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Macrons Wirtschaftspolitik
"Ein Dumpingwettlauf, der zu mehr Ungleichheit führt"

Die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht sieht den Wahlsieg von Emmanuel Macrons Partei in Frankreich kritisch. Denn damit werde er seine geplante Arbeitsmarktreform durchsetzen können, die schlecht für Arbeitnehmer sei, sagte sie im Dlf. Frankreich orientiere sich dabei an Deutschland, wo man sich mit niedrigen Löhnen Wettbewerbsvorteile erkauft habe.

Sahra Wagenknecht im Gespräch mit Sandra Schulz | 19.06.2017
    Sahra Wagenknecht, Fraktionschefin der Linken
    Sahra Wagenknecht, Fraktionschefin der Linken (picture alliance / dpa / Wolfgang Kumm)
    In Deutschland gebe es trotz der relativ geringen Arbeitslosigkeit viele Menschen, die in prekären Arbeitsverhältnissen stünden. "Sie können von ihrer Arbeit nicht leben", so Wagenknecht. Deutschland habe sich mit Lohndumping Wettbewerbsvorteile erkauft. Frankreich wolle nun dasselbe tun. Das werde zu einem "Dumpingwettlauf" zwischen Deutschland und Frankreich führen. Eine solche Entwicklung führe zu Ungleichheit und bringe die Menschen gegen die Demokratie auf, betonte die Spitzenkandidatin der Linken für den Bundestag.
    Wagenknecht kritisierte außerdem das französische Wahlrecht. Das Mehrheitswahlrecht sei undemokratisch. Macron habe in der ersten Runde der Parlamentswahl nur 32 Prozent der Stimmen bekommen, könne nun aber mit absoluter Mehrheit regieren - dabei stehe keine Mehrheit der Bevölkerung hinter ihm. Sie begrüßte, dass die französische Linke mit einer eigenen Fraktion im Parlament vertreten sein wird.

    Das komplette Interview zum Nachlesen:
    Sandra Schulz: Wie will ein Präsident Macron eigentlich arbeiten, wenn er im Parlament keine Mehrheit hat? So hatten viele Beobachter ja noch die Wahl des französischen Blitzstarters in den Élysée-Palast im Mai kommentiert. Die Frage stellt sich jetzt nicht mehr, denn nach den Parlamentswahlen, dem zweiten Durchgang gestern, kann sich Macron mit seiner Partei "En Marche" und Verbündeten auf eine klare, auf die absolute Mehrheit stützen.
    Darüber wollen wir in den kommenden Minuten sprechen. Am Telefon ist Sahra Wagenknecht, Fraktionschefin der Partei Die Linke im Bundestag und eine der beiden Spitzenkandidaten zur Bundestagswahl. Schönen guten Morgen!
    Sahra Wagenknecht: Guten Morgen.
    Niedriglohn in ganz anderer Dimension
    Schulz: Ihre Partei und Sie haben sich ja ausgesprochen kritisch geäußert zu Macron. Was ist daran schlecht, dass da jetzt ein französischer Präsident mit der großen Unterstützung der Wähler nötige Reformen angeht?
    Wagenknecht: Zunächst mal muss man das ein bisschen relativieren mit der großen Unterstützung der Wähler. Die haben natürlich in Frankreich ein Wahlrecht, das eindeutig nicht demokratisch ist. Macron hatte im ersten Wahlgang 32 Prozent. Da ist etwa die Hälfte der Wähler hingegangen. Das heißt, er hat tatsächlich eine Unterstützung von 16 Prozent der französischen Bevölkerung. Und er hat damit eine absolute Mehrheit erreicht, weil es dieses ganz spezifische Wahlrecht gibt.
    Das muss man sehr wohl relativieren, dass die Mehrheit dahinter steht, und dann muss man sich angucken, was sind das für Reformen. Das sind, soweit man das beurteilen kann, was er angekündigt hat, Reformen, die sich sehr stark an der deutschen Agenda 2010 orientieren. Das heißt, sie laufen darauf hinaus, die Löhne zu senken, Niedriglohn in ganz anderer Dimension zu ermöglichen, als das bisher in Frankreich der Fall ist. Sie laufen darauf hinaus, dass Menschen stärker unter Druck gesetzt werden, jeden beliebigen Job annehmen zu müssen, ohne dass das ein tariflich bezahlter, ein gut bezahlter Job ist. Und da ist die Frage, ist das jetzt wirklich im Sinne der französischen Bevölkerung, oder ist das vor allem im Interesse der französischen Unternehmen.
    Emmanuel Macron steht neben einer französischen Flagge und lacht.
    Emmanuel Macron holte die absolute Mehrheit bei der Parlamentswahl. (MAXPPP, Leon Tanguy, dpa)
    Schulz: Da muss ich jetzt aber doch noch mal den Schritt zurück machen, Sahra Wagenknecht. Verstehe ich Sie richtig? Sie zweifeln an, dass unser Nachbarland Frankreich eine Demokratie ist?
    Wagenknecht: Ich habe gesagt, dass das Wahlrecht sehr, sehr fragwürdig ist, weil wir haben ja in Deutschland bewusst ein anderes Wahlrecht. Wir haben Direktmandate und wir haben dann aber auch die Möglichkeit, dass sich relative Mehrheiten auch im Parlament niederschlagen. Das französische Wahlrecht ist anders konstruiert. Es gibt historische Gründe, warum man das so gemacht hat. Aber das heißt, dass jemand, der 16 Prozent der Bevölkerung hinter sich hat, eine absolute Mehrheit im Parlament haben kann. Das ist ja schon ein Problem.
    "Große Mehrheit der Franzosen hat er nicht hinter sich"
    Schulz: Finden Sie es besser, wenn alle es in Europa so machen würden wie wir Deutschen? Das ist ja nun wiederum auch ein interessanter Zungenschlag.
    Wagenknecht: Das französische Wahlrecht wird ja auch von der französischen Linken seit jeher kritisiert. Das ist jetzt keine deutsche Kritik, sondern das ist etwas, das ist in unterschiedlichen Ländern unterschiedlich geregelt. Es gibt in vielen europäischen Ländern ein Mehrheitswahlrecht und es gibt in einigen oder in einer ganzen Reihe auch ein Verhältniswahlrecht, so wie wir das haben. Und man muss natürlich sagen, nur deshalb habe ich das erwähnt, wenn man jetzt sagt, Macron hat die große Mehrheit der Franzosen hinter sich, dann ist das falsch, sondern er hat durch das Wahlrecht eine Mehrheit im Parlament. Das heißt aber nicht, dass er die große Mehrheit der Franzosen hinter sich hat.
    "Sehr, sehr viele prekäre Jobs in Deutschland"
    Schulz: Okay. Aber wir halten fest, das ist aus Ihrer Sicht auch so, dass er legitimer Präsident ist und dass auch die Parlamentswahlen legitim und demokratisch gelaufen sind, auch wenn Sie da Abstriche sehen, die Sie ja gerade skizziert haben. Das war jetzt eigentlich nur ein Exkurs. Wir wollen und müssen ja über die Reformen sprechen. Sie haben die Gerade schon verglichen mit der Agenda-Politik eines Gerhard Schröder, die ja Arbeitsplätze gebracht hat in Deutschland. Wir sehen im Moment eine historisch niedrige Arbeitslosigkeit. Warum gönnen Sie das den Franzosen nicht?
    Wagenknecht: Deutschland hat vor allem deshalb jetzt eine niedrige Arbeitslosigkeit, weil es sehr, sehr viele prekäre Jobs gibt, weil viele Menschen zwar offiziell nicht arbeitslos sind, aber sie haben nur einen Minijob, sie haben nur eine Teilzeitbeschäftigung, sie können nicht leben von ihrer Arbeit. Es gibt ja über fünf Millionen Menschen, die nach wie vor im Hartz-IV-System gefangen sind. Das heißt, damit sind sie abhängig von Lohnersatzleistungen.
    Und Deutschlands Wirtschaft profitiert davon, dass wir mit diesem Lohndumping natürlich andere Länder auch niederkonkurrieren können, auch vor allen Dingen unsere europäischen Nachbarn, und insoweit hat das natürlich eine gewisse Logik, dass Macron sagt, okay, die Deutschen haben sich da Wettbewerbsvorteile erkauft, zu Lasten allerdings ihrer eigenen Bevölkerung, und jetzt wollen wir in Frankreich das gleiche machen.
    Nur das ist natürlich ein Dumping-Wettlauf, der in diesem Europa zu immer mehr Ungleichheit führt, zu immer höheren Unternehmensgewinnen, immer schlechteren Löhnen, und das wird die Menschen gegen die Entwicklung aufbringen. Es wird sie gegen die Demokratie aufbringen, auch gegen Europa. Das sieht man ja schon. Das einzig auch sehr Positive jetzt an diesem Wahlergebnis ist, dass die französische Linke im Unterschied zur Rechten in der Nationalversammlung mit einer Fraktion vertreten sein wird und damit die Opposition gegen diesen Kurs, hoffe ich, vor allem von links kommen wird. Das ist die einzige Chance, die verhindern kann, dass nach fünf Jahren Macron wirklich Le Pen die Gewinnerin ist.
    Schulz: Die Spitzenkandidatin der Partei Die Linke, Sahra Wagenknecht, heute Morgen im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Ganz herzlichen Dank Ihnen.
    Wagenknecht: Sehr gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.