In dieser Woche hat Armeechef Ahmed Gaid Salah am Montag, am Dienstag und am Mittwoch Reden gehalten. Der 79-Jährige sprach über politische Fragen, über den Kampf gegen Korruption und immer über die Rolle der Armee als Hüterin der Verfassung.
Das Algeriens Armeechef über Politik, Justiz und Verfassung spricht, gehört keineswegs zu seinen Aufgaben. Aber Algeriens Regime steckt in der Krise und General Gaid Salah hat sehr, sehr klare Vorstellungen davon, wie da heraus zu kommen wäre:
"Wir werden niemals müde zu sagen: Priorität ist es, schleunigst eine Präsidentschaftswahl auf den Weg zu bringen. In dem Zeitrahmen, den die Verfassung vorgibt und innerhalb einer akzeptablen Zeit."
"Gaid Salah - hau ab!"
Seit Wochen wiederholt General Gaid Salah das immer wieder und ebenso seit Wochen antworten die Demonstranten bei den freitäglichen Massenprotesten:
"Gaid Salah - hau ab!" – Nun könnte man meinen, Wahlen sollten durchaus im Sinne der Demonstranten sein. Schließlich fordern sie seit vier Monaten wahrhaft demokratische Verhältnisse in Algerien.
Nasser Djabi, Soziologie-Professor an der Universität Algier, verfolgt die politische Entwicklung sehr genau. Er sagt, die Proteste ebben nicht ab, weil die Menschen den Eindruck haben, Algeriens Armee wolle nicht wirklich etwas verändern.
"Die aktuellen Machthaber, also das Militär, wollen keine Änderung des Systems. Sie wollen nur politisches Personal austauschen."
Verschwörung, Selbstbereicherung, Korruption
Dieser Austausch des politischen Personals ist tatsächlich im Gange: Zwei ehemalige Ministerpräsidenten, mehrere Ex-Minister, der einest so mächtige Bruder des früheren Staatschefs Bouteflika, reiche Geschäftsleute wanderten ins Gefängnis - Algerien erlebt eine Verhaftungswelle.
Die Begründungen für die Festnahmen lauten: Verschwörung gegen Staat und Armee. Selbstbereicherung. Missbrauch öffentlicher Gelder. Korruption.
Auch da sollte man meinen, die Demonstranten müssten Beifall spenden. Tatsächlich trauert in der Protestbewegung niemand, wenn jetzt beispielsweise der ehemalige Ministerpräsident Ahmed Ouyahia hinter Gittern sitzt. Er gilt bei vielen Menschen als Musterbeispiel für die Arroganz und die Willkür derjenigen, die sie nur noch als "die Macht" bezeichnet hatten. Aber viele glauben, das sind Bauernopfer, um das System zu erhalten.
Nasser Djabi von der Universität Algier beschreibt die Wahrnehmung der Verhaftungen in der Protestbewegung so:
"Der Eindruck ist, dass Armeechef Gaid Salah eine Art Handel anbietet nach dem Motto: Ich liefere euch ein paar Köpfe, ihr geht dann wieder nach Hause. Das hat nicht funktioniert."
Die Demonstranten gehen nicht nach Hause
Die Demonstranten gehen nicht nach Hause, sie machen weiter: Jeden Freitag gibt es große Demonstrationen in vielen algerischen Städten. Jeden Dienstag Proteste der Studenten in den Universitätsstädten. Die Parole ist immer: Systemwechsel. Und zum System rechnen die Demonstranten auch die Militärführung, die jahrelang treu und fest zum kranken Präsidenten Bouteflika stand.
Erst als klar wurde, dass Bouteflika den Massenprotesten weichen musste, hatte sich Armeechef Gaid Salah den Forderungen nach Bouteflikas Rücktritt angeschlossen.
Said Sali, stellvertretender Vorsitzender der algerischen Liga für Menschenrechte, interpretiert das so - die einst so undurchdringliche Front der Macht sei durch die Proteste aufgebrochen worden:
"Wir erleben eine Umkehr der Kräfteverhältnisse: Das algerische Volk ist geeint, das System ist gespalten."
Diese Spaltung will die Protestbewegung für einen echten Systemwechsel nutzen. In der amtierenden Regierung sitzen mehrheitlich Minister, die in der Ära Bouteflika schon häufig Minister waren. Der Übergangspräsident ist ein alter Gefolgsmann Bouteflikas. Und Armeechef Gaid Salah hatte dem damaligen Präsidenten Treue bis zu dessen Tod geschworen.
Die Protestbewegung traut diesen Machthabern nicht. Sie wirft ihnen vor, in der Vergangenheit Wahlergebnisse manipuliert und gefälscht zu haben. Und sie entwirft selbst Strategien für den Übergang.
Die Bevölkerung hat keine Angst mehr vor Repressionen
Am vergangenen Samstag tat das eine große Konferenz der algerischen Zivilgesellschaft. Kommende Woche wollen sieben Oppositionsparteien über einen Ausweg aus der politischen Krise beraten. Soziologe Nasser Djabi von der Universität Algier schätzt die Lage so ein: Das Militär schreckt offenbar davor zurück, die Proteste mit Gewalt zu unterdrücken. Die Bevölkerung, so Djabi, habe ihre Angst vor Repressionen verloren.
"Die Armee kann nichts machen gegen die Protestbewegung," meint Nasser Djabi. Aber was will Algeriens starker Mann, General Gaid Salah? Bisher lässt er nicht erkennen, dass er das tun will, was Oppositionspolitiker wie Saadi Laskri inmitten der Demonsranten fordert:
"Die Armee muss den Übergang zu einem demokratischen Algerien garantieren und begleiten. Aber sie darf nicht selbst Politik machen."
Genau das hat Algeriens Armee aber seit der Unabhängigkeit von Frankreich 1962 immer getan. Sie hat Politik gemacht und bestimmt. Und niemand weiß, ob und wann sie damit aufhören will.