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Mädchen mit männlichem Zwilling
Nachteile durch Testosteron

Sie machen seltener Abitur, verdienen weniger und bleiben öfter unverheiratet: Mädchen mit einem Zwillingsbruder. Das haben Forscher bei einer Auswertung von Daten norwegischer Zwillingspaare herausgefunden. Sie vermuten, dass daran der Hormoncocktail Schuld ist, dem sie im Mutterleib ausgesetzt sind.

Von Christine Westerhaus |
Rosa und blaue Söckchen für ein Mädchen und einen Jungen und die nackten Babybeine von Zwillingen.
Auch wenn die Hormone die Entwicklung beeinflussen - Pädagogen sollten in jedem Fall unterschiedliche Lernstile der Kinder berücksichtigen, sagen die Forscher (dpa-Zentralbild / Patrick Pleul)
Seit vielen Jahren kennen Forscher das Phänomen von Mäuseweibchen. Wenn diese im Uterus den männlichen Hormonen eines Geschwistertieres ausgesetzt waren, verhalten sie sich eher wie ein Männchen. Ähnliches ist auch von anderen Tieren bekannt. Ob auch Mädchen ihr Verhalten ändern, wenn sie im Mutterleib mit einem männlichen Zwilling heranreifen, war zwar bislang unklar. Doch nun haben Aline Bütikofer von der norwegischen School of Economics in Bergen und ihre Kollegen Hinweise darauf gefunden, dass es einen Einfluss männlicher Hormone auch beim Menschen gibt.
"Wir können so in einer ersten landesweiten Studie zeigen, dass eben dieser Testosterontransfer oder dieser Hormontransfer von männlichen zu weiblichen Zwillingsföten, also Zwillinge bevor sie geboren werden, negative Effekte hat auf die Ausbildung und das Einkommen und auch die spätere Fertilität von weiblichen Zwillingen."
Kein Abitur und weniger Einkommen
Für ihre Untersuchung haben die Forscher die Daten von fast 14.000 Zwillingen ausgewertet, die in Norwegen in den 1960-er und 1970-er Jahren geboren wurden. Die Wissenschaftlerin erklärt:
"Also die Wahrscheinlichkeit, dass die das Gymnasium abbrechen, also ihr Abitur eben nicht machen, ist 15 Prozent höher und das Einkommen, wenn sie gut 30 Jahre alt sind ist ungefähr acht bis neun Prozent tiefer und die Wahrscheinlichkeit, dass sie später mal heiraten, ist sogar fast zwölf Prozent tiefer."
Zwar können die Forscher nicht ganz ausschließen, dass Mädchen nur deshalb kein Abitur machen und seltener heiraten, weil sie mit einem Zwillingsbruder aufwachsen und von seinem Verhalten möglicherweise geprägt werden. Doch derselbe Effekt tritt auch bei Mädchen auf, deren Zwillingsbruder innerhalb des ersten Lebensjahres verstorben ist.
"Das heißt, diese Mädchen teilen sich den Bauch der Mutter und haben diesen Hormontransfer, aber sie wachsen nicht zusammen mit einem Zwillingsbruder auf. Das Mädchen wird als Kleinkind oder als Kind im Prozess vom Aufwachsen geprägt durch den Bruder. Und da könnte man auch denken, dass das Verhalten in Ausbildungsfragen oder so sich bei den Mädchen ändert."
Individuelle Unterschiede berücksichtigen
Dass auch Mädchen, deren Zwillingsbruder verstorben ist, seltener Abitur machen, spricht dafür, dass es tatsächlich der Einfluss der männlichen Hormone im Mutterleib ist, der hier eine Rolle spielt. Ob diese Botenstoffe Mädchen in einen Wildfang verwandeln und sie deshalb schlechtere Noten haben, können die Forscher zwar nicht beantworten. Doch Pädagogen sollten in jedem Fall Rücksicht darauf nehmen, dass auch Schülerinnen spezielle Bedürfnisse haben, meint Christopher Kuzawa von der Northwestern University in Evanston, Co-Autor der Studie.
"Wir sehen, dass diese Mädchen statistisch gesehen seltener Abitur machen. Und das zeigt, dass wir in der Schule mehr Toleranz entwickeln sollten: Gegenüber Kindern, die andere Lernstile, andere Bedürfnisse haben. Und ich glaube, auf solche individuellen Unterschiede sollte noch mehr Rücksicht genommen werden."
Womöglich Vorteile
Gleichzeitig sei es wichtig, die Ergebnisse in einem kulturellen Zusammenhang zu sehen, betonen sowohl Christopher Kuzawa als auch Aline Bütikofer. Die untersuchten Zwillinge sind in den 1960-er und 1970-er Jahren in Norwegen geboren worden und damit in einer Zeit aufgewachsen, in der die Geschlechterrollen noch deutlich ausgeprägter waren. Heutzutage ist es für Mädchen womöglich sogar ein Vorteil, männlicher aufzutreten. Zumindest auf dem Arbeitsmarkt. Denn obwohl Mädchen meist bessere Schulnoten haben, verdienen sie im späteren Berufsleben in der Regel deutlich weniger als ihre männlichen Mitstreiter.
"Hier an der norwegischen School of Economics beschäftigen wir uns sehr sehr oft mit Unterschieden zwischen Jungen und Mädchen und der Frage, wieso Jungs in der Schule schlechtere Noten haben als Mädchen, also von wo kommt dieser Unterschied? Wann entsteht er und genau aus dieser Diskussion heraus ist auch dieses Papier entstanden. Wir werden sicher in Zukunft uns noch sehr viel mit diesem Thema auseinandersetzen, um herauszufinden: Was genau macht Jungs und Mädchen verschieden und wieso verhalten sich die in der Schule anders, wieso treffen die andere Ausbildungswahlen? Also das ist sehr wichtig für uns in unserer Forschung."