In der Endphase des Zweiten Weltkrieges floh Kopper 1944 mit seiner Familie in den Westen Deutschlands. Er begann seine berufliche Karriere 1954 als Lehrling bei der Rheinisch-Westfälischen Bank AG, ab 1957 wieder Deutsche Bank, und blieb dort sein ganzes Berufsleben lang. 1958 wechselte Kopper zur Deutschen Bank in Köln-Mülheim mit anschließender Fortbildung in den USA. 1969 Aufstieg zum Leiter der Filiale Leverkusen, 1977 Mitglied des Vorstandes.
Nach der Ermordung Alfred Herrhausens 1989 wurde Kopper zum Sprecher des Vorstandes der Deutschen Bank bestellt und avancierte dadurch zu einem der wichtigsten Manager im deutschen und internationalen Bankgeschäft. Getrübt wurde sein Erfolg durch die Insolvenz des Frankfurter Bauunternehmers Jürgen Schneider, dem die Deutsche Bank Kredite gewährt hatte. Sein Nachfolger im Amt wurde Rolf-E. Breuer, der im Mai 2002 auch sein Nachfolger im Aufsichtsrat wurde. Von 1998 bis 2007 war Kopper Aufsichtsratsvorsitzender von Daimler Chrysler.
Kopper ist in zweiter Ehe seit 2003 mit Brigitte Seebacher-Brandt, der Witwe und dritten Ehefrau Willy Brandts, verheiratet.
Sprecher: Im Zeitzeugengespräch der ehemalige Vorstandssprecher der Deutschen Bank.
Hilmar Kopper: Mach doch mal eine Banklehre, das schadet nichts!
Sprecher: Herkunft aus Westpreußen, Ausbildung im Rheinland.
Stephan Detjen: Herr Kopper, können Sie sich an Ihr erstes eigenes Geld erinnern?
Kopper: Nein, eigentlich gar nicht.
Detjen: Das muss wahrscheinlich irgendwo in Westpreußen gewesen sein, da sind Sie geboren. Ihr Vater war dort Landwirt, hat ein großes Gut bewirtschaftet. Wären Sie, wenn der Zweite Weltkrieg nicht dazwischen gekommen wäre, selbst Landwirt geworden?
Kopper: Wahrscheinlich ja. Ich glaube, mein Bruder wollte sich für etwas Anderes entscheiden, und dann wäre wahrscheinlich die Wahl auf mich gekommen. Und Landwirt zu werden, also ich hätte das wahrscheinlich auch ganz gerne gemacht, vermute ich einmal.
Detjen: Sie sind als knapp Zehnjähriger mit Ihrer Familie dann geflüchtet aus Westpreußen nach Norddeutschland, Lübeck war dann die neue Heimat. War das Heimat, oder was ist für Sie die Heimat?
Kopper: Nein, das war Lüneburg, das war die … das war eher Zuflucht im wahrsten Sinne des Wortes. Es wurde dann über die Jahre hinweg Heimat. Es war nicht so lange in Norddeutschland, wir sind dann schon relativ früh ins Rheinland gekommen, und zwar schon 48, insofern bezeichne ich das Rheinland immer als meine Heimat, weil ich dort 20 Jahre meiner Jugend verbracht habe, und das waren wahrscheinlich die formativen Jahre!
Detjen: Das war dann auch die Zeit, in der sie ins Bankgeschäft kamen. Sie haben 1954 eine Banklehre angefangen bei der – so hieß das damals – Rheinisch-Westfälischen Bank in Köln, das waren die Jahre des Wirtschaftswunders, eine Boomzeit. Da konnte man kaum anders als Karriere machen, oder?
Kopper: Karriere, glaube ich, hat niemand gedacht. Ich wollte eigentlich studieren, das ging aber nicht, weil mein Bruder noch studierte, und meine Eltern sagten, zwei zugleich, das geht nicht aus finanziellen Gründen. Und dann kam man auf die gute Idee, und ich weiß noch, mein Vater eröffnete mir das und sagte, mach doch mal eine Banklehre, das schadet nichts. So bin ich dazu gekommen, es war ziemlich zufällig.
Der ehemalige Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Hilmar Kopper
Kopper: Es gab Böse und es gab Gute und es gab Indifferente in der Mitte.
Kriegszeit, Anmerkungen zur Rolle der Banken im Dritten Reich und Vergangenheitsbewältigung
Detjen: Wir haben heute einen ganz anderen Blick auf diese Zeit, auch dadurch, dass wir anders auf das schauen, was wir personelle Kontinuitäten nennen, wir haben das gerade in der Diskussion über das Auswärtige Amt gelernt. Auch Sie sind autobiografisch noch mal darauf gestoßen worden, auf das Thema der Verwicklung, der Verstrickung der Banken in die NS-Herrschaft. Ihr Sohn Christopher hat mit Blick auf die Generation Ihrer Vorgesetzten damals gesagt, das waren Mittäter und Erfüllungsgehilfen der Nazis. Wie hat sich das für Sie auch heute dann dargestellt, ist das eine Perspektive gewesen, die sich erst durch Ihren Sohn, durch die Gespräche mit Ihrem Sohn – Sie haben diese Forschung von ihm ja selber sehr intensiv begleitet, in Diskussionen teilweise auch unterstützt –, also ist das eine Perspektive, die sich erst dadurch eröffnet hat?
Kopper: Ja sie ist abgerundet worden. Ich glaube, wirklich als Perspektive … Wir hatten bestimmte Vermutungen, wir hatten bestimmte punktuelle Einblicke und waren damit überhaupt nicht zufrieden, was da auf uns zukam. Daher kam ja auch die Idee in der Deutschen Bank auf, zum 125-jährigen Jubiläum auch eine Geschichte der Deutschen Bank zu schreiben. Und die hat uns dann erst mal den vollen Überblick gebracht, vor allen Dingen, weil es uns gelungen ist, doch ein paar hervorragende Historiker zu verpflichten, die sich gerade mit dieser schwierigen Zeit beschäftigt haben. Ein bisschen fand ich immer, dass diese zwölf Jahre zu sehr im Fokus im Fokus gestanden, gemessen an 125 Jahren insgesamt. Es gab eine hoch interessante Zeit der Deutschen Bank von ihrer Gründung 1871 sag ich mal bis zum Ersten Weltkrieg, das war eine phänomenale Zeit des Aufstiegs und der Krisen im Deutschen Reich, das wird manchmal überschaut. Ja, wir haben viel daraus gelernt, wir haben viele der Bestätigungen erhalten, wir vermuteten Einiges; wir haben aber gleichzeitig auch gelernt, dass manches nicht so war, wie wir befürchteten, dass es gewesen wäre. Man kann das kurz zusammenfassen: Ich glaube, dass die Deutsche Bank im Inneren eigentlich, so wie ihr Name auch sagt, nichts Anderes widerspiegelte als Mikrokosmos, als das, was die gesamte Nation getan hat oder wie sie sich verhalten hat. Es war dasselbe. Es gab Böse und es gab Gute und es gab Indifferente in der Mitte. Dieses herausgearbeitet zu haben und präsentiert zu haben in aller Offenheit, das war ganz wichtig und hat ja auch inzwischen in der deutschen Wirtschaft sehr viele Nachahmer gefunden. Darüber bin ich sehr froh.
Kopper: Mich hat wahnsinnig beeindruckt die Freiheit Amerikas.
Sprecher: USA-Aufenthalt, ein Zufallstreffen mit Ernest Hemingway und erste Erfahrungen mit Globalisierung.
Detjen: Der eigene Weg führte Sie dann zunächst in die USA, Sie waren da 1957, 58 Trainee bei einer amerikanischen Bank in New York, man kann in Texten über Sie nachlesen, dass Sie dort ein teilweise abenteuerliches Leben geführt haben, Sie haben Ernest Hemingway kennengelernt, Bekanntschaft mit Spencer Tracy, dem Schauspieler, gemacht. Das war wahrscheinlich nicht am Bankschalter, oder?
Kopper: Nein, nicht am Bankschalter! Die Bank schickte mich dann – und das war sehr nett von ihr und das war auch mehr ein Vorwand –, die sagte, einer muss sich mal um unsere Finanzierung in Los Angeles, vor allen Dingen in Hollywood kümmern, da wurden so Fernsehsachen und Filme finanziert als Projektfinanzierungen. Und einer sollte da mal in die Bücher gucken. Also fuhr ich dahin und hab ein bisschen in die Bücher geguckt und wurde natürlich von den Geldnehmern sehr gut behandelt, sie versuchten, auf mich Eindruck zu machen. – Was ihnen auch hinreichend gelungen ist, und deswegen kam es dann zu solchen Dingen, dass ich also ein Abendessen mit Spencer Tracy hatte, ja!
Detjen: Hemingway, wo begegnet man Hemingway?
Kopper: Hemingway hab ich in Mexiko getroffen, am Strand, Acapulco!
Detjen: Was war das für eine Begegnung mit Hemingway?
Kopper: Die war ein bisschen verrückt. Ich war da am Strand und ging mit ein paar einheimischen Jungen immer etwas nach … tauchen, nach Korallen, darf man gar nicht sagen, aber das ging ganz gut. Und plötzlich, als ich da wieder am Strand lag, stellte ich fest, dass neben mir ein Herr in einem Liegestuhl saß unter einem Sonnenschirm, grau meliert, auch der Bart, und der las also die "New York Times". Und ich guckte einmal, ich guckte zweimal und plötzlich denk ich mir so, Mensch den kennst du doch! Und ich fragte ihn sehr höflich, sagte, entschuldigen Sie bitte, sind Sie vielleicht Ernest Hemingway? Der nahm noch nicht mal die Zeitung runter. Und ich hatte mich schon wieder hingelegt, hab gedacht, na gut, wenn er nicht antworten will, dann lassen wir es eben. Plötzlich kam eine sehr sonore Stimme, die sagte: "Yes, I am!" Und so kamen wir ein wenig ins Gespräch über das Wetter im Besonderen, es war nichts Tiefschürfendes und auch nichts Literarisches.
Detjen: Wenn man Ihre Karriere anschaut, war das Thema Internationalisierung, der Blick über die Grenzen des eigenen Landes hinaus sozusagen in Ihren Berufsweg einprogrammiert. Was haben Sie da aus den USA mitgenommen, was Sie dann später geprägt hat? Wie hat sich Ihr Blick auf Deutschland, auf einen nationalen Wirtschaftskulturraum verändert?
Kopper: Ja es war eine sehr persönliche Erfahrung, die war viel stärker als meine berufliche Erfahrung. Beruflich merkte man, dass wir in vieler Hinsicht schon weiter waren, das nahm man dann mit, darüber schrieb ich lange Berichte nach Düsseldorf, und was da alles technisch bei den Banken passierte … Aber ich glaube, das wirklich Entscheidende war der Eindruck, den dieses Amerika auf mich selbst gemacht hat. Das war so die Zeit auch, um das mal zurückzuspielen, in der Amerika von großen Selbstzweifeln geprägt war, der Sputnik war gerade erfolgreich im All und Amerika fragte sich, wo sind wir denn geblieben mit unserer Technologie? Man bemängelte das eigene Bildungswesen … Und wir alle wissen, was daraus dann entstanden ist. Also es war eine Zeit des Umbruchs und mich hat wahnsinnig beeindruckt aus der Umgebung, die ich kannte aus meinem Leben, die Freiheit Amerikas, die Fähigkeit Dinge zu sagen, die Fähigkeit zu sprechen, die Fähigkeit andere Leute zu treffen, der freien Kommunikation. Das hat mich sehr, sehr beeindruckt. Und das hat eigentlich das ganze Leben angehalten, ich habe davon auch Gebrauch gemacht, ich habe das mitgebracht. Und ich hatte damals Ende der 50er, das war schon ganz entscheidend, plötzlich einen Blick von draußen auf Deutschland zurück, oder ich sollte sagen auf die Bundesrepublik zurück. Und auch das glaube ich formt ein bisschen, das gibt etwas Abstand. Und man sieht dann dieses kleine Deutschland mit bisschen anderen Augen.
Detjen: Sie wurden dann offenbar auch wahrgenommen in der Deutschen Bank als der Experte fürs Internationale, Sie haben die Auslandsabteilung der Niederlassung Düsseldorf der Deutschen Bank damals geleitet, waren dann Vorstand einer deutsch-asiatischen Beteiligungsgesellschaft, 1977 sind Sie dann auch in den Konzernvorstand eingerückt. Waren Sie oder haben Sie sich selber wahrgenommen als so etwas wie einen Wegbereiter dessen, was wir heute Globalisierung nennen?
Kopper: Ein bisschen schon. Ich hätte das Wort nicht benutzen können, ich kannte es wahrscheinlich noch gar nicht. Aber als Internationalisierung, als Eingliederung der Deutschen Bank doch in größere Zusammenhänge. Die Deutsche Bank hatte sich ja noch unter der Führung von Hermann Josef Abs geschworen nach dem Zweiten Weltkrieg, nie wieder international zu werden, nachdem sie zweimal nach zwei Weltkrieg alles draußen, alle Aktiva verloren hatte, und hat gesagt, da wollen wir uns nicht beteiligen. Sie wollte sich auch an dem gerade damals entstehenden Euromarkt nicht beteiligen und so weiter. Das ist dann etwas Gott sei Dank alles anders gekommen, die Deutsche Bank war aufgeschlossen, spielte formell an vorderster Front mit, und das hat sie dann geprägt. Und wir als junge Leute unterstützen das natürlich. Ich fühlte mich so als neue Generation, die unbelastet als banktechnische Nachkriegsgeneration sich an neue Dinge heranwagen konnte.
Das Zeitzeugengespräch im Deutschlandfunk: Hilmar Kopper.
Kopper: Er war, wissen Sie, eine runde Person.
Begegnungen mit Hermann Josef Abs und neue Zeiten im Bankgewerbe
Detjen: Sie haben Hermann Josef Abs erwähnt, das war der erste Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank nach dem Krieg, er war es schon 1938, seit 1938 gewesen dann mit der Zwischenzeit, in der die Deutsche Bank von den Alliierten aufgelöst, zerschlagen gewesen war. Was war das für ein Verhältnis, das Sie zu diesem Hermann Josef Abs hatten? Er war eine Art Mentor für Sie, Sie kannten ihn intensiv.
Kopper: Also dieses Verhältnis begann natürlich erst, als ich in den Vorstand kam. Vorher hatte ich Hermann Josef Abs nur einmal gesehen, in einem ganz anderen Zusammenhang in Leverkusen, daran erinnere ich mich noch, da rauschte er in den Schalterraum, und weil keiner von uns wusste, dass das Hermann Josef Abs war, ließ er mit Grandezza und großer Geste den Mantel von den Schultern auf den Boden fallen, weil niemand da war, um ihn aufzufangen. Das war die erste Belehrung meines Lebens! – Nein, hinterher hat uns über lange, lange Zeit bis zu seinem Tode 93 ein sehr freundschaftliches Verhältnis verbunden. Er mochte mich, das muss ich wirklich sagen, und hat immer versucht, mir bestimmte Erfahrungen weiterzugeben über bestimmte geschäftliche Aspekte, aber auch über Menschen. Und ich hab das sehr genossen, hab aber manchmal auch das mit aufopfernd viel Zeit bezahlen müssen. Das so Interessante bei Hermann Josef Abs war ja nicht sein Spezialwissen als Finanzier und Banker, da war er ein großer Mann seiner Zeit – ob er die neue Zeit noch ganz verstanden hat, möchte ich sogar bezweifeln –, aber wer war, wissen Sie, eine runde Person. Er konnte hinreißend über Musik und vor allen Dingen über seinen geliebten Bach reden, er konnte hinreißend reden über bildende Kunst – Sie wissen, er war lange der Vorsitzende im Städel, etwas, in dem ich ihm dann nachgeeifert bin, bis heute das auch noch tue –, der hatte dafür sehr viel Verständnis. Das heißt, er war eine ganz weitgespannte Persönlichkeit, die viel mehr Interessen hatte als einfach nur Zahlen und Banking.
Detjen: Trotzdem, Sie hatten das auch schon angedeutet: War das ein Spannungsverhältnis auch zwischen unterschiedlichen Geschäftsspielen, Spielen des Bankier-, des Bankerseins – Sie haben diese Szene geschildert, Hermann Josef Abs in der Schalterhalle, das könnte sich ein Vorstandsvorsitzender nach ihm wahrscheinlich nicht mehr leisten!
Kopper: Wissen Sie, Hermann Josef Abs war in Hinsicht, was das Professionelle betraf, extrem großzügig. Er hatte seine Vorstellungen, was er nicht mehr machen würde, aber er ließ die Jungen machen. Ich habe das immer gerne benutzt als Beispiel, als die Diskussion in Deutschland aufkam, ist erst ein paar Jahre alt, dass ehemalige Vorstandsvorsitzende nicht Aufsichtsratsvorsitzende gleich werden sollen. Ich habe immer Hermann Josef Abs zitiert, der seinem Nachfolger im Vorstandsvorsitz als Aufsichtsratsvorsitzender nie einen Stein in den Weg gelegt hat, wenn sie was konträr Gegensätzliches hinterher gemacht hat, was er nie wollte. Er hat seine Bedenken geäußert, hat aber da immer fair gesagt, jetzt entscheidet ihr. Ihr tragt die Verantwortung und ich trage das mit.
Detjen: Was hat die neue Zeit, der neue Stil des Bankgeschäfts ausgemacht? War das ein angelsächsischer Stil? Sie standen dann selber für wichtige Akquisitionen, 1989 waren Sie federführend beim Kauf der britischen Investmentbank, Morgan Grenfell in London, das war eine ganz andere Welt des Investmentbankings, die man ja so in Deutschland gar nicht kannte.
Kopper: Deswegen haben wir uns dort eingekauft. Wir wollten sie kennenlernen sozusagen, indem wir uns die Möglichkeit verschafften, dort sehr intensiv hinzugucken, auch Leute hinzuschicken und so weiter. Wir hatten vorher schon eine ganz kleine Beteiligung von ein paar Prozent, aber das reichte nicht, und dies war die große Gelegenheit, am großen Investmentbanking-Platz London wirklich Fuß zu fassen. Das haben wir mit großer Entschiedenheit genutzt und sehr viel dabei gelernt. Auch schlimme Sachen …
Detjen: … eben, dem war ja auch ein Stilwandel in London vorausgegangen …
Kopper: … wir in Deutschland wussten nicht, was ein Bonus ist! Aber das haben wir sehr schnell gelernt.
Detjen: Das heißt, die enormen Gewinnmargen, die auch für die einzelnen Investmentbanker, für junge Leute sich da auf einmal eröffnet haben, junge Leute, Banker bei Ihnen, die mehr verdient haben als sie im Vorstandsvorsitz, wahrscheinlich?
Kopper: Ja, wir haben plötzlich gelernt, dass es auch eine Welt außerhalb von Frankfurt oder der Bundesrepublik gab, in der manches anders tickte, manches anders lief, und dass es weite Bereiche des modernen Banking gab, in denen wir keine personellen deutschen Ressourcen hatten. Wir mussten uns diese Banker außerhalb der Bundesrepublik besorgen. Manchmal waren auch Leute mit einem deutschen Pass dabei, aber eigentlich nur deswegen, weil sie zehn Jahre vorher nach Harvard gegangen waren und dann im angelsächsischen Dunstkreis hängen geblieben sind, und die haben wir dann versucht zu repatriieren und solche Dinge. Aber es ist ja bis heute so, dass wir auch dieses Geschäft gar nicht nach Frankfurt verpflanzen können. Dieses Geschäft lebt von einem eminent angelsächsischen Umfeld, sowohl was die ganzen juristischen Fragen betreffen, wie aber auch die Kommunikationsfragen. Und deswegen läuft nach wie vor das Investmentbanking auch in der Deutschen Bank ganz wesentlich in London und in USA und zunehmend in Asien.
Detjen: Sie haben gerade selber gesagt, dass Sie dabei auch Furchtbares entdeckt haben. Dieses Investmentbanking, dieser angelsächsische Stil, steht der heute und nach der Finanzkrise mehr als je zuvor auch für etwas Obszönes, für etwas aus den Fugen Geratenes, für etwas ohne Maß und Verhältnis? Sie haben gesagt, Sie haben Furchtbares gesehen. Wann haben Sie das gesehen und welche Perspektivwandlungen haben sich dann vollzogen?
Kopper: Das begann Anfang der 90er. Je tiefer wir in die Materie eindrangen und je besser wir hinguckten, je mehr sahen wir. Und dann sind wir damit weiter gewachsen. Das hat uns begleitet und wir sind es bis heute nicht losgeworden. Es ist natürlich so, wenn man sich in diesem Gebiet bewegt und bewegen will, dann muss man diese Spielregeln beherzigen. Ich will nicht sagen, dass sie unmenschlich sind, ich finde manches dabei ein wenig überzogen, aber wir reden hier von einem Gebiet, das geprägt wird von zum Teil – das sind die Ausnahmen, die positiven Ausnahmen von Können her –, von erstaunlichen Fähigkeiten einzelner Personen, und diese Personen werden eben so bezahlt wie heute die Messis und die anderen großen Fußballspieler, die wir auf dieser Welt haben.
Detjen: Sind diese Spiele – und das ist eine Frage, die sich im internationalen Sport, im Unterhaltungsgeschäft ganz ähnlich spielt –, sind die denn noch regelbar? Sie haben ja gerade gesagt, man braucht Spielregeln. Wer kann die überhaupt setzen in einer internationalen, globalisierten Welt?
Kopper: Ja ich glaube, da kann man Vorkehrungen treffen. Das ist ganz wichtig. Man darf sie nicht nehmen und sie machen lassen, sondern man muss sie kontrollieren. Das vollzieht sich heute alles unter diesem angelsächsischen Begriff des Risk Managements. Und wer das hat und das richtig anwendet und vor allen Dingen global anwendet, sodass es keine freien Stellen gibt, in denen irgendwelche Wucherungen auftreten, die man dann erst zu spät bemerkt, der ist in der Lage, das im Griff zu halten. Das ist aber ganz wichtig. Und die Leute, die das wiederum tun, sind auch Spezialisten, die Sie nicht viel schlechter bezahlen können als die Leute, auf die sie aufpassen, die müssen nämlich zumindestens die gleiche Intelligenz haben.
Detjen: Das Risk Management ist ein bankeninterner Prozess. Welche Rolle können beim Setzen dieser Spielregeln Staaten spielen, deren Handlungsinstrumentarien eigentlich auf das Nationale ausgerichtet sind und damit in einer internationalisierten, globalisierten Wirtschaft nur begrenzt anwendbar sind?
Kopper: Das war ein Grund der großen Krise, die wir erlebt haben in den letzten Jahren, dass wir so was immer auf nationaler Ebene taten, nicht genügend internationale Querverbindungen hatten. Das ändert sich gerade im Augenblick, das ist auch richtig so, das ist die Antwort, ein Teil der richtigen Antwort auf die Probleme, die wir erlebt haben. Man muss immer sagen, auch hier ist es so, dass sich natürlich der Markt, die Realität im Markt, immer versucht vor der Kontrolle her zu bewegen. Und deswegen bedarf es wirklich ganz außerordentlich guter Leute um das zu verhindern. Und die stehen der öffentlichen Hand als Kontrolleur nicht immer zur Verfügung. Das kriegen Sie nicht für das Salär eines Regierungsrates.
Detjen: Ist das das Drama der Staatsbanken, das wir zurzeit erleben?
Kopper: Na ja ich kann es so, würde es so nicht sagen, aber es kommt darauf an, welches Augenmerk man darauf richtet und dass man weiß, dass ein gutes Risk Management die beste Maßnahme ist, die man im eigenen Interesse zu treffen hat. Ich behaupte überhaupt, die Fähigkeit einer Bank, sich vor negativen Überraschungen zu schützen und alles das, die kann man nicht per Gesetz herbeierzwingen, das hängt mit der Führungsstärke einer Bank und ihrem Wollen zusammen.
Kopper: … hab versucht, mir treu zu bleiben, wie man so schön sagt.
Macht der Banken und Prägefaktor Persönlichkeit
Detjen: Das ist auch eine Frage an die Ausbildung von Bankern: Woher bekommt man diese Maßstäbe? Das ist eine ethische Frage, die Sie da eigentlich ansprechen, oder?
Kopper: Das ist eine Frage im wahrsten Sinne des Wortes der Erziehung, der Persönlichkeit. Ich glaube nicht, dass es bei den Banken eine besondere Ethik gibt, ich lehne auch die Behauptung, es gebe eine besondere Ethik in der Wirtschaft oder es hätte sie zu beben, auch ab. Ich glaube, es gibt ganz normale ethische, moralische Begriffe, die gelten für uns alle, in allem, was wir tun.
Detjen: Herr Kopper, Ihr Vorgänger als Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, hat dann mal gesagt: Natürlich haben wir als Banken Macht. Es ist nicht die Frage, ob wir Macht haben oder nicht, sondern die Frage ist, wie wir damit umgehen. Das war ein Satz, der hat damals zu Diskussionen geführt. Hatte er recht?
Kopper: Ja, er hatte sehr recht. Es ist immer was reininterpretiert worden, was Macht sei und worin sie sich dokumentierte und was … Jeder hat Macht in seinem Bereich, der eine hat bisschen mehr, der andere hat bisschen weniger. Es ist die Frage des Missbrauchs, die dann zu Problemen führt. Und deswegen ist der Umgang mit der Macht ganz wichtig, das kann man nicht lernen. Da sind wir wieder bei dem Thema, das wir vorhin gerade gestreift haben.
Detjen: Alfred Herrhausen wurde im Nachhinein als ein Chef, als ein Vorstandssprecher der Deutschen Bank beschrieben, der am Ende seiner Amtszeit, kurz vor seiner Ermordung durch RAF-Terroristen, isoliert war, umstritten war. Als Beispiel wurde genannt seine Forderung nach einem Schuldenerlass für Entwicklungsländer und wegen interner Umbaupläne. War das richtig?
Kopper: Das Erste nicht, das war eine völlig richtige Ableitung, typisch Alfred Herrhausen, ganz kühl analysiert, und hat gesagt: Wenn man Schuldnern hilft, indem man ihre Schulden verringert oder streckt, wenn sie Schwierigkeiten haben, dann muss dasselbe ja wohl auch für Länder gelten, also für Staaten gelten. Völlig richtig, sauber zu Ende gedacht. Es zu artikulieren, war damals neu, und das hat hier und da Gegenwind gebracht, weil auch viele seiner Berufskollegen gleich merkten, das kostet Geld, wenn man so argumentiert. Da war immer dieser Irrglaube: Länder können nicht verlieren in ihren Zahlungen. Sie verlieren vielleicht nicht wie jemand, der Konkurs geht, als Land, aber sie verlieren im Zahlen von Devisen, weil sie nämlich keine mehr haben. Und genau das war damals passiert, beginnend mit Mexiko, und breitete sich dann wie eine Seuche aus, die berühmte Krise der Entwicklungsländer Mitte der 80er. Das war eine große Krise, die musste gemeistert werden, und Herrhausen hatte darauf diese Antwort. Die ist auch umgesetzt worden. Wir haben nachher alle Schuldenerlasse noch und nöcher gemacht, bis hin zur Sowjetunion und sonst irgendwas. Eine Kette ohne Ende und auch heute geht man an solche Dinge wieder so heran. Das ist alles berechtigt. Zur Bank … Er hatte ein paar Schwierigkeiten und das hing damit zusammen, dass Alfred Herrhausen kein inneres Gewächs der Bank war. Er war von außen gekommen, er kam aus der Industrie, er war einige Jahre in der Bank. Aber ich glaube, er hatte nicht ganz realisiert den Beharrungswillen, den natürlich alle großen Organisationen haben und damals auch in der Deutschen Bank da war. Dinge also, die man angehen musste in einer ganz besonderen Art und Weise. Das war leichter, wenn man die Bank seit einigen Jahrzehnten selbst kannte.
Detjen: Alfred Herrhausen wurde am 30. November 1989 ermordet. Welche Erinnerungen haben Sie an diesen Tag?
Kopper: Oh ich habe eine sehr konkrete Erinnerung. Ich war morgens, ich kam aus einem Hotel in Düsseldorf und wollte ins Auto steigen, um zu einer Aufsichtsratssitzung bei Mannesmann zu fahren. Und mein Fahrer, kaum war die Autotür zu, hielt an der nächsten Ecke an und sagte, ich muss dir erst mal sagen, hier ist ein Anruf angekommen, Alfred Herrhausen ist tot. Und da bin ich gar nicht mehr zur Sitzung gefahren, ich bin zurück gleich nach Frankfurt, habe mit allen Kollegen telefoniert, und wir haben um ein Uhr in Frankfurt alle Kollegen von Alfred Herrhausen um den Tisch herum gesetzt. Wir wollten, dass in dieser schwierigen Phase die Bank auch nicht, nicht nur der Eindruck entsteht nach innen und außen, als wären wir gehandicapt, bewegungsunfähig und so weiter. Das war ein großes Erlebnis, wie dann auch alle zusammengestanden haben.
Detjen: Sie wurden dann Nachfolger von Alfred Herrhausen, das wurde wahrgenommen auch als ein Stilwechsel. Also Alfred Herrhausen, eine extrovertierte Erscheinung, der auch das Spiel mit Politik und Medien sehr gut beherrscht hat; Sie galten als stärker nach innen orientiert, nüchterner … Waren, sind Sie einfach ein anderes Naturell, oder wurde in der Deutschen Bank auch ein neuer Führungsstil erwartet?
Kopper: Nein, die Deutsche Bank wusste, und ich glaube auch alle meine Kollegen damals wussten, dass ein anderer Mensch auch eine andere Personality ist. Ich meine, man kann keinen Alfred Herrhausen klonen und ich wollte das auch nicht. Um Himmels Willen, sagte ich mir, ich kann diese Schuhe überhaupt nicht ausfüllen, er legte auch Wert auf andere Dinge als ich, und das wäre ja absurd gewesen, wenn ich versucht hätte, so weiterzumachen. Nein, ich habe das, meinen Stil, ich habe versucht mir treu zu bleiben, wie man so schön sagt. Und möglicherweise ist mir das auch gelungen. Aber ich konnte … Ich war überhaupt nicht in der Lage und fähig, ein Alfred Herrhausen II zu sein. Das war nicht denkbar. War auch vielleicht gar nicht gewünscht, ich glaube, meine Kollegen wollten auch eine Änderung auch im Blick auf das innere Gefüge der Bank.
Kopper: Banken sind dazu da, Fremdkapital zu geben, aber nicht Eigenkapital.
Herausforderung Wiedervereinigung und das Modell Deutschland AG
Detjen: Sie haben dieses Amt an der Spitze der Deutschen Bank übernommen in der Zeit der revolutionären Entwicklung in der DDR, im November 1989, ein knappes Jahr später dann die Wiedervereinigung. – Was hat das für Sie in diesem Amt bedeutet? War das einfach ein weiteres, sozusagen eine weitere Ausdehnung, eine Expansion einer Bank, die sowieso ständig neue Geschäftsfelder erschließt? Die Deutsche Bank hat ja dann einen Teil der DDR-Staatsbank übernommen. Oder was war das Besondere für Sie an dieser Wiedervereinigung?
Kopper: Na ja, es war ohne Zweifel das wichtigste Ereignis in meinem Berufsleben gewesen und das, was man natürlich auch ganz persönlich mit der größten Emotion begleitet hat. Da gab es nichts Vergleichbares. Es hat auch seither nichts Vergleichbares gegeben. Wir haben uns da alle reingekniet in einer Art und Weise um zu versuchen, vernünftige Schritte zu unternehmen, sie schnell zu unternehmen. Und das hatte die ganze Bank erfasst. Ich meine, wir hatten ja ganz schnell ein paar hundert Leute zusammen aus der Deutschen Bank, vor allen Dingen aus den Leitungsstäben, die gesagt haben, okay, wenn ihr uns fragt, wir sind bereit für eine gewisse Zeit, die wir jetzt noch gar nicht festlegen können, die Bank auch nicht, nach Osten zu gehen und dort an dem Um- und Aufbau teilzunehmen. Das war ja für uns ganz wichtig, wir hatten ja drüben niemand. Und die lokalen Leute konnten viele Dinge nicht, da gab es nur ganz, ganz wenige, die einen Überblick hatten in einem Spektrum, das wir eigentlich voraussetzen mussten, um eine neue wirtschaftliche Ordnung im Osten zu schaffen. Und das war diese Aufbruchstimmung, die war phänomenal. Tausende von Mitarbeitern der Deutschen Bank, jede Altersstufe. Ich treffe jetzt ab und zu noch einige, die damals sozusagen in der ersten Generation rübergegangen sind, das sind immer tolle Erinnerungen, die wir dann gemeinsam haben …
Detjen: … verbunden auch mit Enttäuschungen aus heutiger Perspektive?
Kopper: Ja, es gab da auch eine ganze Reihe von Enttäuschungen. Es gab eine Reihe von persönlichen Enttäuschungen oder, lassen Sie es mich so sagen, von emotionalen Enttäuschungen. Es gab auch eine ganze Reihe geschäftspolitische Enttäuschungen. Wir haben auch eine ganze Menge Geld auf der Wahlstatt der östlichen Länder gelassen. Wir haben versucht, uns durch bestimmte Holdings an Unternehmen zu beteiligen, die keine Eigenmittel mehr hatten und drohten in die Pleite abzuwandern, und so weiter, auch beschäftigungspolitische Gründe … Das ist im Allgemeinen nicht gut gegangen. Wir konnten den Zerfall und die Morbidität des Systems nicht aufhalten. Wir haben sie auch bis zum Schluss nicht voll erkannt. Auch die Deutsche Bank gehörte zu denen, die glaubten, dass sie DDR wirtschaftlich stabiler sei, als sie überhaupt war.
Detjen: Die Deutsche Bank nahm zu dieser Zeit schon eine ganz zentrale, überragende Stellung in der westdeutschen Industrie- und Wirtschaftslandschaft ein durch ihre Beteiligungen, durch die Mandate von Bankern, auch Ihnen, in zahllosen Aufsichtsräten der größten deutschen Unternehmen. Das ist das, was man dann so als Deutschland AG beschrieben, aber auch kritisiert hat. Wie sehen Sie das heute?
Kopper: Ja. Als sie die Möglichkeit dazu hatte, hat sie die sofort ergriffen. Ganz kurz rekapitulieren: Diese Deutschland AG ist ja entstanden zum Teil schon im Gefolge der ersten großen Weltwirtschaftskrise Ende der 20er, Anfang der 30er. Zum Beispiel – klassisches Beispiel – die Beteiligung der Deutschen Bank an Daimler war umgewandelte Kredite in Aktienkapital, weil Daimler damals dabei war Pleite zu machen. So wie man immer Firmen rettet, wandelt man dann die Kredite in echtes Risikokapital um, so alt war diese Beteiligung, da hat sich dann immer ein bisschen was verändert. Aber das ist nur ein Beispiel. Und das ging dann nach dem Krieg, als die deutsche Wirtschaft nicht genügend Eigenkapital hatte, dadurch weiter, indem die Banken etwas taten, was sie eigentlich nicht tun sollten: Sie stellten Eigenkapital zur Verfügung. Das ist nicht Aufgabe eines Kreditinstituts. Wir haben uns immer eigentlich dagegen gewehrt, das ist ein Stilbruch. Banken sind dazu da, Fremdkapital zu geben, aber nicht Eigenkapital. Das ist nicht risikoangemessen für eine Bank. Das Geld, das ihnen die Kunden als Einlagen anvertrauen, als Eigenkapital einzusetzen, da stimmt irgendwas in der Risikotransformation nicht mehr. Aber sie haben es machen müssen geradezu, weil die deutsche Wirtschaft so stürmisch wuchs und sie ihre Kunden begleiten wollten, und das führte zu einem Netz von Beteiligung, kreuz und quer, und da gab es ja auch andere Mitspieler, nicht nur die Banken, die großen Versicherungen und, und, und, und. Und dann kam der Zustand, dass wir diese Beteiligung nicht veräußern konnten. Wir wollten das ja gern, wir wollten dieses Geld loslösen und wieder anders im Geschäft einsetzen, aber wir konnten nicht, weil die deutsche Steuergesetzgebung dann 50 Prozent ich sag mal des darauf zu erzielenden Gewinns uns abgenommen hätten. Und das wollten unsere Aktionäre nicht, die wollten nicht das, was sie glaubten, was ihnen zusteht, mit dem Staat teilen. Also haben wir die Finger davongelassen. Bis dann – oh Wunder – ohne jegliches Lobby, ohne alles, eine neue Bundesregierung, von der man es wirklich nicht geglaubt hätte, nämlich die Regierung unter Gerhard Schröder, als eine ihrer ersten Amtshandlungen sagte: Ihr könnt diese Altanteile verkaufen, ohne dass darauf eine Steuer anfällt. Was haben wir gemacht: Wir haben verkauft, sofort! Und haben eigentlich die Deutschland AG in relativ kurzer Zeit aufgelöst und das Geld unseren Aktionären gegeben oder wieder eingesetzt woanders im Geschäft. Das war ein sehr weiser politischer Schritt. Komisch, dass sich andere Parteien, andere Regierungen, bei denen man das eher vermutet hätte, nicht getraut haben!
Detjen: Sie haben das jetzt als eine strukturelle Problematik geschildert: War das nicht auch eine persönliche Überforderung auch für Sie im Amt des Vorstandssprecher der Deutschen Bank, teilweise über 60 Aufsichtsratsmandate bei gigantischen Unternehmen?
Kopper: Ja, aber ja nie zugleich. Sie wissen, schon zu meiner Zeit gab es die Höchstgrenze von zehn, die ich nie erreicht habe. Das war ja immer hinterher.
Detjen: Aber trotzdem die Frage: War man da nicht einfach persönlich … Kann man das überhaupt bewältigen?
Kopper: Wenn Sie solche Beteiligungen hatten, dann war es ja auch selbstverständlich, dass Sie sich a) um sie kümmerten, aber es war auch für die Firmen, an denen sie selbstverständlich ja Repräsentanten ihres Großaktionärs in ihrem Aufsichtsrat haben wollten, sie wollten sich auch mit dem schmücken. Und das kam dadurch zu persönlichen Belastungen, die waren unglaublich. Ich bin sehr froh, dass das alles vorbei ist, das könnte man heute überhaupt nicht mehr tun.
Detjen: Das führte ja auch zur Kritik dann, immer wenn es Schieflagen gab. Klöckner 1992?
Kopper: Ja, das war zu viel Verbindung, und da unterstellte man Netzwerke, alles Mögliche, ja.
Detjen: Hat Sie das belastet damals? Sie haben gesagt …
Kopper: Ja, hat mich sehr belastet. Ich muss Ihnen sagen, diese Aufsichtsratsmandate und kreuz und quer waren eine zusätzliche Belastung, die eigentlich schon damals nicht zulässig gewesen war.
Detjen: Das war auch ein Zeichen der deutschen Political Correctness, die ja hier besonders hochgehalten wird.
Der Betrugsfall Jürgen Schneider, Peanuts als Unwort des Jahres 1994 und die Zukunft
Detjen: Richtig in den Fokus und auch in die Kritik gerückt sind Sie dann 1994, das war die Pleite des Bauunternehmers Schneider. Da ist Ihr Name dann in Verbindung geraten und geblieben mit dem Begriff Peanuts, ein Begriff, den Sie geprägt haben für offen stehende Handwerkerrechnungen in Höhe von 50 Millionen. Ist das ein Begriff, den Sie rückwirkend gerne nicht in den Mund genommen hätten?
Kopper: Nein, nein, nein. Was ich bereue, ist, ein Wort benutzt zu haben, das man in Deutschland offensichtlich nicht kannte und bis heute schlägt keiner im Webster da nach. Peanuts ist eben nicht der Plural von Erdnüssen, hat damit überhaupt nichts zu tun. Peanuts heißt ins Deutsche übersetzt aus dem Amerikanischen ein relativ kleiner Geldbetrag.
Detjen: Aber genau das haben die Leute ja verstanden und haben es Ihnen deswegen übel genommen, weil für die …
Kopper: Nein, nein, nein, nein, sie haben, um Himmels Willen, jetzt hat er es aber mit Erdnüssen verwechselt. Was meinen Sie, wie viel Manschettenknöpfe ich habe in Erdnussform und so, was mir alles geschenkt worden ist.
Detjen: Aber die Leute haben doch sehr genau verstanden, dass Sie da über Beträge gesprochen haben, die für die Betroffenen existenziell waren, und insofern galt dieser Begriff dann als ein Ausdruck der Weltabgehobenheit, der Arroganz von Bankern.
Kopper: Nein, ganz im Gegenteil, es war ein Ausdruck der Bescheidenheit, dass wir, gemessen an der Gesamtsumme, die zur Debatte stand – es war ja, ein Verfahren Schneider war ja nun einer der größten Betrugsfälle der Bundesrepublik Deutschland, es ging um Schädigungen von fünf Milliarden. Wenn wir dann über 50 Millionen rechnen, reden wir von einem ganz kleinen Betrag. Und das war es, es war ein ganz kleiner Betrag. Und die Deutsche Bank wollte nicht das an die große Glocke binden, dass wir den armen Handwerkern geholfen haben, denen sonst keiner half, auch die anderen nicht, die viel mehr Forderungen hatten, aber keiner hat Handwerkern geholfen, nur die Deutsche Bank. Und das habe ich vor lauter selbstverständlicher Bescheidenheit gesagt, es wären halt nur Peanuts – ein relativ kleiner Betrag gemessen an dem allen, was zur Debatte stand. Und so war es denn auch.
Detjen: Aber muss man das nicht als Ausdruck eines gestörten Verhältnisses zwischen Öffentlichkeit und sagen wir mal ganz salopp der Bankenmacht. Ihrem Nachnachfolger Josef Ackermann ist das ja ähnlich gegangen mit seinem Victory-Zeichen vor dem Düsseldorfer Landgericht beim Mannesmann-Prozess. Also gibt es da ein Problem im Verständnis zwischen Mächtigen der Finanzwelt und der Öffentlichkeit?
Kopper: Nein, das glaub ich nicht. Da wird immer was unterstellt. Das Problem, glaube ich, lag hier in diesem Zusammenhang und lag auch im Ackermann-Fall mehr auf der Seite der Rezipienten, wenn Sie das wollen, als bei den Ausübenden. Die waren völlig ahnungslos. Das ist auch ein Zeichen der deutschen Political Correctness, die ja hier besonders hochgehalten wird. Es kommt nicht drauf an, was Sie tun, sondern es kommt drauf an wahrscheinlich hier viel stärker, was Sie sagen oder was Sie zeigen. Das ist eine deutsche Spezialität, damit muss man umgehen. Sie sagen völlig zu Recht, ich wäre viel besser gewesen, wenn ich das nicht gesagt hätte. Ich habe meine Zuhörer überschätzt, das ist bitter bestraft worden.
Detjen: Würden Sie sagen, dass es in Deutschland eine hinreichende Sensibilität für die Bedürfnisse von großen Banken gibt, die natürlich immer wieder in der Kritik stehen, trotzdem sind wir in Deutschland in der Situation, dass wir im internationalen Vergleich ja verhältnismäßig wenig wirklich große Banken haben – die Deutsche Bank ist der letzte wirkliche Global Player in der deutschen Bankenlandschaft.
Kopper: Ich kannte auch kein anderes Industrieland, in dem es eine jahrzehntelange Diskussion über den Begriff Macht der Banken gegeben hätte. Die hat uns ja beschäftigt, in jeder Sommerpause war das das Thema. Ist heute weg. Aber ich weiß auch nicht, warum das gerade in der Bundesrepublik Deutschland so ausgeprägt war, gerade in einem Land, in dem es dieses noch mit am wenigsten gab. Das müssen mal Soziologen, Historiker untersuchen, was da wirklich die Quelle war dieses etwas gestörten Verhältnisses. Es hat seine negativen Auswirkungen gehabt, glaube ich, als eine gewisse Bremse an einer gesunden wirtschaftlichen Entwicklung. Ich glaube, wir hätten manche Dinge gemeinsam anders und vielleicht sogar besser machen können, wenn es nicht diesen Vorbehalt gegeben hätte, der eigentlich bis heute ja immer noch da ist.
Detjen: Was meinen Sie damit konkret? Mehr Banken in der Größe erhalten, wie sie die Deutsche Bank heute ist?
Kopper: Es ist ja heute nun auch durch diese Krise ja fast zu einem Schimpfwort geworden, und es gibt ja wenige, die sich gerne auf den Marktplatz stellen und sagen, ich arbeite in einer Bank. Das tut mir für die Mitarbeiter besonders leid, hier wird eine Art Sippenhaftung ausgelöst. Ich meine, im deutschen Bankgewerbe – direkt, indirekt – arbeiten wahrscheinlich eine Million Menschen. Die alle zu verdammen oder als Oberidioten zu bezeichnen und sonst irgendwas, halte ich für völlig absurd, unangemessen. Natürlich, es gibt wie bei den Bankern wie vielleicht auch bei den Schustern und Bäckern ein paar Gute und ein paar Schlechte, ein paar charaktervoll und ein paar mit etwas weniger Charakter, das ist nicht zu bestreiten.
Detjen: Bräuchte Deutschland mehr große Banken vom Format der Deutschen Bank?
Kopper: Ich glaube ja. Um die deutsche Wirtschaft zu begleiten, adäquat, ihre Bedeutung in der Welt auch umzumünzen auf die Bedeutung deutscher Kreditinstitute in der Welt, da ist nur noch eins übrig geblieben, mit dem wir international Ehre einlegen können, und das ist kein gutes Zeichen.
Detjen: Welchen Anteil schreiben Sie sich selber zu an der Tatsache, dass die Deutsche Bank auch nach der Finanzkrise verhältnismäßig gut dasteht, das letzte wirklich globale deutsche Bankunternehmen ist?
Kopper: Eigentlich gar keinen. Ich muss Ihnen gestehen, darüber habe ich nie nachgedacht, dass ich daran Anteil hätte. Ich war vielleicht nur in dieser ganzen Kette ein Träger, der versucht hat, während seiner Amtszeit eben bestimmte selbst gesteckte Anforderungen nicht verkommen zu lassen und sie weiter hochzuhalten. Das ist das Verantwortungsgefühl für das Risiko, was man übernimmt. Man kann Risiko in diesem Beruf nicht vermeiden, es darf nur nicht mehr sein, als man auch verkraften kann. Das ist die ganze Kunst. Fehler haben wir alle gemacht und werden wir auch immer wieder tun, das ist viel zu leicht im Bankgewerbe – man geht nämlich jeden Tag ein Dutzend Wetten auf die Zukunft ein.
Detjen: Sie sind, Herr Kopper, 1996 aus dem Vorstand der Deutschen Bank ausgeschieden, das war für viele Beobachter damals überraschend. Sie waren gerade 61 Jahre alt. War das ein Ausstieg oder war das eigentlich der Aufstieg ins eigentliche Zentrum der Macht – ist das eigentliche Zentrum der Macht …
Kopper: Das war in der Hauptversammlung 67, da war ich 62, da war ich 20 Jahre im Vorstand, und da habe ich das eingelöst, was ich allen Leuten in der Bank gesagt habe: Mit 62 – das heißt hochgerechnet mit 62 –, also nach 20 Jahren Vorstand höre ich hier auf. Alles länger ist nicht gut für die Bank, wahrscheinlich auch nicht gut für mich. Die Karrengleise werden zu tief, es ist – die anderen sagen – too much of the same, neue Leute müssen ran, es gibt auch eine neue Umwelt, und die müssen etwas Neues gestalten.
Vor allen Dingen, ganz wichtig ist: Sie richten ja irgendwie in einer Pyramide von der Spitze aus den Rest aus. Das heißt, Sie suchen Leute aus, die Leistungsträger und so weiter oder sprechen zumindest ein geziemendes Wort bei deren Auswahl mit, und es dann gut, dass da mal ein Wechsel eintritt, damit nicht immer man versucht, sich selbst zu klonen sozusagen, in dieser Pyramide. Das ist nicht gut für ein Unternehmen, und das wurde Zeit. Außerdem egoistisch habe ich gesagt, wenn du das machst, dann hast du 45 Jahre aktiven Dienst in der Deutschen Bank abgeleistet, du kannst auch mit 62 gehen. Dritte gute Geschichte, hat sich voll erfüllt: Ich wollte mal ein Beispiel setzen, dass man nicht bis zur letzten Sekunde an seinem Sessel hängt, sondern dass man sagen kann, es war ein wunderbares Leben, vielen Dank, ich geh jetzt. Ich hab ja noch fünf Jahre den Aufsichtsrat geleitet, war also nicht so, dass ich nun verschwand von heute auf morgen, aber ich war aus dem operativen Geschäft heraus. Und ich sage rückblickend immer, das war eine der besten Entscheidungen meines Lebens, dies getan zu haben, vor allen Dingen, es auch durchgesetzt zu haben.
Detjen: Einige Mandate haben Sie noch behalten, Herr Kopper, Sie sind heute noch Aufsichtsratsvorsitzender der HSH Nordbank, das ist ein ganz schwieriges Geschäft, da stehen Sie auch in der Mitte einer Krise, stehen politisch in der Kritik, weil Sie sich zuletzt hinter den umstrittenen und angegriffenen Vorstandschef Nonnenmacher gestellt haben. Geht es da noch um Geschäft oder nur noch um Politik?
Kopper: Nein, es geht schon um Geschäft. Ich bin dort hingegangen, um einfach einen Beitrag zu leisten, dass zumindest eine, diese Landesbank wieder auf die Füße kommt. Es sieht auch so aus, als sollten wir das erreichen. Da sind jetzt ein paar andere Dinge in den Vordergrund getreten, mit denen muss ich auch fertig werden, man kann sich das nicht immer aussuchen. Ich stehe auch dazu. Ich habe nur eine Eigenschaft, und die versuche ich mir auch zu bewahren: Ich halte überhaupt nichts von Vorverurteilungen und ich versuche, verantwortungsbewusst zu handeln. Dazu gehört auch, was auch vielen Leuten nicht selbstverständlich ist, eine gewisse Fürsorgepflicht gegenüber denen, die von Ihnen abhängen.
Detjen: Die Landesbanken sind ja insgesamt in der Krise – die geplante Fusion von WestLB und Bayerischer Landesbank ist gerade erst gescheitert. Welche Zukunft haben diese Landesbanken in Deutschland überhaupt noch?
Kopper: Das muss man unterschiedlich beurteilen, wirklich case by case. Es gibt, glaube ich, keine vernünftige, alles zusammenfassende Aussage dazu, das muss man sich sehr genau angucken. Ich glaube, dass einige Landesbanken eigentlich keine Überlebensberechtigung mehr haben. Die Frage ist, wie wickelt man sie schonend ab – schonend für den Geldbeutel des deutschen Steuerzahlers. Das ist eine ganz wichtige Frage, da muss man sensibel herangehen an die Geschichte, das auch sensibel umsetzen. Das wird die Zukunft zeigen. Ein großes Wort in diesem Zusammenhang spricht ja gar nicht mehr Deutschland, sondern kommt aus Brüssel, und da werden wir uns nach vielen Dingen richten müssen, die uns aufoktroyiert werden. Zum Teil auch aus gutem Grunde, weil sich gezeigt hat in der Vergangenheit, dass wir nicht alleine auf nationaler Ebene fähig waren, die Dinge rechtzeitig richtig zu regeln. Wir haben ein wenig mit vielen Vorbehalten versucht, Herr der Lage zu bleiben, das hat nicht immer gereicht.
Detjen: Herr Kopper, Sie haben sich eben sehr bescheiden über Ihre eigenen Wirkungen mit Blick auf die Deutsche Bank geäußert, dennoch gilt, Sie haben diese Bank, Sie haben die deutsche Wirtschaft, die deutsche Industrielandschaft ganz maßgeblich zumindest mit geprägt. Wie hat dieses Berufsleben, diese außerordentliche, teilweise extreme Karriere Sie selbst geprägt?
Kopper: Na ja, sie ist natürlich auch in manchen persönlichen Bereichen mit Opfern verbunden, das ist gar keine Frage. Sie können das alles nicht machen, ohne dass nicht irgendwo ich sag mal auf der anderen Seite des Lebens dann auch ein paar Minuspositionen entstehen. Das ist so, das weiß man aber auch, und damit muss man fertig werden.
Nach der Ermordung Alfred Herrhausens 1989 wurde Kopper zum Sprecher des Vorstandes der Deutschen Bank bestellt und avancierte dadurch zu einem der wichtigsten Manager im deutschen und internationalen Bankgeschäft. Getrübt wurde sein Erfolg durch die Insolvenz des Frankfurter Bauunternehmers Jürgen Schneider, dem die Deutsche Bank Kredite gewährt hatte. Sein Nachfolger im Amt wurde Rolf-E. Breuer, der im Mai 2002 auch sein Nachfolger im Aufsichtsrat wurde. Von 1998 bis 2007 war Kopper Aufsichtsratsvorsitzender von Daimler Chrysler.
Kopper ist in zweiter Ehe seit 2003 mit Brigitte Seebacher-Brandt, der Witwe und dritten Ehefrau Willy Brandts, verheiratet.
Sprecher: Im Zeitzeugengespräch der ehemalige Vorstandssprecher der Deutschen Bank.
Hilmar Kopper: Mach doch mal eine Banklehre, das schadet nichts!
Sprecher: Herkunft aus Westpreußen, Ausbildung im Rheinland.
Stephan Detjen: Herr Kopper, können Sie sich an Ihr erstes eigenes Geld erinnern?
Kopper: Nein, eigentlich gar nicht.
Detjen: Das muss wahrscheinlich irgendwo in Westpreußen gewesen sein, da sind Sie geboren. Ihr Vater war dort Landwirt, hat ein großes Gut bewirtschaftet. Wären Sie, wenn der Zweite Weltkrieg nicht dazwischen gekommen wäre, selbst Landwirt geworden?
Kopper: Wahrscheinlich ja. Ich glaube, mein Bruder wollte sich für etwas Anderes entscheiden, und dann wäre wahrscheinlich die Wahl auf mich gekommen. Und Landwirt zu werden, also ich hätte das wahrscheinlich auch ganz gerne gemacht, vermute ich einmal.
Detjen: Sie sind als knapp Zehnjähriger mit Ihrer Familie dann geflüchtet aus Westpreußen nach Norddeutschland, Lübeck war dann die neue Heimat. War das Heimat, oder was ist für Sie die Heimat?
Kopper: Nein, das war Lüneburg, das war die … das war eher Zuflucht im wahrsten Sinne des Wortes. Es wurde dann über die Jahre hinweg Heimat. Es war nicht so lange in Norddeutschland, wir sind dann schon relativ früh ins Rheinland gekommen, und zwar schon 48, insofern bezeichne ich das Rheinland immer als meine Heimat, weil ich dort 20 Jahre meiner Jugend verbracht habe, und das waren wahrscheinlich die formativen Jahre!
Detjen: Das war dann auch die Zeit, in der sie ins Bankgeschäft kamen. Sie haben 1954 eine Banklehre angefangen bei der – so hieß das damals – Rheinisch-Westfälischen Bank in Köln, das waren die Jahre des Wirtschaftswunders, eine Boomzeit. Da konnte man kaum anders als Karriere machen, oder?
Kopper: Karriere, glaube ich, hat niemand gedacht. Ich wollte eigentlich studieren, das ging aber nicht, weil mein Bruder noch studierte, und meine Eltern sagten, zwei zugleich, das geht nicht aus finanziellen Gründen. Und dann kam man auf die gute Idee, und ich weiß noch, mein Vater eröffnete mir das und sagte, mach doch mal eine Banklehre, das schadet nichts. So bin ich dazu gekommen, es war ziemlich zufällig.
Der ehemalige Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Hilmar Kopper
Kopper: Es gab Böse und es gab Gute und es gab Indifferente in der Mitte.
Kriegszeit, Anmerkungen zur Rolle der Banken im Dritten Reich und Vergangenheitsbewältigung
Detjen: Wir haben heute einen ganz anderen Blick auf diese Zeit, auch dadurch, dass wir anders auf das schauen, was wir personelle Kontinuitäten nennen, wir haben das gerade in der Diskussion über das Auswärtige Amt gelernt. Auch Sie sind autobiografisch noch mal darauf gestoßen worden, auf das Thema der Verwicklung, der Verstrickung der Banken in die NS-Herrschaft. Ihr Sohn Christopher hat mit Blick auf die Generation Ihrer Vorgesetzten damals gesagt, das waren Mittäter und Erfüllungsgehilfen der Nazis. Wie hat sich das für Sie auch heute dann dargestellt, ist das eine Perspektive gewesen, die sich erst durch Ihren Sohn, durch die Gespräche mit Ihrem Sohn – Sie haben diese Forschung von ihm ja selber sehr intensiv begleitet, in Diskussionen teilweise auch unterstützt –, also ist das eine Perspektive, die sich erst dadurch eröffnet hat?
Kopper: Ja sie ist abgerundet worden. Ich glaube, wirklich als Perspektive … Wir hatten bestimmte Vermutungen, wir hatten bestimmte punktuelle Einblicke und waren damit überhaupt nicht zufrieden, was da auf uns zukam. Daher kam ja auch die Idee in der Deutschen Bank auf, zum 125-jährigen Jubiläum auch eine Geschichte der Deutschen Bank zu schreiben. Und die hat uns dann erst mal den vollen Überblick gebracht, vor allen Dingen, weil es uns gelungen ist, doch ein paar hervorragende Historiker zu verpflichten, die sich gerade mit dieser schwierigen Zeit beschäftigt haben. Ein bisschen fand ich immer, dass diese zwölf Jahre zu sehr im Fokus im Fokus gestanden, gemessen an 125 Jahren insgesamt. Es gab eine hoch interessante Zeit der Deutschen Bank von ihrer Gründung 1871 sag ich mal bis zum Ersten Weltkrieg, das war eine phänomenale Zeit des Aufstiegs und der Krisen im Deutschen Reich, das wird manchmal überschaut. Ja, wir haben viel daraus gelernt, wir haben viele der Bestätigungen erhalten, wir vermuteten Einiges; wir haben aber gleichzeitig auch gelernt, dass manches nicht so war, wie wir befürchteten, dass es gewesen wäre. Man kann das kurz zusammenfassen: Ich glaube, dass die Deutsche Bank im Inneren eigentlich, so wie ihr Name auch sagt, nichts Anderes widerspiegelte als Mikrokosmos, als das, was die gesamte Nation getan hat oder wie sie sich verhalten hat. Es war dasselbe. Es gab Böse und es gab Gute und es gab Indifferente in der Mitte. Dieses herausgearbeitet zu haben und präsentiert zu haben in aller Offenheit, das war ganz wichtig und hat ja auch inzwischen in der deutschen Wirtschaft sehr viele Nachahmer gefunden. Darüber bin ich sehr froh.
Kopper: Mich hat wahnsinnig beeindruckt die Freiheit Amerikas.
Sprecher: USA-Aufenthalt, ein Zufallstreffen mit Ernest Hemingway und erste Erfahrungen mit Globalisierung.
Detjen: Der eigene Weg führte Sie dann zunächst in die USA, Sie waren da 1957, 58 Trainee bei einer amerikanischen Bank in New York, man kann in Texten über Sie nachlesen, dass Sie dort ein teilweise abenteuerliches Leben geführt haben, Sie haben Ernest Hemingway kennengelernt, Bekanntschaft mit Spencer Tracy, dem Schauspieler, gemacht. Das war wahrscheinlich nicht am Bankschalter, oder?
Kopper: Nein, nicht am Bankschalter! Die Bank schickte mich dann – und das war sehr nett von ihr und das war auch mehr ein Vorwand –, die sagte, einer muss sich mal um unsere Finanzierung in Los Angeles, vor allen Dingen in Hollywood kümmern, da wurden so Fernsehsachen und Filme finanziert als Projektfinanzierungen. Und einer sollte da mal in die Bücher gucken. Also fuhr ich dahin und hab ein bisschen in die Bücher geguckt und wurde natürlich von den Geldnehmern sehr gut behandelt, sie versuchten, auf mich Eindruck zu machen. – Was ihnen auch hinreichend gelungen ist, und deswegen kam es dann zu solchen Dingen, dass ich also ein Abendessen mit Spencer Tracy hatte, ja!
Detjen: Hemingway, wo begegnet man Hemingway?
Kopper: Hemingway hab ich in Mexiko getroffen, am Strand, Acapulco!
Detjen: Was war das für eine Begegnung mit Hemingway?
Kopper: Die war ein bisschen verrückt. Ich war da am Strand und ging mit ein paar einheimischen Jungen immer etwas nach … tauchen, nach Korallen, darf man gar nicht sagen, aber das ging ganz gut. Und plötzlich, als ich da wieder am Strand lag, stellte ich fest, dass neben mir ein Herr in einem Liegestuhl saß unter einem Sonnenschirm, grau meliert, auch der Bart, und der las also die "New York Times". Und ich guckte einmal, ich guckte zweimal und plötzlich denk ich mir so, Mensch den kennst du doch! Und ich fragte ihn sehr höflich, sagte, entschuldigen Sie bitte, sind Sie vielleicht Ernest Hemingway? Der nahm noch nicht mal die Zeitung runter. Und ich hatte mich schon wieder hingelegt, hab gedacht, na gut, wenn er nicht antworten will, dann lassen wir es eben. Plötzlich kam eine sehr sonore Stimme, die sagte: "Yes, I am!" Und so kamen wir ein wenig ins Gespräch über das Wetter im Besonderen, es war nichts Tiefschürfendes und auch nichts Literarisches.
Detjen: Wenn man Ihre Karriere anschaut, war das Thema Internationalisierung, der Blick über die Grenzen des eigenen Landes hinaus sozusagen in Ihren Berufsweg einprogrammiert. Was haben Sie da aus den USA mitgenommen, was Sie dann später geprägt hat? Wie hat sich Ihr Blick auf Deutschland, auf einen nationalen Wirtschaftskulturraum verändert?
Kopper: Ja es war eine sehr persönliche Erfahrung, die war viel stärker als meine berufliche Erfahrung. Beruflich merkte man, dass wir in vieler Hinsicht schon weiter waren, das nahm man dann mit, darüber schrieb ich lange Berichte nach Düsseldorf, und was da alles technisch bei den Banken passierte … Aber ich glaube, das wirklich Entscheidende war der Eindruck, den dieses Amerika auf mich selbst gemacht hat. Das war so die Zeit auch, um das mal zurückzuspielen, in der Amerika von großen Selbstzweifeln geprägt war, der Sputnik war gerade erfolgreich im All und Amerika fragte sich, wo sind wir denn geblieben mit unserer Technologie? Man bemängelte das eigene Bildungswesen … Und wir alle wissen, was daraus dann entstanden ist. Also es war eine Zeit des Umbruchs und mich hat wahnsinnig beeindruckt aus der Umgebung, die ich kannte aus meinem Leben, die Freiheit Amerikas, die Fähigkeit Dinge zu sagen, die Fähigkeit zu sprechen, die Fähigkeit andere Leute zu treffen, der freien Kommunikation. Das hat mich sehr, sehr beeindruckt. Und das hat eigentlich das ganze Leben angehalten, ich habe davon auch Gebrauch gemacht, ich habe das mitgebracht. Und ich hatte damals Ende der 50er, das war schon ganz entscheidend, plötzlich einen Blick von draußen auf Deutschland zurück, oder ich sollte sagen auf die Bundesrepublik zurück. Und auch das glaube ich formt ein bisschen, das gibt etwas Abstand. Und man sieht dann dieses kleine Deutschland mit bisschen anderen Augen.
Detjen: Sie wurden dann offenbar auch wahrgenommen in der Deutschen Bank als der Experte fürs Internationale, Sie haben die Auslandsabteilung der Niederlassung Düsseldorf der Deutschen Bank damals geleitet, waren dann Vorstand einer deutsch-asiatischen Beteiligungsgesellschaft, 1977 sind Sie dann auch in den Konzernvorstand eingerückt. Waren Sie oder haben Sie sich selber wahrgenommen als so etwas wie einen Wegbereiter dessen, was wir heute Globalisierung nennen?
Kopper: Ein bisschen schon. Ich hätte das Wort nicht benutzen können, ich kannte es wahrscheinlich noch gar nicht. Aber als Internationalisierung, als Eingliederung der Deutschen Bank doch in größere Zusammenhänge. Die Deutsche Bank hatte sich ja noch unter der Führung von Hermann Josef Abs geschworen nach dem Zweiten Weltkrieg, nie wieder international zu werden, nachdem sie zweimal nach zwei Weltkrieg alles draußen, alle Aktiva verloren hatte, und hat gesagt, da wollen wir uns nicht beteiligen. Sie wollte sich auch an dem gerade damals entstehenden Euromarkt nicht beteiligen und so weiter. Das ist dann etwas Gott sei Dank alles anders gekommen, die Deutsche Bank war aufgeschlossen, spielte formell an vorderster Front mit, und das hat sie dann geprägt. Und wir als junge Leute unterstützen das natürlich. Ich fühlte mich so als neue Generation, die unbelastet als banktechnische Nachkriegsgeneration sich an neue Dinge heranwagen konnte.
Das Zeitzeugengespräch im Deutschlandfunk: Hilmar Kopper.
Kopper: Er war, wissen Sie, eine runde Person.
Begegnungen mit Hermann Josef Abs und neue Zeiten im Bankgewerbe
Detjen: Sie haben Hermann Josef Abs erwähnt, das war der erste Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank nach dem Krieg, er war es schon 1938, seit 1938 gewesen dann mit der Zwischenzeit, in der die Deutsche Bank von den Alliierten aufgelöst, zerschlagen gewesen war. Was war das für ein Verhältnis, das Sie zu diesem Hermann Josef Abs hatten? Er war eine Art Mentor für Sie, Sie kannten ihn intensiv.
Kopper: Also dieses Verhältnis begann natürlich erst, als ich in den Vorstand kam. Vorher hatte ich Hermann Josef Abs nur einmal gesehen, in einem ganz anderen Zusammenhang in Leverkusen, daran erinnere ich mich noch, da rauschte er in den Schalterraum, und weil keiner von uns wusste, dass das Hermann Josef Abs war, ließ er mit Grandezza und großer Geste den Mantel von den Schultern auf den Boden fallen, weil niemand da war, um ihn aufzufangen. Das war die erste Belehrung meines Lebens! – Nein, hinterher hat uns über lange, lange Zeit bis zu seinem Tode 93 ein sehr freundschaftliches Verhältnis verbunden. Er mochte mich, das muss ich wirklich sagen, und hat immer versucht, mir bestimmte Erfahrungen weiterzugeben über bestimmte geschäftliche Aspekte, aber auch über Menschen. Und ich hab das sehr genossen, hab aber manchmal auch das mit aufopfernd viel Zeit bezahlen müssen. Das so Interessante bei Hermann Josef Abs war ja nicht sein Spezialwissen als Finanzier und Banker, da war er ein großer Mann seiner Zeit – ob er die neue Zeit noch ganz verstanden hat, möchte ich sogar bezweifeln –, aber wer war, wissen Sie, eine runde Person. Er konnte hinreißend über Musik und vor allen Dingen über seinen geliebten Bach reden, er konnte hinreißend reden über bildende Kunst – Sie wissen, er war lange der Vorsitzende im Städel, etwas, in dem ich ihm dann nachgeeifert bin, bis heute das auch noch tue –, der hatte dafür sehr viel Verständnis. Das heißt, er war eine ganz weitgespannte Persönlichkeit, die viel mehr Interessen hatte als einfach nur Zahlen und Banking.
Detjen: Trotzdem, Sie hatten das auch schon angedeutet: War das ein Spannungsverhältnis auch zwischen unterschiedlichen Geschäftsspielen, Spielen des Bankier-, des Bankerseins – Sie haben diese Szene geschildert, Hermann Josef Abs in der Schalterhalle, das könnte sich ein Vorstandsvorsitzender nach ihm wahrscheinlich nicht mehr leisten!
Kopper: Wissen Sie, Hermann Josef Abs war in Hinsicht, was das Professionelle betraf, extrem großzügig. Er hatte seine Vorstellungen, was er nicht mehr machen würde, aber er ließ die Jungen machen. Ich habe das immer gerne benutzt als Beispiel, als die Diskussion in Deutschland aufkam, ist erst ein paar Jahre alt, dass ehemalige Vorstandsvorsitzende nicht Aufsichtsratsvorsitzende gleich werden sollen. Ich habe immer Hermann Josef Abs zitiert, der seinem Nachfolger im Vorstandsvorsitz als Aufsichtsratsvorsitzender nie einen Stein in den Weg gelegt hat, wenn sie was konträr Gegensätzliches hinterher gemacht hat, was er nie wollte. Er hat seine Bedenken geäußert, hat aber da immer fair gesagt, jetzt entscheidet ihr. Ihr tragt die Verantwortung und ich trage das mit.
Detjen: Was hat die neue Zeit, der neue Stil des Bankgeschäfts ausgemacht? War das ein angelsächsischer Stil? Sie standen dann selber für wichtige Akquisitionen, 1989 waren Sie federführend beim Kauf der britischen Investmentbank, Morgan Grenfell in London, das war eine ganz andere Welt des Investmentbankings, die man ja so in Deutschland gar nicht kannte.
Kopper: Deswegen haben wir uns dort eingekauft. Wir wollten sie kennenlernen sozusagen, indem wir uns die Möglichkeit verschafften, dort sehr intensiv hinzugucken, auch Leute hinzuschicken und so weiter. Wir hatten vorher schon eine ganz kleine Beteiligung von ein paar Prozent, aber das reichte nicht, und dies war die große Gelegenheit, am großen Investmentbanking-Platz London wirklich Fuß zu fassen. Das haben wir mit großer Entschiedenheit genutzt und sehr viel dabei gelernt. Auch schlimme Sachen …
Detjen: … eben, dem war ja auch ein Stilwandel in London vorausgegangen …
Kopper: … wir in Deutschland wussten nicht, was ein Bonus ist! Aber das haben wir sehr schnell gelernt.
Detjen: Das heißt, die enormen Gewinnmargen, die auch für die einzelnen Investmentbanker, für junge Leute sich da auf einmal eröffnet haben, junge Leute, Banker bei Ihnen, die mehr verdient haben als sie im Vorstandsvorsitz, wahrscheinlich?
Kopper: Ja, wir haben plötzlich gelernt, dass es auch eine Welt außerhalb von Frankfurt oder der Bundesrepublik gab, in der manches anders tickte, manches anders lief, und dass es weite Bereiche des modernen Banking gab, in denen wir keine personellen deutschen Ressourcen hatten. Wir mussten uns diese Banker außerhalb der Bundesrepublik besorgen. Manchmal waren auch Leute mit einem deutschen Pass dabei, aber eigentlich nur deswegen, weil sie zehn Jahre vorher nach Harvard gegangen waren und dann im angelsächsischen Dunstkreis hängen geblieben sind, und die haben wir dann versucht zu repatriieren und solche Dinge. Aber es ist ja bis heute so, dass wir auch dieses Geschäft gar nicht nach Frankfurt verpflanzen können. Dieses Geschäft lebt von einem eminent angelsächsischen Umfeld, sowohl was die ganzen juristischen Fragen betreffen, wie aber auch die Kommunikationsfragen. Und deswegen läuft nach wie vor das Investmentbanking auch in der Deutschen Bank ganz wesentlich in London und in USA und zunehmend in Asien.
Detjen: Sie haben gerade selber gesagt, dass Sie dabei auch Furchtbares entdeckt haben. Dieses Investmentbanking, dieser angelsächsische Stil, steht der heute und nach der Finanzkrise mehr als je zuvor auch für etwas Obszönes, für etwas aus den Fugen Geratenes, für etwas ohne Maß und Verhältnis? Sie haben gesagt, Sie haben Furchtbares gesehen. Wann haben Sie das gesehen und welche Perspektivwandlungen haben sich dann vollzogen?
Kopper: Das begann Anfang der 90er. Je tiefer wir in die Materie eindrangen und je besser wir hinguckten, je mehr sahen wir. Und dann sind wir damit weiter gewachsen. Das hat uns begleitet und wir sind es bis heute nicht losgeworden. Es ist natürlich so, wenn man sich in diesem Gebiet bewegt und bewegen will, dann muss man diese Spielregeln beherzigen. Ich will nicht sagen, dass sie unmenschlich sind, ich finde manches dabei ein wenig überzogen, aber wir reden hier von einem Gebiet, das geprägt wird von zum Teil – das sind die Ausnahmen, die positiven Ausnahmen von Können her –, von erstaunlichen Fähigkeiten einzelner Personen, und diese Personen werden eben so bezahlt wie heute die Messis und die anderen großen Fußballspieler, die wir auf dieser Welt haben.
Detjen: Sind diese Spiele – und das ist eine Frage, die sich im internationalen Sport, im Unterhaltungsgeschäft ganz ähnlich spielt –, sind die denn noch regelbar? Sie haben ja gerade gesagt, man braucht Spielregeln. Wer kann die überhaupt setzen in einer internationalen, globalisierten Welt?
Kopper: Ja ich glaube, da kann man Vorkehrungen treffen. Das ist ganz wichtig. Man darf sie nicht nehmen und sie machen lassen, sondern man muss sie kontrollieren. Das vollzieht sich heute alles unter diesem angelsächsischen Begriff des Risk Managements. Und wer das hat und das richtig anwendet und vor allen Dingen global anwendet, sodass es keine freien Stellen gibt, in denen irgendwelche Wucherungen auftreten, die man dann erst zu spät bemerkt, der ist in der Lage, das im Griff zu halten. Das ist aber ganz wichtig. Und die Leute, die das wiederum tun, sind auch Spezialisten, die Sie nicht viel schlechter bezahlen können als die Leute, auf die sie aufpassen, die müssen nämlich zumindestens die gleiche Intelligenz haben.
Detjen: Das Risk Management ist ein bankeninterner Prozess. Welche Rolle können beim Setzen dieser Spielregeln Staaten spielen, deren Handlungsinstrumentarien eigentlich auf das Nationale ausgerichtet sind und damit in einer internationalisierten, globalisierten Wirtschaft nur begrenzt anwendbar sind?
Kopper: Das war ein Grund der großen Krise, die wir erlebt haben in den letzten Jahren, dass wir so was immer auf nationaler Ebene taten, nicht genügend internationale Querverbindungen hatten. Das ändert sich gerade im Augenblick, das ist auch richtig so, das ist die Antwort, ein Teil der richtigen Antwort auf die Probleme, die wir erlebt haben. Man muss immer sagen, auch hier ist es so, dass sich natürlich der Markt, die Realität im Markt, immer versucht vor der Kontrolle her zu bewegen. Und deswegen bedarf es wirklich ganz außerordentlich guter Leute um das zu verhindern. Und die stehen der öffentlichen Hand als Kontrolleur nicht immer zur Verfügung. Das kriegen Sie nicht für das Salär eines Regierungsrates.
Detjen: Ist das das Drama der Staatsbanken, das wir zurzeit erleben?
Kopper: Na ja ich kann es so, würde es so nicht sagen, aber es kommt darauf an, welches Augenmerk man darauf richtet und dass man weiß, dass ein gutes Risk Management die beste Maßnahme ist, die man im eigenen Interesse zu treffen hat. Ich behaupte überhaupt, die Fähigkeit einer Bank, sich vor negativen Überraschungen zu schützen und alles das, die kann man nicht per Gesetz herbeierzwingen, das hängt mit der Führungsstärke einer Bank und ihrem Wollen zusammen.
Kopper: … hab versucht, mir treu zu bleiben, wie man so schön sagt.
Macht der Banken und Prägefaktor Persönlichkeit
Detjen: Das ist auch eine Frage an die Ausbildung von Bankern: Woher bekommt man diese Maßstäbe? Das ist eine ethische Frage, die Sie da eigentlich ansprechen, oder?
Kopper: Das ist eine Frage im wahrsten Sinne des Wortes der Erziehung, der Persönlichkeit. Ich glaube nicht, dass es bei den Banken eine besondere Ethik gibt, ich lehne auch die Behauptung, es gebe eine besondere Ethik in der Wirtschaft oder es hätte sie zu beben, auch ab. Ich glaube, es gibt ganz normale ethische, moralische Begriffe, die gelten für uns alle, in allem, was wir tun.
Detjen: Herr Kopper, Ihr Vorgänger als Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, hat dann mal gesagt: Natürlich haben wir als Banken Macht. Es ist nicht die Frage, ob wir Macht haben oder nicht, sondern die Frage ist, wie wir damit umgehen. Das war ein Satz, der hat damals zu Diskussionen geführt. Hatte er recht?
Kopper: Ja, er hatte sehr recht. Es ist immer was reininterpretiert worden, was Macht sei und worin sie sich dokumentierte und was … Jeder hat Macht in seinem Bereich, der eine hat bisschen mehr, der andere hat bisschen weniger. Es ist die Frage des Missbrauchs, die dann zu Problemen führt. Und deswegen ist der Umgang mit der Macht ganz wichtig, das kann man nicht lernen. Da sind wir wieder bei dem Thema, das wir vorhin gerade gestreift haben.
Detjen: Alfred Herrhausen wurde im Nachhinein als ein Chef, als ein Vorstandssprecher der Deutschen Bank beschrieben, der am Ende seiner Amtszeit, kurz vor seiner Ermordung durch RAF-Terroristen, isoliert war, umstritten war. Als Beispiel wurde genannt seine Forderung nach einem Schuldenerlass für Entwicklungsländer und wegen interner Umbaupläne. War das richtig?
Kopper: Das Erste nicht, das war eine völlig richtige Ableitung, typisch Alfred Herrhausen, ganz kühl analysiert, und hat gesagt: Wenn man Schuldnern hilft, indem man ihre Schulden verringert oder streckt, wenn sie Schwierigkeiten haben, dann muss dasselbe ja wohl auch für Länder gelten, also für Staaten gelten. Völlig richtig, sauber zu Ende gedacht. Es zu artikulieren, war damals neu, und das hat hier und da Gegenwind gebracht, weil auch viele seiner Berufskollegen gleich merkten, das kostet Geld, wenn man so argumentiert. Da war immer dieser Irrglaube: Länder können nicht verlieren in ihren Zahlungen. Sie verlieren vielleicht nicht wie jemand, der Konkurs geht, als Land, aber sie verlieren im Zahlen von Devisen, weil sie nämlich keine mehr haben. Und genau das war damals passiert, beginnend mit Mexiko, und breitete sich dann wie eine Seuche aus, die berühmte Krise der Entwicklungsländer Mitte der 80er. Das war eine große Krise, die musste gemeistert werden, und Herrhausen hatte darauf diese Antwort. Die ist auch umgesetzt worden. Wir haben nachher alle Schuldenerlasse noch und nöcher gemacht, bis hin zur Sowjetunion und sonst irgendwas. Eine Kette ohne Ende und auch heute geht man an solche Dinge wieder so heran. Das ist alles berechtigt. Zur Bank … Er hatte ein paar Schwierigkeiten und das hing damit zusammen, dass Alfred Herrhausen kein inneres Gewächs der Bank war. Er war von außen gekommen, er kam aus der Industrie, er war einige Jahre in der Bank. Aber ich glaube, er hatte nicht ganz realisiert den Beharrungswillen, den natürlich alle großen Organisationen haben und damals auch in der Deutschen Bank da war. Dinge also, die man angehen musste in einer ganz besonderen Art und Weise. Das war leichter, wenn man die Bank seit einigen Jahrzehnten selbst kannte.
Detjen: Alfred Herrhausen wurde am 30. November 1989 ermordet. Welche Erinnerungen haben Sie an diesen Tag?
Kopper: Oh ich habe eine sehr konkrete Erinnerung. Ich war morgens, ich kam aus einem Hotel in Düsseldorf und wollte ins Auto steigen, um zu einer Aufsichtsratssitzung bei Mannesmann zu fahren. Und mein Fahrer, kaum war die Autotür zu, hielt an der nächsten Ecke an und sagte, ich muss dir erst mal sagen, hier ist ein Anruf angekommen, Alfred Herrhausen ist tot. Und da bin ich gar nicht mehr zur Sitzung gefahren, ich bin zurück gleich nach Frankfurt, habe mit allen Kollegen telefoniert, und wir haben um ein Uhr in Frankfurt alle Kollegen von Alfred Herrhausen um den Tisch herum gesetzt. Wir wollten, dass in dieser schwierigen Phase die Bank auch nicht, nicht nur der Eindruck entsteht nach innen und außen, als wären wir gehandicapt, bewegungsunfähig und so weiter. Das war ein großes Erlebnis, wie dann auch alle zusammengestanden haben.
Detjen: Sie wurden dann Nachfolger von Alfred Herrhausen, das wurde wahrgenommen auch als ein Stilwechsel. Also Alfred Herrhausen, eine extrovertierte Erscheinung, der auch das Spiel mit Politik und Medien sehr gut beherrscht hat; Sie galten als stärker nach innen orientiert, nüchterner … Waren, sind Sie einfach ein anderes Naturell, oder wurde in der Deutschen Bank auch ein neuer Führungsstil erwartet?
Kopper: Nein, die Deutsche Bank wusste, und ich glaube auch alle meine Kollegen damals wussten, dass ein anderer Mensch auch eine andere Personality ist. Ich meine, man kann keinen Alfred Herrhausen klonen und ich wollte das auch nicht. Um Himmels Willen, sagte ich mir, ich kann diese Schuhe überhaupt nicht ausfüllen, er legte auch Wert auf andere Dinge als ich, und das wäre ja absurd gewesen, wenn ich versucht hätte, so weiterzumachen. Nein, ich habe das, meinen Stil, ich habe versucht mir treu zu bleiben, wie man so schön sagt. Und möglicherweise ist mir das auch gelungen. Aber ich konnte … Ich war überhaupt nicht in der Lage und fähig, ein Alfred Herrhausen II zu sein. Das war nicht denkbar. War auch vielleicht gar nicht gewünscht, ich glaube, meine Kollegen wollten auch eine Änderung auch im Blick auf das innere Gefüge der Bank.
Kopper: Banken sind dazu da, Fremdkapital zu geben, aber nicht Eigenkapital.
Herausforderung Wiedervereinigung und das Modell Deutschland AG
Detjen: Sie haben dieses Amt an der Spitze der Deutschen Bank übernommen in der Zeit der revolutionären Entwicklung in der DDR, im November 1989, ein knappes Jahr später dann die Wiedervereinigung. – Was hat das für Sie in diesem Amt bedeutet? War das einfach ein weiteres, sozusagen eine weitere Ausdehnung, eine Expansion einer Bank, die sowieso ständig neue Geschäftsfelder erschließt? Die Deutsche Bank hat ja dann einen Teil der DDR-Staatsbank übernommen. Oder was war das Besondere für Sie an dieser Wiedervereinigung?
Kopper: Na ja, es war ohne Zweifel das wichtigste Ereignis in meinem Berufsleben gewesen und das, was man natürlich auch ganz persönlich mit der größten Emotion begleitet hat. Da gab es nichts Vergleichbares. Es hat auch seither nichts Vergleichbares gegeben. Wir haben uns da alle reingekniet in einer Art und Weise um zu versuchen, vernünftige Schritte zu unternehmen, sie schnell zu unternehmen. Und das hatte die ganze Bank erfasst. Ich meine, wir hatten ja ganz schnell ein paar hundert Leute zusammen aus der Deutschen Bank, vor allen Dingen aus den Leitungsstäben, die gesagt haben, okay, wenn ihr uns fragt, wir sind bereit für eine gewisse Zeit, die wir jetzt noch gar nicht festlegen können, die Bank auch nicht, nach Osten zu gehen und dort an dem Um- und Aufbau teilzunehmen. Das war ja für uns ganz wichtig, wir hatten ja drüben niemand. Und die lokalen Leute konnten viele Dinge nicht, da gab es nur ganz, ganz wenige, die einen Überblick hatten in einem Spektrum, das wir eigentlich voraussetzen mussten, um eine neue wirtschaftliche Ordnung im Osten zu schaffen. Und das war diese Aufbruchstimmung, die war phänomenal. Tausende von Mitarbeitern der Deutschen Bank, jede Altersstufe. Ich treffe jetzt ab und zu noch einige, die damals sozusagen in der ersten Generation rübergegangen sind, das sind immer tolle Erinnerungen, die wir dann gemeinsam haben …
Detjen: … verbunden auch mit Enttäuschungen aus heutiger Perspektive?
Kopper: Ja, es gab da auch eine ganze Reihe von Enttäuschungen. Es gab eine Reihe von persönlichen Enttäuschungen oder, lassen Sie es mich so sagen, von emotionalen Enttäuschungen. Es gab auch eine ganze Reihe geschäftspolitische Enttäuschungen. Wir haben auch eine ganze Menge Geld auf der Wahlstatt der östlichen Länder gelassen. Wir haben versucht, uns durch bestimmte Holdings an Unternehmen zu beteiligen, die keine Eigenmittel mehr hatten und drohten in die Pleite abzuwandern, und so weiter, auch beschäftigungspolitische Gründe … Das ist im Allgemeinen nicht gut gegangen. Wir konnten den Zerfall und die Morbidität des Systems nicht aufhalten. Wir haben sie auch bis zum Schluss nicht voll erkannt. Auch die Deutsche Bank gehörte zu denen, die glaubten, dass sie DDR wirtschaftlich stabiler sei, als sie überhaupt war.
Detjen: Die Deutsche Bank nahm zu dieser Zeit schon eine ganz zentrale, überragende Stellung in der westdeutschen Industrie- und Wirtschaftslandschaft ein durch ihre Beteiligungen, durch die Mandate von Bankern, auch Ihnen, in zahllosen Aufsichtsräten der größten deutschen Unternehmen. Das ist das, was man dann so als Deutschland AG beschrieben, aber auch kritisiert hat. Wie sehen Sie das heute?
Kopper: Ja. Als sie die Möglichkeit dazu hatte, hat sie die sofort ergriffen. Ganz kurz rekapitulieren: Diese Deutschland AG ist ja entstanden zum Teil schon im Gefolge der ersten großen Weltwirtschaftskrise Ende der 20er, Anfang der 30er. Zum Beispiel – klassisches Beispiel – die Beteiligung der Deutschen Bank an Daimler war umgewandelte Kredite in Aktienkapital, weil Daimler damals dabei war Pleite zu machen. So wie man immer Firmen rettet, wandelt man dann die Kredite in echtes Risikokapital um, so alt war diese Beteiligung, da hat sich dann immer ein bisschen was verändert. Aber das ist nur ein Beispiel. Und das ging dann nach dem Krieg, als die deutsche Wirtschaft nicht genügend Eigenkapital hatte, dadurch weiter, indem die Banken etwas taten, was sie eigentlich nicht tun sollten: Sie stellten Eigenkapital zur Verfügung. Das ist nicht Aufgabe eines Kreditinstituts. Wir haben uns immer eigentlich dagegen gewehrt, das ist ein Stilbruch. Banken sind dazu da, Fremdkapital zu geben, aber nicht Eigenkapital. Das ist nicht risikoangemessen für eine Bank. Das Geld, das ihnen die Kunden als Einlagen anvertrauen, als Eigenkapital einzusetzen, da stimmt irgendwas in der Risikotransformation nicht mehr. Aber sie haben es machen müssen geradezu, weil die deutsche Wirtschaft so stürmisch wuchs und sie ihre Kunden begleiten wollten, und das führte zu einem Netz von Beteiligung, kreuz und quer, und da gab es ja auch andere Mitspieler, nicht nur die Banken, die großen Versicherungen und, und, und, und. Und dann kam der Zustand, dass wir diese Beteiligung nicht veräußern konnten. Wir wollten das ja gern, wir wollten dieses Geld loslösen und wieder anders im Geschäft einsetzen, aber wir konnten nicht, weil die deutsche Steuergesetzgebung dann 50 Prozent ich sag mal des darauf zu erzielenden Gewinns uns abgenommen hätten. Und das wollten unsere Aktionäre nicht, die wollten nicht das, was sie glaubten, was ihnen zusteht, mit dem Staat teilen. Also haben wir die Finger davongelassen. Bis dann – oh Wunder – ohne jegliches Lobby, ohne alles, eine neue Bundesregierung, von der man es wirklich nicht geglaubt hätte, nämlich die Regierung unter Gerhard Schröder, als eine ihrer ersten Amtshandlungen sagte: Ihr könnt diese Altanteile verkaufen, ohne dass darauf eine Steuer anfällt. Was haben wir gemacht: Wir haben verkauft, sofort! Und haben eigentlich die Deutschland AG in relativ kurzer Zeit aufgelöst und das Geld unseren Aktionären gegeben oder wieder eingesetzt woanders im Geschäft. Das war ein sehr weiser politischer Schritt. Komisch, dass sich andere Parteien, andere Regierungen, bei denen man das eher vermutet hätte, nicht getraut haben!
Detjen: Sie haben das jetzt als eine strukturelle Problematik geschildert: War das nicht auch eine persönliche Überforderung auch für Sie im Amt des Vorstandssprecher der Deutschen Bank, teilweise über 60 Aufsichtsratsmandate bei gigantischen Unternehmen?
Kopper: Ja, aber ja nie zugleich. Sie wissen, schon zu meiner Zeit gab es die Höchstgrenze von zehn, die ich nie erreicht habe. Das war ja immer hinterher.
Detjen: Aber trotzdem die Frage: War man da nicht einfach persönlich … Kann man das überhaupt bewältigen?
Kopper: Wenn Sie solche Beteiligungen hatten, dann war es ja auch selbstverständlich, dass Sie sich a) um sie kümmerten, aber es war auch für die Firmen, an denen sie selbstverständlich ja Repräsentanten ihres Großaktionärs in ihrem Aufsichtsrat haben wollten, sie wollten sich auch mit dem schmücken. Und das kam dadurch zu persönlichen Belastungen, die waren unglaublich. Ich bin sehr froh, dass das alles vorbei ist, das könnte man heute überhaupt nicht mehr tun.
Detjen: Das führte ja auch zur Kritik dann, immer wenn es Schieflagen gab. Klöckner 1992?
Kopper: Ja, das war zu viel Verbindung, und da unterstellte man Netzwerke, alles Mögliche, ja.
Detjen: Hat Sie das belastet damals? Sie haben gesagt …
Kopper: Ja, hat mich sehr belastet. Ich muss Ihnen sagen, diese Aufsichtsratsmandate und kreuz und quer waren eine zusätzliche Belastung, die eigentlich schon damals nicht zulässig gewesen war.
Detjen: Das war auch ein Zeichen der deutschen Political Correctness, die ja hier besonders hochgehalten wird.
Der Betrugsfall Jürgen Schneider, Peanuts als Unwort des Jahres 1994 und die Zukunft
Detjen: Richtig in den Fokus und auch in die Kritik gerückt sind Sie dann 1994, das war die Pleite des Bauunternehmers Schneider. Da ist Ihr Name dann in Verbindung geraten und geblieben mit dem Begriff Peanuts, ein Begriff, den Sie geprägt haben für offen stehende Handwerkerrechnungen in Höhe von 50 Millionen. Ist das ein Begriff, den Sie rückwirkend gerne nicht in den Mund genommen hätten?
Kopper: Nein, nein, nein. Was ich bereue, ist, ein Wort benutzt zu haben, das man in Deutschland offensichtlich nicht kannte und bis heute schlägt keiner im Webster da nach. Peanuts ist eben nicht der Plural von Erdnüssen, hat damit überhaupt nichts zu tun. Peanuts heißt ins Deutsche übersetzt aus dem Amerikanischen ein relativ kleiner Geldbetrag.
Detjen: Aber genau das haben die Leute ja verstanden und haben es Ihnen deswegen übel genommen, weil für die …
Kopper: Nein, nein, nein, nein, sie haben, um Himmels Willen, jetzt hat er es aber mit Erdnüssen verwechselt. Was meinen Sie, wie viel Manschettenknöpfe ich habe in Erdnussform und so, was mir alles geschenkt worden ist.
Detjen: Aber die Leute haben doch sehr genau verstanden, dass Sie da über Beträge gesprochen haben, die für die Betroffenen existenziell waren, und insofern galt dieser Begriff dann als ein Ausdruck der Weltabgehobenheit, der Arroganz von Bankern.
Kopper: Nein, ganz im Gegenteil, es war ein Ausdruck der Bescheidenheit, dass wir, gemessen an der Gesamtsumme, die zur Debatte stand – es war ja, ein Verfahren Schneider war ja nun einer der größten Betrugsfälle der Bundesrepublik Deutschland, es ging um Schädigungen von fünf Milliarden. Wenn wir dann über 50 Millionen rechnen, reden wir von einem ganz kleinen Betrag. Und das war es, es war ein ganz kleiner Betrag. Und die Deutsche Bank wollte nicht das an die große Glocke binden, dass wir den armen Handwerkern geholfen haben, denen sonst keiner half, auch die anderen nicht, die viel mehr Forderungen hatten, aber keiner hat Handwerkern geholfen, nur die Deutsche Bank. Und das habe ich vor lauter selbstverständlicher Bescheidenheit gesagt, es wären halt nur Peanuts – ein relativ kleiner Betrag gemessen an dem allen, was zur Debatte stand. Und so war es denn auch.
Detjen: Aber muss man das nicht als Ausdruck eines gestörten Verhältnisses zwischen Öffentlichkeit und sagen wir mal ganz salopp der Bankenmacht. Ihrem Nachnachfolger Josef Ackermann ist das ja ähnlich gegangen mit seinem Victory-Zeichen vor dem Düsseldorfer Landgericht beim Mannesmann-Prozess. Also gibt es da ein Problem im Verständnis zwischen Mächtigen der Finanzwelt und der Öffentlichkeit?
Kopper: Nein, das glaub ich nicht. Da wird immer was unterstellt. Das Problem, glaube ich, lag hier in diesem Zusammenhang und lag auch im Ackermann-Fall mehr auf der Seite der Rezipienten, wenn Sie das wollen, als bei den Ausübenden. Die waren völlig ahnungslos. Das ist auch ein Zeichen der deutschen Political Correctness, die ja hier besonders hochgehalten wird. Es kommt nicht drauf an, was Sie tun, sondern es kommt drauf an wahrscheinlich hier viel stärker, was Sie sagen oder was Sie zeigen. Das ist eine deutsche Spezialität, damit muss man umgehen. Sie sagen völlig zu Recht, ich wäre viel besser gewesen, wenn ich das nicht gesagt hätte. Ich habe meine Zuhörer überschätzt, das ist bitter bestraft worden.
Detjen: Würden Sie sagen, dass es in Deutschland eine hinreichende Sensibilität für die Bedürfnisse von großen Banken gibt, die natürlich immer wieder in der Kritik stehen, trotzdem sind wir in Deutschland in der Situation, dass wir im internationalen Vergleich ja verhältnismäßig wenig wirklich große Banken haben – die Deutsche Bank ist der letzte wirkliche Global Player in der deutschen Bankenlandschaft.
Kopper: Ich kannte auch kein anderes Industrieland, in dem es eine jahrzehntelange Diskussion über den Begriff Macht der Banken gegeben hätte. Die hat uns ja beschäftigt, in jeder Sommerpause war das das Thema. Ist heute weg. Aber ich weiß auch nicht, warum das gerade in der Bundesrepublik Deutschland so ausgeprägt war, gerade in einem Land, in dem es dieses noch mit am wenigsten gab. Das müssen mal Soziologen, Historiker untersuchen, was da wirklich die Quelle war dieses etwas gestörten Verhältnisses. Es hat seine negativen Auswirkungen gehabt, glaube ich, als eine gewisse Bremse an einer gesunden wirtschaftlichen Entwicklung. Ich glaube, wir hätten manche Dinge gemeinsam anders und vielleicht sogar besser machen können, wenn es nicht diesen Vorbehalt gegeben hätte, der eigentlich bis heute ja immer noch da ist.
Detjen: Was meinen Sie damit konkret? Mehr Banken in der Größe erhalten, wie sie die Deutsche Bank heute ist?
Kopper: Es ist ja heute nun auch durch diese Krise ja fast zu einem Schimpfwort geworden, und es gibt ja wenige, die sich gerne auf den Marktplatz stellen und sagen, ich arbeite in einer Bank. Das tut mir für die Mitarbeiter besonders leid, hier wird eine Art Sippenhaftung ausgelöst. Ich meine, im deutschen Bankgewerbe – direkt, indirekt – arbeiten wahrscheinlich eine Million Menschen. Die alle zu verdammen oder als Oberidioten zu bezeichnen und sonst irgendwas, halte ich für völlig absurd, unangemessen. Natürlich, es gibt wie bei den Bankern wie vielleicht auch bei den Schustern und Bäckern ein paar Gute und ein paar Schlechte, ein paar charaktervoll und ein paar mit etwas weniger Charakter, das ist nicht zu bestreiten.
Detjen: Bräuchte Deutschland mehr große Banken vom Format der Deutschen Bank?
Kopper: Ich glaube ja. Um die deutsche Wirtschaft zu begleiten, adäquat, ihre Bedeutung in der Welt auch umzumünzen auf die Bedeutung deutscher Kreditinstitute in der Welt, da ist nur noch eins übrig geblieben, mit dem wir international Ehre einlegen können, und das ist kein gutes Zeichen.
Detjen: Welchen Anteil schreiben Sie sich selber zu an der Tatsache, dass die Deutsche Bank auch nach der Finanzkrise verhältnismäßig gut dasteht, das letzte wirklich globale deutsche Bankunternehmen ist?
Kopper: Eigentlich gar keinen. Ich muss Ihnen gestehen, darüber habe ich nie nachgedacht, dass ich daran Anteil hätte. Ich war vielleicht nur in dieser ganzen Kette ein Träger, der versucht hat, während seiner Amtszeit eben bestimmte selbst gesteckte Anforderungen nicht verkommen zu lassen und sie weiter hochzuhalten. Das ist das Verantwortungsgefühl für das Risiko, was man übernimmt. Man kann Risiko in diesem Beruf nicht vermeiden, es darf nur nicht mehr sein, als man auch verkraften kann. Das ist die ganze Kunst. Fehler haben wir alle gemacht und werden wir auch immer wieder tun, das ist viel zu leicht im Bankgewerbe – man geht nämlich jeden Tag ein Dutzend Wetten auf die Zukunft ein.
Detjen: Sie sind, Herr Kopper, 1996 aus dem Vorstand der Deutschen Bank ausgeschieden, das war für viele Beobachter damals überraschend. Sie waren gerade 61 Jahre alt. War das ein Ausstieg oder war das eigentlich der Aufstieg ins eigentliche Zentrum der Macht – ist das eigentliche Zentrum der Macht …
Kopper: Das war in der Hauptversammlung 67, da war ich 62, da war ich 20 Jahre im Vorstand, und da habe ich das eingelöst, was ich allen Leuten in der Bank gesagt habe: Mit 62 – das heißt hochgerechnet mit 62 –, also nach 20 Jahren Vorstand höre ich hier auf. Alles länger ist nicht gut für die Bank, wahrscheinlich auch nicht gut für mich. Die Karrengleise werden zu tief, es ist – die anderen sagen – too much of the same, neue Leute müssen ran, es gibt auch eine neue Umwelt, und die müssen etwas Neues gestalten.
Vor allen Dingen, ganz wichtig ist: Sie richten ja irgendwie in einer Pyramide von der Spitze aus den Rest aus. Das heißt, Sie suchen Leute aus, die Leistungsträger und so weiter oder sprechen zumindest ein geziemendes Wort bei deren Auswahl mit, und es dann gut, dass da mal ein Wechsel eintritt, damit nicht immer man versucht, sich selbst zu klonen sozusagen, in dieser Pyramide. Das ist nicht gut für ein Unternehmen, und das wurde Zeit. Außerdem egoistisch habe ich gesagt, wenn du das machst, dann hast du 45 Jahre aktiven Dienst in der Deutschen Bank abgeleistet, du kannst auch mit 62 gehen. Dritte gute Geschichte, hat sich voll erfüllt: Ich wollte mal ein Beispiel setzen, dass man nicht bis zur letzten Sekunde an seinem Sessel hängt, sondern dass man sagen kann, es war ein wunderbares Leben, vielen Dank, ich geh jetzt. Ich hab ja noch fünf Jahre den Aufsichtsrat geleitet, war also nicht so, dass ich nun verschwand von heute auf morgen, aber ich war aus dem operativen Geschäft heraus. Und ich sage rückblickend immer, das war eine der besten Entscheidungen meines Lebens, dies getan zu haben, vor allen Dingen, es auch durchgesetzt zu haben.
Detjen: Einige Mandate haben Sie noch behalten, Herr Kopper, Sie sind heute noch Aufsichtsratsvorsitzender der HSH Nordbank, das ist ein ganz schwieriges Geschäft, da stehen Sie auch in der Mitte einer Krise, stehen politisch in der Kritik, weil Sie sich zuletzt hinter den umstrittenen und angegriffenen Vorstandschef Nonnenmacher gestellt haben. Geht es da noch um Geschäft oder nur noch um Politik?
Kopper: Nein, es geht schon um Geschäft. Ich bin dort hingegangen, um einfach einen Beitrag zu leisten, dass zumindest eine, diese Landesbank wieder auf die Füße kommt. Es sieht auch so aus, als sollten wir das erreichen. Da sind jetzt ein paar andere Dinge in den Vordergrund getreten, mit denen muss ich auch fertig werden, man kann sich das nicht immer aussuchen. Ich stehe auch dazu. Ich habe nur eine Eigenschaft, und die versuche ich mir auch zu bewahren: Ich halte überhaupt nichts von Vorverurteilungen und ich versuche, verantwortungsbewusst zu handeln. Dazu gehört auch, was auch vielen Leuten nicht selbstverständlich ist, eine gewisse Fürsorgepflicht gegenüber denen, die von Ihnen abhängen.
Detjen: Die Landesbanken sind ja insgesamt in der Krise – die geplante Fusion von WestLB und Bayerischer Landesbank ist gerade erst gescheitert. Welche Zukunft haben diese Landesbanken in Deutschland überhaupt noch?
Kopper: Das muss man unterschiedlich beurteilen, wirklich case by case. Es gibt, glaube ich, keine vernünftige, alles zusammenfassende Aussage dazu, das muss man sich sehr genau angucken. Ich glaube, dass einige Landesbanken eigentlich keine Überlebensberechtigung mehr haben. Die Frage ist, wie wickelt man sie schonend ab – schonend für den Geldbeutel des deutschen Steuerzahlers. Das ist eine ganz wichtige Frage, da muss man sensibel herangehen an die Geschichte, das auch sensibel umsetzen. Das wird die Zukunft zeigen. Ein großes Wort in diesem Zusammenhang spricht ja gar nicht mehr Deutschland, sondern kommt aus Brüssel, und da werden wir uns nach vielen Dingen richten müssen, die uns aufoktroyiert werden. Zum Teil auch aus gutem Grunde, weil sich gezeigt hat in der Vergangenheit, dass wir nicht alleine auf nationaler Ebene fähig waren, die Dinge rechtzeitig richtig zu regeln. Wir haben ein wenig mit vielen Vorbehalten versucht, Herr der Lage zu bleiben, das hat nicht immer gereicht.
Detjen: Herr Kopper, Sie haben sich eben sehr bescheiden über Ihre eigenen Wirkungen mit Blick auf die Deutsche Bank geäußert, dennoch gilt, Sie haben diese Bank, Sie haben die deutsche Wirtschaft, die deutsche Industrielandschaft ganz maßgeblich zumindest mit geprägt. Wie hat dieses Berufsleben, diese außerordentliche, teilweise extreme Karriere Sie selbst geprägt?
Kopper: Na ja, sie ist natürlich auch in manchen persönlichen Bereichen mit Opfern verbunden, das ist gar keine Frage. Sie können das alles nicht machen, ohne dass nicht irgendwo ich sag mal auf der anderen Seite des Lebens dann auch ein paar Minuspositionen entstehen. Das ist so, das weiß man aber auch, und damit muss man fertig werden.