Hintergründe zum Debakel bei den Saar-Grünen sind parteiinterne Querelen in dem Landesverband, die dazu geführt hatten, dass die Aufstellung der Landesliste rechtlich angreifbar wurde.
Beim ersten Versuch war am 20. Juni der aus Saarlouis stammende Ex-Landesparteichef Ulrich auf Platz 1 und damit zum Spitzenkandidaten gewählt worden. Ein Schiedsgericht erklärte die Wahl dieser Liste aber für ungültig, weil auch nicht stimmberechtigte Parteimitglieder mitgewählt hatten. Zudem sah es einen Verstoß gegen das Frauenstatut der Partei.
Verstoß gegen das Demokratieprinzip
Vor dem zweiten Anlauf zur Listenaufstellung am 17. Juli schloss dann das Bundesschiedsgericht die 49 Delegierten aus dem Ortsverband Saarlouis aus. Begründet wurde dies mit Unregelmäßigkeiten bei der Wahl der Delegierten in dem Ortsverband. Diese 49 Delegierten machten rund ein Drittel aller Delegierten aus. Der Landeswahlausschuss hatte diesen Ausschluss als schweren Fehler und Verstoß gegen das Demokratieprinzip gewertet. Dieser Auffassung folgte der Bundeswahlausschuss.
Der Politikwissenschaftler Uwe Jun von der Uni Trier hält die Entscheidung für berechtigt. Demokratische Grundsätze seien nicht beachtet worden. Die einzelnen Wähler würden zudem kaum durchblicken, wer die jeweils die Verantwortlichen für das Debakel seien. Machtkämpfe und Intrigen kämen aber in dieser Form bei den Grünen eher selten vor. Zwar sei die Partei keine vollständig geschlossene Einheit, man habe sich aber schon in den letzten Jahren - und auch jetzt im Wahlkampf - bemüht, diese herzustellen.
Das Interview im Wortlaut:
Josephine Schulz: Herr Jun, können Sie diese Entscheidung des Bundeswahlausschusses nachvollziehen? Ist die richtig?
Uwe Jun: Na ja, sie ist jedenfalls gut begründet. Hier sind demokratische Grundsätze tatsächlich nicht beachtet worden von Seiten der Bündnis-Grünen. Man hat einfach einen Kreisverband ausgeschlossen. Das ist der Kreisverband von Hubert Ulrich, mit dem Sie ja gerade auch mit Ihrem Korrespondenten gesprochen haben oder über den Sie gerade gesprochen haben. Und in der Tat ist das doch eine gravierende Verletzung, einen Kreisverband einfach von einer solchen Nominierung, von einem solchen Nominierungsparteitag auszuschließen.
Grüne können im Saarland nun nicht mit der Zweitstimme gewählt werden
Schulz: Aber ist das nicht mit Blick auf die demokratische Entscheidungsfreiheit der Bürger hoch problematisch, wenn ihnen da eine aussichtsreiche Option genommen wird?
Jun: In der Tat ist das so, dass im Saarland nun die Grünen zumindest nicht in der Zweitstimme gewählt werden können, und das ist ein großer Nachteil für die Bürger auch, nicht nur für die Grünen. Aber hier musste der Bundeswahlausschuss abwägen und man muss klar sagen, wenn demokratische Grundsätze im Nominierungsverfahren nicht beachtet werden, dann hat der Bundeswahlausschuss hier eine Entscheidung zu treffen, und er hat hier die Demokratieverletzung höher beachtet als diejenige, die sich mit den Folgen dann auseinandersetzen, die Nicht-Möglichkeit der Wähler, mit der Zweitstimme grün wählen zu können.
Die Wahlprogramme der Parteien zur Bundestagswahl
Schulz: Jetzt ist das Saarland klein, aber wie wichtig wären diese Stimmen gewesen? Sind das Stimmen, die am Ende hätten ausschlaggebend sein können?
Jun: Es fehlt auf jeden Fall ein Mandat. Die Grünen haben bisher im Saarland immer ein Mandat gewonnen. Wenn Sie nicht das Direktwahlkreis-Mandat in Saarbrücken gewinnen – das ist die einzige Chance, aber eher unwahrscheinlich, eher sogar sehr unwahrscheinlich -, dann fehlt ihnen auf jeden Fall das eine Mandat und dann fehlen ihnen auch etwa 0,2 Prozentpunkte mit Blick auf den Zweitstimmenanteil maximal. Na ja, das ist sicherlich zu verschmerzen und wird vermutlich nicht wahlentscheidend sein.
"Es wirft kein gutes Licht auf die Grünen insgesamt"
Schulz: Sie sagen, das ist zu verschmerzen. Dann ist die andere Seite: Wie groß ist der Schaden bundesweit für die Außenwirkung der Partei? Was meinen Sie da?
Jun: Auch hier, würde ich sagen, haben sich die Grünen keinen Gefallen getan mit dieser innerparteilichen Auseinandersetzung zwischen der Bundespartei und dem saarländischen Landesverband. Es wirft auch kein gutes Licht auf die Grünen insgesamt, weil man hier sieht, dass bestimmte, man könnte fast sagen, professionelle Grundsätze der Parteiarbeit über Bord geworfen sind und der einzelne Wähler jetzt kaum durchblickt, wer jeweils die Verantwortlichen sind. Daher ist es sicherlich für das Ansehen der Grünen kein positiver Vorgang.
Schulz: Sie sagen es, der einzelne Wähler blickt da nicht so richtig durch. Die Parteispitze und der Landesverband schieben sich da gegenseitig die Verantwortung zu. Was würden Sie sagen, wer trägt da die Hauptschuld? Oder was läuft da schief in diesem Landesverband?
Jun: Im Saarland ist es so, dass wir seit Jahrzehnten schon eine dominante Figur haben mit Hubert Ulrich und auch dem Kreisverband Saarlouis und dass hier diese Dominanz von anderen in Frage gestellt wurde. Ulrich hat sicherlich da auch versucht, seine Machtansprüche durchzusetzen, und die Aufhebung des Frauenstatuts war sicherlich nicht im Sinne der Grünen. Dass da Absprachen getroffen worden sind vor dem ersten Parteitag, ist auch offensichtlich. Aber die alleinige Schuld über Hubert Ulrich zu suchen, wäre sicherlich dann auch zu kurz gegriffen.
Saar-Machtkampf "ist sicherlich eine bedeutende Ausnahme"
Schulz: Hat sich das die Parteispitze im Grunde auch selbst zuzuschreiben, weil sie sich da so eingemischt hat?
Jun: Wenn sie sich nicht eingemischt hätte, wären die Konsequenzen auch schon da gewesen. Es ist ja so, dass auch innerhalb des Saarlandes ja schon das Landesschiedsgericht Rheinland-Pfalz angerufen worden ist, weil auch schon innerhalb der saarländischen Grünen diese Disharmonie aufgetreten ist. Es ist unklar, ob nicht vielleicht sogar schon nur aufgrund der saarländischen Disharmonien oder Kontroversen die Situation so entstanden wäre.
Schulz: Eigentlich sind die Grünen ja in den letzten Monaten immer durch Einheit und Geschlossenheit aufgefallen. Ist der saarländische Landesverband jetzt eine Ausnahme, dass es da diese Machtkämpfe und Intrigen gibt?
Jun: Er ist sicherlich eine bedeutende Ausnahme – insofern, dass solche Art von Kontroversen sonst innerhalb der Grünen-Landesverbände nicht in dieser Art und Weise ausgetragen werden. Es gibt aber natürlich nach wie vor bei den Grünen unterschiedliche Strömungen, unterschiedliche Positionen und Haltungen. Es gibt immer noch einen linken Flügel, es gibt immer noch einen realpolitischen Flügel. Es ist nicht so, dass die Partei nun als vollständig geschlossene Einheit zu sehen ist. Aber wir haben gesehen, dass diese Einheit versucht wurde herzustellen und dass die Partei sich ganz in den Wahlkampfmodus versucht hatte zu stellen – in den letzten Jahren schon -, um gegenüber den Wählern nun als schlagkräftige Partei auftreten zu können.
Ein "kleineres Mosaiksteinchen", das den Grünen am Ende schadet
Schulz: Im Wahlkampf hatte die Partei ja ein bisschen das Problem, dass ihnen unterstellt wurde, ihnen fehle mit Baerbock die Regierungserfahrung. Verstärkt jetzt durch diesen Fall im Saarland sich noch mal möglicherweise der Eindruck, dass da die Professionalität fehlt?
Jun: In der Tat ist das ein weiteres kleines Mosaiksteinchen, dass der Eindruck da ist, dass Frau Baerbock hier und die gesamte Partei es vielleicht an der notwendigen Professionalität hat vermissen lassen, und das ist jetzt ein kleineres Mosaiksteinchen, aber schon eines, was den Grünen sicherlich am Ende schadet, weil wie gesagt hier der saarländische Abgeordnete auf jeden Fall ihnen fehlen wird.
Schulz: Noch vor ein paar Monaten waren die Grünen ja sehr ambitioniert, haben gesagt, sie spielen auf Sieg. Halten Sie das noch für realistisch? Christian Lindner hat ja schon gesagt, für ihn ist die Sache im Grunde klar, Armin Laschet wird Kanzler.
Jun: Ich würde sagen, soweit können wir im Moment nicht gehen, weil wir ja gar nicht wissen, welche Koalitionsformate nach der Bundestagswahl entstehen. Es kann ja sein, dass zwar die Unions-Parteien am Ende die stärkste Fraktion im Bundestag stellen, aber dass möglicherweise die zweitstärkste Fraktion – und das könnten ja die Bündnis-Grünen sein – am Ende doch über die Kanzlerschaft mitbestimmen kann. Das hängt dann davon ab, welche Koalitionskonstellationen mehrheitsfähig sind, und da könnte sicherlich dann auch Christian Lindners FDP eine nicht unbedeutende Rolle spielen.
"Bedeutung Habecks ist jetzt gestiegen"
Schulz: Annalena Baerbock kann noch Kanzlerin werden?
Jun: Das ist nicht vollständig ausgeschlossen. Das muss man sehen, wenn die Grünen auf Platz zwei kommen, ob dann wie gesagt eine zum Beispiel grüne Ampel mit SPD und FDP möglich ist und welche anderen Mehrheitskonstellationen dann im Bundestag nach der Bundestagswahl entstehen.
Schulz: Jetzt läuft es trotzdem gerade für die Grünen aus bekannten Gründen nicht so gut wie noch vor einer Weile. Glauben Sie, es gibt da einen Weg raus aus der Defensive? Wie würde der aussehen?
Jun: Den sieht man ja schon. Man sieht ja, wie die Partei im Moment agiert. Sie stellt zum einen den zweiten Spitzenkandidaten Robert Habeck stärker neben Frau Baerbock. Das war von Anfang an auch schon geplant, dass Habeck eine wichtige Funktion im Wahlkampf hat. Aber die Bedeutung Habecks ist jetzt gestiegen. Er wird neben Frau Baerbock noch wesentlich mehr stehen.
Klimastrategie - das zentrale Thema
Schulz: Ist das, weil er bei den Wählern beliebter ist? Es gab ja auch viele, die gesagt haben, Habeck wäre der bessere Kanzlerkandidat gewesen.
Jun: Das spielt sicherlich auch mit eine Rolle, in der Tat, dass Habecks Popularität größer ist und dass er bei vielen Wählern gut ankommt, und natürlich, dass er noch nicht diese Fehler gemacht hat, die wir bei Frau Baerbock vorgefunden haben. Das zweite, was die Grünen auch machen – das sieht man ja auch; sie haben in der letzten Woche die Klimastrategie vorgestellt -, dass sie ihr Leib- und Magenthema, das zentrale Thema, mit dem sie Glaubwürdigkeit herstellen können, den Klimawandel sehr stark in den Vordergrund rücken.
Schulz: Sie haben die Klimastrategie vorgestellt und auch einige andere Strategiepapiere zu Schule, Katastrophenschutz. Aber trotzdem hat man ein bisschen den Eindruck, das verfängt nicht. Hat die Öffentlichkeit vielleicht gar kein großes Interesse an einem inhaltlichen Wahlkampf?
Jun: Na ja. Es ist schon so, dass das Thema Klimawandel, aber auch andere Themen die Wähler schon interessieren. Nur erkennen sie manchmal nicht die gravierenden Differenzen an der einen oder anderen Stelle. Da müssten sicherlich noch die Unterschiede deutlicher markiert und forciert werden. Das wollen die Grünen jetzt auch, indem sie ihre Strategiepapiere vorlegen und deutlich machen, wo sie sich von den anderen Parteien unterscheiden. Das Aufzeigen von mehr Differenz steht auch bei den Grünen zuletzt im Vordergrund und Frau Baerbock und Herr Habeck haben da ja auch schon deutliche Forderungen aufgestellt.
"Fehltritte von Laschet erscheinen nicht so gravierend"
Schulz: Wenn wir noch mal auf die Performance gucken. Armin Laschet hatte ja auch Probleme mit Negativschlagzeilen, auch Plagiatsvorwürfen, dann seine Auftritte in den Hochwassergebieten, und er ist als Kandidat in der Bevölkerung nicht besonders beliebt. Aber trotzdem hat man den Eindruck, seine Fehltritte schaden der Union nicht so sehr, wie das mit Annalena Baerbock bei den Grünen ist. Wie kann das sein?
Jun: Oh, das würde ich so nicht sagen. Wir sehen ja, dass die Union sich leicht im Abwärtstrend befindet, Herr Laschet insbesondere. Man muss allerdings auch sagen, dass es ja wirkliche Kleinigkeiten sind bei Herrn Laschet. Das ist sein Auftritt in den Hochwassergebieten, was bei manchen keine Zustimmung findet. Dann reden wir über ein zwölf Jahre altes Buch, wo vielleicht ein paar unvorsichtige Zitate verwendet worden sind. Die Fehltritte von Laschet erscheinen nicht so gravierend, erscheinen eher als Kleinigkeiten.
Zum anderen muss man sagen, dass Laschet auch nie in der Bevölkerungsgunst sehr weit oben stand. Er war immer jemand, über dessen Kandidatur man diskutiert hat, über die Geeignetheit seiner Kandidatur war von Anfang an eine Kontroverse entfacht, während doch Frau Baerbock am Anfang mit einem fulminanten Start ihre Popularität deutlich steigern konnte. Derjenige, der höher geht, der geht auch immer das Risiko ein, tiefer zu fallen, und Herr Laschet hatte nie ein solches Hoch, wie es Frau Baerbock kurzzeitig hatte.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner