Ihre Kampfbereitschaft haben die Gewerkschaften schon den Wirtschaftsminister Emmanuel Macron spüren lassen, sie steigerte sich, als der Präsidentschaftswahlkampf in die Endrunde ging - und mit Macron und Marine Le Pen in den Augen vieler Aktivisten nur mehr Feinde der Arbeiterklasse zur Wahl standen.
"Deux candidats, qui sont les deux ennemies de la classe ouvrière!"
Diese Situation machte die seit langem existierenden Unterschiede zwischen den gewerkschaftlichen Lagern deutlich, am 1. Mai geradezu sichtbar: am "Tag der Arbeit" marschierten beide Lager getrennt. Dem extrem linken Gewerkschaftsbund CGT steht die deutlich moderatere CFDT gegenüber - beide Verbände sind etwa gleich groß und jeweils mit kleineren Gewerkschaften verbündet. Während die CFDT sich vor der Stichwahl für Macron aussprach, konnte man sich bei der CGT nicht zu einer solchen Wahlempfehlung durchringen - einer ihrer Aktivisten bei der Kundgebung am 1. Mai in Marseille:
"Wir rufen alle dazu auf, den Front National zu bekämpfen! Und auch wenn das Macron nützen sollte - sowie die Arbeiter Marine Le Pen besiegt haben, werden sie gegen das Programm von Emmanuel Macron vorgehen!"
Widerstand: Demonstrationen und Streiks
Damit ist vor allem die geplante Reform des Arbeitsrechts gemeint: Und es zeichnet sich ein ganz grundsätzlicher Widerstand des linken CGT-Lagers ab. Die vorgesehenen betriebsinternen Verhandlungen über Arbeitszeiten und Löhne interpretieren viele Beschäftigte als heimliche Abschaffung der 35-Stunden-Woche; die CGT befürchtet eine Aufweichung von Branchenvereinbarungen - und sie sorgt sich auch um ihren Alleinvertretungsanspruch. Seit Jahren leiden die Gewerkschaften unter sinkenden Mitgliederzahlen, daran etwas zu ändern, suchen manche - wie die CGT - ausdrücklich eine starke Präsenz auf der Straße: Gegen ein verschärftes Arbeitsrecht werde man einen "heißen Herbst" organisieren, nämlich Demonstrationen und Streiks.
Bei der CFDT dagegen fand man schon vor einem Jahr viel Gutes im geplanten neuen Arbeitsrecht. Generalsekretär Laurent Berger im Sender BFM: "Ich verlange noch tiefgreifende Änderungen an diesem Text, aber ich verlange nicht, dass er völlig zurückgezogen wird. Denn es stehen wichtige Dinge drin. Das persönliche Lebensarbeitszeitkonto zum Beispiel bietet Angestellten und Arbeitern gute Möglichkeiten. Eine erweiterte Arbeitslosenversicherung, das Recht auf Aus- und Fortbildung, das festgeschrieben werden soll - das ist gut: gerade für die Jüngeren und die nur schlecht Qualifizierten."
Regieren per Verordnung muss nicht schlecht sein
Die Reform des Arbeitsmarktes gehört zu den wichtigsten Zielen Emmanuel Macrons. Und er hat bereits angedeutet, dass er viele der Maßnahmen, etwa die Festschreibung von Obergrenzen für Abfindungszahlungen bei betriebsbedingten Kündigungen, ohne lange parlamentarische Debatte, sondern per Anordnung auf den Weg bringen will. Dieses Verfahren muss das Parlament billigen: heute wird darüber abgestimmt. Jean-Claude Mailly, Generalsekretär der mit der CGT zusammenarbeitenden Gewerkschaft Force Ouvrière, findet das Regieren per Verordnung nicht von vornherein schlecht:
"In der Geschichte Frankreichs hat es immer wieder Verordnungen gegeben, mit denen alle sehr einverstanden waren; das System der Sozialversicherung z.B. wurde durch Verordnung auf den Weg gebracht, genau wie die fünfte Urlaubswoche durch Anordnung eingeführt wurde. Wenn man mit dem Inhalt der Verordnung einverstanden ist, gibt es überhaupt kein Problem! Aber wenn sie benutzt wird, um gewaltsam etwas durchzusetzen, dann wird das ganz sicher ein Problem! Wir müssen jetzt einfach in die Einzelheiten gehen, dann wird man sehen…"
Probleme wird es ganz sicher geben. Denn natürlich wird Macron "gewaltsam etwas durchsetzen" wollen, er greift ja gerade zum Mittel der Verordnungen, weil der Widerstand gegen seine Pläne in Teilen der Bevölkerung so groß ist. Um die Franzosen inhaltlich zu überzeugen, kündigte die Regierung "ständige Diskussionen" an. Bis Ende Juli sind fortlaufende Gespräche zwischen Vertretern des Arbeitsministeriums und der Gewerkschaften geplant; alle Verordnungen, die es geben wird, sollen bis zum 21. September vom Parlament mit seiner Regierungsmehrheit abgesegnet werden.