Spannung liegt in der Luft, als die Menschen sich in der Abenddämmerung sammeln: Eine Kinovorführung gab es noch nie in Lambokely. 2500 Menschen leben in dem abgelegenen Dorf an der madagassischen Westküste. Etwa 40 sind zur Vorführung gekommen, einige mit einem von Buckelrindern gezogenen Karren. An einer Hütte ist eine Leinwand aufgespannt. Davor hocken die Zuschauer auf dem Erdboden. Kinder füttern einen Hahn mit Maiskörnern. Und im einzigen Plastikstuhl thront Zafimamy, der Dorfpräsident; still und mit unbewegter Miene.
Madagaskar. Vor Jahrmillionen brach die Insel aus dem Urkontinent Gondwana, entfernte sich und nahm einen ganz eigenen Weg. Lemuren – eine ursprüngliche Gruppe der Primaten – sind die Wahrzeichen Madagaskars. Ebenso spektakulär muten die Chamäleons an, die mächtigen Stämme der Baobabs. Und die Fossa, das größte Raubtier der Insel. Viele Arten kommen ausschließlich hier vor, darunter alle Säugetiere und mehr als 90 Prozent der Reptilien und Pflanzen. Die Jahrtausende währende Isolation im Indischen Ozean hat ihre Spuren hinterlassen: Madagaskar - fast schon ein kleiner Kontinent für sich.
In Lambokely deutet wenig auf diesen ungeheuren Reichtum hin: Windschiefe Holz- und Strohhütten vereinzelt auf einer staubigen Ebene. Hier und da ragen schwarze Baumstämme in den Himmel. Verkohlte Zeugen der Brandrodung, die die Kleinbauern betreiben. Der Wald schwindet.
Einige Meter vor der Leinwand wartet eine Box mit Beamer und Lautsprecher. Einer von Zafimamys Söhnen hat sich freiwillig gemeldet, per Trimmrad den Strom zu erzeugen. Als er in die Pedale tritt, erfüllen Musik und madagassische Stimmen die Nacht.
Über die Leinwand flimmern Tiere und Landschaften: Üppig bewachsene Berghänge, grüner Regenwald, im Geäst der Bäume Lemuren, Chamäleons und Vögel. Durch die Zuschauerreihen geht ein Raunen. Viele haben diese Tiere noch nie gesehen.
Eine Region, in der sich die Natur intakt wie im Film präsentiert, ist Analamazaotra, ein geschützter Regenwald im Osten Madagaskars. Hier arbeitet der deutsche Biologe Rainer Dolch für die lokale Naturschutzorganisation Mitsinjo.
"Madagaskar hat mich von Anfang an fasziniert, weil es natürlich ein Land ist, was einzigartig ist im Hinblick auf seine Tierwelt. Fast alle Arten von Tieren, die hier vorkommen, gibt es nirgends sonst mehr."
Nur an wenigen Orten leben noch Indris
Am Waldrand dringt aus dem grünen Dämmerlicht zwischen den Baumstämmen Gezwitscher und ein lang gezogenes Heulen. Analamazaotra ist auch einer der wenigen Orte, an dem noch Indris leben. Sie sind die größten Lemuren. Charakteristisch ihre lang gezogenen Territorialrufe. Mit ihrem schwarz-weißen Fell und den runden Ohren erinnern sie an eine Mischung aus Koala und Pandabär. Rainer Dolch lässt den Blick über die Berghänge schweifen. Wie grüner Flaum überwuchert der Regenwald die Hügelketten.
"Es ist aber auch einzigartig im Hinblick auf seine Landschaften, die sehr divers sind. Und im Hinblick auf seine Bevölkerung, die in der Tat eine Bevölkerung ist, die man so auf der Welt auch nicht mehr findet, weil sie relativ gemischt ist aus asiatischen und afrikanischen Einflüssen."
Für seine Doktorarbeit reiste Dolch vor 25 Jahren das erste Mal nach Madagaskar. Inzwischen spricht er fließend Madagassisch. Den Niedergang der Natur konnte er in all den Jahren mitverfolgen: Nach Angaben des WWF sind etwa 80 Prozent der Waldfläche verloren, viele Tierarten vom Aussterben bedroht.
Die Zerstörung der Umwelt geht auch auf das Konto von Andry Rajoelina. Durch einen Putsch im Jahr 2009 gelangte der damals 34-jährige Bürgermeister der Hauptstadt Antananarivo an die Macht. Als Folge wurden internationale Hilfsgelder eingefroren, die Korruption florierte, Nationalparks wurden zeitweise geschlossen.
"Was zusätzlich ein Problem war, war, dass nach dem Putsch gewissermaßen Gesetzlosigkeit herrschte, sodass irgendwie jeder dachte, er kann machen, was er will, ohne belangt zu werden. Und wir hatten in der Tat Probleme speziell mit Holzfällern, die dann nach den wertvollen Hölzern Ausschau gehalten haben, unter anderem auch in Schutzgebieten. Und mit Goldsuchern, die also auch stark in diese Schutzgebiete eingedrungen sind und da eben auch ziemliche Schäden angerichtet haben."
Wechselnde Präsidentschaften und politische Instabilität
Wechselnde Präsidentschaften und politische Instabilität haben immer wieder den Naturschutz in Madagaskar behindert. Steven Goodman ist Biologe am Chicago Field Museum, lebt in Madagaskar, ist Dozent an der Universität von Antananarivo und forscht seit Jahrzehnten zur madagassischen Tierwelt. In dieser Zeit hat er fünf Präsidenten erlebt – Andry Rajoelina, das selbst ernannte Oberhaupt der Putschistenregierung, mitgezählt. Schon die ersten Erfahrungen unter den Präsidenten Didier Ratsiraka und Albert Zafy in den 1990er-Jahren seien ernüchternd gewesen.
"Zu diesen Zeiten wurde Naturschutz benutzt, um Geld ausländischer Geber zu erhalten. Punkt. Da fehlte der Schritt zu richtigen Schutzprogrammen."
Goodman – Brille, Vollbart und langes Haar – empfängt barfuß im Büro von Vahatra an der Universität von Antananarivo. "Graswurzel" bedeutet der Name der Umweltbildungsorganisation, die er 2007 mit gegründet hat – zu einer Zeit, als Präsident Marc Ravalomanana Aufbruchsstimmung im Naturschutz verbreitete.
"Als Ravalomanana 2002 an die Macht kam, war das etwas Außergewöhnliches. In den ersten zwei, drei Jahren seiner Präsidentschaft passierte mehr, als in den Jahrzehnten unter den vorherigen Präsidenten, auch richtiger Naturschutz."
2003, auf dem 5. World Parks Congress der IUCN im südafrikanischen Durban, äußert Ravalomanana die Absicht, die Schutzgebiete des Landes bis 2008 zu verdreifachen – auf etwa zehn Prozent der Fläche Madagaskars. Ein Plan, der als die Vision von Durban in die Geschichte einging. Und es bleibt nicht nur bei Absichtserklärungen.
"Die direkt danach eingeleiteten Maßnahmen wurden von vielen ausländischen Organisationen mitfinanziert. Und sie stützten sich auf Daten, die wir Biologen gesammelt hatten, um die Gebiete zu identifizieren, die besonders dringend geschützt werden mussten. Ein außergewöhnlicher Vorgang."
Mit den Jahren allerdings ändert Ravalomanana seine Prioritäten. Die wechselnden Programme irritieren die Geldgeber. Mit einem umstrittenen Deal bringt er 2008 auch die Bevölkerung gegen sich auf: Er will dem südkoreanischen Konzern Daewoo Logistics für 99 Jahre die Rechte an 1,3 Millionen Hektar Land zusichern – etwa die Hälfte der fruchtbaren Fläche Madagaskars. Daewoo will Palmöl und Mais anbauen und die Ernte außer Landes bringen.
Gewalttätige Aufstände folgen. 2009 putscht schließlich Andry Rajoelina und bringt die Naturschutzbemühungen weitgehend zum Erliegen. Seit Januar 2014 hat Madagaskar mit Hery Rajaonarimampianina, kurz Hery, wieder einen offiziell gewählten Präsidenten. Ein Neuanfang. Wie Ravalomanana besucht auch Hery die Neuauflage des World Parks Congress im November 2014 in Australien und bespricht sich mit internationalen Verbänden. Konkrete Ziele oder Initiativen im Umweltbereich hat seine Regierung allerdings bis heute nicht vorgestellt.
Flora und Fauna genau kartieren
Goodman verfolgt zwei Strategien, um den politischen Turbulenzen etwas entgegenzusetzen: Flora und Fauna der Insel genau kartieren, um gut begründete Prioritäten bei den Schutzbemühungen setzen zu können; und Biologen und Umweltschützer als Nachwuchskräfte im eigenen Land ausbilden. 2007 entstand die Umweltbildungsorganisation Vahatra:
"Das Ziel von Vahatra ist es, die höchsten Ebenen von Regierung und Nicht-Regierungsorganisationen zu infiltrieren. Damit Menschen an Schaltstellen gelangen, die dazu ausgebildet sind, gute Entscheidungen für ihr Land zu fällen – bevor es zu spät ist."
Tiefe Krater klaffen in den abgelegenen Straßen Madagaskars. Und in der Regenzeit, wenn die Wege überflutet sind, bleibt manchmal nur der Rinderkarren. Damit auch abgelegene Naturräume vom Ökotourismus profitierten, fordert Goddman, müsse die Regierung vor allem die maroden Sandpisten ausbauen, die es überall in Madagaskar gebe. Zudem sahnten oft reiche Geschäftsleute aus der Hauptstadt die Gewinne aus dem Öko-Tourismus ab und nicht die lokale Bevölkerung in den Dörfern am Rand der Waldgebiete:
"Abholzung, Feuer und Jagd bedrohen die Natur. Besonders die Wilderei ist zu einer bedeutenden Gefahr geworden. In der Region Menabe in Westmadagaskar gibt es Waldgebiete, die erstaunlich intakt aussehen – aber dort leben keine Tiere mehr."
Im westmadagassischen Dorf Lambokely ist es ganz dunkel geworden. Auf der Leinwand leuchten keine grünen Wälder mehr. Der Beamer wirft Aufnahmen abgeholzter Ebenen und verkohlter Landschaften an die Wand der Hütte. Sie ähneln dem Umland des Dorfes.
"Ich bin halt viel auf Madagaskar rumgereist und habe überall eigentlich das Gleiche gesehen: Dass Natur zerstört wird. Und dass meistens unmittelbar die Bevölkerung daran beteiligt ist, weil sie einfach ihren Lebensunterhalt verdienen müssen und leben wollen."
90 Prozent leben von weniger als zwei US-Dollar am Tag
Für seine Doktorarbeit über Lemuren hat der Biologe Matthias Markolf in den vergangenen Jahren viele abgelegene Regionen Madagaskars bereist. Gesehen hat er gerodete Landstriche, Schlaglochpisten, baufällige Hütten, karge Äcker. 80 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung sind in der Landwirtschaft tätig. Die meisten Menschen bauen auf kleinen Feldern Reis, Maniok und Mais für den Eigenbedarf an. Die Insel ist zusätzlich auf Reisimporte angewiesen. Denn die Bevölkerung wächst stetig. Fast die Hälfte der Madagassen ist jünger als 15 Jahre. Etwa 90 Prozent leben von weniger als zwei US-Dollar pro Tag. Oft bringt die Armut die Menschen dazu, illegal Wald zu roden und zu jagen.
"Die Leute leben vom Wald. Entweder müssen sie ihn abholzen, weil sie das Holz verkaufen oder weil sie dort ein Feld anbauen. Oder sie jagen stark bedrohte Arten, weil sie eben was zu essen brauchen."
Nach Abschluss der Promotion gründete Markolf mit Freunden den Verein Chances for Nature und drehte einen Dokumentarfilm in madagassischer Sprache. Das Ziel: Den Menschen vorführen, wie wertvoll und bedroht ihre Insel ist – und Anreize geben, das eigene Leben nachhaltiger zu gestalten. Um den Film auch in armen und abgelegenen Regionen ohne Strom wie in Lambokely zeigen zu können, organisierte er das mobile Kino.
Im Film berichten Madagassen über umweltschonende Methoden, die sie selbst in ihren Alltag integriert haben: eine spezielle Form des Reisanbaus, nachhaltige Fischzucht und ökologische Herde oder Öfen. Auf der Leinwand häuft eine ältere Frau mit den Händen Kohle vor zwei Herdmodellen auf: eines aus dünnem Blech und ein anderes mit dickem Tonmantel.
"So ein normaler Ofen, der hier normalerweise benutzt wird, besteht entweder aus drei Steinen, wo man einen Topf draufstellt oder aus einer ein bis zwei Millimeter dicken Blechwand. Und der Effekt ist, dass die meiste Hitze, die meiste Energie einfach verpufft. Und das Prinzip der ökologischen Öfen ist eigentlich immer gleich, dass man Tonerde verwendet und sozusagen eine Hülle baut, damit die Hitze nicht so leicht verfliegen kann."
Ökologische Herde als Entwicklungsprojekt
Bis zu zwei Drittel Holz oder Kohle weniger sollen die ökologischen Herde dadurch verbrauchen. Die Konstruktion ist einfach, die Tonerde stammt aus der Umgebung der Dörfer. Nur knapp zwei Euro kostet ein Modell. Ein erster Schritt, um umweltfreundliche Methoden im Alltag der armen Landbevölkerung zu verankern.
"Man sieht nach einmal Essen kochen, welchen Unterschied man hat. Wie viel Holz man jetzt benutzt hat, wie viel Holz man normalerweise benutzt hat. Also man sieht sehr schnell einen Effekt."
Die Kinovorführung kann den Menschen eine Botschaft mitgeben, glaubt auch die madagassische Biologin Domoina Rabarivelo. Sie koordiniert das Projekt für Chances for Nature in Madagaskar, spricht mit den Dorfvorstehern, organisiert die Vorführungen.
"Sie können danach selbst Initiativen ergreifen, sie können entscheiden, ob sie die Umwelt schützen und ihre Produktionsweisen verändern."
Das Kinoprojekt begleiten die Naturschützer mit einem Herdbau-Workshop in einem Nachbarort von Lambokely. Dort lernen die Dorfbewohner, Blechteile zuzuschneiden und das Erdgemisch für den Mantel zu brennen.
"Auf die Idee mit den ökologischen Öfen kamen wir bei einem Besuch der GIZ in Tuléar. Die forschen dort schon seit mehreren Jahren an diesen ökologischen Öfen."
Ihre madagassische Zentrale hat die GIZ in der Hauptstadt Antananarivo. Von dort leitet der Landesdirektor Alan Walsch die Projekte der staatlichen Organisation für Entwicklungszusammenarbeit. Die ökologischen Öfen sind dabei ein Teil der Wertschöpfungskette Holzenergie.
"Von der Produktion, der Pflanzung des Baumes, die Holzkohleherstellung bis hin zur Nutzung in der Küche und dazu gehören eben die verbesserten Kochherde, die weniger Energie brauchen, die weniger Holzkohle verbrauchen."
9000 Hektar aufgeforstet
Als weitere Komponente hat die GIZ in Nordmadagaskar über die vergangenen zehn Jahre aufgeforstet: 9000 Hektar kommunaler Brachflächen wurden mit Akazien und einer schnell wachsenden Eukalyptus-Art bepflanzt. Neben dem Bereich Energie waren auch Umwelt und Gesundheit ursprünglich Arbeitsfelder der GIZ in Madagaskar. Das änderte sich mit der politischen Krise.
"Die deutsche Bundesregierung hat 2009 entschieden, dass aufgrund des Putsches die Übergangsregierung nicht anerkannt wird politisch, das heißt, wir als Durchführungsorganisation den direkten Dialog, die Zusammenarbeit mit der Regierung einstellen mussten."
Das Gesundheitsprogramm wurde geschlossen. Das Elektrifizierungsprogramm als kleiner Teil in das Umweltprogramm integriert, das die blutigen Unruhen als einziges überdauerte.
"Im Umweltprogramm ist das Ziel, dass wir die Naturschutzgebiete und ausgewiesene Parks in Madagaskar in ausgewählten Regionen schützen, indem wir nicht in den Parks arbeiten als GIZ, sondern um die Parks herum, um den Druck auf die Parks, auf die Schutzgebiete zu reduzieren."
Obwohl die Zusammenarbeit mit der Regierung nach dem Putsch eingestellt wurde, versuchte die GIZ auf dezentraler Ebene aktiv zu bleiben. Sie kooperierte mit Kommunen, Kleinunternehmern, Bauern und madagassischen Umweltverbänden, die sich gegen Abholzung oder Schildkröten-Handel engagieren. Das Ziel: Von einzelnen Kommunen ausgehend sollen sich Innovationen per Schneeballeffekt verbreiten. Seit 2015 bestehen auch wieder feste Kontakte zu madagassischen Ministerien. Neue Projekte wurden initiiert, etwa um die Stromversorgung auf dem Land auszubauen.
Die letzten Seidensifakas
Der Boden dampft in der Hitze des Nachmittags. Über einen gewundenen Pfad geht es hinauf in die bewaldeten Berge des Marojejy Nationalparks im Nordosten Madagaskars. Einmal landet ein Helmvanga auf einem Zweig in Augenhöhe. Besonders auffällig ist sein gewölbter, blauer Schnabel. Ein anderes Mal kreuzt ein winziges, erdbraunes Chamäleon der Gattung Brookesia den Weg. Auch diese beiden Arten leben nur in den Wäldern Madagaskars. Erik Patel wischt sich mit der Hand den Schweiß von der Stirn und blinzelt hinauf ins dichte Grün der Baumkronen. Etwas Weißes, Flauschiges blitzt oben in einer Astgabel auf.
"Das ist eines der seltensten Säugetiere der Welt: Es gibt inzwischen weniger als 3000 Seidensifakas. Und sie überleben nicht in Gefangenschaft."
Seidensifakas – ihren Namen verdanken die etwa fünf Kilogramm schweren Lemuren ihrem langen, cremefarbenen Fell. Sie sind eine von insgesamt elf Primatenarten im Marojejy-Nationalpark.
"Marojejy ist vermutlich der einzige sichere Ort für diese Sifakas – wegen der hohen Berge und der Wissenschaftler und Touristen, die hierher kommen. Wir schätzen, dass etwa 70 Prozent der Population hier im Nationalpark leben. Zumindest das sind gute Nachrichten."
Ansonsten sind die Aussichten – wie für viele andere Lemuren auch – eher düster.
"Das liegt vor allem an der Jagd auf Buschfleisch und der Zerstörung des Lebensraumes durch Brandrodung. Die ist mitunter verheerend am Rand des Parks – frisst sich aber auch langsam in den Primärwald."
Erik Patel – deutsche Mutter, indischer Vater, aufgewachsen in Chicago – hat seine Doktorarbeit über die Seidensifakas geschrieben. Inzwischen ist er Direktor der Initiative SAVA Conservation am Lemurenzentrum der Duke University in Durham, North Carolina. Etwa zehn Monate pro Jahr verbringt er in Madagaskar. Benannt ist das Projekt SAVA nach einer Region in Nordost-Madagaskar. 2012 beginnt das Duke Lemur Center sich hier zu engagieren. Nur wenige NGOs sind damals vor Ort. Zudem gibt es dort noch große Waldgebiete, unter anderem den Marojejy-Nationalpark: ein Biodiversitäts-Hotspot und UNESCO-Weltnaturerbe.
"Also haben wir hier mit der Arbeit begonnen, um mit Madagascar Nationalparks zusammenzuarbeiten, die Forschung über Lemuren zu fördern und die Lebensbedingungen der Gemeinden an den Waldrändern zu verbessern."
Etwa ein Dutzend Projekte für die lokale Bevölkerung betreut die Initiative. Dazu zählen Baumschulen, ökologische Öfen ähnlich denen der GIZ und die Anleitung zu nachhaltiger Fischzucht, die das Buschfleisch als Proteinquelle ersetzen soll.
"Wir helfen den Dorfbewohnern, Teiche auszuheben und darin eine einheimische Fischart zu züchten. Die vermehrt sich schnell und ernährt sich hauptsächlich von Reisspelzen – einem Abfallprodukt."
Einen Schwerpunkt legt SAVA Conservation auf Bildung. Grundschullehrer des Distrikts werden in Umwelterziehung trainiert. Außerdem gibt es ein Programm zur Familienplanung. Ein Team aus Hebammen und Krankenschwestern geht in die Dörfer, informiert, hört zu und bietet interessierten Frauen Hormonimplantate an: Verhütungsstäbchen, die unter die Haut des Oberarms gesetzt werden und bis zu drei Jahre wirken. Etwa 80 Prozent der Frauen in den Dörfern nähmen das Angebot an, berichtet eine Hebamme. Der Gedanke dahinter: Die Verhütung beugt Kinderarmut vor, die mit der Anzahl der Kinder pro Haushalt verknüpft ist. Und sie verringert den Nutzungsdruck auf die umliegenden Wälder.
Bildvermerk für Onliner:
Foto 11: Mit dem Guide Rabary im Marojejy Nationalpark: Er kennt die Pflanzen und Tiere seiner Heimatregion so gut wie kaum jemand anderes und hat mit Hilfe der US-amerikanischen Naturschutzorganisation SAVA Conservation ein eigenes kleines Schutzgebiet gegründet: Antanetiambo (Foto: Lennart Pyritz).
Foto 11: Mit dem Guide Rabary im Marojejy Nationalpark: Er kennt die Pflanzen und Tiere seiner Heimatregion so gut wie kaum jemand anderes und hat mit Hilfe der US-amerikanischen Naturschutzorganisation SAVA Conservation ein eigenes kleines Schutzgebiet gegründet: Antanetiambo (Foto: Lennart Pyritz).
Zurück im Marojejy-Nationalparks fährt sich Desiré Rabary mit der Hand über den kahlen Schädel. Der Madagasse arbeitet als Guide im Park. Von seinem Verdienst kauft er in einer nahe gelegenen Tiefebene kleine Landparzellen, wo er Bäume anpflanzt – ein privates Reservat. Etwas abseits des schmalen Fußwegs zeigt Rabary auf einen dünnen Baumstamm am Berghang. Rosenholz, sagt er: ein hartes, rotes, sehr wertvolles Holz.
"Wenn die Holzfäller das Rosenholz holen, bringen sie nichts zu essen mit in den Wald. Also fangen sie Krabben und Fische, jagen Lemuren und Vögel. Und um die schweren Stämme aus dem Wald zu flößen, werden sie an solche leichterer Baumarten gebunden. Ein Rosenholzstamm verursacht also eine Menge Kollateralschäden."
Handel mit teuren Hölzern
Der Handel mit den teuren Hölzern begann bereits im späten 19. Jahrhundert. Seitdem hätten auch die Regierungen Madagaskars immer wieder von den Exporten profitiert, sagt Erik Patel. Bald gab es Rosenholz nur noch in geschützten Gebieten – und die wurden in der Zeit nach dem Putsch praktisch überrannt.
"Hunderte Menschen drängten in den Nationalpark, finanziert von lokalen Gangstern und bewaffnet. 2009 kamen Forschung und Tourismus zeitweise völlig zum Erliegen. Es war hier beängstigend."
Abnehmer fand das Rosenholz in dieser Phase vor allem in China, wo daraus gefertigte Luxusmöbel als Statussymbol gelten. Auch der US-amerikanische Gitarrenhersteller Gibson erwarb illegal geschlagene Hölzer aus Madagaskar. Ein Skandal; 2009 gab es eine Razzia in den Lagerräumen, ein Prozess und eine Geldstrafe folgten. Erik Patel hat Berichte, Händlernamen und Handelswege zum Geschäft mit dem Rosenholz veröffentlicht:
"Wir unterstützen auch Patroullien, die gemeinsam mit den Parkrangern gegen illegalen Holzeinschlag vorgehen, Fallen für Buschfleisch zerstören und den Nationalpark genau im Auge behalten."
Manche Entwicklung stimmt zuversichtlich: Seit 2013 ist madagassisches Rosenholz im Anhang 2 des internationalen Artenschutzübereinkommens CITES gelistet. Seitdem werden Ein- und Ausfuhren genauer überwacht. Forscher aus der Schweiz haben einen DNA-Test entwickelt, mit dem die Herkunft von Hölzern bestimmt und so illegales von legalem Tropenholz unterschieden werden kann. Seit der neue Präsident gewählt wurde, sei es zudem leichter, wieder Geldgeber für Projekte zu finden.
"So things are looking better although a lot of challenges remain."
Natürlich gebe es nach wie vor Probleme, sagt Patel. Zwar kämen keine Holzfäller mehr nach Marojejy. In den benachbarten Schutzgebieten Masoala und Mananara Nord werde aber noch immer regelmäßig Rosenholz geschlagen. Und vor der Küste lägen die Boote von Schmugglern, die die illegale Ware an Bord nähmen.
Jahrelanges Machtvakuum
Putsch und Rosenholzschmuggel stürzten auch den Verein Madagascar National Parks in eine tiefe Krise. Während des jahrelangen Machtvakuums waren die Ranger vor allem im Nationalpark Masoala überfordert. Tausende kamen in den auf einer Halbinsel an der Ostküste gelegenen Park, um zu wildern und Rosenholz zu schlagen, sagt der Madagasse Guy Suzon Ramangason, geschäftsführender Direktor von MNP.
"Masoala – das sind 150 Kilometer Küstenlinie. Und wir hatten ungefähr 25 Ranger im Park. In normalen Zeiten reicht das, um den Wald zu schützen."
MNP wurde 1990 gegründet. Dem Verwaltungsrat sitzt der jeweilige Umweltminister vor. Zu den Aufgaben des Vereins zählen Schutz und Management von mehr als 50 Nationalparks und anderen Reservaten in Madagaskar. Zudem organisiert MNP dort den Ökotourismus und soll Entwicklungsprojekte in den angrenzenden Dörfern fördern. Vor der politischen Krise wurden 70 Prozent der Finanzierung von MNP durch ein knappes Dutzend ausländischer Geldgeber abgedeckt. Der Rest stammte von der madagassischen Regierung. Nach dem Putsch 2009 zogen sich viele internationale Unterstützer zurück. Und schließlich auch der Staat.
Inzwischen liefern Weltbank, Europäische Union, die deutsche KfW Entwicklungsbank und eine neu gegründete Stiftung, die regelmäßige Grundeinnahmen abwerfen soll, die Finanzierungsgrundlage. Durch den Ökotourismus in den Parks will MNP auch selbst mehr Geld erwirtschaften. Zum 1. November 2015 wurden die Eintrittspreise für die Nationalparks deutlich erhöht.
"Madagaskar steht im letzten Human Development Index auf der vorletzten Armutsstufe, ist also eins der allerärmsten Länder der Welt. Und die haben natürlich nicht die Ressourcen, um sich den Luxus von aufwendigen Naturschutzgebieten zu leisten, die nicht extern finanziert sind."
Inzwischen wieder mehr ausländische Unterstützung
Der Forstökologe Pieter Pietrowicz arbeitet seit etwa 20 Jahren als Gutachter für die KfW. Bevor die Entwicklungsbank ab 2007 MNP als Verein förderte, unterstützte sie bereits einzelne Schutzgebiete in Madagaskar. Die Arbeit der Bank wurde durch den Putsch im Jahr 2009 nicht grundsätzlich in Frage gestellt.
"Weil die KfW mit Nichtregierungsorganisationen oder basisnahen Organisationen zusammen gearbeitet hat, sowohl im landwirtschaftlichen Bereich wie im Bereich der Nationalparks."
Allerdings wurden nach dem Putsch Neufinanzierungen auch von deutscher Seite eingefroren. Nur bestehende Projekte wurden mit Restmitteln weiter geführt. Zusätzlich fielen weitere Hilfen weg, zum Beispiel seitens der USA, zum Teil auch der Weltbank. Viele internationale Geldgeber begutachten die Lage weiterhin misstrauisch. Aber es gibt auch andere Kräfte im Umweltsektor.
"Die internationalen Naturschutzorganisationen sind in Madagaskar sehr stark vertreten, auch sehr kompetent vertreten, mit zum Teil hohem politischem Einfluss."
Conservation International, der WWF, die Wildlife Conservation Society oder der Durrell Wildlife Conservation Trust. Darüber hinaus komme beispielsweise auch Einrichtungen wie der Duke University, dem Deutschen Primatenzentrum oder den Universitäten Hannover und Hamburg in Madagaskar eine wichtige Rolle zu, meint Pieter. Erst deren Forschung liefere die Daten, um die ökologische Wichtigkeit von Schutzgebieten zu untermauern.
In Lambokely klingt die Schlussmusik des Films durch die Dunkelheit. Während der Abspann läuft, leert sich der Platz. Mücken sirren in der Luft. Der Rinderkarren rumpelt in einer Staubwolke über die baumlose Ebene davon.
Als Zafimamys Sohn aufhört, in die Pedale des Trimmrades zu treten, erlischt das Licht auf der Leinwand. Kurz darauf beginnen in den Hütten die Kochfeuer zu qualmen. Der Film habe ihm gefallen, sagt der Dorfpräsident Zafimamy.
"Das war sehr interessant, weil er uns etwas über die Nutzung des Waldes beibringt. Denn all das betrifft unser Leben: der Wald, der Ackerbau und die Umweltzerstörung."
Von den im Film gezeigten nachhaltigen Methoden seien für Lambokely besonders die kohlesparenden Öfen interessant.
"Wenn wir es schaffen könnten, die Zerstörung des Waldes zu verringern, wäre das ein großer Vorteil für uns."
Madagaskar hat schwere Jahre hinter sich. Zwar scheinen Gewalt und Anarchie in den Schutzgebieten vorerst Vergangenheit. Bevölkerung und internationale Organisationen schöpfen wieder Vertrauen. Und dennoch: Für die neue Regierung haben weder die Bekämpfung der Armut noch der Naturschutz Priorität. Große und kleine Naturschutzorganisationen gelingt es bislang nicht, die Umweltzerstörung weitflächig einzudämmen. Die madagassischen Wälder schrumpfen weiter und mit ihnen der letzte Lebensraum für Indris, Chamäleons und Fossas. Nach Angaben der Weltnaturschutzunion sind etwa 90 Prozent aller Lemuren vom Aussterben bedroht. Ebenso düster sieht es für knapp die Hälfte aller madagassischen Reptilien aus.
Ein Buchzitat beschreibe die Lage treffend, sagt Steve Goodman. Die Zukunft der einmaligen Insel liege im Dunkeln. Madagaskar sei kein Ort für Unbekümmerte.
Hinweis
Lennart Pyritz hat in Göttingen Biologie studiert und zwischen 2007 und 2011 eine Doktorarbeit über das Verhalten von Lemuren am Deutschen Primatenzentrum (DPZ) angefertigt. Dafür hat er insgesamt 14 Monate auf einer Feldstation im madagassischen Kirindy geforscht. Zu dieser Zeit war Matthias Markolf ebenfalls Doktorand am DPZ und Arbeitskollege von Pyritz. Seit Sommer 2011 arbeitet Pyritz ausschließlich als Wissenschaftsjournalist. Er spendet der von Markolf mitgegründeten Naturschutzorganisation "Chances for Nature" jährlich 50 Euro.
Lennart Pyritz hat in Göttingen Biologie studiert und zwischen 2007 und 2011 eine Doktorarbeit über das Verhalten von Lemuren am Deutschen Primatenzentrum (DPZ) angefertigt. Dafür hat er insgesamt 14 Monate auf einer Feldstation im madagassischen Kirindy geforscht. Zu dieser Zeit war Matthias Markolf ebenfalls Doktorand am DPZ und Arbeitskollege von Pyritz. Seit Sommer 2011 arbeitet Pyritz ausschließlich als Wissenschaftsjournalist. Er spendet der von Markolf mitgegründeten Naturschutzorganisation "Chances for Nature" jährlich 50 Euro.