Im Iran macht die mittlerweile fünfte Coronawelle den Menschen schwer zu schaffen, außerdem leidet das Land unter einer schweren Wirtschaftskrise. Das sind zwei der Megathemen, die der neue iranische Präsident Ebrahim Raisi jetzt angehen muss. Der frühere Justizchef gilt als Hardliner und steht seit 2019 auf der Sanktionsliste der USA.
Seine Amtszeit beginnt mit einem akuten außenpolitischen Konflikt. Der Drohnenangriff auf einen Öltanker Nahe der Meerenge von Hormus reihe sich ein in eine Kette von Sabotageakten und Angriffe auf kritische Infrastruktur in der Region, sagte Azadeh Zamirirad von der Stiftung Wissenschaft und Politik im Dlf. Diese seien Teil eines Schattenkrieges zwischen Iran und Israel. Zamirirad beurteilt die Lage als äußerst gefährlich und angespannt und erwartet nicht, dass derartige Angriffe in absehbarer Zeit abnehmen werden.
Der Atomkonflikt habe die sicherheitspolitische Lage verschärft und es bestehe die Gefahr, dass "eine größere militärische, direktere Eskalation erwächst". Gebe es beispielsweise israelische Angriffe auf iranische Nuklearanlagen oder gezielte Attentate auf Nuklearwissenschaftler, dann übe der Iran Vergeltung, sodass der israelische Staat oder amerikanische Staat über größere militärische Maßnahmen nachdenke und der Iran ebenfalls größere Vergeltungsmaßnahmen in Erwägung ziehe. Eine Lösung im Atomkonflikt sei also entscheidend, um die Situation zu beruhigen.
Doch leider sei die Chance einer frühen Einigung verpasst worden und nun die unbequeme Lage entstanden, dass der Iran sich in der besseren Position wähne und deshalb maximalistische und unrealistische Forderungen stelle. "Die Führung in Teheran geht davon aus, alle Karten in der Hand zu halten, weil die Zeit und damit auch ihr Atomprogramm voranschreitet, und sie sieht sich selbst jedenfalls in der Position, weitaus mehr Zugeständnisse von den USA einfordern zu können", so die Politikwissenschaftlerin.
Das Interview im Wortlaut:
Sandra Schulz: Raisis Amtszeit beginnt jetzt mit einem akuten außenpolitischen Konflikt nach dem Drohnenangriff in der vergangenen Woche auf einen Öltanker nahe der Meerenge von Hormus. Dieses zeitliche Zusammentreffen, ist das Zufall?
Azadeh Zamirirad: Na ja, Zufall nicht ganz, aber man muss schon sagen, das hat nun auch nicht nur mit seiner Wahl zu tun, sondern dieser Drohnenangriff, der reiht sich ja ein in eine Kette von größeren Aktivitäten, die wir gerade am Persischen Golf und im Golf von Oman erlebt haben in den letzten Monaten, man muss auch sagen in den letzten Jahren – eine Kette von Drohnenangriffen, Cyber-Attacken, Sabotageakten an Tankern oder auch Angriffe zum Teil auf kritische Infrastruktur. Das ist Teil eines Schattenkrieges auch zwischen Iran und Israel, der im Prinzip schon längst aus dem Schatten getreten ist. Also eine äußerst gefährliche angespannte Lage und ich sehe im Moment auch nichts, was darauf hindeutet, dass derartige Angriffe auf absehbare Zeit abnehmen werden.
"Wichtig, aus der Eskalationsspirale hinauszufinden"
Schulz: Direkt nach dem Angriff gab es aus dem Iran ja sehr unterschiedliche Signale. Es war einerseits von Vergeltung die Rede. Die Verdächtigungen kamen natürlich von den USA, aus Großbritannien. Es gab dann aber auch die Stellungnahme aus dem Außenministerium, das alle Anschuldigungen zurückgewiesen hat. Welche Linie wird Raisi da fahren?
Zamirirad: Iran wird sicherlich an den meisten Punkten weiterhin leugnen, dass es für bestimmte Angriffe und Sabotageakte verantwortlich ist, ebenso wie die israelische Seite oder andere Staaten ihre Aktivitäten leugnen werden. Das ist ja Teil eines solchen Schattenkrieges. Es besteht aber nun mal dieses Grundproblem, dass wir uns in einer Eskalationsspirale befinden, gerade im Zuge dieses Atomkonflikts, der diese Eskalation ja sehr viel wahrscheinlicher und größer gemacht hat, und wir werden hier auch nicht zur Ruhe finden, solange wir gerade im Atomkonflikt nicht zu halbwegs haltbaren Lösungen finden.
Schulz: Sie sagen gerade, dass das gefährlich werden kann. Was konkret bedeutet das? Welche Gefahr sehen Sie?
Zamirirad: Die Gefahr besteht ja immer, dass aus solchen Angriffen eine größere militärische, und zwar dann auch direkte Eskalation erwächst, beispielsweise wenn es israelische Angriffe gibt auf iranische Nuklearanlagen oder zum Beispiel auch gezielte Attentate auf Nuklearwissenschaftler, dass Iran Vergeltung übt, was sie ja längst tun in bestimmten Bereichen. Wir haben ja jetzt auch wieder gesehen, aus dem Libanon sind Raketen nach Israel abgeschossen worden. Und dass wir dann eine Situation erleben, wo vielleicht auch der israelische Staat oder auch die Amerikaner oder andere über größere militärische Maßnahmen nachdenken oder auch Iran über größere Vergeltungsmaßnahmen nachdenkt. Alles das ist möglich. Das ist eine Gefahr, die seit längerem besteht. Deshalb ist es auch so wichtig, dass wir aus dieser Eskalationsspirale herausfinden.
"Maximalistische und unrealistische Forderungen"
Schulz: Sie sagen, diese Gefahr ließe sich bannen durch eine Wiederauflage des Atomabkommens? Verstehe ich Sie da richtig? Wie wahrscheinlich oder unwahrscheinlich wäre das denn?
Zamirirad: Erst einmal: Ganz bannen lässt sie sich natürlich nicht durch eine Lösung im Atomkonflikt. Aber der Atomkonflikt hat diese sicherheitspolitische Lage deutlich verschärft. Für den israelischen Staat beispielsweise ist ein Zustand ja unhaltbar, in dem Irans Atomprogramm relativ unbeschränkt fortbesteht, und da sieht sich natürlich auch die israelische Regierung in der Verantwortung, durch entsprechende Angriffe das Programm zu stoppen. Hier würde eine Lösung im Atomkonflikt sicherlich ein Stück weit weiterhelfen.
Wie wahrscheinlich ist das? – Die Situation ist im Moment sehr, sehr schwierig. Wir befinden uns ja leider in einer sehr unglücklichen Lage, weil die Chance vertan wurde, frühzeitig zu einer Einigung zu finden. Wir sind nun in der unbequemen Situation, dass die Führung in Teheran offenbar davon ausgeht, alle Karten in der Hand zu halten, weil die Zeit und damit auch ihr Atomprogramm voranschreitet, und sie sieht sich selbst jedenfalls in der Position, weitaus mehr Zugeständnisse von den USA einfordern zu können. Zuletzt haben wir deshalb auch eine Reihe von eher maximalistischen Forderungen gehört, die schlicht unrealistisch sind.
"Auf iranischer Seite durchaus nahe liegende Bedenken"
Schulz: Wobei die Abkehr vom Vertrag natürlich auch initial aus den USA kam, vom damaligen Präsidenten Donald Trump. Was für Raisi jetzt im Vordergrund steht, ist sicherlich, sich zu bemühen um eine Lockerung der Sanktionen angesichts der ernsten wirtschaftlichen Lage. Was erwarten Sie? Wie fährt er da?
Zamirirad: Es wäre ja zu hoffen, dass er sich ernsthaft darum bemüht. Er stand ja der Vereinbarung nicht grundsätzlich kritisch gegenüber, aber sehr wohl der Verhandlungsposition der vorherigen Regierung, hofft hier nun, auf einer Position der Stärke mehr erreichen zu können. Es gibt auf iranischer Seite durchaus nahe liegende Bedenken, dass zum Beispiel in drei Jahren ein neuer US-Präsident, beispielsweise ein Republikaner wieder im Amt sein könnte, der sich dann wieder aus der Vereinbarung einfach zurückzieht, oder auch, dass die einfache Aussetzung von Sanktionen jetzt Großunternehmen nicht unbedingt überzeugen wird, ohne weiteres auf den iranischen Markt zurückzukehren. Aber hierfür haben wir noch keine wirklich pragmatischen oder realistischen Lösungen gefunden.
Es gibt nach wie vor unterschiedliche Auffassungen darüber, welche Sanktionen überhaupt rückgängig gemacht werden müssen, ob Iran zum Beispiel eine Kompensation dafür zusteht, dass Trump damals sich zurückgezogen hat und Iran daher nicht wirtschaftlich profitiert hat in der Form, wie es ihm versprochen worden ist, und dann steht natürlich noch die Frage von Garantien im Raum. Raisi und auch die iranische Führung will ja von der Biden-Administration eine Garantie dafür, nicht erneut aus der Vereinbarung zu treten oder Sanktionen wieder einzusetzen, und das sind Zusicherungen, die Biden gar nicht ohne weiteres geben kann.
"Iran sieht sich in vorteilhafter Position"
Schulz: Sie haben gerade gesprochen von einer Position der Stärke. Wie schafft es Raisi überhaupt, diese Position der Stärke in seinem Land zu verkaufen, angesichts der ja wirklich gravierenden Probleme?
Zamirirad: Ich glaube, im Land verkaufen ist vielleicht weniger das Problem, wenn es um die Atomvereinbarung geht, denn der Rückhalt für diese Vereinbarung in der Bevölkerung hat ja deutlich abgenommen. Wir haben 2015 eine sehr euphorische Stimmung im Land gehabt im Zuge der Vereinbarungen, als man sich noch davon versprochen hat, sehr schnell wirtschaftliche Erfolge zu sehen. Seit das ausgeblieben ist, ist auch eigentlich der Rückhalt für diese Vereinbarung in der Bevölkerung deutlich, deutlich gesunken. Aber in der Frage der Position der Stärke, denke ich, wird Raisi darauf setzen, dass die Amerikaner im Prinzip, was Sanktionen anbelangt, fast schon alle Optionen ausgeschöpft haben. Die iranische Wirtschaft ist in einer desaströsen Lage, aber sie ist nicht kollabiert. Iran hat nach wie vor ein sehr hohes Vergeltungspotenzial, Möglichkeiten in der Region, während sich die Amerikaner da ja eigentlich weitaus mehr zurückziehen wollen. Und Biden steht auch unter Druck mit Blick auf die Kongresswahlen im nächsten Wahl. Da steht es sicher nicht gut an, eine weitere große außenpolitische Krise bewältigen zu müssen. Das sind alles Faktoren, die die iranische Führung inklusive Raisi einpreisen in der Einschätzung, dass sie sich in einer ausgesprochen vorteilhaften Position befinden.
Schulz: Die Corona-Lage würde ich gerne noch ansprechen. Die ist jetzt aktuell wieder sehr ernst. Beobachterinnen und Beobachter sprechen von einer fünften Welle. Wie geht die iranische Regierung damit um?
Zamirirad: Wie sie damit umgehen wird und ob sie da wirklich effektiv gegensteuern kann, das bleibt abzuwarten. Die fünfte Welle greift um sich, gerade auch die Delta-Variante im Iran. Es sind auch bislang erst sehr wenige Menschen geimpft, nur einige wenige Millionen bei einem mehr als 80 Millionen Staat. Wir haben nach offiziellen Angaben mehr als 90.000 Tote. Iran produziert auch eigene Impfstoffe und einer wird derzeit auch eingesetzt, aber auch hier gibt es bislang eigentlich viel zu wenig Impfstoff. Jetzt hat man angekündigt, bis September 50 Millionen Impfstoffdosen herzustellen, aber bislang geht das doch sehr, sehr schleppend voran.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.