Vor der Stadtverwaltung in Sewastopol versammelten sich gestern mehrere tausend Menschen, empört und verängstigt. Sie fühle sich bedroht durch den Machtwechsel in der Hauptstadt Kiew, 900 Kilometer nördlich, sagt eine ältere Dame, die sich als Anastassija vorstellt.
"Bei uns wohnen Tataren, Russen, Griechen, viele Ethnien. Wir leben friedlich zusammen. Wir brauchen hier keine ukrainische Nationalisten. Im Internet heißt es, sie wollen aus Kiew hierher kommen und uns erklären, wie wir leben sollen. Aber ich kann sie nur warnen: Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen, wie es in der Bibel heißt. Wenn hier noch einmal Faschisten auftauchen, werden wir sie beißen, wortwörtlich mit unseren Zähnen."
Dass es Faschisten seien, die in Kiew für Demokratie und eine Westanbindung der Ukraine kämpften, hat die Dame aus dem Fernsehen. Diese Propaganda tönt seit Wochen auf russischen Sendern.
Die Antwort der Menschen in Sewastopol: Russland, Russland, skandierten sie, der große Nachbar solle ihnen zu Hilfe eilen. In der Hafenstadt mit ihren 400.000 Einwohnern sind die meisten Menschen ethnische Russen - sie haben in der Mehrzahl für den abgesetzten Präsidenten Viktor Janukowitsch gestimmt.
Viele arbeiten für die russische Schwarzmeerflotte
In Sewastopol ist auch die russische Schwarzmeerflotte stationiert, deren Pachtzahlungen machen 20 Prozent des städtischen Haushalts aus. Außerdem fördert Russland hier viele Sozial- und Bildungsprogramme.
Auch insgesamt stellen Russen die Mehrheit unter den rund zwei Millionen Krim-Bewohnern. Das liegt daran, dass die Halbinsel bis 1954 tatsächlich zu Russland gehörte - dann gliederte sie der damalige Staatschef Nikita Chruschtschow an die einstige ukrainische Sowjetrepublik an.
Das müsse rückgängig gemacht werden, forderte die Freundin von Anastassija aus Sewastopol. Sie findet es gut, dass Bürger am großen Mast vor dem Rathaus die ukrainische Flagge eingeholt - und durch die russische Flagge ersetzt haben.
"Russland muss uns helfen, schließlich können wir hier nicht weg. Unsere Männer arbeiten für die russische Schwarzmeerflotte, die Häuser hier wurden gebaut, als die Krim noch russisch war. Ich bin eine Russin und eine Sewastopolerin, auf mich wartet kein Schiff, dass mich von hier wegbringen könnte."
Die Krim-Bewohner sollten selbst entscheiden dürfen, wie es mit der Halbinsel weitergeht, so das Argument. Deshalb forderten Mitarbeiter der örtlichen Universitäten und andere angesehene Bürger eine Volksabstimmung. Drei Optionen sollen den Menschen vorgelegt werden: Verbleib in der Ukraine, Selbstständigkeit oder die Angliederung an Russland. Den ersten Schritt dahin verlangen die Demonstranten heute vom Parlament der Halbinsel. Sie wollen, dessen Sitz in der Krim-Hauptstadt Simferopol belagern und die Abgeordneten auf ihre Seite bringen. Die neue Macht in Kiew dürfe nicht anerkannt werden, fordern sie.
Russische Sprache soll zurückgedrängt werden
Die Journalistin Jana Waskowskaja blickt skeptisch auf diese separatistische Stimmung. Dennoch kann sie den Ärger der Menschen verstehen.
"Die Parteien, die sich in der Ukraine als demokratisch bezeichnen - und die jetzt in Kiew an der Macht sind, haben in ihren Programm für uns inakzeptable Forderungen. Sie wollen die russische Sprache zurückdrängen, die doch für viele Menschen hier ihre Muttersprache ist. Sie wollen uns auch eine andere Sicht auf die Geschichte aufzwingen. Sewastopol hat im Zweiten Weltkrieg acht Monate den Angriffen der deutschen Besatzer standgehalten, viele sind dabei gestorben. Wenn nun der Sieg der Roten Armee herabgewürdigt wird, wie das ukrainische Nationalisten tun, dann fühlen sich die Menschen hier beleidigt."
Tatsächlich war es einer der ersten Beschlüsse des ukrainischen Parlaments nach dem Umsturz, das Sprachengesetz zu ändern. Russisch verliert damit seinen Status als Regionalsprache neben der Staatssprache Ukrainisch. Dieser Status hatte es den Menschen dort, wo viele Menschen russisch sprechen, erlaubt, bei Amtsgeschäften beide Sprachen zu verwenden.
Gegen Abend erreicht die Demonstranten in Sewastopol die Nachricht, dass die örtliche Staatsanwaltschaft und die Polizei nicht auf ihrer Seite stehen, sie ordnen sich der neuen, vorübergehenden Staatsführung in Kiew unter. Die Menschen fühlen sich verraten und verlangen nach der Privatadresse des Staatsanwalts. Die Organisatoren des Protests haben alle Mühe, die Menschen einigermaßen zu beruhigen.