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Machtkampf in der AfD
Die Zerreißprobe

Lucke gegen Petry - wirtschaftsliberal gegen nationalkonservativ: In den vergangen Monaten hat die AfD vor allem durch interne Streitigkeiten an der Spitze von sich reden gemacht. Immer deutlicher zeigt sich, dass es der Partei mehr als schwer fällt, die beiden konkurrierenden Strömungen friedlich zu vereinen.

Von Annette Riedel und Stefan Maas |
    Frauke Petry und Bernd Bernd Lucke
    Setzt sich der wirtschaftsliberale Flügel um Bernd Lucke durch oder der nationalkonservative um Frauke Petry? Oder am Ende gar jemand ganz anderes? (picture alliance / dpa - David Ebener)
    "Einen wunderhübschen Abend wünsche ich im Namen der AfD. Landesverband Berlin. Wir machen das ja alle 14 Tage hier."
    Frank Scheermesser sitzt an einem langen hellen Holztisch und schaut in die Runde. Vier Männer und eine Frau sind gekommen zum Kennenlerntreffen der Alternative für Deutschland. Sonst sind es zwei oder drei Mal so viele, erzählt Scheermesser, ein AfD-ler fast der ersten Stunde.
    "Wir machen einfach eine ganz lockere Runde, dass jeder mal kurz was sagt, warum er heute hier ist, was er erwartet."
    Aber natürlich wollen die Anwesenden auch wissen: Was ist da eigentlich los in der Bundespartei? In den vergangen Monaten hat die AfD vor allem durch interne Streitigkeiten an der Spitze von sich reden gemacht. Am kommenden Wochenende sollte es eigentlich zum Showdown kommen – ein Parteitag in Kassel sollte endlich klären, in welche Richtung die Partei steuert: Wirtschaftsliberal – oder nationalkonservativ. Doch der Parteitag wurde auf Anfang Juli verschoben.
    Seit mehreren Monaten zeigt sich deutlich – dass es der Partei schwer fällt, die beiden konkurrierenden Strömungen friedlich zu vereinen. Ob es ihr langfristig gelingen wird, oder sie sich zerreißt, ist offen. Wie tief die Gräben sind, wurde besonders vor einigen Wochen deutlich: Da hatte Hans-Olaf Henkel, der ehemalige BDI-Präsident – und eines der bekanntesten AfD-Gesichter – seinen Vizeposten im Parteivorstand hingeworfen. Er wollte es nicht länger mittragen, dass Rechtsideologen versuchten, die Partei zu übernehmen.

    Hans-Olaf Henkel
    Hans-Olaf Henkel (imago stock & people)
    Gut eine Woche vor diesem Berliner Kennenlerntreffen hat Bernd Lucke seine Initiative "Weckruf 2015" ins Leben gerufen. Gemeinsam mit seinen Unterstützern warnt der Parteigründer davor, die als eurokritische Partei gegründete AfD drohe auf Betreiben einiger Personen und Landesverbände "inhaltlich auszufransen".
    Nicht gerade der ideale Zeitpunkt, würde man meinen, um sich für die AfD zu interessieren. Oder gerade doch, sagt Jan. Der 37-Jährige im grün-weiß gestreiften Hemd wollte eigentlich schon vor zwei Jahren Mitglied werden. Da wuchs die Partei gerade rasant, war organisatorisch noch etwas überfordert, und Jans Antrag ging wohl verloren, vermutet er. Jetzt also der zweite Anlauf:
    "Jetzt ist es für mich insofern interessanter geworden, als dass ich gesehen habe, dass vielleicht die Richtung, die mich eher interessiert in der AfD, auch stärker vertreten wird in Zukunft. Dass die, die mit Recht vielleicht versucht haben, gewisse Dinge von der Partei fernzuhalten und sie zu schützen, es vielleicht auch gleichzeitig versäumt haben, dem Bürger klar zu machen, dass gewisse Dinge aber durchaus vertreten werden, solange sie im Rahmen des demokratischen und menschlichen Spektrums liegen."
    "... wollen auf keinen Fall, dass aus der AfD eine Art deutscher Front National wird"
    Auch Manfred findet die Querelen zum jetzigen Zeitpunkt zwar bedauerlich, abhalten wolle er sich davon aber nicht lassen. Der Vorwurf, die AfD sei eine Partei, die sich sehr weit am rechten Rand des Parteienspektrums bewege, stört ihn nicht.
    "Da wir in Deutschland leben, ist es sehr einfach, die entsprechende rechte Keule rauszuholen, um entsprechend die Leute in Form zu bringen. Und da sage ich mir, denke ich, ist die AfD einzig eine Partei, wo man sagen kann, da würde ich mich aufgehoben fühlen. Und wo ich wieder sage, diese digitale Geschichte, rechts, links, ist in meinen Augen absoluter Schwachsinn."
    Die Unterzeichner des "Weckrufs" sehen diese Gefahr sehr wohl:
    "Wir wollen aber auf keinen Fall, dass aus der AfD eine Art deutscher Front National wird", schreiben sie auf ihrer Webseite. Auf dem Parteitag, der für kommendes Wochenende in Kassel geplant war, sollte es also eine Antwort geben auf die Frage: Setzt sich der wirtschaftsliberale Flügel um Bernd Lucke durch oder der nationalkonservative um Frauke Petry? Denn diese beiden werden sich wohl als Kandidaten für das höchste Parteiamt gegenüberstehen. Auf dem Parteitag, so hofften viele, wäre endlich ein Schlussstrich gezogen worden unter das öffentliche Gezänk der vergangenen Wochen.
    Doch das Schiedsgericht der Partei hatte Bedenken, die wichtigen Beschlüsse dieses Bundesparteitages könnten angefochten werden, weil es auf einigen der vorbereitenden Landesparteitage zu Unregelmäßigkeiten bei der Wahl der Delegierten gekommen war. Deshalb wurde der Parteitag verschoben. Anfang Juli sollen dann nicht gewählte Delegierte, sondern alle Mitglieder über die neue Führungsspitze abstimmen können. Parteichef Bernd Lucke begrüßt diese Entscheidung:
    "Weil eben sehr wichtige Entscheidungen anstehen. Und die Wichtigkeit dieser Entscheidungen natürlich dafür spricht, dass wirklich jedes Mitglied selbst mitbestimmen kann. Und sich nicht darauf verlassen kann, dass irgendwelche Delegierten das machen."

    Bernd Lucke
    Bernd Lucke (picture alliance / dpa / Hendrik Schmidt)
    Er habe sich aus diesen Gründen schon seit längerer Zeit für einen Mitgliederparteitag ausgesprochen, erzählt Lucke. Was er nicht sagt: Bislang waren alle Parteitage der noch recht jungen AfD Mitgliederparteitage. Im Januar dann hatte die Partei in Bremen beschlossen, das System zu wechseln und lieber – wie es auch die anderen Parteien machen – zukünftig auf Delegierte zu setzen. Auch Bernd Lucke war dafür. Aus Kostengründen. Und weil Mitgliederparteitage schnell im Chaos enden können. Delegierte sind professioneller. Allerdings lassen sich unter ihnen auch schneller politische Allianzen schmieden. Für oder gegen einen Antrag oder eine Person. Und dabei sollen Luckes Gegenspielerin, Co-Parteichefin Frauke Petry, und ihre Verbündeten schon bei der Auswahl der Delegierten in mehreren Ländern "besonders gründlich" vorgegangen sein, heißt es bei ihren Kritikern.
    Ob das wirklich so war, das wertet das Schiedsgericht der "Alternative" nicht, hat aber eben Bedenken bei der Rechtmäßigkeit einiger Delegiertenwahlen. Frauke Petry jedenfalls hält den Beschluss des Bundesvorstandes für falsch:
    "Die Absage des Parteitages heißt vor allem, dass wir weitere Wochen der Hängepartie erleiden, weil die Führungsfrage eben erst auf dem Parteitag geklärt werden kann. Das halte ich nicht für richtig. Ich sehe auch nicht, dass es juristisch zwingende Gründe gegeben hat, diesen Parteitag abzusagen."
    Frauke Petry
    Frauke Petry (picture alliance / dpa / Arno Burgi)
    Plötzlich ist sogar Geld vorhanden, nachdem zuvor sogar eine "Geldbombe", eine bei der AfD beliebte und erfolgreiche Form des Crowdfunding, nicht genug eingebracht hat, um einen Mitgliederparteitag zu finanzieren. Aber, sagt Bernd Lucke:
    "Es ist zum Glück so, dass ich auch einen Spender gefunden habe, der bereit ist, in sehr großem Umfang die finanzielle Belastung der Partei zu übernehmen, die uns dadurch entsteht."
    Einen solchen Geldsegen hat es schon einmal gegeben, als es knapp wurde für Luckes Partei. Da hatte Hans-Olaf Henkel der AfD mit einem Millionenkredit unter die Arme gegriffen. Wer ihm dieses Mal zur Seite springt, will die Partei noch nicht verraten. Das Geld kommt jedenfalls für Bernd Lucke zum genau richtigen Zeitpunkt, um sich im Kampf um die Zukunft der Alternative zu positionieren.
    "Sie steht in der Tat am Scheideweg", analysiert Frank Decker, Politikwissenschaftler an der Universität Bonn, den Zustand der Alternative für Deutschland.
    "Die Gegensätze in der Partei prallen jetzt so hart aufeinander, dass nicht ausgeschlossen ist, dass es die Partei zerreißt. Und möglicherweise wird dann keiner der Teile überleben."
    Ein großes Problem der eurokritischen Partei sei, sagt Decker, dass beide Seiten gute Argumente für ihre Position hätten.
    "Die einen, die man jetzt eher als die Nationalkonservativen bezeichnet, die sagen, mit diesem wirtschaftsliberalen, nur auf das Eurothema setzenden Kurs, werden wir auf Dauer nicht die Wähler gewinnen und halten können, die wir brauchen, um uns zu etablieren. Und die anderen um Bernd Lucke sagen, wie ich finde auch mit Recht, der andere Kurs birgt ein sehr großes Risiko für die Partei. Nämlich das Risiko für die Partei, nämlich die immer dann schwierigeren Abgrenzung nach ganz rechts außen."
    Genau daran sind in der Vergangenheit alle Versuche, Parteien rechts von Union und FDP zu etablieren, gescheitert, erklärt der Politikwissenschaftler. Auch, wenn Bernd Lucke jetzt vor bestimmten Positionen in der Partei warnt - Decker betont, der AfD-Chef hat das Spiel mit den Ressentiments und Ängsten potenzieller Wähler selbst mitgespielt. Etwa in den Wahlkämpfen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Der große Erfolg in diesen Bundesländern, in denen die AfD seit dem vergangenen Jahr in den Parlamenten sitzt, habe denjenigen in die Karten gespielt, die der Partei empfehlen, sich nicht auf das Euro-Thema zu konzentrieren, sondern auf andere Themen wie Sicherheit, Zuwanderung und Islam.
    Dass die Wahlergebnisse in Hamburg und Bremen deutlich schlechter waren als im Osten, dient manchen in der Partei als Beleg dafür, dass es wenig erfolgversprechend ist, hauptsächlich auf Wirtschafts- und Eurothemen zu setzen.
    "Wenn man sich anschaut, woher kommen denn die Wähler der AfD, dann sieht man, dass sogar in Hamburg und Bremen die Partei in statusniedrigeren Stadtteilen besser abgeschnitten hat als in den sogenannten bürgerlichen Vierteln."
    Lucke, beurlaubter Professor für Makroökonomie an der Universität Hamburg, ist zu elitär, nimmt viele potenzielle Wähler nicht mit, analysiert der Bonner Politikwissenschaftler Frank Decker. Er traut eher Frauke Petry zu, auch innerhalb der Partei als Integrationsfigur wirken zu können. Diese Rolle sieht Decker aber durch ihre Positionierung im Machtkampf gegen Bernd Lucke beschädigt.
    "… dass Pegida kein natürlicher Verbündeter der AfD ist"
    Der Machtkampf von Lucke und Petry, der auch von persönlicher Abneigung befeuert wird, hat vieles der Anfangseuphorie zerstört. Bernd Lucke selbst erklärt, mit der sächsischen Landeschefin gebe es längst schon keine Vertrauensbasis mehr für eine Zusammenarbeit, muss aber auch zugeben, es seien nicht so sehr die Inhalte, bei denen sie über Kreuz liegen. Es gebe vielmehr unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie die Partei zu führen sei. Er wolle ein klares inhaltliches Profil, "an dem sich Mitglieder und Wähler orientieren können und müssen. Während Frau Petry der Auffassung ist, dass man eher alle mitnehmen soll. Das ist eher so eine Art Staubsaugermodell. Man saugt alle an und sagt, auch Ihr könnt in der AfD eure Ansichten irgendwie Ausdruck verleihen. Das halte ich für falsch."
    Frauke Petry ist unterdessen bemüht, dem Verdacht entgegenzutreten, die Partei nicht genug von extremen Positionen abzugrenzen. Auch sie hat die Aussagen des thüringischen Landeschefs Björn Höcke verurteilt, nicht jedes NPD-Mitglied könne als extremistisch eingestuft werden. Und auch zu Pegida hält Petry eine gewisse Distanz. Zwar hat sie sich zu Hochzeiten der montäglichen Demonstrationen in Dresden mit einigen der Organisatoren zu Gesprächen getroffen. Sie wolle aber noch einmal betonen, sagt sie, "dass Pegida kein natürlicher Verbündeter der AfD ist."
    Zum "natürlichen Verbündeten" der AfD nämlich hatte der ebenfalls dem nationalkonservativen Flügel zugehörige Parteivize Alexander Gauland die Pegida-Demonstranten erklärt. Zumindest für eine Weile. Zu Recht, meint der Bonner Politologe Frank Decker. Er fragt sich, "ob eine Bewegung wie die Pegida überhaupt nur im Windschatten der AfD möglich gewesen ist. Die Wahlerfolge waren ja im Spätsommer in den neuen Bundesländern. Und die Wahlkämpfe waren im Sommer. Dort ist eben dann dieses Feld für den Rechtspopulismus geöffnet und bereitet worden."
    Bernd Lucke war früh auf Distanz gegangen. Zu unkalkulierbar war für ihn das Risiko einer Verbrüderung, solange die Pegida-Positionen nicht eindeutig geklärt waren. Eindeutiger war da schon die Situation beim Einzug ins Europaparlament. Trotz Widerstand in der eigenen Partei stand Luckes Meinung fest: Eine Zusammenarbeit mit extremen Kräften wie der Britischen Unabhängigkeitspartei UKIP und dem französischen Front National würde es nicht geben. Stattdessen sitzen die sieben Abgeordneten in einer Fraktion mit den britischen Konservativen. Das entspricht viel mehr dem Bild, das Lucke selbst von seiner Partei hat: Konservativ, nicht extrem.
    Sein Plan ging auf: Die Abgeordneten der AfD im Europäischen Parlament waren von Anfang an entschlossen, die Europäische Bühne zu nutzen, um auf sich und ihr erklärtes Anliegen aufmerksam zu machen. Die Kritik an der Euro-Rettungspolitik. Doch keiner der sieben Abgeordneten, darunter der ehemalige BDI-Vorsitzende Hans-Olaf Henkel, kam als Politprofi ins Parlament.
    "Aber das ist unsere Stärke. Wir haben alle in unserem Leben etwas Vernünftiges getan. Wir haben nicht die ganze Zeit unseres Lebens auf Parteibänken und in Gremien gehockt, um irgendwelche Parteiämter zu haben."
    Wenngleich als Stärke von Henkel offensiv vertreten, im parlamentarischen Alltag in Straßburg und Brüssel zeigt sich auch die Kehrseite der Medaille: Letztlich verfolgt jeder der AfD-Abgeordneten mehr oder weniger seine eigene Agenda. Das beobachten die Abgeordnetenkollegen, wie die österreichische Liberale Angelika Mlinar, schon lange.
    "Das ist jetzt quasi so, ich sage jetzt, was ich sagen will. Das ist meine Chance; das sind meine "15 minutes of fame" und hinter mir die Sintflut."
    Doch auch bei den Sieben untereinander treten die Gegensätze zutage, die der Partei im Gesamten zu schaffen machen. In Brüssel und Straßburg heißt das meistens: fünf gegen zwei. Lucke, Henkel und drei weitere gegen die Nationalkonservative Beatrix von Storch und Marcus Pretzell.
    Pretzell ist AfD-Landeschef in Nordrhein-Westfalen und gilt als enger Vertrauter von Frauke Petry.
    Marcus Pretzell
    Marcus Pretzell (imago / Mauersberger)
    Ende April wurde er von den internen Sitzungen der Sieben ausgeschlossen. Dafür hatte Hans-Olaf Henkel gesorgt, der wohl prominenteste Unterstützer von Bernd Lucke. Die Entscheidung wurde per Pressemitteilung veröffentlicht. Neben E-Mails eine der Hauptwaffen im parteiinternen Kampf um die Deutungshoheit:
    "Ob ich nun jede Woche einmal eineinhalb Stunden mit den anderen Sechs zusammensitze oder nicht – das interessiert in der Öffentlichkeit niemanden. Dass man das aber dann im Rahmen einer Pressemitteilung nach draußen gibt, hat nur einen einzigen Grund gehabt, den Eindruck zu erwecken, ich sei isoliert."
    Und das sei er keineswegs, betont der EU-Abgeordnete Pretzell. Im Gegenteil, sagt er: Er und seine Parteikollegin Beatrix von Storch seien doch diejenigen, die, wenngleich im Dissens mit Bernd Lucke, mehrheitlich verabschiedete Parteiposition der AfD zu europäischen Themen im Parlament verträten.
    So haben die beiden in ihren jeweiligen Ausschüssen - anders als von Lucke und Henkel gewünscht - gegen das Freihandelsabkommen mit den USA, TTIP, gestimmt. Und im Plenum gegen Sanktionen gegen Russland – letzteres entsprach einem Parteitagsbeschluss, zählt Pretzell auf:
    "Ich habe ein Problem damit, dass jemand eine Minderheiten-Position vertritt, zu Russland, zu TTIP, und dann von allen anderen behauptet, dass sie gefälligst die Partei zu verlassen hätten, beziehungsweise ihre Meinung bitte für sich zu behalten haben."
    Rund 3.000 der etwa 22.000 Mitglieder haben den "Weckruf" unterzeichnet
    Deshalb, sagt Pretzell, könne er sich gut vorstellen, dass Bernd Lucke mit seiner in Straßburg vorgestellten "Weckruf 2015"-Initiative – bei der er die Partei davor warnt, eine falsche inhaltliche Richtung einzuschlagen, zwei mögliche Ziele verfolge. Entweder gelinge es Lucke, die Partei damit auf seinen Kurs "zu zwingen", vermutet Pretzell,– aus Angst nämlich, ihr prominentestes Mitglied zu verlieren. Oder - sollte Lucke das nicht gelingen - mit einer vermeintlich inhaltlichen Begründung, seinen Absprung aus der AfD zu rechtfertigen.
    "Ein Parteivorsitzender, der letztlich die Partei dazu anhalten möchte, ihm in allen wesentlichen politischen Fragen, wie er es mal ausgedrückt hat, zu folgen – der kann eine Partei insbesondere wie die AfD nicht führen. Das ist eine Merkel-Union – da funktioniert das. Das wird in der AfD ganz besonders nicht funktionieren und mit Herrn Lucke sowieso nicht."
    Lucke selbst beteuert, es sei nichts dran an der Behauptung, er wolle die Partei mit seinen Anhängern verlassen:
    "Wir haben das ja von Anfang an klargestellt, dass der Weckruf nicht ein Instrument der Spaltung ist, sondern ganz im Gegenteil diejenigen Leute in der Partei halten soll, die jetzt verunsichert sind."
    Rund 3.000 der etwa 22.000 Mitglieder haben den "Weckruf" unterzeichnet. Ein gutes Ergebnis, verkündet das Lucke-Lager. Lächerlich wenig - schallt es von den Weckruf-Gegnern zurück. Frauke Petry gehört zu denjenigen, die im Weckruf gar potenziell parteischädliches Verhalten sehen.
    "Die relativ geringe Resonanz auf diesen Weckruf zeigt auch, dass der Großteil der Partei verstanden hat, das diese Vereinsgründung der Partei nicht hilft, sondern letztendlich ein Signal der Uneinheit sendet, das wir eigentlich gar nicht senden möchten. Jedenfalls die Mehrheit der Mitglieder möchte das nicht."
    Der Abend ist mild, rotweiß gestreift leuchtet das Hausboot – ein Ausflugslokal im Kölner Süden. Drinnen haben sie sich hinter verschlossenen Türen zurückgezogen: die Mitglieder des örtlichen AfD-Stammtisches. Auch hier hat Luckes Weckruf viel Anlass zum Diskutieren gegeben. Manche haben ihn unterschrieben. Manche nicht. Zu ihnen gehört auch Stephan Boyens.
    "Der Weckruf hat eine Diskussion angestoßen, die sicher notwendig ist, die jetzt geführt wird, die aber, wenn sie mal geführt wird, zeigen wird, dass man das auch hätte anders lösen können, das wir gar nicht weit auseinander sind."
    Boyens fasst zusammen, was hier am Kölner Stammtisch längst allen klar ist: Beim Bruch im Führungsteam geht es schon lange nicht mehr nur um politische Positionen – hier geht es um persönliche Abneigungen – und die seien unüberwindbar. Dabei trage Lucke durchaus eine Mitschuld, meinen einige. Weil er darauf bestanden habe, dass es zukünftig nur noch einen Parteichef geben soll, nämlich ihn. In einer AfD, in der viele mitmachen, gerade weil sie nichts mehr mit dem Führungsstil etablierter Parteien zu tun haben wollten, kann das nicht gelingen. Dass ausgerechnet Lucke nun seine politischen Vorstellungen im Alleingang durchsetzen will, hat bei vielen das Vertrauen zerstört. Hier in Köln können sich manche mittlerweile einen unbeschadeten Kompromisskandidaten als Parteichef vorstellen, um den Streit zu beenden. Also weder Lucke noch Petry. Und mache sprechen an diesem Abend sogar von einer AfD ohne Bernd Lucke. So schnell könne die Stimmung umschlagen, sagt Jörn, der eigentlich anders heißt.
    "Genauso wie mich das sehr irritiert hat in den Anfangszeiten, dieser phrenetische Empfang, den man ihm da immer bereitet hat, er war ja sozusagen der neue Messias. Jetzt ist er so ein bisschen der Buhmann für viele, der ja sowieso alles falsch macht und immer nur bestimmen will, wo es lang geht."
    Ob er mit seinem Kurs dennoch Erfolg haben wird, wird sich Anfang Juli auf dem Parteitag zeigen. Der Streit innerhalb der AfD wird sicherlich weitergehen.