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Madonnen und Mätressen

Eine Reihe ganz besonders exquisiter Werke von Raffael sind derzeit in der Galleria Borghese in Rom zu sehen: 24 Gemälde und 26 Zeichnungen des populären Renaissancekünstlers, die zum Teil noch nie in Italien ausgestellt wurden. Die Schau will untersuchen, wie sich Raffaello Sanzio vom umbrischen und florentinischen Maler als päpstlicher Hofkünstler zum römischen Raffael entwickelte.

Von Thomas Migge |
    Der römische Kardinal Scipione Borghese hatte mehrfach versucht, auf legale Weise in den Besitz der schon damals berühmten Kreuzesabnahme zu kommen. Der reiche Aristokrat, der in Rom für seine Villa Borghese eine der an Kunst reichsten Sammlungen aller Zeiten zusammenstellte, hatte den Eigentümern des Gemäldes, den Franziskanern in Prato, auch hohe Geldsummen geboten, um die großflächige Darstellung sein Eigen nennen zu können. Aber es war nichts zu machen. Die Mönche wollten auf das Bild von Raffaello Sanzio nicht verzichten. Also ließ es Borghese kurzerhand stehlen - in einer Nacht irgendwann im Jahr 1507.

    Damals lebte Raffaello noch in Florenz. 1508 zog er nach Rom. Der florentiner Periode des Raffaello ist nun im Museum der Villa Borghese eine Ausstellung gewidmet. Zum ersten Mal überhaupt sind alle seine Werke aus der Zeit zwischen 1504 und 1508 an einem Ort zu sehen. Claudio Strinati, oberster Kunsthüter von Rom und wissenschaftlicher Berater der Ausstellung:

    "Raffaello war ein sehr komplexer Maler, der in jeder seiner Schaffensperioden Meisterwerke hinterließ. Es war nicht so, dass er von Periode zu Periode immer besser wurde, nein, in jedem Lebensabschnitt schuf er beeindruckende Werke. So befreite der in Urbino Geborene sich in Florenz vom Einfluss Peruginos, der bis dato seine Malerei beeinflusst hatte. Im Florenz der Medici perfektionierte er seine grafischen Fähigkeiten und seine Vorliebe für kräftige Farben und Farbkontraste, und er wurde zu einem unbestrittenen Meister in der Darstellung von Menschen. Darin wurde er zum Vorbild für ganze Künstlergenerationen."

    Die römische Raffaello-Ausstellung zeigt besonders viele Madonnenbildnisse - ein Sujet, das der Maler in Florenz zu einer nie dagewesenen Perfektion geführt hat. Die Madonna und das Jesuskind - bis heute sind sie Inbegriff seiner Kunst geblieben. Man denkt an die Intimität des mütterlichen Blickes auf das Kind, an die Wärme dieses Blickes, an das Mütterliche schlechthin. Raffaellos Muttergottes-Darstellungen waren schon zu seiner Zeit zum Synonym für die Madonna geworden.

    "Raffaello hatte in den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts die Möglichkeit, wie auch andere Künstler dieser Zeit, zu einer Avantgarde zu gehören, Prototypen von Sujets zu schaffen, die sich lange Zeit auf die gesamte Kunst auswirkten. Seine florentiner Madonnenbilder sind so ein Prototyp. Vielleicht ist es nie einem Künstler vor und nach ihm gelungen, so zauberhafte und intime und psychologisch tiefe Madonnenbilder zu malen. Seine Madonnen sind sofort als seine zu erkennen."

    Wie zum Beispiel die in der römischen Ausstellung zu sehende "Große Madonna Cowper" aus der National Gallery in Washington. Ein Bild von 1508, dem letzten Jahr Raffaellos in Florenz. Ein junges Mädchen schaut auf den Jesusknaben, der wiederum den Betrachter des Gemäldes anblickt. Mutter und Kind wirken heiter, gelassen. Der Blick der Mutter auf das Kind bringt auf eine fast schon metaphysische Weise Glück zum Ausdruck, die Heiterkeit des Seins, realisiert durch ihr Muttersein. Es ist, wie Strinati es nennt, ein "Monument der ganz natürlichen Zärtlichkeit eines Menschen für einen anderen":

    "Raffaello hatte, und das sollte man wissen, um die ganze Bedeutung dieser florentiner Madonnen zu begreifen, eine Idee: Er wollte Bilder schaffen, die nicht mehr beeinflusst sind durch die technischen Fähigkeiten anderer Maler, sondern durch das Denken bedeutender Intellektueller seiner Zeit, Schriftsteller, Musiker, Philosophen, Theologen. Auf diese Weise löste er sich von überkommenen Maltraditionen, davon, immer wieder das gleiche zu machen."

    Raffaello durchbrach damit die Orthodoxie der immer gleichen Ikonographien. Er suchte die Kommunikation zwischen den von ihm gemalten Personen und den Bildbetrachtern. Nur so wird verständlich, warum wir beim Betrachten der vor allem in Florenz geschaffenen Madonnen den Eindruck haben, dass es sich nicht um gottgleiche, entrückte Ikonen handelt, sondern um Menschen, die zu uns sprechen, die menschliche Regungen zeigen. Raffaellos Madonnen sind keine Himmelsköniginnen, die stolz den Gottessohn präsentieren. Sie sind vor allem Mütter, ganz gewöhnliche Mütter mit ganz gewöhnlichen Kindern.