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Macht und Missbrauch am Theater
"Frauen sind definitiv schlechter gestellt"

Frauen am Theater haben eine höhere Arbeitsbelastung, sind häufiger existenziell bedroht, erfahren öfter psychischen oder physischen Missbrauch als ihre Kollegen. Der Herausgeber der ersten deutsche Studie zu diesem Thema, Thomas Schmidt, sieht eine Ursache bei den Intendanten.

Thomas Schmidt im Gespräch mit Anja Reinhardt |
Nadine Geyersbach, Irene Kleinschmidt und Martin Baum (v.l.) in "Aus dem Nichts" am Theater Bremen
Das Thema Macht und Machtmissbrauch sei sehr virulent am Theater, sagte Thomas Schmidt im Dlf (Jörg Landsberg)
Anja Reinhardt: Die #MeToo-Debatte hat offen gelegt, dass es auch am Theater viele Fälle von Machtmissbrauch gibt. Die Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt hat daraufhin eine Befragung an deutschen Theatern gestartet, an der knapp 2.000 Mitarbeiter vor und hinter der Bühne teilgenommen haben. Eine Zusammenarbeit übrigens mit dem "ensemble-netzwerk", dass sich schon vor #MeToo für mehr Gerechtigkeit am Theater eingesetzt hat. Die erste Studie zu Macht und Machtmissbrauch am Theater liegt nun in Buchform vor. Meine erste Frage an Thomas Schmidt, den Leiter des Studiengangs Theater- und Orchestermanagement in Frankfurt: Was sind die wichtigsten Erkenntnisse der Studie?
Thomas Schmidt: Die wichtigsten Erkenntnisse sind, dass das Thema Macht und Machtmissbrauch sehr virulent ist am Theater. Und dass der ganze Diskurs über Demokratie, neue Gesellschaftsformen, über Utopie, der auf der Bühne verhandelt wird, hinter der Bühne nicht stattfindet. Also, dass wir eine Asymmetrie haben zwischen dem, was an Inhalten vermittelt wird an die Zuschauer, und dem, was gelebt wird hinter der Bühne.
Auslöser Intendantenmodell
Reinhardt: Sie betonen ja in der Auswertung der Ergebnisse, dass die Missverhältnisse, von denen Sie gesprochen haben, auch an antiquierten Strukturen liegen. Es müsste sich also in einem ziemlich großen Rahmen etwas ändern. Wo setzt man da an?
Thomas Schmidt, Herausgeber der Studie "Macht und Machtmissbrauch im Theater"
"Neue Vertragsmodelle": Thomas Schmidt, Herausgeber der Studie "Macht und Machtmissbrauch am Theater" (Thomas Schmidt / Foto: Conny Winkler)
Schmidt: Der strukturelle Rahmen, der ein Auslöser ist für den ganzen Machtgebrauch und Machtmissbrauch, liegt eigentlich am Intendantenmodell. Das Modell beruht auf einer Lösung, die man um 1900 in der Theaterzeit von Max Reinhardt in Berlin gefunden hat. Damals musste man dort die Macht beim Intendanten bündeln, damit man die Theater, die damals wirklich sehr stark nachgefragt waren, besser fokussieren konnte. Heute sind die Theater ja staatlich oder verstaatlicht. Die Arbeit am Theater, die ja eine Teamarbeit ist, entspricht nicht mehr der strukturellen Lösung, dass eine Person an der Spitze – zu 75 Prozent sind das übrigens Männer – durchregieren kann. Und zwar fast ohne Regularien und mit sehr weitreichenden Kompetenzen, die dazu führen, dass viele junge Künstlerinnen, Assistentinnen, Darstellerinnen in Situationen gebracht werden, in denen sie auch existenzielle Bedrohung erfahren.
Frauen überproportional benachteiligt
Reinhardt: In der Studie wird ja sehr deutlich klar - und das passt dann auch wieder zu den männlich dominierten Strukturen -, dass es ganz konkret auch um sexuellen Missbrauch geht. Wie kann man da ansetzen? Das sind ja alles Dinge, die hinter verschlossenen Türen stattfinden.
Schmidt: Erst einmal würde ich ansetzen, indem man das Intendantenmodell auflöst. Indem das eben flächendeckend umgesetzt wird, kann es nicht mehr dazu führen, dass eine Person überhaupt nicht mehr geerdet ist und überhaupt nicht mehr Regularien verfolgt. Sondern dann wird so eine Person auch von den Teammitgliedern – es gibt so eine Art soziale Kontrolle in diesen Teams. Und dann gibt es auch nicht mehr diese Form von Übergriffen. Die andere Lösung ist natürlich, dass wir ein völlig neues Vertragsmodell am Theater brauchen. Dort gibt es ja den "NV Bühne", das ist ein, würde ich mal sagen, sehr neoliberales Vertragsmodell. Das beruht auf einer Aneinanderreihung von Kettenarbeitsverträgen: Junge Künstlerinnen und Künstler werden zu Mindestgagen eingesetzt und haben aber Arbeitstage, die weit über zehn Stunden gehen. Da können wir eben feststellen, dass Frauen vorrangig von diesen Problematiken betroffen sind.
Reinhardt: Das wollte ich gerade fragen: Sind es vor allem die Frauen, die schlechter gestellt sind?
Schmidt: Definitiv. Ein Indikator ist zum Beispiel, dass, je höher die tägliche Arbeitsbelastung bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern steigt, desto höher ist der Anteil von Frauen. Zum Beispiel bei einer Arbeitszeit von über zehn Stunden, die eigentlich gar nicht erlaubt ist gesetzlich, aber stattfindet, liegt der Frauenanteil im Theater bei 65 Prozent. Und die Männer sind nur zu 35 Prozent betroffen. Auch bei existenziellen Bedrohungen sind fast 70 Prozent der Frauen betroffen. Der Anteil von Frauen, die psychischen und physischen Missbrauch erfahren haben, liegt bei 59 Prozent, was ein enorm hoher Anteil ist. Frauen müssen nackt proben oder müssen sich in besondere sexuelle Posen begeben. Ich möchte das jetzt nicht so detailliert ausführen.
"Übergriff der Macht"
Reinhardt: Ich würde Sie aber gerne noch einmal andersherum fragen, denn am Theater zu arbeiten, das ist doch ein ganz besonderer Beruf, zumal, wenn man auf der Bühne steht, wo ja beim Spiel ständig Grenzen überschritten werden müssen. Wie gut kann das denn funktionieren, da Gerechtigkeit herzustellen, wenn auf der fiktionalen Ebene im Theater ja oft genau die gegenteiligen Verhältnisse dargestellt werden?
Schmidt: Auf der fiktionalen Ebene ist es ja so, dass, wenn ein Regisseur das mit seinen Spielerinnen abspricht, dass bestimmte Dinge in einem Kontext geprobt werden müssen, ist das völlig okay. Dann sagt die Schauspielerin: Ich mache das. Oder: Ich mache das nicht. Aber hinter der Bühne – im Intendantenzimmer oder auf dem Flur oder auf Premierenfeiern –, wenn da der Übergriff stattfindet, dann ist der Kontext nicht mehr gegeben. Und dann ist so ein Übergriff der Macht außerhalb der Regularien, die ethisch eigentlich vorgegeben sein müssten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.