Christoph Heinemann: Im Machtkampf bei Volkswagen wird heute mit Spannung eine Erklärung des Autobauers erwartet. Gestern war der engste Kreis des Volkswagen-Aufsichtsrats bei einer Sondersitzung in Salzburg zusammengekommen, um über einen Ausweg aus der Führungskrise zu beraten. Konzernchef Martin Winterkorn steht unter Druck, nachdem VW-Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch überraschend von ihm abgerückt war. Piëch hatte vergangene Woche gegenüber dem "Spiegel" erklärt, er sei auf Distanz zu Winterkorn. Darüber hat mein Kollege Gerd Breker mit dem Automobilexperten Professor Stefan Bratzel von der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch-Gladbach gesprochen. Erste Frage: Gestern keine Erklärung; heute aber doch. Wird da ein Kompromiss vorbereitet?
Stefan Bratzel: Nun, ich glaube, man muss auch dieses Machtvakuum beenden. Ich glaube, auf diese Idee kam auch das Gremium des Aufsichtsrates. Und ich glaube, dass man ein Stück weit sagen wird, wie es weitergeht, vielleicht sogar die neue Führungsmannschaft gegebenenfalls vorstellt.
Gerd Breker: Ferdinand Piëch ist auf Distanz zu Martin Winterkorn gegangen. Sie haben gerade von einem Machtvakuum gesprochen. Damit ist klar: Winterkorn muss gehen!
Bratzel: Nun, mit dem Spruch von Piëch hat er eigentlich Winterkorn im Prinzip das Mandat entzogen. Das ganze Konstrukt des Volkswagen-Konzerns mit zwölf Marken und fast 600.000 Mitarbeitern funktioniert ja nur leidlich deshalb, weil bislang eigentlich die Person Winterkorn mit dem damaligen Duo Winterkorn-Piëch unumstritten war und so der Volkswagen-Konzern noch halbwegs regierbar war, und das ist jetzt weggefallen. Ich glaube, da wird Winterkorn es sehr, sehr schwer haben, jetzt weiterzuregieren im Volkswagen-Konzern.
Breker: Martin Winterkorn hat die zehn Millionen-Marke überschritten. VW ist dabei, Toyota zu überholen. Aber das reicht offenbar nicht. Was hat er denn falsch gemacht?
Bratzel: Nun, das ist eine gewisse Tragik. Sie haben es erwähnt. Noch vor acht bis zehn Jahren war Volkswagen Übernahmekandidat und mittlerweile einer der erfolgreichsten Konzerne. Aber ich glaube, Piëch wollte Winterkorn an der Spitze des Aufsichtsrates verhindern und er wollte einen, wenn man so will, Führungswechsel jetzt einleiten, und dazu hat er diese Aktion jetzt angezettelt. Er ist - und das weiß man ja aus der Vergangenheit - nicht zimperlich in der Art und Weise, wie er mit dem Führungspersonal umgeht.
Breker: Piëch wollte Winterkorn an der Nachfolge im Aufsichtsrat hindern, haben Sie gerade gesagt, Herr Bratzel. Er will aber seine Nachfolge regeln. Die steht ja 2017 an. Das Unternehmen soll zukunftsfest gemacht werden. Wo liegt denn die Zukunft der Autobranche?
Bratzel: Ja, das ist eine schwierige Frage. Wir sind im Moment in einem paradigmatischen Wandel der Branche. Wir haben beispielsweise das Thema des vernetzten Fahrzeugs, das autonomes Fahren in Teilschritten in den nächsten Jahren ermöglicht. Wir haben das Thema Car Sharing und Mobilitätskonzepte, das möglicherweise neue Geschäftsmodelle zum Tragen bringt, und das ist alles etwas, was wir die vergangenen hundert Jahre in der Weise eben nicht hatten, und ich glaube, es braucht jetzt Visionen, die Visionen vielleicht, die ein Piëch vor 20 Jahren hatte und in den letzten Jahren verwirklicht hat, und dazu sucht er, glaube ich, einen, der das ein Stück weit nach vorne treiben kann. Wer das am Ende sein wird, das wird eine Überraschung sein.
Breker: Ist ja schon mal die Frage, Herr Bratzel, ob es ein Übergangskandidat sein wird, oder ob es eine langfristige Lösung geben könnte. Wer stünde denn da bereit, wer ist denn Favorit in der Suche nach einem Nachfolger für Martin Winterkorn?
Bratzel: Ich glaube, ein Stück weit Favorit scheint mir im Moment der Porsche-Chef zu sein, Matthias Müller. Der scheint doch sowohl Volkswagen-Gene als auch Porsche-Gene zu haben, und ich glaube, die Chance ist relativ gut, dass er möglicherweise zumindest für den Übergang als neuer Chef zur Verfügung stehen könnte. Aber das ist natürlich Spekulation. Es gibt eine weitere Reihe ganz guter Kandidaten. Sehr bewährt und sehr vernetzt ist auch der Skoda-Chef Vahland und noch einige weitere mehr. Also es stünden schon einige bereit. Ob diese jetzt diesen schwierigen Übergang des Volkswagen-Konzerns in die 20er-Jahre mit veränderten Geschäftsmodellen gehen können, das muss man vielleicht noch offen lassen.
Breker: Sie denken, Herr Bratzel, dass es eine hausinterne Lösung geben wird, innerhalb des VW-Konzerns mit all seinen Marken, und nicht einer von außen geholt wird?
Bratzel: Ich glaube, dass es definitiv zumindest für den Übergang eine hausinterne Lösung geben wird, und deswegen glaube ich auch nicht, dass die neuen Kandidaten Renschler und Diez jetzt gleich eine Chance haben werden. Es fehlt ihnen der Stallgeruch, es fehlt ihnen noch die Vernetzung im Konzern. Das kann ich mir im jetzigen Zeitpunkt schwer vorstellen.
Breker: Und eins haben wir gelernt, Herr Bratzel: Ferdinand Piëch hat keine Privatmeinung. Sein Wort ist immer noch Gesetz.
Bratzel: Sein Wort ist immer noch Gesetz. An Ferdinand Piëch führt kein Weg vorbei. Das war in der Vergangenheit so und das wird auch diesmal so sein.
Heinemann: Der Automobilexperte Professor Stefan Bratzel von der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch-Gladbach. Die Fragen stellte mein Kollege Gerd Breker.
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