Nach Industrielandschaft sieht es am linken Ufer des Nervion-Flusses bei Barakaldo in der Nähe von Bilbao nicht mehr aus. Junge Paare treffen sich auf den Bänken des langen Grünstreifens, Angestellte joggen am Ufer. Dabei stand hier einmal Spaniens größtes Industrieunternehmen, die Hochöfen von "Altos Hornos de Vizkaya". 15.000 Menschen waren hier beschäftigt. Die beiden Rentner José Blanco und Ignacio Camacho spazieren jeden Abend durch die Anlage. Sie kennen die Gegend noch von früher:
"Die Landschaft, hier war alles schwarz. Die Schornsteine rauchten, die Häuser waren schwarz. Das hier ist der Fluss Galindo, ein Nebenarm des Nervion. Hier machten die Barkassen fest. Sie brachten Kohle für die Hochöfen und transportierten den frischen Stahl in den Hafen. Die Hochhöfen standen direkt vor uns. Hier wo wir sitzen - überall waren die Fabrikhallen. Das rote Gebäude dort ist heute ein Museum. Dort wurde der Strom für die Hochöfen von Barakaldo erzeugt."
Das Baskenland ist eine der am frühesten industrialisierten Regionen Spaniens. Die Industrie brauchte Arbeitskräfte, und so zogen seit Ende des 19. Jahrhunderts viele Familien aus den verarmten ländlichen Regionen wie der Estremadura, Andalusien oder Galicien ins Baskenland. Nicht alle Einheimischen freuten sich darüber, fühlten sie sich doch in ihren Gebräuchen, Sprache und Kultur von den proletarischen Spaniern bedroht. In jener Zeit, im Jahr 1895, gründete Sabino Arana die Baskische Nationalistische Partei - kurz PNV:
Auch die heutigen Rentner José Blanco und Ignacio Camacho spürten diese Angst und Zurückweisung noch, als sie in den 50er-Jahren aus Galicien ins Baskenland kamen:
"Das hat den Einheimischen nicht gefallen: Wir haben ihre Gebräuche verändert. Die Frauen haben hier früher die Straßen praktisch nicht betreten. Es sind immer nur die Männer in die Bars, haben ihren Wein unter sich getrunken. Da kamen wir mit unseren Familien, und sie sahen, dass wir mit unseren Frauen spazieren oder in die Kneipen gehen. Die baskischen Frauen wollten das dann auch. Noch heute gibt es Leute, die uns das nicht verzeihen. Sie hatten viele Schimpfwörter für uns: Maquetos, Koreaner, Bauern ..."
So extrem sei es heute nicht mehr, aber immer noch werde im Baskenland unterschieden zwischen Einheimischen und Zugezogenen, wie in einem Dorf, sagen die beiden Rentner. Diesen Vorwurf machen sie auch dem bisherigen baskischen Regierungschef Juan José Ibarretxe.
Ibarretxe war die vergangenen zehn Jahre "Lehendakari" - wie die Basken das Amt des Ministerpräsidenten nennen und gehört der PNV an, die das Land seit der Wiedereinführung von Demokratie und baskischer Autonomie im Jahr 1979 regiert hat:
"Dieser Lehendakari ist ein Nationalist. Er hat nur für die eine Hälfte des Volkes regiert. Die andere Hälfte des Volkes ist ja nicht nationalistisch. Und sie fühlt sich diskriminiert. Immer wenn wir etwas kritisiert haben, bekamen wir zu hören: "Ihr seid ja gar keine Nationalisten. Wenn es euch nicht gefällt, könnt ihr ja wieder gehen." Hoffen wir, dass jetzt für alle regiert wird. Nicht nur für die Hälfte."
Denn erstmals nach 30 Jahren sind die Nationalisten nun in der Opposition. Zum ersten Mal steht nun ein Sozialist der Region vor. Eher würde ein Schwein fliegen lernen, als dass ein Sozialist baskischer Lehendakari würde, hatten die Nationalisten vor den Wahlen vom 1. März noch gesagt. López sei von Madrid fern gesteuert. Immer wieder musste er sich gegen Angriffe verteidigen, eben doch nicht so richtig baskisch zu sein.
Dabei wurde Francisco Javier López, der von allen nur "Patxi" genannt wird, vor 49 Jahren im Baskenland geboren, in Portugalete, in der gleichen Industrieregion links des Nervion-Flusses in der Nähe von Bilbao, in die es auch die beiden Rentner José Blanco und Ignacio Camacho vor 50 Jahren auf der Suche nach Arbeit gezogen hatte. Ihnen sprach López aus dem Herzen, als er direkt nach den Wahlen am 1. März verkündete:
"Die Zeit der Konfrontationen ist vorbei. Wir haben eine neue politische Epoche in Euskadi eingeleitet. Denn ab sofort werden alle Basken gemeinsam über ihre Zukunft entscheiden. Heute Nacht fühle ich mich legitimiert diesen Wandel einzuleiten."
Doch es war kein rauschender Wahlsieg der Sozialisten. Die Baskische Nationalistische Partei landete mit mehr als 38 Prozent der Stimmen weit vor den Sozialisten, die sich zwar um acht Punkte verbesserten, aber nur etwas mehr als 30 Prozent der Stimmen erhielten.
Insgesamt sind im neuen baskischen Parlament sieben Parteien vertreten. Stärkste Kraft ist zwar erneut die PNV. Sie hat aber keine Mehrheit mehr.
Im Baskenland sind Parteibüros vielerorts noch Kneipen, Orte, wo man sich zu einem Glas Wein trifft, Fußball-Liveübertragungen gemeinsam anschaut oder eben auch über Politik redet. Die PNV nennt ihre Lokale "Batzoki", ein baskischer Ausdruck für "Ort zum Treffen". Im Batzoki von Barakaldo macht die Parteisprecherin Amaia del Campo gute Mine zum bösen Spiel. Der Gang in die Opposition schmerze nicht, sagt die 42-Jährige:
"Wir sind entzückt über dieses Wahlergebnis. Wir haben die Wahlen mit einer großen Mehrheit gewonnen. Wir haben 80.000 Stimmen mehr als die Sozialisten. Aber die Sozialisten haben nicht mit offenen Karten gespielt. Sie haben ihre eigenen Wähler betrogen. Patxi López sagte zuerst, er werde mit den Konservativen nicht zusammengehen. Direkt nach der Wahl hat er jedoch genau das angekündigt. Das heißt, er hat gelogen, er war nicht ehrlich."
Auch Juan José Ibarretxe hatte noch in der Wahlnacht seinen Führungsanspruch angemeldet. Die Nationalisten spekulierten auf eine Koalition mit den Sozialisten. Schließlich hatte die PNV in Madrid mit ihren Stimmen zuletzt den Haushalt der sozialistischen spanischen Regierung gerettet. Das Modell schien perfekt: Wir unterstützen Euch in Madrid und ihr uns im Baskenland, so die Botschaft.
Zumal die Sozialisten bereits seit 1985 an mehreren baskischen Regierungen beteiligt waren. Doch 1999 endete die letzte Koalitionsregierung aus PNV und Sozialisten, als die PNV mit anderen Parteien und der Terrororganisation ETA das sogenannte "Bündnis von Lizarra" einging. Zwar führte diese Koalition zu einer einjährigen Feuerpause der ETA, sah aber auch Schritte zu einer baskischen Unabhängigkeit und den Bruch der PNV mit den Sozialisten als Koalitionspartner vor.
Die ETA kehrte nach nur einem Jahr zum Terror zurück, doch Juan José Ibarretxe trieb als Ministerpräsident in den nächsten zehn Jahren die Bestrebungen nach mehr Unabhängigkeit weiter voran. Im vergangenen Jahr spitzte sich der Konflikt mit der spanischen Regierung zu. Ibarretxe wollte ein Referendum über ein Selbstbestimmungsrecht abhalten, das spanische Verfassungsgericht verbot das Vorhaben. Hinter vorgehaltener Hand kritisiert auch so mancher Nationalist Ibarretxes Konfrontationskurs. Doch für die Basis im Lokal der PNV in Barakaldo hat der ehemalige Ministerpräsident keine Fehler gemacht:
Wenn die Nationalisten nun keine Mehrheit mehr im Parlament haben, dann liege das ganz alleine am Verbot zweier Parteien aus dem Umfeld der ETA, so der Tenor der Parteibasis. Erstmals war bei den baskischen Parlamentswahlen keine der radikalen Gruppierungen zugelassen, die den Terrorismus nicht verurteilen.
Die beiden Parteien "Demokratie 3.000" und Askatasuna - zu deutsch: "Freiheit" - seien Nachfolgeorganisationen von Batasuna, dem verbotenen Arm der ETA, urteilte der spanische Oberste Gerichtshof und verbot beide Organisationen, die schließlich dazu aufriefen, ungültig zu wählen. Am Ende zählten die Wahlhelfer zwar mehr als 100.000 ungültige Stimmen, was fast neun Prozent entspricht - aber eine der ETA nahe stehende Partei gibt es im baskischen Parlament erstmals nicht.
Auch der Zuspruch für die Partei Aralar stieg bei den Wahlen stark an. Die Partei hatte sich im Jahr 2000 von Batasuna gelöst. Innerhalb Batasunas sei keine ernsthafte Politik mehr möglich, da die Partei sich dem Diktat der ETA unterwerfe, kritisierten die Dissidenten. Aralar sieht sich wie Batasuna als links, sozialistisch und fordert eine baskische Unabhängigkeit. Doch ihre Parlamentssprecherin Aintzane Ezenarro sagt auch:
"Ich will diese Gewalt meinen Kindern nicht als Erbschaft hinterlassen. Ich will nicht, dass nur, weil ihre Großeltern und Eltern 30 Jahre lang im Gefängnis verbracht haben, meine Kinder auch 30 Jahre lang ins Gefängnis sollen. Dagegen müssen wir kämpfen. Natürlich müssen wir um unsere Rechte kämpfen. - Mit den Mitteln der Politik! Ich habe drei Kinder. Denen stehen alle Wege offen, sich für dieses Land einzusetzen. Die ETA ist kein Weg. Die ETA ist das absurdeste, was es gibt. Wir müssen unseren Kindern klar machen, dass die Gewalt nur ins Gefängnis oder direkt in den Tod führt. Und zwar schneller, als wir alle denken."
Im baskischen Parlament findet sich niemand, der über Aintzane Ezenarro ein böses Wort verlieren würde. Die 38-Jährige ist bei allen Parteien beliebt. "Wir sind keine Sekte, wir sprechen mit allen", sagt sie, legt aber auch Wert darauf, sich abzugrenzen. Patxi López werde es als Ministerpräsident schwer haben, warnt sie, denn er werde gegen die Mehrheit der Bevölkerung regieren:
"Wir wissen nicht, was wir von López zu erwarten haben. Es gibt bisher kein Regierungsprogramm. Das einzig Konkrete sind Rückschritte bei einigen wichtigen Symbolen: Er will Einfluss auf unsere baskische Rundfunkanstalt nehmen, der Unterricht in der baskischen Sprache soll beschnitten werden. Die Regierung López wird von der Volkspartei kontrolliert werden, sie wird wenig Handlungsspielraum haben. Welche Steuerpolitik wollen sie mit einem rechten Partner an der Seite denn machen? Die Regierung wird vor allem zeigen wollen, dass es in diesem Land mehr Nicht-Nationalisten gibt als Nationalisten. Das ist eine spanische Front, und wir Nationalisten müssen uns trotz unserer Unterschiede dagegen stemmen und zeigen, dass wir mehr sind."
Sozialisten und Konservative haben sich darauf geeinigt, die Terrorbekämpfung zu forcieren und jenen Organisationen Subventionen zu entziehen, die die Gewalt nicht verurteilen, wie etwa dem Verband der Angehörigen der ETA-Mitglieder in den Gefängnissen. In den Schulen sollen die Eltern wählen dürfen, in welcher Sprache ihre Kinder unterrichtet werden, in Baskisch, Spanisch oder zweisprachig. Die Regierung Ibarretxe hatte zuletzt Baskisch zur Pflichtsprache gemacht.
Und in der baskischen öffentlichen Rundfunkanstalt EITB sollen Sprecher von illegalen Organisationen wie Batasuna nicht mehr zu Wort kommen. Außerdem soll die Wetterkarte geändert werden: Bisher sind die Infografiken dort so gestaltet, als gehörten zur politischen Region Euskadi auch Navarra und das französische Baskenland hinzu. Kritiker sahen darin eine Vorwegnahme des nationalistischen Traums von einem Groß-Baskenland.
Zwar hat Patxi López mit den Konservativen eine parlamentarische Mehrheit. Doch dieses Bündnis ist nicht beliebt. Vor den Wahlen wünschten sich weniger als fünf Prozent eine Koalition aus Sozialisten und Volkspartei, zwei Parteien, die sich im spanischen Parlament selbst in kleinsten Fragen nicht einigen können. Doch im Baskenland stimmt der kleinste gemeinsame Nenner.
Das sagt Joseba Arregi, Soziologieprofessor an der Deusto-Universität in Bilbao und ehemals baskischer Kulturminister. 2004 trat der 62-Jährige aus der PNV aus, weil er ihr mit ihrem zunehmenden Separatismus nicht mehr folgen mochte. Er sieht drei Grundsätze, auf die sich Sozialisten und Konservative einigen konnten:
"Erstens: Wir sind bereit, die spanische und die baskische Verfassung als Grundlage der Politik zu verteidigen. Zweitens: Wir sind bereit, das Imperium des Rechts anzuerkennen, dass die Gesetze da sind, um verteidigt zu werden und danach zu handeln. Und drittens, wir sind bereit, die Basken vor allem als Bürger zu sehen und nicht als Gläubige oder Identitätsträger. Grundsätzlich, der Baske ist ein Bürger mit Rechten und Pflichten und Freiheiten. Dass zwei Parteien diese simplen, wichtigen, grundsätzlichen Fragen als Grund für ihre Regierungsbildung verteidigen müssen, sagt unheimlich viel über die politische Lage im Baskenland und über die Unfähigkeit der PNV aus, dasselbe anzuerkennen. Ich glaube, jede demokratische Partei müsste bereit sein, alle drei Prinzipien anzuerkennen. Und die PNV ist dazu nicht bereit."
Genau darum habe die PNV die Wahlen verloren, sagt Arregi. Die Partei habe den Kontakt zur Gesellschaft verloren. Die Pläne nach mehr Unabhängigkeit des langjährigen Ministerpräsidenten Juan José Ibarretxe teile nicht einmal mehr ein Viertel der Basken, sagt er.
Die baskische Gesellschaft ist sehr vielschichtig. Teile der Bevölkerung sehen sich nur als Basken, andere nur als Spanier, doch dazwischen tragen viele ganz selbstverständlich gemischte Identitäten in sich. Die Nationalisten hätten an den Schulen und über das Fernsehen jedoch versucht, daraus eine homogene nationalistische Gruppe zu formen, wirft der Hochschulprofessor ihnen vor. Von der Regierung López erhofft er sich: Die ständige Beschäftigung mit den Fragen der Identität solle aufhören:
Im Juli wird die ETA 50 Jahre alt. In ihrer Geschichte hat sie mehr als 800 Menschen für ihr Ziel vom unabhängigen und sozialistischen Baskenland ermordet. Die neue Regierung gehöre zu ihren "vorrangingen Zielen", hat die Organisation erklärt. Auch die baskische Regionalpolizei Ertzaintza hat Kompetenzen in der Terrorismusbekämpfung, und die neue Regierung will den Fahndungsdruck gegen die ETA verstärken
Verhandlungen soll es künftig hingegen keine mehr geben, obwohl gerade die Sozialisten die Gespräche vorangetrieben hatten, die 2006 zum letzten Waffenstillstand geführt hatten. Doch auch diese Feuerpause führte nicht zum definitiven Ende des Terrors. Die ETA habe ihre Chance gehabt - und verstreichen lassen, sagt der neue Lehendakari.
"Ich bin sicher, dass die ETA so schwach ist wie noch nie. Sie setzt sich aus Leuten zusammen, die nichts weiter als töten können, die verhindern, das Freiheit und Demokratie in diesem Land vorwärts kommen. Ich bin sicher, dass die ETA eher heute als morgen verschwindet. Nicht nur wegen des Fahndungsdrucks der Polizei, sondern weil immer mehr die ETA einfach satt haben. Immer mehr meinen, dass es endlich reicht, dass wir unsere Zukunft in Freiheit und ohne die Aufsicht dieser faschistischen Bande gestalten möchten."
López sieht die demokratische Legitimität seiner Regierung auch nicht durch das Verbot der beiden der ETA nahe stehenden Parteien in Frage gestellt. Denn nicht der Separatismus oder andere politische Vorstellungen seien verboten worden, sondern Parteien, die direkt der militärischen Führung der ETA untergeordnet seien.
Und López gibt sich große Mühe, den Eindruck zu vermeiden, seine neue Regierung sei eine Front der beiden großen spanischen Parteien gegen die Nationalisten. Wie Soziologieprofessor Arregi erinnert er an die komplexe soziale Zusammensetzung seiner Heimat und hofft in Sachfragen auch auf die Zusammenarbeit mit den Nationalisten im Parlament. Vor allem hofft er aber, dass seine baskische Identität nicht länger in Frage gestellt wird. Kurz vor seiner Wahl sagte er:
"Der nächste Lehendakari wird ein Baske sein, und ein Spanier und ein Europäer und ein Weltbürger. Diese Identitäten vertragen sich nicht nur miteinander, sie sind auch sehr zu empfehlen."
"Die Landschaft, hier war alles schwarz. Die Schornsteine rauchten, die Häuser waren schwarz. Das hier ist der Fluss Galindo, ein Nebenarm des Nervion. Hier machten die Barkassen fest. Sie brachten Kohle für die Hochöfen und transportierten den frischen Stahl in den Hafen. Die Hochhöfen standen direkt vor uns. Hier wo wir sitzen - überall waren die Fabrikhallen. Das rote Gebäude dort ist heute ein Museum. Dort wurde der Strom für die Hochöfen von Barakaldo erzeugt."
Das Baskenland ist eine der am frühesten industrialisierten Regionen Spaniens. Die Industrie brauchte Arbeitskräfte, und so zogen seit Ende des 19. Jahrhunderts viele Familien aus den verarmten ländlichen Regionen wie der Estremadura, Andalusien oder Galicien ins Baskenland. Nicht alle Einheimischen freuten sich darüber, fühlten sie sich doch in ihren Gebräuchen, Sprache und Kultur von den proletarischen Spaniern bedroht. In jener Zeit, im Jahr 1895, gründete Sabino Arana die Baskische Nationalistische Partei - kurz PNV:
Auch die heutigen Rentner José Blanco und Ignacio Camacho spürten diese Angst und Zurückweisung noch, als sie in den 50er-Jahren aus Galicien ins Baskenland kamen:
"Das hat den Einheimischen nicht gefallen: Wir haben ihre Gebräuche verändert. Die Frauen haben hier früher die Straßen praktisch nicht betreten. Es sind immer nur die Männer in die Bars, haben ihren Wein unter sich getrunken. Da kamen wir mit unseren Familien, und sie sahen, dass wir mit unseren Frauen spazieren oder in die Kneipen gehen. Die baskischen Frauen wollten das dann auch. Noch heute gibt es Leute, die uns das nicht verzeihen. Sie hatten viele Schimpfwörter für uns: Maquetos, Koreaner, Bauern ..."
So extrem sei es heute nicht mehr, aber immer noch werde im Baskenland unterschieden zwischen Einheimischen und Zugezogenen, wie in einem Dorf, sagen die beiden Rentner. Diesen Vorwurf machen sie auch dem bisherigen baskischen Regierungschef Juan José Ibarretxe.
Ibarretxe war die vergangenen zehn Jahre "Lehendakari" - wie die Basken das Amt des Ministerpräsidenten nennen und gehört der PNV an, die das Land seit der Wiedereinführung von Demokratie und baskischer Autonomie im Jahr 1979 regiert hat:
"Dieser Lehendakari ist ein Nationalist. Er hat nur für die eine Hälfte des Volkes regiert. Die andere Hälfte des Volkes ist ja nicht nationalistisch. Und sie fühlt sich diskriminiert. Immer wenn wir etwas kritisiert haben, bekamen wir zu hören: "Ihr seid ja gar keine Nationalisten. Wenn es euch nicht gefällt, könnt ihr ja wieder gehen." Hoffen wir, dass jetzt für alle regiert wird. Nicht nur für die Hälfte."
Denn erstmals nach 30 Jahren sind die Nationalisten nun in der Opposition. Zum ersten Mal steht nun ein Sozialist der Region vor. Eher würde ein Schwein fliegen lernen, als dass ein Sozialist baskischer Lehendakari würde, hatten die Nationalisten vor den Wahlen vom 1. März noch gesagt. López sei von Madrid fern gesteuert. Immer wieder musste er sich gegen Angriffe verteidigen, eben doch nicht so richtig baskisch zu sein.
Dabei wurde Francisco Javier López, der von allen nur "Patxi" genannt wird, vor 49 Jahren im Baskenland geboren, in Portugalete, in der gleichen Industrieregion links des Nervion-Flusses in der Nähe von Bilbao, in die es auch die beiden Rentner José Blanco und Ignacio Camacho vor 50 Jahren auf der Suche nach Arbeit gezogen hatte. Ihnen sprach López aus dem Herzen, als er direkt nach den Wahlen am 1. März verkündete:
"Die Zeit der Konfrontationen ist vorbei. Wir haben eine neue politische Epoche in Euskadi eingeleitet. Denn ab sofort werden alle Basken gemeinsam über ihre Zukunft entscheiden. Heute Nacht fühle ich mich legitimiert diesen Wandel einzuleiten."
Doch es war kein rauschender Wahlsieg der Sozialisten. Die Baskische Nationalistische Partei landete mit mehr als 38 Prozent der Stimmen weit vor den Sozialisten, die sich zwar um acht Punkte verbesserten, aber nur etwas mehr als 30 Prozent der Stimmen erhielten.
Insgesamt sind im neuen baskischen Parlament sieben Parteien vertreten. Stärkste Kraft ist zwar erneut die PNV. Sie hat aber keine Mehrheit mehr.
Im Baskenland sind Parteibüros vielerorts noch Kneipen, Orte, wo man sich zu einem Glas Wein trifft, Fußball-Liveübertragungen gemeinsam anschaut oder eben auch über Politik redet. Die PNV nennt ihre Lokale "Batzoki", ein baskischer Ausdruck für "Ort zum Treffen". Im Batzoki von Barakaldo macht die Parteisprecherin Amaia del Campo gute Mine zum bösen Spiel. Der Gang in die Opposition schmerze nicht, sagt die 42-Jährige:
"Wir sind entzückt über dieses Wahlergebnis. Wir haben die Wahlen mit einer großen Mehrheit gewonnen. Wir haben 80.000 Stimmen mehr als die Sozialisten. Aber die Sozialisten haben nicht mit offenen Karten gespielt. Sie haben ihre eigenen Wähler betrogen. Patxi López sagte zuerst, er werde mit den Konservativen nicht zusammengehen. Direkt nach der Wahl hat er jedoch genau das angekündigt. Das heißt, er hat gelogen, er war nicht ehrlich."
Auch Juan José Ibarretxe hatte noch in der Wahlnacht seinen Führungsanspruch angemeldet. Die Nationalisten spekulierten auf eine Koalition mit den Sozialisten. Schließlich hatte die PNV in Madrid mit ihren Stimmen zuletzt den Haushalt der sozialistischen spanischen Regierung gerettet. Das Modell schien perfekt: Wir unterstützen Euch in Madrid und ihr uns im Baskenland, so die Botschaft.
Zumal die Sozialisten bereits seit 1985 an mehreren baskischen Regierungen beteiligt waren. Doch 1999 endete die letzte Koalitionsregierung aus PNV und Sozialisten, als die PNV mit anderen Parteien und der Terrororganisation ETA das sogenannte "Bündnis von Lizarra" einging. Zwar führte diese Koalition zu einer einjährigen Feuerpause der ETA, sah aber auch Schritte zu einer baskischen Unabhängigkeit und den Bruch der PNV mit den Sozialisten als Koalitionspartner vor.
Die ETA kehrte nach nur einem Jahr zum Terror zurück, doch Juan José Ibarretxe trieb als Ministerpräsident in den nächsten zehn Jahren die Bestrebungen nach mehr Unabhängigkeit weiter voran. Im vergangenen Jahr spitzte sich der Konflikt mit der spanischen Regierung zu. Ibarretxe wollte ein Referendum über ein Selbstbestimmungsrecht abhalten, das spanische Verfassungsgericht verbot das Vorhaben. Hinter vorgehaltener Hand kritisiert auch so mancher Nationalist Ibarretxes Konfrontationskurs. Doch für die Basis im Lokal der PNV in Barakaldo hat der ehemalige Ministerpräsident keine Fehler gemacht:
Wenn die Nationalisten nun keine Mehrheit mehr im Parlament haben, dann liege das ganz alleine am Verbot zweier Parteien aus dem Umfeld der ETA, so der Tenor der Parteibasis. Erstmals war bei den baskischen Parlamentswahlen keine der radikalen Gruppierungen zugelassen, die den Terrorismus nicht verurteilen.
Die beiden Parteien "Demokratie 3.000" und Askatasuna - zu deutsch: "Freiheit" - seien Nachfolgeorganisationen von Batasuna, dem verbotenen Arm der ETA, urteilte der spanische Oberste Gerichtshof und verbot beide Organisationen, die schließlich dazu aufriefen, ungültig zu wählen. Am Ende zählten die Wahlhelfer zwar mehr als 100.000 ungültige Stimmen, was fast neun Prozent entspricht - aber eine der ETA nahe stehende Partei gibt es im baskischen Parlament erstmals nicht.
Auch der Zuspruch für die Partei Aralar stieg bei den Wahlen stark an. Die Partei hatte sich im Jahr 2000 von Batasuna gelöst. Innerhalb Batasunas sei keine ernsthafte Politik mehr möglich, da die Partei sich dem Diktat der ETA unterwerfe, kritisierten die Dissidenten. Aralar sieht sich wie Batasuna als links, sozialistisch und fordert eine baskische Unabhängigkeit. Doch ihre Parlamentssprecherin Aintzane Ezenarro sagt auch:
"Ich will diese Gewalt meinen Kindern nicht als Erbschaft hinterlassen. Ich will nicht, dass nur, weil ihre Großeltern und Eltern 30 Jahre lang im Gefängnis verbracht haben, meine Kinder auch 30 Jahre lang ins Gefängnis sollen. Dagegen müssen wir kämpfen. Natürlich müssen wir um unsere Rechte kämpfen. - Mit den Mitteln der Politik! Ich habe drei Kinder. Denen stehen alle Wege offen, sich für dieses Land einzusetzen. Die ETA ist kein Weg. Die ETA ist das absurdeste, was es gibt. Wir müssen unseren Kindern klar machen, dass die Gewalt nur ins Gefängnis oder direkt in den Tod führt. Und zwar schneller, als wir alle denken."
Im baskischen Parlament findet sich niemand, der über Aintzane Ezenarro ein böses Wort verlieren würde. Die 38-Jährige ist bei allen Parteien beliebt. "Wir sind keine Sekte, wir sprechen mit allen", sagt sie, legt aber auch Wert darauf, sich abzugrenzen. Patxi López werde es als Ministerpräsident schwer haben, warnt sie, denn er werde gegen die Mehrheit der Bevölkerung regieren:
"Wir wissen nicht, was wir von López zu erwarten haben. Es gibt bisher kein Regierungsprogramm. Das einzig Konkrete sind Rückschritte bei einigen wichtigen Symbolen: Er will Einfluss auf unsere baskische Rundfunkanstalt nehmen, der Unterricht in der baskischen Sprache soll beschnitten werden. Die Regierung López wird von der Volkspartei kontrolliert werden, sie wird wenig Handlungsspielraum haben. Welche Steuerpolitik wollen sie mit einem rechten Partner an der Seite denn machen? Die Regierung wird vor allem zeigen wollen, dass es in diesem Land mehr Nicht-Nationalisten gibt als Nationalisten. Das ist eine spanische Front, und wir Nationalisten müssen uns trotz unserer Unterschiede dagegen stemmen und zeigen, dass wir mehr sind."
Sozialisten und Konservative haben sich darauf geeinigt, die Terrorbekämpfung zu forcieren und jenen Organisationen Subventionen zu entziehen, die die Gewalt nicht verurteilen, wie etwa dem Verband der Angehörigen der ETA-Mitglieder in den Gefängnissen. In den Schulen sollen die Eltern wählen dürfen, in welcher Sprache ihre Kinder unterrichtet werden, in Baskisch, Spanisch oder zweisprachig. Die Regierung Ibarretxe hatte zuletzt Baskisch zur Pflichtsprache gemacht.
Und in der baskischen öffentlichen Rundfunkanstalt EITB sollen Sprecher von illegalen Organisationen wie Batasuna nicht mehr zu Wort kommen. Außerdem soll die Wetterkarte geändert werden: Bisher sind die Infografiken dort so gestaltet, als gehörten zur politischen Region Euskadi auch Navarra und das französische Baskenland hinzu. Kritiker sahen darin eine Vorwegnahme des nationalistischen Traums von einem Groß-Baskenland.
Zwar hat Patxi López mit den Konservativen eine parlamentarische Mehrheit. Doch dieses Bündnis ist nicht beliebt. Vor den Wahlen wünschten sich weniger als fünf Prozent eine Koalition aus Sozialisten und Volkspartei, zwei Parteien, die sich im spanischen Parlament selbst in kleinsten Fragen nicht einigen können. Doch im Baskenland stimmt der kleinste gemeinsame Nenner.
Das sagt Joseba Arregi, Soziologieprofessor an der Deusto-Universität in Bilbao und ehemals baskischer Kulturminister. 2004 trat der 62-Jährige aus der PNV aus, weil er ihr mit ihrem zunehmenden Separatismus nicht mehr folgen mochte. Er sieht drei Grundsätze, auf die sich Sozialisten und Konservative einigen konnten:
"Erstens: Wir sind bereit, die spanische und die baskische Verfassung als Grundlage der Politik zu verteidigen. Zweitens: Wir sind bereit, das Imperium des Rechts anzuerkennen, dass die Gesetze da sind, um verteidigt zu werden und danach zu handeln. Und drittens, wir sind bereit, die Basken vor allem als Bürger zu sehen und nicht als Gläubige oder Identitätsträger. Grundsätzlich, der Baske ist ein Bürger mit Rechten und Pflichten und Freiheiten. Dass zwei Parteien diese simplen, wichtigen, grundsätzlichen Fragen als Grund für ihre Regierungsbildung verteidigen müssen, sagt unheimlich viel über die politische Lage im Baskenland und über die Unfähigkeit der PNV aus, dasselbe anzuerkennen. Ich glaube, jede demokratische Partei müsste bereit sein, alle drei Prinzipien anzuerkennen. Und die PNV ist dazu nicht bereit."
Genau darum habe die PNV die Wahlen verloren, sagt Arregi. Die Partei habe den Kontakt zur Gesellschaft verloren. Die Pläne nach mehr Unabhängigkeit des langjährigen Ministerpräsidenten Juan José Ibarretxe teile nicht einmal mehr ein Viertel der Basken, sagt er.
Die baskische Gesellschaft ist sehr vielschichtig. Teile der Bevölkerung sehen sich nur als Basken, andere nur als Spanier, doch dazwischen tragen viele ganz selbstverständlich gemischte Identitäten in sich. Die Nationalisten hätten an den Schulen und über das Fernsehen jedoch versucht, daraus eine homogene nationalistische Gruppe zu formen, wirft der Hochschulprofessor ihnen vor. Von der Regierung López erhofft er sich: Die ständige Beschäftigung mit den Fragen der Identität solle aufhören:
Im Juli wird die ETA 50 Jahre alt. In ihrer Geschichte hat sie mehr als 800 Menschen für ihr Ziel vom unabhängigen und sozialistischen Baskenland ermordet. Die neue Regierung gehöre zu ihren "vorrangingen Zielen", hat die Organisation erklärt. Auch die baskische Regionalpolizei Ertzaintza hat Kompetenzen in der Terrorismusbekämpfung, und die neue Regierung will den Fahndungsdruck gegen die ETA verstärken
Verhandlungen soll es künftig hingegen keine mehr geben, obwohl gerade die Sozialisten die Gespräche vorangetrieben hatten, die 2006 zum letzten Waffenstillstand geführt hatten. Doch auch diese Feuerpause führte nicht zum definitiven Ende des Terrors. Die ETA habe ihre Chance gehabt - und verstreichen lassen, sagt der neue Lehendakari.
"Ich bin sicher, dass die ETA so schwach ist wie noch nie. Sie setzt sich aus Leuten zusammen, die nichts weiter als töten können, die verhindern, das Freiheit und Demokratie in diesem Land vorwärts kommen. Ich bin sicher, dass die ETA eher heute als morgen verschwindet. Nicht nur wegen des Fahndungsdrucks der Polizei, sondern weil immer mehr die ETA einfach satt haben. Immer mehr meinen, dass es endlich reicht, dass wir unsere Zukunft in Freiheit und ohne die Aufsicht dieser faschistischen Bande gestalten möchten."
López sieht die demokratische Legitimität seiner Regierung auch nicht durch das Verbot der beiden der ETA nahe stehenden Parteien in Frage gestellt. Denn nicht der Separatismus oder andere politische Vorstellungen seien verboten worden, sondern Parteien, die direkt der militärischen Führung der ETA untergeordnet seien.
Und López gibt sich große Mühe, den Eindruck zu vermeiden, seine neue Regierung sei eine Front der beiden großen spanischen Parteien gegen die Nationalisten. Wie Soziologieprofessor Arregi erinnert er an die komplexe soziale Zusammensetzung seiner Heimat und hofft in Sachfragen auch auf die Zusammenarbeit mit den Nationalisten im Parlament. Vor allem hofft er aber, dass seine baskische Identität nicht länger in Frage gestellt wird. Kurz vor seiner Wahl sagte er:
"Der nächste Lehendakari wird ein Baske sein, und ein Spanier und ein Europäer und ein Weltbürger. Diese Identitäten vertragen sich nicht nur miteinander, sie sind auch sehr zu empfehlen."