Kommentar zur Buchmesse
Es fehlt an Büchern für junge Männer

Die Themen junger Männer kommen in der Literatur kaum noch vor. Männer konsumieren stattdessen Podcasts oder schauen Streams, die oft vereinfachte und reaktionäre Antworten geben. Verlage müssen dringend Angebote schaffen.

Ein Kommentar von Nils Schniederjann |
Zahlreiche junge Frauen stöbern am Stand von LYX auf der Leipziger Buchmesse.
Auf der Leipziger Buchmesse gibt es zahlreiche Angebote für junge Frauen, an Angeboten für junge Männer mangelt es hingegen. (picture alliance / dpa / Jan Woitas)
Die Leipziger Buchmesse platzte in diesem Jahr aus allen Nähten. Zum ersten Mal mussten die Veranstalter den Ticketverkauf für den traditionell besucherstarken Samstag bereits vorher einschränken. Den meisten in der Branche ist völlig klar, woran das auch lag: Vor allem die Schlangen an den „New Adult“- und „Dark Romance“-Ständen, also bei oft anzüglichen Liebesromanen, die vor allem abseits der großen Verlage publiziert werden, erstreckten sich Hunderte von Metern entlang der Hallenwände.
In diesen Schlangen standen meist junge Frauen – für sie gab es auf der Buchmesse eine riesige Anzahl neuer Angebote. Junge Männer entdeckte man in diesen Tagen hingegen kaum. Für Literatur scheinen sie sich kaum mehr zu interessieren. Das dürfte mittelfristig nicht nur für die Verlagsbranche zum Problem werden.

Männer und Literatur driften auseinander

Denn junge Männer konsumieren andere Inhalte, andere Medien – sie hören Podcasts, begleiten den Alltag von Influencern, vertrödeln ihre Abende mit Streamern. Die Auswirkungen dessen, dass junge Männer und Frauen anfangen, in medial völlig unterschiedlich Welten zu leben, deuteten sich unter anderem bei der letzten Bundestagswahl an: Die beliebteste Partei bei jungen Männern unter 24 Jahren war die AfD – unter jungen Frauen mit deutlichem Abstand Die Linke.
Nun wäre es zu einfach zu behaupten, junge Männer tendierten zu einer Rechtsaußen-Partei, weil sie keine Bücher mehr lesen. Auffällig ist es aber schon: Gab es früher noch große Romane, die explizit die Lebenswelt junger – oft verlorener – Männer in den Mittelpunkt rückten, fehlen diese Erzählungen heute fast völlig. Früher war die Komplexität männlicher Adoleszenz noch ein literarischer Lieblingstopos. Von Philip Roth über den jungen Bret Easton Ellis bis zu Wolfgang Herrndorf gab es bis vor einigen Jahren stets eine Reihe Autoren, die vor allem und explizit Männer angesprochen haben.
Schaut man sich die Bestseller-Listen heute an, scheinen höchstens noch Ratgeber- und Selbsthilfebücher zweifelhafter Unternehmer und vermeintlicher Finanzexperten das Interesse junger Männer zu locken. Dass Männer sich von der Literatur verabschiedet haben, zeigt sich auch an Hochschulen: Frauen machen bundesweit 79 Prozent der Studierenden an Germanistik-Instituten aus.

Kritische Beschäftigung mit Männlichkeit kommt zu kurz

Jetzt könnte man sagen: Na und? Dann hören Männer eben nur noch Podcasts und schauen Youtube-Videos, während Frauen weiter lesen. Was solls? Doch die Literatur bietet mehr als all diese hektischen Formate. Auch ein Roman kann seine Leser unterhalten, verblüffen, inspirieren.  Aber Literatur bietet uns vor allem die Möglichkeit, neue und andere Geschichten über uns zu erzählen. Und sie erzählt eben – anders als die meisten Influencer – nicht nur Heldengeschichten von Autonomie und Macht.
Die Literatur stellt seit jeher komplexere Fragen: Danach, in welchem Verhältnis Autonomie und Verletzlichkeit stehen. Wann männliche Härte nicht zum Erfolg, sondern zu bloßer Brutalität führt. Aber auch inwiefern manche männlich konnotierte Tugend nötig ist, um in dieser Welt seine Ziele zu erreichen. Wollen wir in einer gleichberechtigten Gesellschaft leben, dann müssen wir junge Männer dazu bekommen, sich mit diesen Fragen tiefer auseinanderzusetzen. Solche Literatur wäre dabei ein wichtiger Baustein.

Verlage müssen die Themen anpacken

Die Branche müsste sich deshalb stärker darum kümmern, diese Zielgruppe wiederzuentdecken. Sie müsste aktiv nach Autoren suchen, die von Corona, wachsender Zukunftsangst und einer neuen gesellschaftlichen Militarisierung geprägt sind und erzählen können. Wenn in Koalitionsverhandlungen über die Möglichkeit diskutiert wird, ganze Jahrgänge junger Männer wieder zu Soldaten auszubilden – wo ist dann die Literatur, die dieser Generation hilft, damit umzugehen? Im Moment gibt es sie leider nicht.
Die Verleger, Agentinnen und Lektoren sollten auf Themen lenken, die wenig glamourös aber relevant sind: Die sinkenden Aussichten auf eine stabile Partnerschaft; die widersprüchlichen Ansprüche, die unsere Gesellschaft an die junge Generation stellt, die postheroisch, aber kriegstüchtig sein soll.
Das alles sind Themen, auf die es keine vorgefertigten Antworten gibt. Gerade deshalb wäre die Literatur gefragt, diese Fragen zu verhandeln. Tut sie es nicht, bleiben reaktionäre Influencer die einzigen, die jungen Männern vermeintliche Antworten anbieten – und die schicken ihr Publikum ganz sicher nicht auf die Buchmesse.