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Männliche Küken
Sterben fürs Geschäft

Von Mirjam Stöckel |
    Großaufnahme dreier Hühner
    Die Brüder von Legehennen werden noch in der Brüterei getötet. (dpa / Benjamin Beytekin)
    Die 300 Legehennen bei Christoph Truetken haben es gut: Viel Auslauf im Freien, einen überdachten Wintergarten, einen geräumigen Stall und Biofutter. Dass es seinen Tieren gut geht, liegt Biolandwirt Truetken am Herzen:
    "Jedes Tier muss seinem natürlichen Verhalten nachgehen können. Das bedeutet für ein Huhn. Das Huhn ist in der Natur den ganzen Tag beschäftigt, Futter zu suchen. Also es muss scharren können, sich bewegen können, in der Sonne liegen es muss aber auch ein Sandbad nehmen können zur Gefiederpflege."
    Für seine Milchviehhaltung hat Truetken 2013 den Tierschutzpreis des Landes Baden-Württemberg bekommen. Doch selbst er, der ausgezeichnete Biolandwirt, kann eines nicht verhindern: dass die Brüder seiner Legehennen, die sogenannten Eintagsküken, noch in der Brüterei getötet werden. 40 bis 50 Millionen Hahnenküken sind es jährlich allein in Deutschland. Europaweit rund 330 Millionen. Der Grund: Die männlichen Tiere der Legehennen-Rassen bringen der Geflügelindustrie keinen Profit. Eier legen können sie nicht - und sie zu mästen, lohnt sich nicht. Denn sie setzen genetisch bedingt viel weniger Fleisch an als die extra gezüchteten Mast-Rassen.
    Vom 1. Januar 2015 an will Nordrhein-Westfalen das millionenfache Kükentöten als erstes Bundesland verbieten und unter Strafe stellen. Aus Sicht des Landwirtschaftsministeriums verstößt die Praxis gegen das Tierschutzgesetz, weil es keinen "vernünftigen Grund" für das Töten gibt. Tiere zu töten, nur weil sie ökonomisch keinen Nutzen brächten, sei außerdem ethisch verwerflich. Das System der industriellen Eierproduktion müsse sich ändern, sagt Peter Knitsch, Staatssekretär im NRW-Landwirtschaftsministerium.
    "Wir müssen einfach zu der Erkenntnis kommen, dass wir Grenzen überschritten haben, dass zum Teil ganz einseitig unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten Sachverhalte betrachtet worden sind, die man nicht nur rein betriebswirtschaftlich betrachten kann."
    Die betroffenen elf Brütereien in NRW klagen derzeit gegen das Kükentötungsverbot. Der Zentralverband der Geflügelwirtschaft schreibt dazu - Zitat:
    "Zum jetzigen Zeitpunkt liegt (...) aus Sicht der Branche für die bisherige Praxis ein vernünftiger Grund im Sinne des Tierschutzgesetzes vor. So werden die getöteten Eintagsküken nicht arglos entsorgt - wie häufig fälschlich behauptet wird - sondern in Deutschland als Spezial-Tierfutter beispielsweise für Reptilien verwendet, die auf derartige Nahrung angewiesen sind."
    Bruderhahn-Initiative zieht männliche Tiere auf
    Die Entscheidung der Richter könnte auch für andere Bundesländer ein Signal sein - zumal Niedersachsen und Hessen, wo die meisten Hahnenküken schlüpfen, ebenfalls ein Tötungsverbot angekündigt haben. Allerdings ohne konkretes Datum. Bis zu einem rechtskräftigen Urteil zu den Klagen aus NRW kann es aber noch Monate, vielleicht Jahre dauern.
    Wer als Verbraucher in der Zwischenzeit mit einigermaßen gutem Gewissen Eier essen will, hat nicht viele Möglichkeiten - aber er hat sie. Wenn er beim Kauf nämlich entsprechende Projekte oder Landwirte unterstützt. Manche Biobauern - so auch Christoph Truetken - halten ihre Legehennen länger als die üblichen 12 Monate. Dabei sinkt zwar die Legeleistung der Tiere - und damit der Profit. Aber wenn Bauern weniger Legehennen bei den Brütereien bestellen, schlüpfen dort auch weniger Hähnchen. Christoph Truetken:
    "Das heißt, wenn ich das Huhn länger halte, müssen dann also weniger Brüder getötet werden."
    Eine andere Alternative für Verbraucher mit hohem ethischen Anspruch ist die Bruderhahn-Initiative: Hier ziehen derzeit 23 Bio-Landwirte die männlichen Tiere aus der Legehennenproduktion auf. Rund 28.000 Hahnenküken wurden 2014 so gemästet. Ihr Fleisch landet etwa in Babygläschen der Firma Holle. Finanziert wird die Bruderhahn-Aufzucht durch einen Preisaufschlag bei den Eiern: Kunden zahlen pro Ei vier Cent extra. Auch Biolandwirt Truetken denkt darüber nach, ins Bruderhahn-Projekt einzusteigen. Dass er seine Eier dann etwas teurer verkaufen müsste, macht ihm keine großen Sorgen:
    "Wenn wir es denen erklären, wie es mit dem Bruderhahn ist, werden die meisten Kunden da auch bereit sein, vier Cent mehr fürs Ei auszugeben."
    Erkennbar sind Fleisch und Eier der Bruderhahn-Initiative übrigens an einem speziellen Siegel auf der Verpackung - gutes Gewissen inklusive.