"Hilf den Alten", singt Jarvis Cocker. "Es gab mal Zeiten, da war'n sie genau wie du, haben getrunken, geraucht und Klebstoff geschnüffelt", so erinnert sich der dünne Mann mit der dicken Brille, Jarvis Cocker. Heute wird einer der originellsten Texter des modernen Pops 50. Wie originell, das kann man jetzt auch auf Deutsch nachlesen. Die Texte von Jarvis Cocker sind soeben in einer zweisprachigen Ausgabe erschienen, übersetzt von Michael Kerkmann, früher Redakteur der Zeitschrift "Spex".
"Inhaltlich geht es meist um soziale Verhältnisse, Wohnverhältnisse vor allem und was das mit den Leuten anstellt. Das beschreibt er sehr präzise."
Jarvis Cocker führt seine besondere Beobachtungsgabe darauf zurück, dass er als Kind fast blind war und die Welt praktisch erst entdeckt hat, als er seine erste Brille bekam. Die Brille wird zum Mikroskop. Wie durch ein Vergrößerungsglas schaut Jarvis Cocker auf das Leben zwischen seiner Heimatstadt Sheffield und der Wahlheimat London. Seine großen Themen: die britische Klassengesellschaft, die Architektur, die Sexualität. Michael Kerkmann:
"Sex ist dabei immer das Bindemittel, das alles in Beziehung zueinander setzt."
Das Dreiecksverhältnis von Macht, Klasse und Sex taucht immer wieder auf in den Songs von Pulp und im vorliegenden Buch, sagt Kerkmann:
"Jeder begehrt eben gerade das, was er nicht haben kann. Die Armen begehren den Wohlstand und die weniger Armen das einfache Leben. Wie später in 'Common People', wo sich ein Middleclass-Mädchen an einen Working-Class-Typen ranmacht, nur weil sie dessen ärmliches Dasein spannend findet."
Auch "Common People" beginnt mit einer kleinen Geschichte aus dem Alltag, so Jarvis Cocker:
"Der Sänger trifft ein Mädchen, sie sagt, sie hat einen reichen Vater, und sie würde gern so leben wie die normalen Leute. Ich fand das ein bisschen seltsam, aber ich war scharf auf sie."
Hier endet die Realität.
"Das Schöne am Songschreiben ist, dass man die Realität manipulieren kann. In Wahrheit hatte dieses Mädchen kein Interesse an mir aber in meinem Song zehn Jahre später, da sagt sie: Ich will mit normalen Leuten wie dir schlafen. In Wahrheit hat sie das nie gesagt."
Der "New Musical Express" kürt "Common People" zum besten Song in der Geschichte des Britpop. In den 90er-Jahren versucht die Labour Party die Protagonisten des Britpop für sich zu vereinnahmen, auch Jarvis Cocker und seine Band. Daraus wird wieder ein Song, "Cocaine Socialism", das Lied vom Kokainsozialismus.
Zu den gesammelten Songtexten finden sich im Buch aufschlussreiche Anmerkungen. Zu "Cocaine Socialism" schreibt Cocker:
"Die hier geschilderte Begegnung ist zwar fiktiv, aber im Vorfeld der 97er-Wahlen hatte die Labour Partei mich tatsächlich zu Veranstaltungen eingeladen. Nach Champagnersozialismus schien mir Kokainsozialismus der nächste logische Schritt zu sein."
Der Kandidat der Labour-Party umgarnt den Popstar und kommt gleich zur Sache:
"Möchten sie eine Line? Sind sie (sniff) Sozialist?"
Und dann schlägt der Premier in spe einen Deal vor: Kokain gegen Wählerstimmen.
"Sie singen doch über all die 'Common People', die können sie doch alle zu meiner Party mitbringen und ihnen etwas davon anbieten, oder?
Was ich sagen will: Komm, rock die Wahl für mich, komm, roll diesen Schein für mich."
Jarvis Cocker hat die Wahl 1997 nicht gerockt, New Labour hat trotzdem gewonnen.
Literatur
Jarvis Cocker: "Mother, Brother, Lover: Lyrics", zweisprachige Ausgabe, übersetzt von Michael Kerkmann, Berlin Verlag
"Inhaltlich geht es meist um soziale Verhältnisse, Wohnverhältnisse vor allem und was das mit den Leuten anstellt. Das beschreibt er sehr präzise."
Jarvis Cocker führt seine besondere Beobachtungsgabe darauf zurück, dass er als Kind fast blind war und die Welt praktisch erst entdeckt hat, als er seine erste Brille bekam. Die Brille wird zum Mikroskop. Wie durch ein Vergrößerungsglas schaut Jarvis Cocker auf das Leben zwischen seiner Heimatstadt Sheffield und der Wahlheimat London. Seine großen Themen: die britische Klassengesellschaft, die Architektur, die Sexualität. Michael Kerkmann:
"Sex ist dabei immer das Bindemittel, das alles in Beziehung zueinander setzt."
Das Dreiecksverhältnis von Macht, Klasse und Sex taucht immer wieder auf in den Songs von Pulp und im vorliegenden Buch, sagt Kerkmann:
"Jeder begehrt eben gerade das, was er nicht haben kann. Die Armen begehren den Wohlstand und die weniger Armen das einfache Leben. Wie später in 'Common People', wo sich ein Middleclass-Mädchen an einen Working-Class-Typen ranmacht, nur weil sie dessen ärmliches Dasein spannend findet."
Auch "Common People" beginnt mit einer kleinen Geschichte aus dem Alltag, so Jarvis Cocker:
"Der Sänger trifft ein Mädchen, sie sagt, sie hat einen reichen Vater, und sie würde gern so leben wie die normalen Leute. Ich fand das ein bisschen seltsam, aber ich war scharf auf sie."
Hier endet die Realität.
"Das Schöne am Songschreiben ist, dass man die Realität manipulieren kann. In Wahrheit hatte dieses Mädchen kein Interesse an mir aber in meinem Song zehn Jahre später, da sagt sie: Ich will mit normalen Leuten wie dir schlafen. In Wahrheit hat sie das nie gesagt."
Der "New Musical Express" kürt "Common People" zum besten Song in der Geschichte des Britpop. In den 90er-Jahren versucht die Labour Party die Protagonisten des Britpop für sich zu vereinnahmen, auch Jarvis Cocker und seine Band. Daraus wird wieder ein Song, "Cocaine Socialism", das Lied vom Kokainsozialismus.
Zu den gesammelten Songtexten finden sich im Buch aufschlussreiche Anmerkungen. Zu "Cocaine Socialism" schreibt Cocker:
"Die hier geschilderte Begegnung ist zwar fiktiv, aber im Vorfeld der 97er-Wahlen hatte die Labour Partei mich tatsächlich zu Veranstaltungen eingeladen. Nach Champagnersozialismus schien mir Kokainsozialismus der nächste logische Schritt zu sein."
Der Kandidat der Labour-Party umgarnt den Popstar und kommt gleich zur Sache:
"Möchten sie eine Line? Sind sie (sniff) Sozialist?"
Und dann schlägt der Premier in spe einen Deal vor: Kokain gegen Wählerstimmen.
"Sie singen doch über all die 'Common People', die können sie doch alle zu meiner Party mitbringen und ihnen etwas davon anbieten, oder?
Was ich sagen will: Komm, rock die Wahl für mich, komm, roll diesen Schein für mich."
Jarvis Cocker hat die Wahl 1997 nicht gerockt, New Labour hat trotzdem gewonnen.
Literatur
Jarvis Cocker: "Mother, Brother, Lover: Lyrics", zweisprachige Ausgabe, übersetzt von Michael Kerkmann, Berlin Verlag