Die Künstler der 60er-Jahre besichtigen als erste die Abseite der Konsumgesellschaft, schicken Verdrängtes und Vieldeutiges postwendend an sie zurück, als Kunst. Ein Protagonist der ersten Stunde ist der Aktionskünstler HA Schult.
In den 70er-Jahren etablieren Secondhandmärkte einen neuen Lebensstil - heute das Refugium von Romantikern, Konsumkritikern oder denjenigen, die keine andere Wahl haben. Wortwörtlich schlagartig verwandelt sich Abfall in geldwerte Güter bei der Versteigerung im städtischen Gebrauchtwarenhaus. Im Karussell des Kleidertauschs machen alte Kleider oft neue Leute.
Nicht kreativ, sondern ganz nach Plan betreibt die milliardenschwere Recyclingindustrie im 21. Jahrhundert die Wiederverwertung von allem und jedem. Die Abfallströme sollen zurück, zurück in den Kreislauf. Essbare Sitzbezüge und unendlich wiederverwertbare Fernseher lassen von einem totalen Recyclingkreislauf träumen. Doch welcher Kreislauf?
Dem neuen Mythos vom Kreislauf sind Wissenschaftler bereits auf der Spur. Die 'Lange Nacht' des Recyclings folgt den Dingen auf den Wegen ihrer Verwandlung von Alt zu Neu und wagt einen Blick auf unsere Gesellschaft, von ihrer Abseite aus.
Die Arbeit des Arbeitskreises Recycling e.V.
(AKR) basiert ausschließlich auf Sachspenden. Das gesamte Material stammt aus Sachspenden-Sammlungen der RecyclingBörsen! im Rahmen der (Sperr-) Müllvermeidung und der Weiterverwendung noch guter, gebrauchsfähiger Sachen aller Art aus Haushalten. (Eine Ausnahme sind die mobilen Sammlungen von Elektro-Geräten und deren Vorbereitung zum Recycling, die wir im Auftrag der Städte und Gemeinden des Kreises Herford durchführen).
5. RecyclingDesignpreis 2012
Das Museum der Dinge zeigt vom 6. Juli 2012 bis 3. September 2012 eine Auswahl von den 2012 prämierten Objekten des 5. RecyclingDesignpreis, der vom Arbeitskreis Recycling e.V./ RecyclingBörse! Herford ausgelobt wird:
Werkbundarchiv - Museum der Dinge
Oranienstraße 25
D-10999 Berlin
Das Museum zeigt einen bedeutenden Teil seiner umfangreichen Sammlungen zur Design- und Alltagskultur des 20. Jahrhunderts in einer Schausammlung in der Ästhetik eines "Offenen Depots". Die Sammlungsobjekte sind in Mustersammlungen zusammengestellt und vermitteln zum einen die Grundlagen der polarisierenden Werkbundprogrammatik und zum anderen allgemeine Aspekte der Material-, Form-, Funktions- und Nutzungsgeschichte der Dinge im 20. Jahrhundert und der zeitgenössischen Produktkultur.
Recycling in Kunst und Kultur
Enzensberger: "An Trockenem Asche und Haar, die Schalen Häute Fetzen Scherben Felle, und zwar als Mischung, des Mülls, ferner alles Körnige und Krümelige, was immer da bröckelt bröselt blättert bricht auf eine morsche schwammige splittrige fasernde Weise oder was pudrig kalkig rußig weht, sich ansetzt absetzt und niederlegt. Soviel fürs Erste. Nun kommt der Klecks Fleck Spritzer, seis festgetrocknet oder eingesogen, von Milch Saft Farbe Tinte Harn. Sie bezeichnen die Grenze zur großen Landschaft des Feuchten und Öligen und von dort ist es nicht mehr weit bis ins Nasse und Fette. Da sind nun nennenswert Salbe Paste Schmiere Wachs Schmalz Brei Teig Talg und was immer sonst noch glitscht rutscht knatscht manscht und spratzt. Ferner die Schleime ohne Zahl und Namen aus Eiern Schnecken Pilzen Häuten Quallen Knorpeln Mündern Nüstern Lefzen Tuben Stängeln Drüsen Früchten Nasen und mit ihnen alles was flutscht schlotzt sabbert rinnt trieft und träufelt. Gut. An sie schließt sich an einerseits was klebt haftet und Fäden zieht an Honig Käse Teer Leim Seim Sirup Pech und Firnis, was sich verhärtet verschorft verkrustet erstarrt und zum Grind wird; andererseits was bibbert schwabbelt klatscht an Gallert Sulze Gelee und Geronnenem. Dem fügt sich an was gärt fault säuert schimmelt ranzt stockt oder verwest, es fügt sich an was schmatzt würgt quetscht pupst spuckt und alles Ergebnis solcher Tätigkeit. Schön. Nun folgen die Aufschwemmungen von Schlamm Lehm Sumpf Matsch Schlick und Morast, und dann alles, was wimmelt krabbelt sich windet krümmt und ineinanderschlingt."
Was der Autor Christian Enzensberger in seinem Essay "Ein größerer Versuch über den Schmutz" 1968 in dieser Litanei fein säuberlich aneinander reiht, meint: Abfall und Müll sind eine Zumutung: Ein Durcheinander, schmutzig und verklebt, wo sich Verwesungs- und Verrottungsprozesse breitmachen. Eine metaphorisch aufgeladene, üble Masse, die an einem haften bleibt, wie der Tritt in einen Hundehaufen.
Christian Enzensberger
Größerer Versuch über den Schmutz
Edition Akzente
2011 Hanser
Schmutz als Erfahrung ist das Thema dieses Buches. Jeder macht sie, aber wie ist sie beschaffen? Ist sie anders als früher? Der Größere Versuch über den Schmutz will zeigen, wie der Schmutz der Person dazu verhilft, sich zu definieren; wie Macht und Schmutz sich im gesellschaftlichen Kontext unvermeidlich zusammentun und wie der hygienische Markt die Welt in Schmutz verwandelt. Christian Enzensbergers Essay, ein viel gerühmtes Werk der zeitgenössischen Poesie, endlich wieder in einer Neuausgabe!
Recht nüchtern klingt dagegen, was Susanne Hauser über die moderne Auffassung von Abfall sagt. Die Kultur- und Kunstwissenschaftlerin und Professorin an der Universität der Künste in Berlin hat sich in einem ihrer Bücher mit den 'Metamorphosen des Abfalls' - wie der Titel lautet - beschäftigt.
Hauser: "Abfall entsteht eigentlich immer als Rest aus irgendwelchen Prozessen. Oder er wird überflüssig in irgendwelchen Ordnungen, wo dann bestimmte Dinge, Reste einfach nicht mehr passen. Abfall ist also auf jeden Fall ein relationaler Begriff oder genau das, was dann auf die Abseite der wirklich interessierenden Ordnungen und Prozesse gerät. Abfall ist also am falschen Ort, zur falschen Zeit und genau das, was ausgesondert wird."
Michael Thompson
Theorie des Abfalls
Über die Schaffung und Vernichtung von Werten
Klett-Cotta, 1989
In Freuds Sexualpsychologie liegt für Theodor W. Bardmann der Schlüssel für unsere durchaus gemischten Gefühle für den Abfall.
Bardmann: " Zu diesen körperlich produzierten 'Abfällen' hat der zivilisierte Mitteleuropäer, im wahrsten Sinne des Wortes eine 'merkwürdige' Beziehung. Das prekäre Verhältnis des erwachsenen Zivilisationsmenschen zum Abfall kommt nirgends deutlicher zum Ausdruck als hier. Danach verdecken die sauberen, ordentlichen und verlässlichen Erwachsenen nur ihr Interesse am Unsauberen, Störenden, nicht zum Körper Gehörigen, eine Form der Reaktionsbildung. Säuglinge, die aus der Defäkation einen Lustnebengewinn beziehen und in ihrer Sexualkonstitution die Afterzone erogen betonen, werden von ihrer Umgebung dazu gedrängt, ihre Neigungen und Verhaltensweisen mit Angst zu besetzen. Der Lustnebengewinn aus der Defäkation als einer Komponente ihres Sexualtriebes wird elterlich und soziokulturell unter Strafe gestellt und dadurch von seinen ursprünglichen sexuellen Zielen abgelenkt und auf andere Ziele gewendet. "
Theodor W. Bardmann
'Wenn aus Arbeit Abfall wird'
HA Schult: "Es geht um die Sechziger in München in Schwabing, wo ich eine Strasse mit Müll zugeschüttet habe. (...) Weil, wenn ich aus dem Fenster guckte, fehlte in München der Müll. München ist heute noch die müllfreiste Stadt, die wir in Deutschland haben. Man kann vom Fußboden essen, man kann in dieser Stadt wirklich lange nach Müll suchen. Selbst die Müllkippe in Freimann, die ist heute ein schöner grüner Berg, an dessen Füßen der FC Bayern spielt. Das wollte ich damals ändern. Ich wollte ändern, dass man den Müll unter den Teppich der Verdrängungen kehrt. Denn wenn ich nach New York kam, wenn ich andere Länder kam, dann war der Müll schon deutlich sichtbar. Der Müll der Zeit."
Das sagt HA Schult, deutscher Aktionskünstler der ersten Stunde, der sich seit über vierzig Jahren mit dem Thema Abfall befasst. Bei seiner Kunstaktion 'Situation Schackstraße' inszenierte er den Wohlstandsmüll. Fünf Tonnen Altpapier, umher fliegende Fußmatten und ein weißer Endlostext mit dem Wort 'jetzt' auf dem Asphalt. So die Szenerie Sonntag morgens im Juni 1969 in der Schackstraße. Und HA Schult mittendrin, in lockerer Geste, sonnenbebrillt, rauchend während ein Ordnungshüter bis zu den Knien in Abfallbergen steht und den Fall aufnimmt. Abfall als Material der Kunst, damals noch keine Selbstverständlichkeit, sondern ein provokatives Statement: künstlerisch wie politisch. Und so war es von HA Schult auch gemeint. Als Angriff auf und Fingerzeig für eine Konsumgesellschaft, die versucht ihren Müll einfach über den Tellerrand zu schieben.
Schult: "Oh ja, wenn ich in neue Städte reise, oder wenn ich Paris oder Rom besuche, dann fahre ich zuerst zu den Müllkippen. Denn dort auf den Müll erfahr ich mehr über den Zustand der Zeit, als wenn ich in einem Restaurant mehr oder weniger herumlungere. Denn der Müll sagt die Wahrheit."
Und HA Schults Aktionen sollen diese Wahrheit spürbar machen. Abfall und Müll ist für ihn nicht bloßes Materiallager, sondern er inszeniert Müll wieder als Müll. Wie 1974 in seinen Objektkästen, die er in einer Einzelausstellung in der Kunsthalle zu Kiel präsentierte. Heute, 35 Jahre später, ist dort wieder eine Ausstellung mit Kunst aus Abfall zu sehen unter dem Titel: From trash to treasure. Werke von Joseph Beuys über Dieter Roth bis Tony Cragg werden gezeigt. Auch einer von HA Schults Müllkästen ist dabei. In den von der Kuratorin Anette Hüsch ausgewählten Werken kommt Müll und Abfall fast durchgängig recht aufgeräumt und zivilisiert daher. Für HA Schult ein Abbild seiner gesellschaftlichen Wahrnehmung heute.
Trash People
Projekt von HA Schult in der Arktis
Der Plattenspieler nennt der Künstler Alexander Laner sein Werk. Schmunzelnd reibt er sich die ölverschmierten Hände, steht zufrieden in seinem Atelier, dem umgebauten Gewächshaus am Rande eines kleinen Vororts von München. Gleich dahinter nur noch Felder, auf dem idyllischen Gelände schlägt ein Pfau sein Rad. 'Der Plattenspieler' jetzt also wieder in Stand gesetzt, vom Gestell gehievt, hier etwas geschweißt, die Batterie vom Traktor draußen eingebaut und Benzin nachgefüllt. Was als krasser Gegensatz von Musik und Maschine scheinen mag, verbindet sich für den Künstler ganz selbstverständlich zu einer Einheit.
Laner: "Zum einen entsteht die neue Harmonie für viele Leute und auch für mich daraus, dass der Klang von Motoren, diese technische Meisterleistung, die ja so ein Motor ist und ein Taktgeber. Jeder Motor (...), gibt ja mit den Zylindern einen gewissen Takt vor und es ist ein rhythmisches Instrument. Insofern ergänzen sich die beiden Komponenten sehr schön. Zum einen eben das Klavierkonzert Nummer zwei von Chopin, das ich deswegen ausgewählt hab, weil es gut dagegen ankommt. Wenn man da jetzt Streicher zum Beispiel nimmt, die gehen natürlich unter im Sumpf."
Recycling als soziale Nische und als Lebensstil
Flaschensammler
"Nur als Hobby und weil i Zeit hab. Weil ich Rentner bin. Und a bisserl, a bisserl a Geld kommt auch zamm. Aber ich nehm keinem die Flaschen weg. Wenns einer notwendiger braucht wie ich, dann soll ers auch haben."
Wenn das schmale Monatsbudget der Rente oder Sozialbezüge nur für das Nötigste reichen, ist der Griff in den Mülleimer ein Weg, sich Extrawünsche zu erfüllen: Mehr Geschenke für die Enkel oder sich weiterhin die Zigaretten finanzieren zu können. Das sind die bescheidenen Ziele. Doch nicht nur Zubrot ist das Sammeln. Handfeste Notwendigkeit ist es für manche Obdachlose, die mit klirrenden Einkaufswagen voller Glasflaschen ihr Kapital vor sich herschieben. Lohnend ist das Pfandflaschengeschäft nur für diejenigen, die Zeit im Übermaß haben. Denn der Aufwand ist groß, der Verdienst eher spärlich.
"O mei, des ist ganz verschieden. Manchmal hab ich 2 Eur oder 3 Eur. Recht viel mehr net. Wenns ganz viel sann, da schauns her, da muss i zwei Tüten voll haben, bis ich 3 Eur hab. Des sann ja lauter Bierflaschen da, da kriegst ja bloß 8 Cent. Und die nehmen die meisten sowieso net mit. Die wolln nur die Plastikflaschn. Außer die paar alten Frauen da, die da mitm Wagerl umernand fahren. Die sann a bissel. Die gfallln ma net recht. Ich glaub es nicht, dass die das nötig ham. Aber ich weiß es auch nicht, ich schätze das halt."
Argwöhnisch mutmaßt man über die Motive der anderen Sammler: Not oder Gier? Nimmt einer, was kommt, nach der Devise 'Wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Talers nicht wert'. Oder versucht er nur den Rahm der besonders ertragreichen Plastikpfandflaschen abzuschöpfen. Was an Pfandmaterial auf bundesdeutschen Straßen zu finden ist, hat sich seit dem Jahr 2003 schlagartig geändert. Mit dem Einmalpfand landen dort nun nicht mehr nur die Mehrwegflaschen, sondern auch Dosen und Einwegflaschen aus Plastik. Die ökonomische Nische, in der sich die Sammler aufhalten, nennt sich im Fachjargon 'Pfandschlupf'. Dieses Eckchen des Pfandschlupfs liegt zwischen Getränkemarkt und Konsument. Der Profit des Sammlers ist das Geld, was der Kunde an der Supermarktkasse zwar als Pfand hinterlegt, selbst aber nie einlöst. Ein Viertel aller Pfandbeträge wandern so in die Taschen der Händler. Und um solche Beträge lohnt es sich zu konkurrieren.
Lumpensammler
Sie heißen Aasfresser, scavengers. Und sie füllen nicht nur die Lücke des klassischen Lumpensammlers. Sie machen viel mehr. Einsame Herumtreiber durchforsten den Stadtmüll. Andere übernehmen, gut organisiert, die Arbeit der städtischen Müllabfuhr. Nicht selten sind ihre Zwischenhändler, die Patrones, in illegale Machenschaften verstrickt. In den Sortieranlagen der Welt stehen die Müllmenschen am Band. Und viele arbeiten und leben direkt auf den Müllkippen, sammeln nicht nur, sondern sind in Personalunion auch Verwender und Verwerter dessen, was sie aus der stinkenden, oft gefährlichen Masse ziehen. Angehäuft vom Konsummüll derer, die neben ihren Resten auch diejenigen, die damit zu tun haben, durch den Rost fallen lassen.
Hauser: "Also, etwas zum zweiten Mal zu verwenden, ist nach wie vor noch eine Sache, die nicht alle Menschen lieben. Oder zu wissen, dass sie eine Sache oder einen Stoff zum zweiten Mal verwenden, wissen also noch nicht alle wirklich richtig zu schätzen."
So vorsichtig formuliert die Kunst- und Kulturwissenschaftlerin Susanne Hauser den eher mauen Ruf, der Second Hand Dingen auch heutzutage bisweilen vorauseilt. Second Hand, 'aus zweiter Hand' meint das Wiederverwenden, das Weitergeben. Lange waren die Orte dafür informelle Märkte. Heute sind die Orte dieser Art des Recyclings Flohmärkte, Internetmärkte, Trödelhändler, Second Hand Läden, Tauschzirkel und Gebrauchtwarenhäuser. In den Augen mancher tragen diese, ob sie wollen oder nicht, die speckigen Kleider der Lumpensammler auf. Denn der Second Hand Markt bleibt in den Augen vieler eben nur zweitklassig, die Rückseite der Langspielplatte, sozusagen die B-Seite des Lebens der Dinge. Aber auch dafür müssen die Dinge aus dem Abfall erst einmal aufpoliert werden. An der Verwandlung der Dinge von Abfall in Wertvolles arbeiten hier Händler wie Kunden.
So manche Argumente für das moderne Recycling gibt es erst seit den Siebziger Jahren. Nach ihrem kometenhaften Aufstieg zu Konsumnationen stockt die Fortschrittseuphorie der westeuropäischen Gesellschaften urplötzlich 1972. In "Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit" zeichnen Dennis Meadows und seine Mitstreiter ein schwarzes Bild von der Zukunft des Planeten Erde.
Meadows: "Wenn die gegenwärtige Zunahme der Weltbevölkerung, der Industrialisierung, der Umweltverschmutzung, der Nahrungsmittelproduktion und der Ausbeutung von natürlichen Rohstoffen unverändert anhält, werden die absoluten Wachstumsgrenzen auf der Erde im Laufe der nächsten hundert Jahre erreicht.(Meadows 1972:17) Es zeigt sich nun, dass diese Schwierigkeiten letztlich eine gemeinsame, recht banale Ursache haben: unsere Erde ist nicht unendlich. Je mehr sich die menschliche Aktivität den Grenzen der irdischen Kapazität nähert, um so sichtbarer und unlösbarer werden die Schwierigkeiten."
Grenzen des Wachstums
Das 30-Jahre-Update
von Meadows, Donella H.; Randers, Jørgen; Meadows, Dennis;
Signal zum Kurswechsel. Übersetzung: Held, Andreas
2011 Hirzel, Stuttgart
Die Menschheit kann mehrere Entwicklungswege wählen - bereits 1972 und 1992 haben die Autoren der Grenzen des Wachstums solche Möglichkeiten beschrieben. Dabei setzten sie das systemische Denken in Zukunftsszenarien um.
Ihre Ergebnisse riefen schon damals zum Handeln auf, denn wir verlangen seit den späten 70er-Jahren der Erde so viel ab, dass ihre Tragfähigkeit überschritten ist. In den Szenarien des 30-Jahre-Update mit aktuellen Daten wird deutlich, dass wir den großen Kurswechsel dringend brauchen - eine Wende zur Nachhaltigkeit mit drastischen materiellen und strukturellen Veränderungen.
Die Menschheit kann mehrere Entwicklungswege wählen bereits 1972 und 1992 haben die Autoren der Grenzen des Wachstums solche Möglichkeiten beschrieben. Dabei setzten sie das systemische Denken in Zukunftsszenarien um.
Ihre Ergebnisse riefen schon damals zum Handeln auf, denn wir verlangen seit den späten 70er-Jahren der Erde so viel ab, dass ihre Tragfähigkeit überschritten ist. In den Szenarien des 30-Jahre-Update mit aktuellen Daten wird deutlich, dass wir den großen Kurswechsel dringend brauchen eine Wende zur Nachhaltigkeit mit drastischen materiellen und strukturellen Veränderungen.
Wir können diesen Weg gehen, aber wir müssen es wollen!
Kleidertausch
Wer sich zu Zeiten eines schier unendlichen Angebots von Waren aus aller Welt noch Zeit und Muße nimmt, um aus den Bergen von Unbrauchbarem, das herauszusuchen, was er möchte, der muss seine Gründe haben. Keine einheitliche Gegenkultur ebnet ihm heute mehr den Weg zum Wiederverwenden. Jeder muss sich schon seinen eigenen Reim auf die Abfalldinge machen. Angetrieben von archaischen Gefühlen, eher nüchternen Erwägungen oder gar politischem Pathos: So ziehen die Menschen unterschiedlichster Couleur los, um die Second Hand Märkte zu erobern. Recycling aus Armut oder als nostalgische Veranstaltung, Recycling als Schnäppchenjagd oder zur Selbstverwirklichung oder als Konsumkritik. Ein Kaleidoskop.
Recycling notgedrungen
"Ich bin schwerbehindert und hab a kleine Rente. Ich bin froh, wenn ich hier was find. Weil fürs Kaufen, wo solls Geld herkommen. Und da ist das a super Idee. Und wenn was für mich da ist, dann würd ichs mitnehmen. Da würd ich mich nicht schämen."
Kleider machen Leute und wer sie sich neu nicht leisten kann, muss sie eben aus zweiter Hand annehmen. Nicht viele geben so offenherzig Auskunft wie der sympathische ältere Herr, der bei einem Kleidertausch mitarbeitet. Er lässt seinen Blick nach Brauchbarem schweifen. Kleidung ist die Visitenkarte, um in der Konsumgesellschaft die eigene Menschenwürde zumindest äußerlich noch zu wahren. Und so müssen arme Menschen das tun, was in Nachkriegszeiten gang und gäbe war: Die Sachen irgendwo günstig auftreiben, auftragen, abändern, umfunktionieren. Manchmal können sie sich über gute Dinge freuen, oft müssen sie fast schon Wertlosen noch Wert zusprechen, sich die Dinge sozusagen schönreden. Recycling, Mangel an Alternativen und kein Wunschkonzert. Wer die Kleidung abgibt, gilt als edler Spender, der Empfänger steht da deutlich eine Stufe tiefer. Recycling auch ein Weg der Umverteilung vom sozialen Oben nach Unten.
Recycling als Mainstream und Weltrettung
Abfallwirtschaft
Seit Ende der Neunziger Jahre entspringen sie in der Stadt München drei Tonnen auf dem Hof: Restmüll, Papier und Bioabfälle.
" Schmid: "Neben Restmüll, das sind rund 310.000 Tonnen in München pro Jahr, ist die größte Einzelfraktion Papier. Altpapier sammeln wir etwas über 100.000 Tonnen pro Jahr und bringen das zu Sortieranlagen, die in München stationiert sind und von dort geht es dann überwiegend in bayerische Papierfabriken. ... Das Zweite, was wir einsammeln separat, ist Bioabfall. Da hatten wir im letzten Jahr rund 42.000 Tonnen. Die werden zur Hälfte in unserer Vergärungsanlage am Entsorgungspark Freimann weiterverarbeitet, dort vergoren, Energie erzeugt und nach der Vergärung dann nachkompostiert. Und weiter verarbeitet zu Blumenerde." "
Das sagt Helmut Schmid, zweiter Werksleiter des Abfallwirtschaftsbetriebs München. Seit zehn Jahren kümmert er sich um die Abseite der Weltstadt mit Herz. Das Kreislaufwirtschafts- und Abfallbeseitigungsgesetz und die Europäische Abfallrahmenrichtlinie sind sein Logbuch. Und sie schicken die Abfallströme über eine ganze Kaskade: Was nicht zu vermeiden ist, soll man wiederverwenden. Was nicht zu verwenden ist, wird verwertet. Doch das Verwerten ist eine Chimäre: Stofflich oder thermisch ist die Frage. Stofflich wird aus Scherben wieder Glas, thermisch aber löst sich das Material ganz auf in pure Energie: Es wird verbrannt. Im virtuellen Lexikon im Kopf müsste unter Recycling also 'stoffliche Verwertung' stehen. Auch der Abfallbürger ist im Regelwerk mit drin. Er muss sortieren.
Duales System
Klaus Thielmann, vom weltumspannenden Recyclingkonzern Remondis, zuständig für den Abfall der Dualen Systeme im Raum München, erzählt die Geschichte so:
"Der Herr Töpfer hat sich damals was ganz Intelligentes, im Grunde genommen, überlegt. Wir hatten Deponienotstand damals. Niemand wusste, wohin mit den Materialien und die Verbrennungskapazitäten gabs damals noch nicht und da kam Herr Töpfer auf die Idee, eben diejenigen, die die Verpackung in Umlauf bringen, in die Verantwortung zu nehmen. So stehts heute auch noch grob in Zügen in der Verpackungsverordnung. Grundsätzlich müssen die Inverkehrbringer ihre Verpackungen zurücknehmen. Es sei denn, es sei denn, es gibt ein flächendeckendes System. Und das war die Grundlage des Dualen Systems damals. Und man hat ein flächendeckendes System geschaffen und hat die Aufgabe sozusagen an ein Duales System delegiert (...) und damit die Rücknahme der Verpackungen organisiert. Und seit 2003 gibt es mehrere duale Systeme, am Anfang nur zwei, drei duale Systeme. Inzwischen sind's doch nun 10 demnächst."
Sammeln
Sammeln fürs Recycling, diese Maxime setzte sich in den Köpfen fest und wirkte weiter. Heute ist das Müllsortieren in eine ganz andere Weltsicht eingebunden. Das zumindest meint der Gesellschaftssoziologe Ulrich Beck. Abfallsortieren ist für ihn - wie alle ökologischen Fragen - zu einem neuen Moralmilieu geworden, wo entschieden wird über Gut und Böse und über die Rettung der Erde:
"Jeder muss heute durch Müllsortieren als kleiner Großhandelnder die Gesamtrettungsaktion der Erde, der Menschheit mitleisten. Es wird eine Totalverantwortlichkeit hergestellt, die keinen Schlupfwinkel mehr zulässt (146) Kennt der Verteidigungskonsens noch so etwas wie Wehrdienstverweigerung, scheint 'Ökologiedienstverweigerung' nicht mehr in Frage zu kommen. Hier müssen Junge wie Alte, Krüppel wie Regierende, Befehlende, in erster Linie aber Frauen 'Hand anlegen', im täglichen Abwehrkampf sich bewähren."
Der Schutzschirm, der das alles moralisch überwölbt, hat einen Namen. Nachhaltigkeit lautet das Stichwort für Recycling als Gewissensfrage. Was sich vorher Umweltschutz, Ressourcensparen und Energiesparen nannte, steht heute auf dem großen Plan der Nachhaltigkeit. Anfang des 18. Jahrhunderts sollte eine 'continuierlich beständige und nachhaltende Nutzung' bei Hans Carl von Carlowitz noch die Wälder retten, in den 'Grenzen des Wachstums' von Dennis L. Meadows ist es schon die ganze Welt. Auf eine 'nachhaltige Entwicklung' setzen die Experten, die 1980 die 'Weltnaturschutzstrategie' auf den Weg bringen. Für das Überleben der Erde sollen drei Bereiche in Eines gehen: Soziales, Ökologisches und Ökonomisches. Oder wie es die Regierung Südafrikas 2002 auf dem Weltgipfel für Nachhaltige Entwicklung in Johannesburg proklamiert: People - Planet - Prosperty.
Und Recycling ist ein möglicher Weg zur Nachhaltigkeit. 2005 ruft die Europäische Union die 'Recyclinggesellschaft' unter diesem Stern zu ihrem Leitbild aus. Mit Kreislaufwirtschaft geht es darum, die ökologische Nachhaltigkeit mit einem Ruck in den Lebensalltag der Menschen zu befördern. Der griffige Slogan für die Jüngsten lautet drei Mal R: Reduce, Reuse, Recycle. So ist es in der Broschüre 'Being wise with waste' zu lesen. Die drei Rs besingt auch der Popstar Jack Johnson in den Kindergärten seiner Heimat Hawaii und trägt die Botschaft so hinaus in alle Welt.
Engelbert Schramm
Engelbert Schramm wollte ganz genau wissen, was es mit dem Kreislauf auf sich hat. Der Umweltwissenschaftler ist Mitbegründer des Instituts für sozial-ökologische Forschung in Frankfurt am Main. In den Neunziger Jahren hat er sich intensiv mit der Ideengeschichte der Kreislaufmodelle beschäftigt. "Im Namen des Kreislaufs" heißt sein Buch. Mit dem Kreislauf sind heute gemeinhin erst einmal positive Assoziationen verbunden.
Schramm:"Die Eigenschaften des Kreislaufs sind zunächst, dass er die Grundlagen allen Lebens darstellen soll und auf der anderen Seite, dass er von einer Perfektion ist, dass immer wieder alles im Kreis zurückgeht und immer weiter geht. Das ist die Grundidee dieses Kreislaufgedankens."
Und das Ideal eines jeden Recyclings. Doch für die Kreislaufvorstellungen des Recyclings gibt es viele Kandidaten. Bei einem schwingen Mensch und Natur im selben Rhythmus in einem Weltenkreis. Beim zweiten geht die Natur in einem anderen Takt als die Maschinen der Zivilisation. Beim Dritten gilt die Natur als Mutter Erde und soll den Ton angeben für eine aus dem Tritt geratene Welt der Technik. Und schließlich gibt es einen, bei dem Natur und Wirtschaft ganz gut zusammengehen. Die Vielfalt an Ideen ist verwirrend.
Schramm: "Die Geschichte ist mittlerweile 2500 Jahre alt und sehr kompliziert eigentlich. Sie geht von den Vorsokratikern, über Platon und Aristoteles dann zu den Alchemisten und dann in die modernen Naturwissenschaften auf der einen Seite und dann auf der anderen Seite aber auch in die Ökonomie beispielsweise, den Geldkreislauf. Und diese komplizierte Lage führt dazu, dass der Kreislaufgedanke nie ganz vollständig wissenschaftlich exakt entwickelt worden ist, sondern immer noch Eierschalen älterer Gedanken mit sich trägt und in sich hat."
Prof. Dr. Michael Braungart, Gründer und Leiter von EPEA Internationale Umweltforschung GmbH. Michael Braungart hat das Cradle to Cradle(r)-Design-Konzept maßgeblich entwickelt, er ist Querdenker, Mit- und Vordenker und sucht nach Lösungen für die drängendsten Fragen dieser Erde: Wie kann der Mensch sich in das Leben auf der Erde wirklich integrieren? Wie kann er nicht nur wenig Schaden anrichten, sondern wie kann er nützlich sein?
Braungart: "Mir geht es darum, dass wir 30 Jahre Weltuntergangsdiskussion in Qualität umsetzen können. Wir können Produkte machen, die viel, viel schöner sind, die viel viel bessere Qualität haben, die umfassend schön sind. Wenn uns das gelingt, dann ist mir überhaupt nicht bange, dass wir wirklich auch für 10 oder 12 Milliarden Menschen auf der Erde menschenwürdiges Leben schaffen. Also eben nicht Nachhaltigkeit, sondern Innovation, Qualität, Schönheit. Eben diese ganze blame and shame Weltuntergangsdiskussion jetzt in Qualität umsetzen."
Das Wissen dazu hat der promovierte Chemiker und Verfahrenstechniker, der selbst als Umweltaktivist bei Greenpeace begann. Heute hat er mehrere Professuren in den Niederlanden, Deutschland und den Vereinigten Staaten, der Heimat des Mitbegründers der Idee, der US-amerikanische Architekt William McDonough. Michael Braungart hat ein Forschungsinstitut, die Environmental Protection Encouragement Agency, kurz EPEA in Hamburg. Dort verwandelt er seine Ideen in Produkte. Erfunden hat er dabei unter anderem schon essbare Sitzbezüge, kompostierbare T-Shirts oder völlig ungiftige Teppichböden. Beim Recycling hierzulande läuft für Michael Braungart einiges falsch:
"Mit dem Recycling wie es im Moment betrieben wird, handelt es sich eher um ein Downcycling. Das heißt, es werden die Produkte nicht in der gleichen Qualität zurückgewonnen. Bei Papier zum Beispiel sind die Druckfarben, die Papierfarben überhaupt nicht für Recycling gemacht. Es werden nur Fasern zurückgewonnen und der größere Teil wird im Prinzip verbrannt oder abgelagert. Oder die Leute machen die falschen Dinge, die sie recyceln. Wie zum Beispiel PVC Fußbodenbeläge oder Fenster. Damit machen sie ein giftiges Material nur so, dass sie es wieder neu giftig einsetzen. Und dadurch hat man nichts gewonnen, sondern man hat nur das Gift wieder woanders hingebracht."
In den 70er-Jahren etablieren Secondhandmärkte einen neuen Lebensstil - heute das Refugium von Romantikern, Konsumkritikern oder denjenigen, die keine andere Wahl haben. Wortwörtlich schlagartig verwandelt sich Abfall in geldwerte Güter bei der Versteigerung im städtischen Gebrauchtwarenhaus. Im Karussell des Kleidertauschs machen alte Kleider oft neue Leute.
Nicht kreativ, sondern ganz nach Plan betreibt die milliardenschwere Recyclingindustrie im 21. Jahrhundert die Wiederverwertung von allem und jedem. Die Abfallströme sollen zurück, zurück in den Kreislauf. Essbare Sitzbezüge und unendlich wiederverwertbare Fernseher lassen von einem totalen Recyclingkreislauf träumen. Doch welcher Kreislauf?
Dem neuen Mythos vom Kreislauf sind Wissenschaftler bereits auf der Spur. Die 'Lange Nacht' des Recyclings folgt den Dingen auf den Wegen ihrer Verwandlung von Alt zu Neu und wagt einen Blick auf unsere Gesellschaft, von ihrer Abseite aus.
Die Arbeit des Arbeitskreises Recycling e.V.
(AKR) basiert ausschließlich auf Sachspenden. Das gesamte Material stammt aus Sachspenden-Sammlungen der RecyclingBörsen! im Rahmen der (Sperr-) Müllvermeidung und der Weiterverwendung noch guter, gebrauchsfähiger Sachen aller Art aus Haushalten. (Eine Ausnahme sind die mobilen Sammlungen von Elektro-Geräten und deren Vorbereitung zum Recycling, die wir im Auftrag der Städte und Gemeinden des Kreises Herford durchführen).
5. RecyclingDesignpreis 2012
Das Museum der Dinge zeigt vom 6. Juli 2012 bis 3. September 2012 eine Auswahl von den 2012 prämierten Objekten des 5. RecyclingDesignpreis, der vom Arbeitskreis Recycling e.V./ RecyclingBörse! Herford ausgelobt wird:
Werkbundarchiv - Museum der Dinge
Oranienstraße 25
D-10999 Berlin
Das Museum zeigt einen bedeutenden Teil seiner umfangreichen Sammlungen zur Design- und Alltagskultur des 20. Jahrhunderts in einer Schausammlung in der Ästhetik eines "Offenen Depots". Die Sammlungsobjekte sind in Mustersammlungen zusammengestellt und vermitteln zum einen die Grundlagen der polarisierenden Werkbundprogrammatik und zum anderen allgemeine Aspekte der Material-, Form-, Funktions- und Nutzungsgeschichte der Dinge im 20. Jahrhundert und der zeitgenössischen Produktkultur.
Recycling in Kunst und Kultur
Enzensberger: "An Trockenem Asche und Haar, die Schalen Häute Fetzen Scherben Felle, und zwar als Mischung, des Mülls, ferner alles Körnige und Krümelige, was immer da bröckelt bröselt blättert bricht auf eine morsche schwammige splittrige fasernde Weise oder was pudrig kalkig rußig weht, sich ansetzt absetzt und niederlegt. Soviel fürs Erste. Nun kommt der Klecks Fleck Spritzer, seis festgetrocknet oder eingesogen, von Milch Saft Farbe Tinte Harn. Sie bezeichnen die Grenze zur großen Landschaft des Feuchten und Öligen und von dort ist es nicht mehr weit bis ins Nasse und Fette. Da sind nun nennenswert Salbe Paste Schmiere Wachs Schmalz Brei Teig Talg und was immer sonst noch glitscht rutscht knatscht manscht und spratzt. Ferner die Schleime ohne Zahl und Namen aus Eiern Schnecken Pilzen Häuten Quallen Knorpeln Mündern Nüstern Lefzen Tuben Stängeln Drüsen Früchten Nasen und mit ihnen alles was flutscht schlotzt sabbert rinnt trieft und träufelt. Gut. An sie schließt sich an einerseits was klebt haftet und Fäden zieht an Honig Käse Teer Leim Seim Sirup Pech und Firnis, was sich verhärtet verschorft verkrustet erstarrt und zum Grind wird; andererseits was bibbert schwabbelt klatscht an Gallert Sulze Gelee und Geronnenem. Dem fügt sich an was gärt fault säuert schimmelt ranzt stockt oder verwest, es fügt sich an was schmatzt würgt quetscht pupst spuckt und alles Ergebnis solcher Tätigkeit. Schön. Nun folgen die Aufschwemmungen von Schlamm Lehm Sumpf Matsch Schlick und Morast, und dann alles, was wimmelt krabbelt sich windet krümmt und ineinanderschlingt."
Was der Autor Christian Enzensberger in seinem Essay "Ein größerer Versuch über den Schmutz" 1968 in dieser Litanei fein säuberlich aneinander reiht, meint: Abfall und Müll sind eine Zumutung: Ein Durcheinander, schmutzig und verklebt, wo sich Verwesungs- und Verrottungsprozesse breitmachen. Eine metaphorisch aufgeladene, üble Masse, die an einem haften bleibt, wie der Tritt in einen Hundehaufen.
Christian Enzensberger
Größerer Versuch über den Schmutz
Edition Akzente
2011 Hanser
Schmutz als Erfahrung ist das Thema dieses Buches. Jeder macht sie, aber wie ist sie beschaffen? Ist sie anders als früher? Der Größere Versuch über den Schmutz will zeigen, wie der Schmutz der Person dazu verhilft, sich zu definieren; wie Macht und Schmutz sich im gesellschaftlichen Kontext unvermeidlich zusammentun und wie der hygienische Markt die Welt in Schmutz verwandelt. Christian Enzensbergers Essay, ein viel gerühmtes Werk der zeitgenössischen Poesie, endlich wieder in einer Neuausgabe!
Recht nüchtern klingt dagegen, was Susanne Hauser über die moderne Auffassung von Abfall sagt. Die Kultur- und Kunstwissenschaftlerin und Professorin an der Universität der Künste in Berlin hat sich in einem ihrer Bücher mit den 'Metamorphosen des Abfalls' - wie der Titel lautet - beschäftigt.
Hauser: "Abfall entsteht eigentlich immer als Rest aus irgendwelchen Prozessen. Oder er wird überflüssig in irgendwelchen Ordnungen, wo dann bestimmte Dinge, Reste einfach nicht mehr passen. Abfall ist also auf jeden Fall ein relationaler Begriff oder genau das, was dann auf die Abseite der wirklich interessierenden Ordnungen und Prozesse gerät. Abfall ist also am falschen Ort, zur falschen Zeit und genau das, was ausgesondert wird."
Michael Thompson
Theorie des Abfalls
Über die Schaffung und Vernichtung von Werten
Klett-Cotta, 1989
In Freuds Sexualpsychologie liegt für Theodor W. Bardmann der Schlüssel für unsere durchaus gemischten Gefühle für den Abfall.
Bardmann: " Zu diesen körperlich produzierten 'Abfällen' hat der zivilisierte Mitteleuropäer, im wahrsten Sinne des Wortes eine 'merkwürdige' Beziehung. Das prekäre Verhältnis des erwachsenen Zivilisationsmenschen zum Abfall kommt nirgends deutlicher zum Ausdruck als hier. Danach verdecken die sauberen, ordentlichen und verlässlichen Erwachsenen nur ihr Interesse am Unsauberen, Störenden, nicht zum Körper Gehörigen, eine Form der Reaktionsbildung. Säuglinge, die aus der Defäkation einen Lustnebengewinn beziehen und in ihrer Sexualkonstitution die Afterzone erogen betonen, werden von ihrer Umgebung dazu gedrängt, ihre Neigungen und Verhaltensweisen mit Angst zu besetzen. Der Lustnebengewinn aus der Defäkation als einer Komponente ihres Sexualtriebes wird elterlich und soziokulturell unter Strafe gestellt und dadurch von seinen ursprünglichen sexuellen Zielen abgelenkt und auf andere Ziele gewendet. "
Theodor W. Bardmann
'Wenn aus Arbeit Abfall wird'
HA Schult: "Es geht um die Sechziger in München in Schwabing, wo ich eine Strasse mit Müll zugeschüttet habe. (...) Weil, wenn ich aus dem Fenster guckte, fehlte in München der Müll. München ist heute noch die müllfreiste Stadt, die wir in Deutschland haben. Man kann vom Fußboden essen, man kann in dieser Stadt wirklich lange nach Müll suchen. Selbst die Müllkippe in Freimann, die ist heute ein schöner grüner Berg, an dessen Füßen der FC Bayern spielt. Das wollte ich damals ändern. Ich wollte ändern, dass man den Müll unter den Teppich der Verdrängungen kehrt. Denn wenn ich nach New York kam, wenn ich andere Länder kam, dann war der Müll schon deutlich sichtbar. Der Müll der Zeit."
Das sagt HA Schult, deutscher Aktionskünstler der ersten Stunde, der sich seit über vierzig Jahren mit dem Thema Abfall befasst. Bei seiner Kunstaktion 'Situation Schackstraße' inszenierte er den Wohlstandsmüll. Fünf Tonnen Altpapier, umher fliegende Fußmatten und ein weißer Endlostext mit dem Wort 'jetzt' auf dem Asphalt. So die Szenerie Sonntag morgens im Juni 1969 in der Schackstraße. Und HA Schult mittendrin, in lockerer Geste, sonnenbebrillt, rauchend während ein Ordnungshüter bis zu den Knien in Abfallbergen steht und den Fall aufnimmt. Abfall als Material der Kunst, damals noch keine Selbstverständlichkeit, sondern ein provokatives Statement: künstlerisch wie politisch. Und so war es von HA Schult auch gemeint. Als Angriff auf und Fingerzeig für eine Konsumgesellschaft, die versucht ihren Müll einfach über den Tellerrand zu schieben.
Schult: "Oh ja, wenn ich in neue Städte reise, oder wenn ich Paris oder Rom besuche, dann fahre ich zuerst zu den Müllkippen. Denn dort auf den Müll erfahr ich mehr über den Zustand der Zeit, als wenn ich in einem Restaurant mehr oder weniger herumlungere. Denn der Müll sagt die Wahrheit."
Und HA Schults Aktionen sollen diese Wahrheit spürbar machen. Abfall und Müll ist für ihn nicht bloßes Materiallager, sondern er inszeniert Müll wieder als Müll. Wie 1974 in seinen Objektkästen, die er in einer Einzelausstellung in der Kunsthalle zu Kiel präsentierte. Heute, 35 Jahre später, ist dort wieder eine Ausstellung mit Kunst aus Abfall zu sehen unter dem Titel: From trash to treasure. Werke von Joseph Beuys über Dieter Roth bis Tony Cragg werden gezeigt. Auch einer von HA Schults Müllkästen ist dabei. In den von der Kuratorin Anette Hüsch ausgewählten Werken kommt Müll und Abfall fast durchgängig recht aufgeräumt und zivilisiert daher. Für HA Schult ein Abbild seiner gesellschaftlichen Wahrnehmung heute.
Trash People
Projekt von HA Schult in der Arktis
Der Plattenspieler nennt der Künstler Alexander Laner sein Werk. Schmunzelnd reibt er sich die ölverschmierten Hände, steht zufrieden in seinem Atelier, dem umgebauten Gewächshaus am Rande eines kleinen Vororts von München. Gleich dahinter nur noch Felder, auf dem idyllischen Gelände schlägt ein Pfau sein Rad. 'Der Plattenspieler' jetzt also wieder in Stand gesetzt, vom Gestell gehievt, hier etwas geschweißt, die Batterie vom Traktor draußen eingebaut und Benzin nachgefüllt. Was als krasser Gegensatz von Musik und Maschine scheinen mag, verbindet sich für den Künstler ganz selbstverständlich zu einer Einheit.
Laner: "Zum einen entsteht die neue Harmonie für viele Leute und auch für mich daraus, dass der Klang von Motoren, diese technische Meisterleistung, die ja so ein Motor ist und ein Taktgeber. Jeder Motor (...), gibt ja mit den Zylindern einen gewissen Takt vor und es ist ein rhythmisches Instrument. Insofern ergänzen sich die beiden Komponenten sehr schön. Zum einen eben das Klavierkonzert Nummer zwei von Chopin, das ich deswegen ausgewählt hab, weil es gut dagegen ankommt. Wenn man da jetzt Streicher zum Beispiel nimmt, die gehen natürlich unter im Sumpf."
Recycling als soziale Nische und als Lebensstil
Flaschensammler
"Nur als Hobby und weil i Zeit hab. Weil ich Rentner bin. Und a bisserl, a bisserl a Geld kommt auch zamm. Aber ich nehm keinem die Flaschen weg. Wenns einer notwendiger braucht wie ich, dann soll ers auch haben."
Wenn das schmale Monatsbudget der Rente oder Sozialbezüge nur für das Nötigste reichen, ist der Griff in den Mülleimer ein Weg, sich Extrawünsche zu erfüllen: Mehr Geschenke für die Enkel oder sich weiterhin die Zigaretten finanzieren zu können. Das sind die bescheidenen Ziele. Doch nicht nur Zubrot ist das Sammeln. Handfeste Notwendigkeit ist es für manche Obdachlose, die mit klirrenden Einkaufswagen voller Glasflaschen ihr Kapital vor sich herschieben. Lohnend ist das Pfandflaschengeschäft nur für diejenigen, die Zeit im Übermaß haben. Denn der Aufwand ist groß, der Verdienst eher spärlich.
"O mei, des ist ganz verschieden. Manchmal hab ich 2 Eur oder 3 Eur. Recht viel mehr net. Wenns ganz viel sann, da schauns her, da muss i zwei Tüten voll haben, bis ich 3 Eur hab. Des sann ja lauter Bierflaschen da, da kriegst ja bloß 8 Cent. Und die nehmen die meisten sowieso net mit. Die wolln nur die Plastikflaschn. Außer die paar alten Frauen da, die da mitm Wagerl umernand fahren. Die sann a bissel. Die gfallln ma net recht. Ich glaub es nicht, dass die das nötig ham. Aber ich weiß es auch nicht, ich schätze das halt."
Argwöhnisch mutmaßt man über die Motive der anderen Sammler: Not oder Gier? Nimmt einer, was kommt, nach der Devise 'Wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Talers nicht wert'. Oder versucht er nur den Rahm der besonders ertragreichen Plastikpfandflaschen abzuschöpfen. Was an Pfandmaterial auf bundesdeutschen Straßen zu finden ist, hat sich seit dem Jahr 2003 schlagartig geändert. Mit dem Einmalpfand landen dort nun nicht mehr nur die Mehrwegflaschen, sondern auch Dosen und Einwegflaschen aus Plastik. Die ökonomische Nische, in der sich die Sammler aufhalten, nennt sich im Fachjargon 'Pfandschlupf'. Dieses Eckchen des Pfandschlupfs liegt zwischen Getränkemarkt und Konsument. Der Profit des Sammlers ist das Geld, was der Kunde an der Supermarktkasse zwar als Pfand hinterlegt, selbst aber nie einlöst. Ein Viertel aller Pfandbeträge wandern so in die Taschen der Händler. Und um solche Beträge lohnt es sich zu konkurrieren.
Lumpensammler
Sie heißen Aasfresser, scavengers. Und sie füllen nicht nur die Lücke des klassischen Lumpensammlers. Sie machen viel mehr. Einsame Herumtreiber durchforsten den Stadtmüll. Andere übernehmen, gut organisiert, die Arbeit der städtischen Müllabfuhr. Nicht selten sind ihre Zwischenhändler, die Patrones, in illegale Machenschaften verstrickt. In den Sortieranlagen der Welt stehen die Müllmenschen am Band. Und viele arbeiten und leben direkt auf den Müllkippen, sammeln nicht nur, sondern sind in Personalunion auch Verwender und Verwerter dessen, was sie aus der stinkenden, oft gefährlichen Masse ziehen. Angehäuft vom Konsummüll derer, die neben ihren Resten auch diejenigen, die damit zu tun haben, durch den Rost fallen lassen.
Hauser: "Also, etwas zum zweiten Mal zu verwenden, ist nach wie vor noch eine Sache, die nicht alle Menschen lieben. Oder zu wissen, dass sie eine Sache oder einen Stoff zum zweiten Mal verwenden, wissen also noch nicht alle wirklich richtig zu schätzen."
So vorsichtig formuliert die Kunst- und Kulturwissenschaftlerin Susanne Hauser den eher mauen Ruf, der Second Hand Dingen auch heutzutage bisweilen vorauseilt. Second Hand, 'aus zweiter Hand' meint das Wiederverwenden, das Weitergeben. Lange waren die Orte dafür informelle Märkte. Heute sind die Orte dieser Art des Recyclings Flohmärkte, Internetmärkte, Trödelhändler, Second Hand Läden, Tauschzirkel und Gebrauchtwarenhäuser. In den Augen mancher tragen diese, ob sie wollen oder nicht, die speckigen Kleider der Lumpensammler auf. Denn der Second Hand Markt bleibt in den Augen vieler eben nur zweitklassig, die Rückseite der Langspielplatte, sozusagen die B-Seite des Lebens der Dinge. Aber auch dafür müssen die Dinge aus dem Abfall erst einmal aufpoliert werden. An der Verwandlung der Dinge von Abfall in Wertvolles arbeiten hier Händler wie Kunden.
So manche Argumente für das moderne Recycling gibt es erst seit den Siebziger Jahren. Nach ihrem kometenhaften Aufstieg zu Konsumnationen stockt die Fortschrittseuphorie der westeuropäischen Gesellschaften urplötzlich 1972. In "Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit" zeichnen Dennis Meadows und seine Mitstreiter ein schwarzes Bild von der Zukunft des Planeten Erde.
Meadows: "Wenn die gegenwärtige Zunahme der Weltbevölkerung, der Industrialisierung, der Umweltverschmutzung, der Nahrungsmittelproduktion und der Ausbeutung von natürlichen Rohstoffen unverändert anhält, werden die absoluten Wachstumsgrenzen auf der Erde im Laufe der nächsten hundert Jahre erreicht.(Meadows 1972:17) Es zeigt sich nun, dass diese Schwierigkeiten letztlich eine gemeinsame, recht banale Ursache haben: unsere Erde ist nicht unendlich. Je mehr sich die menschliche Aktivität den Grenzen der irdischen Kapazität nähert, um so sichtbarer und unlösbarer werden die Schwierigkeiten."
Grenzen des Wachstums
Das 30-Jahre-Update
von Meadows, Donella H.; Randers, Jørgen; Meadows, Dennis;
Signal zum Kurswechsel. Übersetzung: Held, Andreas
2011 Hirzel, Stuttgart
Die Menschheit kann mehrere Entwicklungswege wählen - bereits 1972 und 1992 haben die Autoren der Grenzen des Wachstums solche Möglichkeiten beschrieben. Dabei setzten sie das systemische Denken in Zukunftsszenarien um.
Ihre Ergebnisse riefen schon damals zum Handeln auf, denn wir verlangen seit den späten 70er-Jahren der Erde so viel ab, dass ihre Tragfähigkeit überschritten ist. In den Szenarien des 30-Jahre-Update mit aktuellen Daten wird deutlich, dass wir den großen Kurswechsel dringend brauchen - eine Wende zur Nachhaltigkeit mit drastischen materiellen und strukturellen Veränderungen.
Die Menschheit kann mehrere Entwicklungswege wählen bereits 1972 und 1992 haben die Autoren der Grenzen des Wachstums solche Möglichkeiten beschrieben. Dabei setzten sie das systemische Denken in Zukunftsszenarien um.
Ihre Ergebnisse riefen schon damals zum Handeln auf, denn wir verlangen seit den späten 70er-Jahren der Erde so viel ab, dass ihre Tragfähigkeit überschritten ist. In den Szenarien des 30-Jahre-Update mit aktuellen Daten wird deutlich, dass wir den großen Kurswechsel dringend brauchen eine Wende zur Nachhaltigkeit mit drastischen materiellen und strukturellen Veränderungen.
Wir können diesen Weg gehen, aber wir müssen es wollen!
Kleidertausch
Wer sich zu Zeiten eines schier unendlichen Angebots von Waren aus aller Welt noch Zeit und Muße nimmt, um aus den Bergen von Unbrauchbarem, das herauszusuchen, was er möchte, der muss seine Gründe haben. Keine einheitliche Gegenkultur ebnet ihm heute mehr den Weg zum Wiederverwenden. Jeder muss sich schon seinen eigenen Reim auf die Abfalldinge machen. Angetrieben von archaischen Gefühlen, eher nüchternen Erwägungen oder gar politischem Pathos: So ziehen die Menschen unterschiedlichster Couleur los, um die Second Hand Märkte zu erobern. Recycling aus Armut oder als nostalgische Veranstaltung, Recycling als Schnäppchenjagd oder zur Selbstverwirklichung oder als Konsumkritik. Ein Kaleidoskop.
Recycling notgedrungen
"Ich bin schwerbehindert und hab a kleine Rente. Ich bin froh, wenn ich hier was find. Weil fürs Kaufen, wo solls Geld herkommen. Und da ist das a super Idee. Und wenn was für mich da ist, dann würd ichs mitnehmen. Da würd ich mich nicht schämen."
Kleider machen Leute und wer sie sich neu nicht leisten kann, muss sie eben aus zweiter Hand annehmen. Nicht viele geben so offenherzig Auskunft wie der sympathische ältere Herr, der bei einem Kleidertausch mitarbeitet. Er lässt seinen Blick nach Brauchbarem schweifen. Kleidung ist die Visitenkarte, um in der Konsumgesellschaft die eigene Menschenwürde zumindest äußerlich noch zu wahren. Und so müssen arme Menschen das tun, was in Nachkriegszeiten gang und gäbe war: Die Sachen irgendwo günstig auftreiben, auftragen, abändern, umfunktionieren. Manchmal können sie sich über gute Dinge freuen, oft müssen sie fast schon Wertlosen noch Wert zusprechen, sich die Dinge sozusagen schönreden. Recycling, Mangel an Alternativen und kein Wunschkonzert. Wer die Kleidung abgibt, gilt als edler Spender, der Empfänger steht da deutlich eine Stufe tiefer. Recycling auch ein Weg der Umverteilung vom sozialen Oben nach Unten.
Recycling als Mainstream und Weltrettung
Abfallwirtschaft
Seit Ende der Neunziger Jahre entspringen sie in der Stadt München drei Tonnen auf dem Hof: Restmüll, Papier und Bioabfälle.
" Schmid: "Neben Restmüll, das sind rund 310.000 Tonnen in München pro Jahr, ist die größte Einzelfraktion Papier. Altpapier sammeln wir etwas über 100.000 Tonnen pro Jahr und bringen das zu Sortieranlagen, die in München stationiert sind und von dort geht es dann überwiegend in bayerische Papierfabriken. ... Das Zweite, was wir einsammeln separat, ist Bioabfall. Da hatten wir im letzten Jahr rund 42.000 Tonnen. Die werden zur Hälfte in unserer Vergärungsanlage am Entsorgungspark Freimann weiterverarbeitet, dort vergoren, Energie erzeugt und nach der Vergärung dann nachkompostiert. Und weiter verarbeitet zu Blumenerde." "
Das sagt Helmut Schmid, zweiter Werksleiter des Abfallwirtschaftsbetriebs München. Seit zehn Jahren kümmert er sich um die Abseite der Weltstadt mit Herz. Das Kreislaufwirtschafts- und Abfallbeseitigungsgesetz und die Europäische Abfallrahmenrichtlinie sind sein Logbuch. Und sie schicken die Abfallströme über eine ganze Kaskade: Was nicht zu vermeiden ist, soll man wiederverwenden. Was nicht zu verwenden ist, wird verwertet. Doch das Verwerten ist eine Chimäre: Stofflich oder thermisch ist die Frage. Stofflich wird aus Scherben wieder Glas, thermisch aber löst sich das Material ganz auf in pure Energie: Es wird verbrannt. Im virtuellen Lexikon im Kopf müsste unter Recycling also 'stoffliche Verwertung' stehen. Auch der Abfallbürger ist im Regelwerk mit drin. Er muss sortieren.
Duales System
Klaus Thielmann, vom weltumspannenden Recyclingkonzern Remondis, zuständig für den Abfall der Dualen Systeme im Raum München, erzählt die Geschichte so:
"Der Herr Töpfer hat sich damals was ganz Intelligentes, im Grunde genommen, überlegt. Wir hatten Deponienotstand damals. Niemand wusste, wohin mit den Materialien und die Verbrennungskapazitäten gabs damals noch nicht und da kam Herr Töpfer auf die Idee, eben diejenigen, die die Verpackung in Umlauf bringen, in die Verantwortung zu nehmen. So stehts heute auch noch grob in Zügen in der Verpackungsverordnung. Grundsätzlich müssen die Inverkehrbringer ihre Verpackungen zurücknehmen. Es sei denn, es sei denn, es gibt ein flächendeckendes System. Und das war die Grundlage des Dualen Systems damals. Und man hat ein flächendeckendes System geschaffen und hat die Aufgabe sozusagen an ein Duales System delegiert (...) und damit die Rücknahme der Verpackungen organisiert. Und seit 2003 gibt es mehrere duale Systeme, am Anfang nur zwei, drei duale Systeme. Inzwischen sind's doch nun 10 demnächst."
Sammeln
Sammeln fürs Recycling, diese Maxime setzte sich in den Köpfen fest und wirkte weiter. Heute ist das Müllsortieren in eine ganz andere Weltsicht eingebunden. Das zumindest meint der Gesellschaftssoziologe Ulrich Beck. Abfallsortieren ist für ihn - wie alle ökologischen Fragen - zu einem neuen Moralmilieu geworden, wo entschieden wird über Gut und Böse und über die Rettung der Erde:
"Jeder muss heute durch Müllsortieren als kleiner Großhandelnder die Gesamtrettungsaktion der Erde, der Menschheit mitleisten. Es wird eine Totalverantwortlichkeit hergestellt, die keinen Schlupfwinkel mehr zulässt (146) Kennt der Verteidigungskonsens noch so etwas wie Wehrdienstverweigerung, scheint 'Ökologiedienstverweigerung' nicht mehr in Frage zu kommen. Hier müssen Junge wie Alte, Krüppel wie Regierende, Befehlende, in erster Linie aber Frauen 'Hand anlegen', im täglichen Abwehrkampf sich bewähren."
Der Schutzschirm, der das alles moralisch überwölbt, hat einen Namen. Nachhaltigkeit lautet das Stichwort für Recycling als Gewissensfrage. Was sich vorher Umweltschutz, Ressourcensparen und Energiesparen nannte, steht heute auf dem großen Plan der Nachhaltigkeit. Anfang des 18. Jahrhunderts sollte eine 'continuierlich beständige und nachhaltende Nutzung' bei Hans Carl von Carlowitz noch die Wälder retten, in den 'Grenzen des Wachstums' von Dennis L. Meadows ist es schon die ganze Welt. Auf eine 'nachhaltige Entwicklung' setzen die Experten, die 1980 die 'Weltnaturschutzstrategie' auf den Weg bringen. Für das Überleben der Erde sollen drei Bereiche in Eines gehen: Soziales, Ökologisches und Ökonomisches. Oder wie es die Regierung Südafrikas 2002 auf dem Weltgipfel für Nachhaltige Entwicklung in Johannesburg proklamiert: People - Planet - Prosperty.
Und Recycling ist ein möglicher Weg zur Nachhaltigkeit. 2005 ruft die Europäische Union die 'Recyclinggesellschaft' unter diesem Stern zu ihrem Leitbild aus. Mit Kreislaufwirtschaft geht es darum, die ökologische Nachhaltigkeit mit einem Ruck in den Lebensalltag der Menschen zu befördern. Der griffige Slogan für die Jüngsten lautet drei Mal R: Reduce, Reuse, Recycle. So ist es in der Broschüre 'Being wise with waste' zu lesen. Die drei Rs besingt auch der Popstar Jack Johnson in den Kindergärten seiner Heimat Hawaii und trägt die Botschaft so hinaus in alle Welt.
Engelbert Schramm
Engelbert Schramm wollte ganz genau wissen, was es mit dem Kreislauf auf sich hat. Der Umweltwissenschaftler ist Mitbegründer des Instituts für sozial-ökologische Forschung in Frankfurt am Main. In den Neunziger Jahren hat er sich intensiv mit der Ideengeschichte der Kreislaufmodelle beschäftigt. "Im Namen des Kreislaufs" heißt sein Buch. Mit dem Kreislauf sind heute gemeinhin erst einmal positive Assoziationen verbunden.
Schramm:"Die Eigenschaften des Kreislaufs sind zunächst, dass er die Grundlagen allen Lebens darstellen soll und auf der anderen Seite, dass er von einer Perfektion ist, dass immer wieder alles im Kreis zurückgeht und immer weiter geht. Das ist die Grundidee dieses Kreislaufgedankens."
Und das Ideal eines jeden Recyclings. Doch für die Kreislaufvorstellungen des Recyclings gibt es viele Kandidaten. Bei einem schwingen Mensch und Natur im selben Rhythmus in einem Weltenkreis. Beim zweiten geht die Natur in einem anderen Takt als die Maschinen der Zivilisation. Beim Dritten gilt die Natur als Mutter Erde und soll den Ton angeben für eine aus dem Tritt geratene Welt der Technik. Und schließlich gibt es einen, bei dem Natur und Wirtschaft ganz gut zusammengehen. Die Vielfalt an Ideen ist verwirrend.
Schramm: "Die Geschichte ist mittlerweile 2500 Jahre alt und sehr kompliziert eigentlich. Sie geht von den Vorsokratikern, über Platon und Aristoteles dann zu den Alchemisten und dann in die modernen Naturwissenschaften auf der einen Seite und dann auf der anderen Seite aber auch in die Ökonomie beispielsweise, den Geldkreislauf. Und diese komplizierte Lage führt dazu, dass der Kreislaufgedanke nie ganz vollständig wissenschaftlich exakt entwickelt worden ist, sondern immer noch Eierschalen älterer Gedanken mit sich trägt und in sich hat."
Prof. Dr. Michael Braungart, Gründer und Leiter von EPEA Internationale Umweltforschung GmbH. Michael Braungart hat das Cradle to Cradle(r)-Design-Konzept maßgeblich entwickelt, er ist Querdenker, Mit- und Vordenker und sucht nach Lösungen für die drängendsten Fragen dieser Erde: Wie kann der Mensch sich in das Leben auf der Erde wirklich integrieren? Wie kann er nicht nur wenig Schaden anrichten, sondern wie kann er nützlich sein?
Braungart: "Mir geht es darum, dass wir 30 Jahre Weltuntergangsdiskussion in Qualität umsetzen können. Wir können Produkte machen, die viel, viel schöner sind, die viel viel bessere Qualität haben, die umfassend schön sind. Wenn uns das gelingt, dann ist mir überhaupt nicht bange, dass wir wirklich auch für 10 oder 12 Milliarden Menschen auf der Erde menschenwürdiges Leben schaffen. Also eben nicht Nachhaltigkeit, sondern Innovation, Qualität, Schönheit. Eben diese ganze blame and shame Weltuntergangsdiskussion jetzt in Qualität umsetzen."
Das Wissen dazu hat der promovierte Chemiker und Verfahrenstechniker, der selbst als Umweltaktivist bei Greenpeace begann. Heute hat er mehrere Professuren in den Niederlanden, Deutschland und den Vereinigten Staaten, der Heimat des Mitbegründers der Idee, der US-amerikanische Architekt William McDonough. Michael Braungart hat ein Forschungsinstitut, die Environmental Protection Encouragement Agency, kurz EPEA in Hamburg. Dort verwandelt er seine Ideen in Produkte. Erfunden hat er dabei unter anderem schon essbare Sitzbezüge, kompostierbare T-Shirts oder völlig ungiftige Teppichböden. Beim Recycling hierzulande läuft für Michael Braungart einiges falsch:
"Mit dem Recycling wie es im Moment betrieben wird, handelt es sich eher um ein Downcycling. Das heißt, es werden die Produkte nicht in der gleichen Qualität zurückgewonnen. Bei Papier zum Beispiel sind die Druckfarben, die Papierfarben überhaupt nicht für Recycling gemacht. Es werden nur Fasern zurückgewonnen und der größere Teil wird im Prinzip verbrannt oder abgelagert. Oder die Leute machen die falschen Dinge, die sie recyceln. Wie zum Beispiel PVC Fußbodenbeläge oder Fenster. Damit machen sie ein giftiges Material nur so, dass sie es wieder neu giftig einsetzen. Und dadurch hat man nichts gewonnen, sondern man hat nur das Gift wieder woanders hingebracht."