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Maghreb-Flüchtlinge
"Länder nehmen Menschen nicht zurück"

Es helfe nicht, Marokko, Algerien oder Tunesien zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären, wenn diese Länder abgeschobene Flüchtlinge nicht zurücknähmen, sagte die Grünen-Außenpolitikerin Franziska Brantner im DLF. Sie plädierte dafür, Unterstützung vor Ort zu leisten, um den Menschen eine Perspektive zu bieten.

Franziska Brantner im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker |
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    Ann-Kathrin Büüsker: Die Maghreb-Staaten, allen voran Marokko und Algerien, stehen jetzt ganz weit oben auf der Diskussionsliste in Sachen Flüchtlingspolitik. Darüber habe ich vor dieser Sendung mit Franziska Brantner gesprochen. Sie ist Mitglied im Bundestag für Bündnis 90/Die Grünen. Bis 2013 war sie im Europaparlament, wo sie außenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion war und als solche ist sie mehrfach in verschiedenen Maghreb-Staaten gewesen. Mit ihr habe ich über den Plan der Union gesprochen, Marokko, Algerien und Tunesien zu sicheren Herkunftsstaaten zu machen, und vor dem Hintergrund, dass die Zahl der Asylbewerber von dort, die ein Bleiberecht in Deutschland erhalten, sowieso sehr klein ist, habe ich sie gefragt, wie sinnvoll eine solche Forderung ist.
    Franziska Brantner: Diese Forderungen zeugen eher von Verzweiflung und Symbolpolitik als von irgendeiner Kenntnis dieser Länder. In Algerien besonders ist die Menschenrechtslage auch wirklich noch sehr schwierig, in Marokko genauso. Da ist es eine Straftat, wenn man schwul oder lesbisch ist. In Tunesien ist zwar ein Weg in die richtige Richtung beschritten worden, aber auch da ist man noch lange davon entfernt, dass man sagen kann, es ist ein sicheres Herkunftsland. Die echten Probleme liegen ja auch woanders.
    "Staaten nehmen Menschen nicht zurück"
    Büüsker: Und zwar?
    Brantner: Ja darin, dass die Länder die Menschen gar nicht zurücknehmen. Es ist ja nicht so, dass man die nicht schnell genug abschieben möchte, sondern Marokko und Algerien häufig auch nicht bereit sind, Menschen zurückzunehmen, die ihre Papiere nicht mehr haben, wo man nicht mehr nachweisen kann, ob sie unbedingt Algerier oder Marokkaner sind, und das ist ja die Problematik. Da helfen deswegen auch die sicheren Herkunftsstaaten gar nichts, weil dann haben Sie noch mehr Menschen, die Sie gerne abschieben würden, aber die gar nicht zurückgenommen werden.
    Büüsker: Wo würden Sie denn ansetzen, um die Länder dazu zu bringen, ihre Bürgerinnen und Bürger, die nicht hier in Deutschland bleiben können, sondern abgeschoben werden, wieder zurückzunehmen?
    Brantner: Dazu muss man erst mal sagen, dass es momentan auf europäischer Ebene zum Beispiel zwischen Marokko und der EU Verhandlungen gibt seit 2013 um die Frage der Rücknahme von Menschen ohne Papiere, weil die mit Pässen müssen sie eh zurücknehmen, und diese Verhandlungen laufen. Das bedeutet aber auch eine Gegenseitigkeit. Und Marokko hat zum Beispiel erleichterte Visaerteilung für Studenten und Wissenschaftler gefordert, wo ich sagen würde, eine gute Idee. Das ist ein Austausch, den man damit auch schaffen würde, der auch denen unsere Kultur und unser Leben nahebringt im Gegenzug dafür. Diese Verhandlungen laufen, werden aber auch nicht so wirklich gerne gesehen von der europäischen Seite. Das ist ein Strang, der dort offiziell läuft. Den muss man nicht befürworten, aber der läuft. Das heißt, wenn man das beschleunigen wollte, könnte man zum Beispiel da ansetzen.
    Das andere ist natürlich, dass diese Länder auch Schwierigkeiten intern haben und wir da ehr darauf drängen sollten, zum Beispiel den Rechtsstaat weiter voranzubringen, dass wir es nicht zulassen sollten, dass Tunesien den Weg nicht begehen kann, dass man wirklich ökonomisch, wirtschaftlich richtig hilft, damit junge Menschen in diesen Ländern eine Perspektive haben. Das wäre meiner Meinung nach eher ein Ansatz, für Rechtsstaatlichkeit, für Frauenrechte zum Beispiel auch, für Arbeitschancen in diesen Ländern zu sorgen. Dann hätte man auch eine andere Debatte mit den Regierungen und auch mit den Menschen, die de facto dann kommen.
    "Gelder streichen schafft die Flüchtlinge von morgen"
    Büüsker: Wie hilfreich sind da die Forderungen wie die von Wirtschaftsminister Gabriel, die Entwicklungshilfe für Maghreb-Staaten zu kürzen, wenn die ihre Bürger nicht zurücknehmen?
    Brantner: Ich habe, ehrlich gesagt, über diese Forderung eher gelacht. Ich kann das gar nicht ernst nehmen. Wenn man weiß, dass Algerien im Jahr sechs Millionen aus Deutschland bekommt und durch Öl und Gas ein eher reiches Land ist, dann weiß man, dass die auf sechs Millionen auch verzichten. Die einzigen, die darunter leiden, sind wahrscheinlich die zivilgesellschaftlichen Akteure, die wir damit unterstützen. In Marokko sind das um die 480 Millionen. Das sind hauptsächlich Darlehen für erneuerbare Energien und für den Aufbau vom Ausbildungssektor, um jungen Menschen eine Perspektive zu geben. Wenn wir da die Gelder streichen, dann schaffen wir die Flüchtlinge von morgen. Das ist wirklich sehr kurzsichtig gedacht und zu glauben, dass darüber Deutschland einen Hebel hätte, ist, glaube ich, wirklich eher ein Zeichen von Unkenntnis der Länder als ein ernst gemeinter Vorschlag.
    Büüsker: Man muss ja festhalten: Die Zahl der Asylbewerber aus Marokko und Algerien, die ist in den vergangenen Monaten erheblich gestiegen. Und wenn ich Sie richtig verstehe, dann sperren Sie sich auch grundsätzlich nicht gegen eine Abschiebung zurück in diese Länder?
    Brantner: Nein! Sie haben ja ein individuelles Anrecht auf Asyl und wenn das geprüft wurde und rechtsstaatliche man zu dem Ergebnis kommt, dass es keinen Asylgrund gibt, dann ist es ein rechtsstaatliches Verfahren. Deswegen ist für mich nur wichtig, dass es diese Verfahren gibt, dass die rechtsstaatlich bei uns ablaufen, und danach, wenn es dann zur Abschiebung kommen soll, ist eher die Frage, wie schafft man es gemeinsam mit Marokko, mit den Ländern der Region, vielleicht einen Zukunftspakt zu schließen, wo man gemeinsam sagt, wir gehen die Probleme gemeinsam an, wir wissen, dass wir hier eine Herausforderung haben, die hohe Jugendarbeitslosigkeit in den Ländern, aber auch der Mangel an Rechtsstaatlichkeit in Algerien, in Marokko, Problem der Frauenrechte in vielen dieser Länder, das anzugehen und zu sagen, wir machen da was gemeinsam und wir helfen euch auch und nicht nur dieses wir erpressen euch und nehmt alle bitte wieder zurück, was eh nicht klappen wird. Solche Signale bräuchten wir gerade für Tunesien, wo ich mir große Sorgen mache, ob der Demokratisierungsprozess nachhaltig ist, gerade auch wegen der Drohung durch ISIS, der Terrorattacken. Da lieber jetzt rechtzeitig präventiv aktiv zu sein und die Kräfte dort zu unterstützen, das erscheint mir wirklich wesentlich sinnvoller, wenn man vermeiden möchte, dass junge Menschen sich auf den Weg machen, die wahrscheinlich geringe Chancen haben, bei uns Asyl zu finden.
    Brantner: Es gibt nicht den Nordafrikaner
    Büüsker: In dieser ganzen Diskussion, da wird ja häufig von Politikern, aber auch von uns Medien von Nordafrika gesprochen. Müssen wir da stärker differenzieren? Sie haben es ja gesagt: zu Nordafrika gehört auch Tunesien. Das Land wird immer wieder von islamistischem Terror heimgesucht. Libyen gehört dazu, da ist unter Umständen bald ein Einsatz der Bundeswehr möglich. Müssen wir in der Debatte stärker differenzieren?
    Brantner: Wir müssen auf jeden Fall differenzieren. Es hilft überhaupt gar nichts, alle Länder über einen Kamm zu scheren. Die sind auf ganz unterschiedlichen Stadien, sowohl wirtschaftlicher Entwicklung als auch politischer Öffnung. Man kann Libyen und Tunesien gar nicht vergleichen. Das eine ist ein Bürgerkriegsland, das andere ist ein Land, was sich wirklich in einen schwierigen Prozess auf dem Weg zur Demokratie macht, was aber wirtschaftlich sehr schwach dasteht und was Terrorattacken ausgesetzt ist, wo wir auch wesentlich stärker helfen müssten, dass das wirtschaftlich funktioniert und man da nicht die jungen Leute ohne Perspektive lässt. Dazwischen ist Algerien, eigentlich gar nicht so ein armes Land, Öl- und Gasvorkommen, was aber politisch sehr repressiv ist. Das heißt, man kann die nicht über einen Kamm scheren und man muss wirklich eher gucken, dass man differenziert hilft, dass die Länder und die Menschen in diesen Ländern vorankommen. Ich glaube, alle die glauben, es gibt die Nordafrikaner, die sind der Lösung keinen Schritt näher gekommen.
    Büüsker: Franziska Brantner war das, Bundestagsabgeordnete der Grünen mit Schwerpunkt Außenpolitik, im Interview hier im Deutschlandfunk.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.