"Es gibt eben Sachen, da kann man nichts machen, die auf der Schneide stehen. Wird’s gut oder schlecht, wer das wüsste, man möchte so gern in die Zukunft sehen", das sang in den 20ern der Kabarettkünstler Max Hansen. Und heute wissen wir: Es wurde schlecht. 1933 zerbrach mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten die junge Demokratie der Weimarer Republik.
Eine ungewisse Zeit zwischen den Weltkriegen
Die Ausstellung "Magic Realism" in der Londoner Tate Modern zeigt nun knapp 70 Werke aus der ungewissen Zeit zwischen den zwei Weltkriegen. Kurator Matthew Gale beschreibt, wie der Maler Rudolf Schlichter das Gefühl von damals im Porträt seiner Frau festhält:
"Sie starrt einem direkt in die Augen, hat einen sehr forschen Charakter. Im Hintergrund sieht man eine verwüstete Landschaft, verbrannte Bäume, die untergehende Sonne auf der einen und den aufgehenden Mond auf der anderen Seite, so als erlebe man einen apokalyptischen Moment. Schlichter malt mit großer Präzision: Selbst die Knöpfe ihres Kleides spiegeln die Welt um sie herum."
Apokalyptische Momente
Die Welt um sie herum spiegeln - darum ging es Künstlern wie Schlichter, Otto Dix, Albert Birkle oder Jeanne Mammen. Ihre Neue Sachlichkeit war eine Reaktion auf das Überemotionale und Abstrakte des Expressionismus, sagt Matthew Gale.
"Das Fragmenthafte hat sie zu sehr an den Zerfall der Gesellschaft im Ersten Weltkrieg erinnert. Einige Künstler wollten stattdessen einfach das abbilden, was sie sahen. Und das war manchmal ziemlich düster."
Mit dieser Düsterkeit wird man im längsten der vier Ausstellungsräume konfrontiert: Rudolf Schlichters Frau ist nur eine in der Reihe von sieben Porträtierten. Ihre eiskalten Gesichtsausdrücke entfalten im Zusammenspiel ihre volle Wucht.
Neben einem russischen Studenten im Anzug sitzt ein Mädchen mit rosa Hut. Ihre geröteten Augen und Hände erzählen von harter Arbeit und Erschöpfung. Werner Schrammes Damenbildnis zeigt dagegen eine Frau mit edlen Handschuhen und Pelzmantel auf einer Pariser Brücke, Typus Weltreisende.
"Die Rolle der Frau in der Weimarer Republik ist sehr interessant. Nach dem katastrophalen Verlust an Menschenleben im Ersten Weltkrieg übernahmen die Frauen die Jobs der Männer. Sie durften wählen und begannen, ihre eigene Position in der Welt auszuloten."
Erschöpfte Menschen, eiskalte Gesichter
Die Ausstellung bebildert eine Gesellschaft im Wandel. Und vermittelt trotz einiger stilistischer Gemeinsamkeiten, wie unterschiedlich die Künstler mit dem Schmerz über die Vergangenheit und der Sorge um die ungewisse Zukunft umgingen.
"In vielerlei Hinsicht suchten einige auch Trost in höheren Mächten, jenseits der Welt, die sie bewohnten, in der das Leben oft sehr schwierig war."
Das äußert sich in kosmischen Elementen – der apokalyptische Himmel im Porträt von Schlichters Frau ist ein Beispiel. Für andere spielte Religion eine Rolle.
Der international bisher eher unbekannte Berliner Maler Albert Birkle verarbeitete seine Erfahrungen von der Front in einer grausamen Kreuzigungsszene: Drei knochige, ausgehöhlte Männer verenden auf dem Bild von 1921, der vorderste öffnet den Mund zum Schrei, Blut tropft ihm aus der halb abgehackten Nase. Matthew Gale erkennt in der religiösen Kulisse den Kern des magischen Realismus:
"Der Begriff ist paradox. Er legt nahe, dass wir die reale Welt betrachten, darin aber magische Dinge sehen."
Grausame Satire
In seiner Widersprüchlichkeit trifft die Bezeichnung den damaligen Zeitgeist. Einer der bekanntesten Teilnehmer der Strömung, Otto Dix, erschafft den Zirkus in einer Serie von Drucken als einen Ort tiefer Abgründe.
'Die Verächter des Todes' zeigt zwei Akrobaten, die Augen nur Schatten, die Münder nur Striche, ein Totenkopf schwebt im Schwarzen über ihnen. Sie begeben sich in Lebensgefahr, um die Massen zu unterhalten und von den schmerzhaften Verlusten abzulenken.
Beißende Satire als Bewältigungsstrategie in Zeiten von Populismus und Extremismus. Kurator Matthew Gale glaubt, das funktionierte damals wie heute.
"Sie wollten damit die Gesellschaft warnen, ihr die eigene Korruption vor Augen führen. Ich kann mir vorstellen, dass das wachsende Interesse an Satire heute ähnliche Gründe hat. Wir sagen nicht, dass es in der Ausstellung darum gehen soll, Lehren aus der Geschichte zu ziehen. Aber wenn jemand Lehren aus der Geschichte ziehen möchte, kann er sie hier finden."