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Madrid
Straßenmusiker protestieren gegen Erlaubnisschein

Wer künftig in Madrid auf der Straße Musik spielen möchte, muss zunächst vor einer Jury auftreten. Dabei hat sich auf den Straßen eine lebendige Musikszene entwickelt. Die möchte das nicht widerspruchslos hinnehmen.

Von Hans-Günter Kellner | 30.12.2013
    Wo eine Verordnung ist, findet sich immer auch ein Weg, sie zu umgehen. Beispiel: Die Lärmschutzverordnung für Madrid verbietet, auf der Straße auf Rhythmusinstrumenten zu spielen. Also spielt José von der Jazzkombo "Los Indigentes" auf Farbkübeln. Denn Eimer erwähnt die Verordnung nicht. Doch auch diese Freiheit wird zum Jahreswechsel verschwinden. Wer in Madrid auf der Straße spielen will, muss zunächst Verwaltungsbeamten vorspielen.
    "Ich bin nicht gegen einen gesetzlichen Rahmen. Was wir aber nie akzeptieren werden, ist einer Jury vorzuspielen, die uns sagt, ob wir Musik machen dürfen oder nicht. Da machen wir nicht mit. Wir werden weiter spielen. Sie können uns dann umbringen oder ins Gefängnis stecken. Eins von beidem."
    Wer vor den Stadtvertretern allerdings nicht vorspielt, erhält auch keinen Erlaubnisschein, den alle Straßenmusiker im Zentrum Madrids ab Januar benötigen. Das Duo "Black Colombo", das hier einen alten Klassiker von Harry Nilsson interpretiert, hat in den sauren Apfel gebissen und das Papier bekommen, das es jetzt bei jeder Polizeikontrolle vorzeigen muss. Die Musiker dürfen damit im Zentrum der Hauptstadt spielen, allerdings nicht zwischen 15 und 17 und nicht vor zehn und nach 22 Uhr - und alle zwei Stunden müssen sie den Standort wechseln. Sie dürfen nicht die Sicht auf Schaufenster verstellen und niemandem den Weg versperren. Gitarrist Jonathan:
    "Ich bin zufrieden, weiter spielen zu können. Ich habe zwei Kinder, ich lebe von der Musik. Das ist meine Arbeit. Aber mir gefällt nicht, was sie mit Leuten mit wirklich hohem Niveau machen. Eine Gesangslehrerin und eine Klavierlehrerin sind durchgefallen. Ich weiß nicht, warum. Das ist schon heftig."
    Insgesamt 460 Musiker haben vorgespielt, 318 haben bestanden. Die Stadtverwaltung begründet ihr Vorgehen mit der Lärmbelästigung für die Anwohner, die manchmal neben Baustellen und Verkehr auch Vivaldis Vier-Jahreszeiten zwölf Stunden lang ertragen müssten. Man wolle die Musik nicht verbieten, betonen die Politiker.
    Doch die Musiker sind längst auf den Barrikaden. Manche fordern die Politiker ganz offen heraus. "Für unsere Bürgermeisterin. Die das Leben von den Straßen unserer Stadt verbannen will, die unsere Wände und Gehwege grau in grau halten möchte”, singt die "Potato Omelette Band". Der Song ist ein echter Hit geworden, die Band hat ihn der Jury vorgespielt und das Ganze auch noch mit versteckter Kamera aufgenommen. Passanten bleiben stehen, erzählen von dem Video im Internet.
    "Ihr habt es ja ganz deutlich in dem Lied gesagt. Aber ihr habt bestanden?"
    Ja, aber bei einer Kontrolle wollen sie den Straßenmusikerlaubnisschein nicht vorzeigen, erklärt Laura Potato dem Passanten. Der lobt den Auftritt, meint, es sei das Beste gewesen, was er seit Langem gesehen habe.
    Die Gruppe hat mit ihrem Protestsong bestanden, obwohl sie auch Lautsprecher und Mikrofone einsetzt - und damit ganz offen gegen die Verordnung verstößt.
    "Wir wissen nicht, warum wir bestanden haben. Es weiß auch niemand, warum einige Leute nicht bestanden haben. Leute, die Familie haben und nun nicht spielen können. Das hat ja auch eine soziale Komponente. Unsere Bürgermeisterin will ja auch keine Bettler in der Stadt haben, Leute, die ihr nicht in den Kram passen. Bald werden sie uns vorschreiben, wie wir uns zu kleiden haben."
    Immerhin, dank der Verordnung haben Laura und ihr Partner Gerardo eine ganz neue Facette entdeckt: das politische, musikalische Kabarett. Bisher machten sie eher unverfängliche Musik für die gute Laune des Publikums. Jetzt denken sie zusammen mit anderen Bands an ein politisches Musiktheater.
    Doch ob politisch oder nicht, Musik sei kein Krach, betont Laura:
    "Das ist eine Beleidigung für uns, dass unsere Arbeit von einer Lärmschutzverordnung geregelt wird. Wir machen Musik, Kunst! Wer nach Madrid kommt, will Leben, Kunst, Musik erleben. Stattdessen darf das Kaufhaus dort mit seiner fürchterlichen und lauten Werbemusik die Fußgängerzone die ganze Weihnachtszeit über beschallen."
    Und die dauert im katholischen Spanien immerhin noch bis zum 6. Januar, dem Tag der Heiligen Könige.