Peter Kapern: Rettung im letzten Moment. Um Mitternacht Ortszeit Washington, also vor knapp einer Stunde, wären die Vereinigten Staaten von Amerika zahlungsunfähig gewesen, wenn nicht im letzten Moment Republikaner und Demokraten im US-Kongress doch noch einen Kompromiss gefunden hätten, der zumindest für einige Wochen dem Land Luft verschafft. US-Präsident Obama hat das Haushaltsgesetz vor etwa einer Stunde unterzeichnet.
Bei uns am Telefon ist nun Heime MacKerron, die Direktorin des German Marshall Fund in Berlin. Guten Morgen.
Heike MacKerron: Guten Morgen!
Kapern: Frau MacKerron, was denken Sie, was bei den US-Bürgern in diesen Stunden nun überwiegt, die Erleichterung, dass dieser Haushaltskompromiss gelungen ist, oder das Entsetzen darüber, dass es überhaupt zu dieser wochenlangen Blockade gekommen ist?
MacKerron: Ich denke, es ist eine Mischung. Sicher eine große Erleichterung, wobei ich auch glaube, dass viele geahnt haben in den USA, dass es zu diesem Kompromiss in letzter Minute kommen wird und von daher das ganze vielleicht nicht so dramatisch gesehen haben, wie manche sogar auf dieser Seite des Atlantiks.
Kapern: Auf dieser Seite des Atlantiks sehen ja auch viele Beobachter die Verantwortung für diese wochenlange Blockade bei den Republikanern. Teilen Sie diese Ansicht?
MacKerron: Ja, absolut. Das ist absolut richtig. Die Republikaner haben sehr hoch gepokert. Sie haben sich von der Tea-Party-Strömung in ihrer eigenen Partei treiben lassen. Sie sind stark zerstritten, sie haben zurzeit keine starke Führungsfigur und das führte in dieser Partei dazu, wie wir es ja manchmal auch kennen in Deutschland, dass radikalere Kräfte, die ideologisch meinungsstark sind, die Oberhand gewinnen.
Kapern: Was treibt die Tea Party an? Können Sie uns dieses Phänomen erklären?
MacKerron: Ich will es mal versuchen. Aus meiner Sicht ist die Tea Party eine Strömung, die es eigentlich schon lange gibt in den USA und die es hier in Deutschland nicht so gibt. Das ist eine Strömung, die man als fast anarchisch bezeichnen kann. Sie hasst den Staat, zumindest den Bundesstaat. Sie denken, dass alles viel besser auf lokaler Ebene von den Bürgern selbst geregelt werden kann. Sie bekämpft die hohen Ausgaben des Staates und das ist sozusagen die eine Seite. Gleichzeitig ist natürlich auch in der Tea Party eine religiöse konservative Strömung enthalten, und die beiden Dinge treffen sich zurzeit auf eine ungute Weise.
Kapern: Wie konnte es denn der Tea Party gelingen, die Republikanische Partei zu kapern und quasi als Geisel zu nehmen?
MacKerron: Ich denke, das liegt daran, was ich eben versucht habe zu erläutern. Seit der letzten Wahlniederlage, seit George Bushs Politik – Sie erinnern sich vielleicht noch an die sogenannten Neocons und deren Theorien, die hohe Dominanz haben –, wo sie eine haushohe Niederlage bei der ersten Präsidentenwahl von Obama erlitten haben und dann bei der zweiten auch noch mal verloren haben, wenn auch nicht so stark, gibt es einen Richtungsstreit bei den Republikanern, der bisher nicht gelöst ist. Gleichzeitig treibt die Partei die Angst um, noch mehr Wähler zu verlieren, und das führt zu diesen Auswüchsen.
Kapern: Aber gleichwohl ist es doch ein Phänomen zu sehen, dass eine Partei, bei der ja die Kandidaten für hohe Ämter ein Auswahlverfahren durchlaufen müssen, gerade solch radikalen Politikern die Möglichkeit verschafft, in die Parlamente, in den Senat, in das Abgeordnetenhaus einzuziehen. Was läuft da in der Partei falsch, dass diese Leute tatsächlich den Durchmarsch in die Parlamente schaffen?
MacKerron: Das entscheidet ja nicht die Partei, sondern das entscheiden die Wähler. Es gibt ja keine Listen wie bei uns in Deutschland, sondern alle werden direkt gewählt, alle Abgeordneten, und es gibt eben sehr kluge Tea-Party-Leute - man darf sie auch nicht unterschätzen -, die es schaffen, in ihren Wahlkreisen die Bürger für sich einzunehmen. Ich würde das mal am ehesten vergleichen mit – da muss ich jetzt vorsichtig sein – der Verwurzelung der linken Abgeordneten bei uns in manchen Wahlkreisen in Ostdeutschland. Da spielt ja die Bundespolitik oft gar keine Rolle, sondern was zählt, ist: Was tut der Abgeordnete für uns hier zu Hause. Da sind die Tea-Party-Abgeordneten - ähnlich wie manche vielleicht bei der CSU in Bayern, oder auch bei den Linken in Ostdeutschland - sehr stark oft in ihren sogenannten Communities in ihren Heimatwahlkreisen verwurzelt und tun da auch nicht schlechte Dinge. Es ist ein großer Unterschied, was in Richtung Washington zielt und was in Washington öffentlich gesagt wird und was zuhause getan wird.
Kapern: Das sind also die Wähler, die an der Basis dafür sorgen, dass die Vertreter der Tea Party nominiert werden für Wahlen, und die dafür sorgen, dass diese in den Parlamenten landen. Nun haben wir in den letzten Tagen immer wieder Fernsehbeiträge hier in Deutschland gesehen, Stimmungsbilder aus dem sogenannten "small town america", wo genau diese, doch eigentlich konservativen Menschen vom Lande in den USA nun fluchen über die Tea Party und deren Blockadestrategie. Können Sie diesen Widerspruch für uns auflösen?
MacKerron: Da kommt dann wieder der amerikanische Pragmatismus ins Spiel. Ich bin auch nicht sicher, ob die Tea Party dabei wirklich gewonnen hat. Die prominenten Vertreter der Tea Party machen jetzt natürlich starke Worte, sie sehen sich als Märtyrer, sie sind auch bekannter geworden durch diese Aktion. Ob das ihnen gelingen wird, genau aus den Gründen, die Sie gerade genannt haben, da habe ich auch so meine Zweifel, weil trotz allem sind die Amerikaner Pragmatiker und sie mögen auch nicht, wenn radikale Teile es zu weit treiben. Ich glaube, es ist jetzt zu früh zu sagen, ob die Tea Party dabei wirklich gewonnen hat. Die Politiker der Tea Party, John Boehner, einer der Wortführer war ja der texanische Senator Ted Cruz, sieht sich ganz klar als Gewinner. Er ist sehr bekannt geworden dadurch, auch das zählt ja in der Politik.
Kapern: Sehen Sie einen Ausweg aus dem Dilemma der Republikanischen Partei, die im Prinzip zwei Parteien unter einem Dach vereinigt?
MacKerron: Ich hoffe es. Ich denke, wenn die Republikanische Partei jetzt klug ist, wird sie sich auf ihre traditionellen Stärken und Kräfte wieder besinnen und es schaffen, diese radikaleren Kräfte zu isolieren oder zumindest klein zu halten. Das bedarf aber einer starken Führungspersönlichkeit in der Republikanischen Partei, und im Moment scheint die noch nicht da zu sein.
Kapern: Heike MacKerron, die Direktorin des German-Marshall-Fund in Berlin, heute Morgen im Deutschlandfunk. Frau MacKerron, danke für Ihre Expertise, danke, dass Sie sich Zeit genommen haben.
MacKerron: Danke Ihnen!
Kapern: Schönen Tag noch – tschüß!
MacKerron: Auf Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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Heike MacKerron: Guten Morgen!
Kapern: Frau MacKerron, was denken Sie, was bei den US-Bürgern in diesen Stunden nun überwiegt, die Erleichterung, dass dieser Haushaltskompromiss gelungen ist, oder das Entsetzen darüber, dass es überhaupt zu dieser wochenlangen Blockade gekommen ist?
MacKerron: Ich denke, es ist eine Mischung. Sicher eine große Erleichterung, wobei ich auch glaube, dass viele geahnt haben in den USA, dass es zu diesem Kompromiss in letzter Minute kommen wird und von daher das ganze vielleicht nicht so dramatisch gesehen haben, wie manche sogar auf dieser Seite des Atlantiks.
Kapern: Auf dieser Seite des Atlantiks sehen ja auch viele Beobachter die Verantwortung für diese wochenlange Blockade bei den Republikanern. Teilen Sie diese Ansicht?
MacKerron: Ja, absolut. Das ist absolut richtig. Die Republikaner haben sehr hoch gepokert. Sie haben sich von der Tea-Party-Strömung in ihrer eigenen Partei treiben lassen. Sie sind stark zerstritten, sie haben zurzeit keine starke Führungsfigur und das führte in dieser Partei dazu, wie wir es ja manchmal auch kennen in Deutschland, dass radikalere Kräfte, die ideologisch meinungsstark sind, die Oberhand gewinnen.
Kapern: Was treibt die Tea Party an? Können Sie uns dieses Phänomen erklären?
MacKerron: Ich will es mal versuchen. Aus meiner Sicht ist die Tea Party eine Strömung, die es eigentlich schon lange gibt in den USA und die es hier in Deutschland nicht so gibt. Das ist eine Strömung, die man als fast anarchisch bezeichnen kann. Sie hasst den Staat, zumindest den Bundesstaat. Sie denken, dass alles viel besser auf lokaler Ebene von den Bürgern selbst geregelt werden kann. Sie bekämpft die hohen Ausgaben des Staates und das ist sozusagen die eine Seite. Gleichzeitig ist natürlich auch in der Tea Party eine religiöse konservative Strömung enthalten, und die beiden Dinge treffen sich zurzeit auf eine ungute Weise.
Kapern: Wie konnte es denn der Tea Party gelingen, die Republikanische Partei zu kapern und quasi als Geisel zu nehmen?
MacKerron: Ich denke, das liegt daran, was ich eben versucht habe zu erläutern. Seit der letzten Wahlniederlage, seit George Bushs Politik – Sie erinnern sich vielleicht noch an die sogenannten Neocons und deren Theorien, die hohe Dominanz haben –, wo sie eine haushohe Niederlage bei der ersten Präsidentenwahl von Obama erlitten haben und dann bei der zweiten auch noch mal verloren haben, wenn auch nicht so stark, gibt es einen Richtungsstreit bei den Republikanern, der bisher nicht gelöst ist. Gleichzeitig treibt die Partei die Angst um, noch mehr Wähler zu verlieren, und das führt zu diesen Auswüchsen.
Kapern: Aber gleichwohl ist es doch ein Phänomen zu sehen, dass eine Partei, bei der ja die Kandidaten für hohe Ämter ein Auswahlverfahren durchlaufen müssen, gerade solch radikalen Politikern die Möglichkeit verschafft, in die Parlamente, in den Senat, in das Abgeordnetenhaus einzuziehen. Was läuft da in der Partei falsch, dass diese Leute tatsächlich den Durchmarsch in die Parlamente schaffen?
MacKerron: Das entscheidet ja nicht die Partei, sondern das entscheiden die Wähler. Es gibt ja keine Listen wie bei uns in Deutschland, sondern alle werden direkt gewählt, alle Abgeordneten, und es gibt eben sehr kluge Tea-Party-Leute - man darf sie auch nicht unterschätzen -, die es schaffen, in ihren Wahlkreisen die Bürger für sich einzunehmen. Ich würde das mal am ehesten vergleichen mit – da muss ich jetzt vorsichtig sein – der Verwurzelung der linken Abgeordneten bei uns in manchen Wahlkreisen in Ostdeutschland. Da spielt ja die Bundespolitik oft gar keine Rolle, sondern was zählt, ist: Was tut der Abgeordnete für uns hier zu Hause. Da sind die Tea-Party-Abgeordneten - ähnlich wie manche vielleicht bei der CSU in Bayern, oder auch bei den Linken in Ostdeutschland - sehr stark oft in ihren sogenannten Communities in ihren Heimatwahlkreisen verwurzelt und tun da auch nicht schlechte Dinge. Es ist ein großer Unterschied, was in Richtung Washington zielt und was in Washington öffentlich gesagt wird und was zuhause getan wird.
Kapern: Das sind also die Wähler, die an der Basis dafür sorgen, dass die Vertreter der Tea Party nominiert werden für Wahlen, und die dafür sorgen, dass diese in den Parlamenten landen. Nun haben wir in den letzten Tagen immer wieder Fernsehbeiträge hier in Deutschland gesehen, Stimmungsbilder aus dem sogenannten "small town america", wo genau diese, doch eigentlich konservativen Menschen vom Lande in den USA nun fluchen über die Tea Party und deren Blockadestrategie. Können Sie diesen Widerspruch für uns auflösen?
MacKerron: Da kommt dann wieder der amerikanische Pragmatismus ins Spiel. Ich bin auch nicht sicher, ob die Tea Party dabei wirklich gewonnen hat. Die prominenten Vertreter der Tea Party machen jetzt natürlich starke Worte, sie sehen sich als Märtyrer, sie sind auch bekannter geworden durch diese Aktion. Ob das ihnen gelingen wird, genau aus den Gründen, die Sie gerade genannt haben, da habe ich auch so meine Zweifel, weil trotz allem sind die Amerikaner Pragmatiker und sie mögen auch nicht, wenn radikale Teile es zu weit treiben. Ich glaube, es ist jetzt zu früh zu sagen, ob die Tea Party dabei wirklich gewonnen hat. Die Politiker der Tea Party, John Boehner, einer der Wortführer war ja der texanische Senator Ted Cruz, sieht sich ganz klar als Gewinner. Er ist sehr bekannt geworden dadurch, auch das zählt ja in der Politik.
Kapern: Sehen Sie einen Ausweg aus dem Dilemma der Republikanischen Partei, die im Prinzip zwei Parteien unter einem Dach vereinigt?
MacKerron: Ich hoffe es. Ich denke, wenn die Republikanische Partei jetzt klug ist, wird sie sich auf ihre traditionellen Stärken und Kräfte wieder besinnen und es schaffen, diese radikaleren Kräfte zu isolieren oder zumindest klein zu halten. Das bedarf aber einer starken Führungspersönlichkeit in der Republikanischen Partei, und im Moment scheint die noch nicht da zu sein.
Kapern: Heike MacKerron, die Direktorin des German-Marshall-Fund in Berlin, heute Morgen im Deutschlandfunk. Frau MacKerron, danke für Ihre Expertise, danke, dass Sie sich Zeit genommen haben.
MacKerron: Danke Ihnen!
Kapern: Schönen Tag noch – tschüß!
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