Petra Ensminger: 100 Tage im Amt und schon so viele unzufriedene Bürger in Frankreich - vor der Sendung habe ich mit Dominik Grillmayer gesprochen, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutsch-Französischen Institut in Ludwigsburg. Was ist da los mit dem politischen Überflieger, so schnell im Sinkflug?
Dominik Grillmeyer: Man darf ja nie vergessen, dass er zwar im Ausland als Überflieger wahrgenommen wurde und auch bei denjenigen, die ihn in Frankreich unterstützt haben, große Euphorie und positives Denken ausgelöst hat. Nur gab es eben auch einen ganz wichtigen Teil der französischen Bevölkerung, der das überhaupt nicht so sah und der in diesem Aufsteiger keinen Hoffnungsträger sah, sondern vielmehr jemanden, der die sozialen Errungenschaften der französischen Republik möglicherweise abschaffen möchte. Das zeigt sich ja auch an dem Wahlergebnis, das man wieder in Erinnerung rufen muss: 40 Prozent für Links- und Rechtspopulisten im ersten Wahlgang, eine Enthaltung von 25 Prozent im zweiten Wahlgang. Unterm Strich kam Macron dann auf eine Zustimmung von knapp 44 Prozent der eingetragenen Wähler. Damit ist er zwar in guter Gesellschaft im Vergleich zu anderen Präsidenten, die vor ihm gewählt wurden, aber es zeigt auch, das ist eine gespaltene Gesellschaft, der Wahlkampf hat Spuren hinterlassen, und das hat auch er zu spüren bekommen.
Zuhause im Umfragetief - außenpolitisch kann er mehr punkten
Ensminger: Eine andere Erklärung für dieses Umfragetief, die zu lesen ist: Macron gibt wenige Interviews, er hält kaum Reden, weil in seiner Regierung und seiner Partei La République en Marche politische Schwergewichte auch fehlen, erklärt und verteidigt ja auch kaum jemand seine Politik. Ist das ein Problem?
Grillmeyer: Ich glaube, das ist tatsächlich für ihn momentan ein Problem, denn alles konzentriert sich auf den Präsidenten. Er macht im Endeffekt mit seinen engsten Beratern im Élysée die Kommunikation und bei ihm läuft entsprechend auch die geballte Kritik auf an dem, was den Franzosen nicht passt an dem, was Macron versucht umzusetzen.
Ensminger: Zuhause ist er im Umfragetief. Ganz anders stellt sich das ja auf der internationalen Bühne dar. Das haben Sie auch schon angesprochen. Politiker auch hier in Deutschland halten sehr wohl noch an ihren Erwartungen fest, geben ihm noch weiter Schonfrist. Warum?
Grillmeyer: Außenpolitisch kann er in der Tat mehr punkten momentan. Dort stellt er im Endeffekt genau diese Führungsstärke unter Beweis, die er auch im Wahlkampf schon angekündigt hat. Er hat sich ja versucht abzuheben von Francois Hollande, der seinerzeit ein "normaler Präsident" sein wollte. Macron hat von Anfang an argumentiert, dass die Franzosen einen Chef wollen, jemand, der Entscheidungswillen und Führungsstärke an den Tag legt. Das hat er dann auch im Umgang mit den Putins und Trumps dieser Welt an den Tag gelegt und gezeigt. Das kam auch durchaus gut an. Innenpolitisch steht er natürlich vor ganz anderen Herausforderungen. Die Arbeitsmarktreform haben wir angesprochen. Es gibt noch einen anderen wichtigen Punkt, der ihm mit Sicherheit keine Pluspunkte gebracht hat. Das ist die Einhaltung der Drei-Prozent-Regel schon 2017, was zusätzliche kurzfristige Sparmaßnahmen erforderlich gemacht hat, die zum Teil sehr schlecht in der französischen Bevölkerung ankamen.
Ensminger: Die EU Drei-Prozent-Regelung, die Defizitgrenze.
Grillmeyer: Richtig! Genau so ist es. Da haben Sie zum einen eine Absenkung des Wohngeldes um fünf Euro. Davon betroffen sind zwar viele Teile der Bevölkerung, aber eben auch Geringverdiener, was dann ja zu dem Konflikt mit dem Stabschef der Armee geführt hat und sogar zu dessen Rücktritt, weil sich Macron veranlasst fühlte, ihn öffentlich zu kritisieren, einzunorden. Das ist auch, glaube ich, nicht besonders gut angekommen.
"Vieles hängt vom Verhandlungsgeschick des Präsidenten ab"
Arbeitmarktreform erfordert Verhandlungsgeschick
Ensminger: Die Demütigung eines Fünf-Sterne-Generals in der Öffentlichkeit ist das eine. In Frankreich selbst ist ja nach wie vor die Stimmung durchaus auch noch gedrückt. Im Haushalt fehlen dort 4,5 Milliarden Euro. Sie haben es gesagt, da ist ein großer Sparkurs gefragt. Die hohe Arbeitslosigkeit ist ein weiteres Thema. Der Präsident will mit einem flexibleren Arbeitsmarkt für neue Jobs sorgen. Die Arbeitsmarktreform haben Sie angesprochen. Wir wissen aber, dass die Franzosen, wenn es um Veränderungen am Arbeitsmarkt geht, äußerst streitbar sind. Das kann ihm auch um die Ohren fliegen. Wie sehen Sie das?
Grillmeyer: Das kann ihm um die Ohren fliegen und da hängt jetzt sehr vieles ab vom Verhandlungsgeschick des Präsidenten und auch des Premierministers und seiner Arbeitsministerin. Das hat nicht schlecht begonnen aus meiner Sicht. Er hat gleich zu Beginn schon über die groben Linien mit den Gewerkschaften verhandelt, sie darüber in Kenntnis gesetzt, was er vorhat. Die Gewerkschaften sind auch erstaunlich still für den Moment und zeigen sich zunächst mal gesprächsbereit. Es wurde über den Sommer das Gesetz oder die verschiedenen Gesetzespakete weiter ausgearbeitet und seit heute wird erneut mit den Sozialpartnern gesprochen und es wird im Wesentlichen darauf ankommen, ob es ihm gelingt, die reformorientierten Kräfte im Gewerkschaftslager auf seine Seite zu ziehen. Dann bleibt ihm nämlich definitiv eine geballte Ablehnungsfront im Herbst erspart. Dann muss er auch die Proteste, die ohnehin kommen werden - es sind ja schon zwei Aktionstage angekündigt -, nicht fürchten, sondern kann zuversichtlich in die Zukunft blicken und hoffen, dass er tatsächlich diese erste, sehr weitreichende Reform, die ihm ja auch Kredit bei den europäischen Partnern bringen soll, durchführen kann.
Ankündigung eines Anti-Terror-Gesetzes sorgt für Widerstand
Ensminger: Stichwort innere Sicherheit. Das war ja auch eines der großen Wahlversprechen, den Franzosen wieder mehr Sicherheit zu geben, oder zumindest das Gefühl, dass mehr dafür getan wird. Heute der Angriff in Marseille, wo ein Transporter in zwei Bushaltestellen gelenkt wurde. Die französischen Ermittler sehen keine Hinweise auf einen terroristischen Hintergrund, muss man ja dazu sagen. Dennoch: Wie sehr verunsichern solche Taten - oder hat Macron tatsächlich schon für ein größeres Sicherheitsgefühl gesorgt?
Grillmeyer: Auf dem Gebiet, glaube ich, ist er noch nicht so in Erscheinung getreten. Man weiß, dass er den Ausnahmezustand, der ja schon seit den Attentaten von November 2015 gilt, noch einmal verlängert hat, ein sechstes Mal verlängert hat, nun bis November, und das Ziel ist, das kein weiteres Mal zu tun. Er hat in seiner Rede vor dem Kongress, das heißt beiden Häusern des Parlaments angekündigt, dass der Ausnahmezustand im November beendet wird. Stattdessen soll es ein Anti-Terror-Gesetz geben, wo eine teilweise Überführung von Regeln, die während des Ausnahmezustands gelten, in ordentliches Recht geplant ist. Das hat aber auch schon wieder für erheblichen Widerstand gesorgt, weil Kritiker bemängeln, das wäre eine Einschränkung von Freiheitsrechten, die damit verbunden ist. Da sind wir eigentlich bei diesem Thema, das ja auch in Deutschland sehr stark diskutiert wird: Inwieweit kann man präventives Handeln der Sicherheitskräfte mit den Anforderungen in einem Rechtsstaat in Einklang bringen.
Schnell die heißen Eisen anpacken - und Früchte ernten
Ensminger: Ins Positive gewendet unterm Strich: Kann man den Popularitätsverlust Macrons auch als ein Zeichen sehen, dass er die heißen Eisen gleich zu Beginn seiner Amtszeit gar angepackt hat?
Grillmeyer: Aus meiner Sicht ist das so. Ja. Er hat angekündigt, was er machen möchte. Das wird jetzt konsequent umgesetzt, teilweise in recht schnellen Verfahren, die auch nicht gut ankommen, nicht sehr populär sind. Nur am Ende: Der Erfolg gibt ihm möglicherweise Recht. Wenn er jetzt schnell, wie Sie sagen, die heißen Eisen anpackt, das heißt, wenn er die Brutalitäten begeht, die man am besten zu Beginn einer Amtsperiode begeht, dann kann er möglicherweise auch die Früchte dieser Politik ernten. Jetzt wird sehr viel davon abhängen, ob es glückt, diese Arbeitsmarktreform durchzuführen und dafür auch Unterstützung zu finden. Dann hat er auf jeden Fall mal einen Punkt gemacht und dann könnte man auch aus meiner Sicht damit rechnen, dass die Popularitätswerte mittelfristig wieder nach oben gehen.
Ensminger: Da wird sich noch einiges entscheiden in den kommenden Wochen. Emmanuel Macron, der französische Präsident, ist 100 Tage im Amt. Die Einschätzungen waren das von Dominik Grillmayer. Er ist Politikwissenschaftler am Deutsch-Französischen Institut in Ludwigsburg.
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