prosa macht...“
    Immer wieder klingt in Mayröckers Texten – verständlich – der Themenkreis Altern und Tod an, mit einem starken melancholischen Akzent:
    Friederike Mayröcker:
    "Der Tod ist wirklich der größte Feind eines Menschen, der sein ganzes Leben aktiv gewesen ist, in einem künstlerischen Beruf zum Beispiel, und der dann aus irgendwelchen physischen Gründen nicht mehr arbeiten kann. Das ist eine solche Strafe."
    "sasz ich querbeet oder –bett sprossen
    die Veilchen auf meinem Grab kam 1 Krähe und schrie
    am Fenster, dasz ich erschrak ("mutter ist tot und
    Schwester ist tot und nimmermehr komme 1 frühling")
    sinket der Mond und sinken die Sterne ach
    die Wellen des Meeres. Buchstabe gerissen Rave und Rauch
    oder war war erklungen, träumte Reseden an der
    Loire "unsere liebe Frau von der Reise" nämlich
    Ich war UMBUSCHT während du standest am Saum
    des Waldes und winkend"
    Friederike Mayröcker:
    "Mein ganzes Werk spricht eigentlich von der Angst vor dem Tod. Vielleicht schreibe ich auch gegen den Tod an. Vielleicht macht das jeder Künstler, dass er gegen den Tod arbeitet. Solange man arbeiten kann, wehrt man sich ja auch gegen den Tod."
    Friederike Mayröckers "études" sind eine schwierige, diffizile, knifflige Lektüre. Wer sich auf den sibyllinischen Sog der Mayröckerschen Sprache einlässt, wird sich einem Gefühl mysteriösen Entzückens, in das man sich von diesem lyrisch-prosaischen Feuerwerk gestürzt sieht, nicht ganz entziehen können.
    Friederike Mayröcker: "études"
    Suhrkamp-Verlag, 192 Seiten, 19,95 Euro.