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Macrons Arbeitsmarktreform
Abstiegsangst treibt Frankreichs Arbeitnehmer auf die Straße

Emmanuel Macron möchte das französische Arbeitsrecht zu Gunsten von Arbeitgebern lockern. Gestern gingen Hunderttausende Franzosen gegen die geplante Reform auf die Straße. Ein Experte meint allerdings, dass sie trotzdem durchgehen wird.

Von Suzanne Krause |
    Anhänger der Gewerkschaft CGT demonstrieren in Nantes gegen die Arbeitsmarktreform.
    Können sie Emmanuel Macrons Arbeitsmarktreform aufhalten? Gewerkschafter im französischen Nantes (AFP / Loic Venance)
    "Macron, wir werden dich kleinkriegen", droht ein Gewerkschafter bei der Kundgebung an der Pariser Place de la Bastille. Er gehört zur CGT-Sektion der Leiharbeiter und hat eine Botschaft auf dem Herzen:
    "Wollt ihr das Aus für unser Arbeitsrecht? Wollt ihr ab sofort und bis ans Lebensende in prekären Verhältnissen leben? Wollt ihr alle Leiharbeiter werden? Wenn nicht - warum habt ihr dann Macron gewählt?"
    Hinter ihm segeln weiße Luftballons himmelwärts davon. Sie tragen Schildchen mit der Aufschrift CDI. Das steht für: contrat à durée indétérminé - zeitlich unbefristeter Arbeitsvertrag.
    Arbeitgeberfreundlich, arbeitnehmerfeindlich?
    Denn um dessen Fortbestand bangen die Demonstranten. Der Reformentwurf sieht unter anderem vor, den Arbeitgebern neue Freiheiten bei der Einstellung von Mitarbeitern zu genehmigen. Sie sollen bald Arbeitsverträge nach ihrem Gusto aushandeln können, in kleineren und mittleren Betriebe werden die Gewerkschaften ihr Mitspracherecht verlieren.
    Bei Entlassungen sollen die Abfindungszahlungen künftig gedeckelt werden, um Kündigungen - und damit auch Neueinstellungen - zu erleichtern. Staatspräsident Macron bewirbt seine Reform mit dem Leitwort Flexibilisierung. Das aber ist keineswegs nach dem Geschmack von CGT-Mitstreiter Sébastien Dendurant.
    "Wir verlangen, das Arbeitsrecht zu stärken, um die Arbeitnehmer besser abzusichern. Die OECD, der internationale Währungsfond und andere liberale Institutionen, die der CGT eigentlich nicht nahestehen, sagen: die Liberalisierung des Arbeitsmarkts fördert keineswegs die Schaffung neuer Jobs."
    Macron glaube, die Leute hätten seinem Programm zugestimmt
    Bei den gestrigen Kundgebungen stimmen viele erneut die Demolieder vom Frühjahr 2016 an. Damals ging es gegen die Arbeitsmarktreform des Sozialisten Hollande, die Proteste fanden positiven Widerhall bei zwei Drittel der Bevölkerung. Die Aktionen gegen Macrons Entwurf hält, laut einer aktuellen Umfrage, nur noch gut jeder zweite Befragte für gerechtfertigt.
    Am meisten Gegner zählt die neue Reform in der Altersgruppe der 25- bis 34-Jährigen: insgesamt 66 Prozent. Celia da Costa Cruz ist zwar erst 24 Jahre alt. Aber die Chefin der Nachwuchsorganisation der französischen Grünen kämpft energisch gegen die Reform. Und würde dem Staatspräsidenten gerne mal mitteilen, dass sie ihm zwar bei der Präsidentschaftswahl im Mai ihre Stimme gab, aber eigentlich nur, um gegen die rechtsextreme Marine Le Pen zu stimmen:
    "Macron scheint zu denken, die Leute hätten seinem Wahlkampfprogramm zugestimmt. Und die Reformen abgesegnet, die er nun durchdrücken will. Doch bei der Bevölkerung ist das Mißtrauen groß: viele haben bei der Wahl ja einfach nur gegen das Programm von Macrons Konkurrentin gestimmt."
    Angst vorm Verlust des guten Arbeitnehmerschutzes
    Auch Celia da Costa Cruz meint, eine Reform des Arbeitsmarkts sei mehr als überfällig. Macrons Entwurf jedoch rügt sie als viel zu liberal. Und liberales Denken gilt in Frankreich traditionell als eher anrüchig, erklärt Jérôme Fourquet vom Pariser Meinungsforschungsinstitut IFOP. Dazu sei das Statusdenken im Land viel zu ausgeprägt. Vor allem bei denen, die über einen unbefristeten Arbeitsvertrag verfügen:
    "Wir gehören zu den europäischen Ländern mit dem besten Schutz für Arbeitnehmer. Und gleichzeitig ist, proportional gesehen, bei uns die Leiharbeit am meisten verbreitet. Die Blockaden in der französischen Bevölkerung Reformen gegenüber entspringen der Angst all jener, die dank eines festen Arbeitsvertrags in einer festen Burg sitzen: sie fürchten, eines Tages dort hinausgeworfen zu werden."
    Um diese Angst abzubauen, sagt Meinungsforscher Fourquet, müssten Jobsuchende besseren Zugang zu Aus- und Fortbildungsmaßnahmen erhalten. Das jedoch scheitere am Statusdenken, da überwiege bislang der Corpsgeist.
    Arbeitsmarktreform à la Schröder für Frankreich?
    Seit langem suchen die Regierungen aller Couleur für ihre Reformpläne Inspiration im Ausland. Zum Beispiel in Deutschland, als Gerhard Schröder dort den Arbeitsmarkt umkrempelte. Doch eine Hartz-Kopie in Frankreich hält Jérôme Fourquet für kaum vorstellbar:
    "In Deutschland ist die betriebliche Mitbestimmung sehr ausgeprägt. Deutschland verfügt über ein Netzwerk von Familienbetrieben, den berühmten Mittelstand. Daran hapert es bei uns. Viele Vorbedingungen, die diese Reform in Deutschland ermöglichten, sucht man bei uns vergeblich."
    "Macrons Reform dürfte durchgehen"
    Für sein Reformprojekt inspirierte sich Staatspräsident Emmanuel Macron am dänischen Modell, dem der sogenannten "Flexi-Sicherheit". Vom gestrigen Aktionstag lässt er sich in seinem Kurs nicht erschüttern. Nur eine Gewerkschaft habe wirklich mobil gemacht, zudem sei der Reforminhalt für die breite Bevölkerung letztendlich viel zu technisch, resümiert Meinungsforscher Fourquet:
    "Es wird schwierige Momente geben, aber Macrons Reform dürfte durchgehen."