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Magmakammer gesucht
Forscher lüften das Rätsel um Mount St. Helens

Die Explosion des Mount St. Helens am 18. Mai 1980 war einer der stärksten Vulkanausbrüche des 20. Jahrhunderts. Seitdem registrieren Vulkanologen jeden kleinen Bebenschwarm. Denn der bedeutet, dass sich im Untergrund Magma verlagert. Aus welchen Quellen sich der Vulkan speist, wird erst langsam klar.

Von Dagmar Röhrlich |
    Der Vulkan Mount St. Helens im Süden den US-Bundesstaates Washington
    Der Vulkan Mount St. Helens im Süden den US-Bundesstaates Washington (picture alliance/ dpa/ USGS/HO epa)
    Ab März 1980 mehrten sich die Zeichen, dass der Vulkan erwachte. Erdbeben zeigten, das Magma aufstieg, die Nordflanke wölbte sich bedrohlich auf. Als am 18. Mai ein starkes Beben den Berg erschütterte, brach die ganze Flanke ab. Von der Last befreit, entwichen schlagartig die im Magma gelösten Gase und der Wasserdampf und zerrissen den Berg: Mount St. Helens brach aus. Brandon Schmandt von der University of New Mexico in Albuquerque:
    "Mount St. Helens gehört zu einer Vulkankette im Nordwesten der USA. Die entsteht, weil dort die ozeanische Platte unter die nordamerikanische in den Erdmantel sinkt, also subduziert wird. Alle Vulkane haben in etwa den gleichen Abstand zu dieser Subduktionszone - bis auf Mount St. Helens: Er sitzt etwa 50 Kilometer zu weit im Westen - also zum Meer hin, viel näher an der Plattengrenze, wo die kalte ozeanische Platte unter dem Westen der USA verschwindet."
    Mount St. Helens tanzt aus der Reihe
    Der Mechanismus, der die "korrekt" sitzenden Vulkane im Kaskadengebirge speist, ist klassisch: Die ozeanische Platte, die in der Subduktionszone in den Erdmantel sinkt, schleppt viel Wasser hinab. Das senkt im Erdmantel den Schmelzpunkt der Gesteine, dadurch entsteht Magma, das aufsteigt, sich in einer Magmakammer sammelt und für Ausbrüche sorgt. Doch woher das Magma für Mount St. Helens stammt, war bislang unklar, weil er aus der Reihe tanzt:
    "Wir haben im Sommer 2014 ein Netzwerk aus Tausenden Seismometern am Mount St. Helens aufgebaut und die Bebenwellen von 25 Explosionen aufgezeichnet. Uns interessierte dabei, was in der Tiefe, an der Grenze zwischen Erdkruste und Erdmantel passiert. Und dabei machten wir direkt unter Mount St. Helens eine ungewöhnliche Struktur aus", erklärt Steve Hansen von der University of New Mexico.
    Normalerweise zeichnet sich die Grenze zwischen Erdkruste und Erdmantel scharf in seismischen "Bildern" ab, weil sich dort das Verhalten der Erdbebenwellen schlagartig ändert. Auf der Ostseite von Mount St. Helens - in Richtung auf die Phalanx der anderen Vulkane - ist das auch so. Brandon Schmandt:
    "Auf der Westseite in Richtung Ozean fehlt sie jedoch. Genau unter Mount St. Helens verändern sich die Eigenschaften des Mantelgesteins."
    Magma entsteht wohl 20 bis 50 Kilometer von Mount St. Helens entfernt
    Und zwar auf einer Distanz von nur fünf Kilometern. Die Interpretation dieses Befunds hat genau etwas mit der ungewöhnlichen Position von Mount St. Helens zu tun, erklärt Steve Hansen:
    "Wir sind hier ja sehr nahe an der Stelle, wo die kalte Meereskrustenplatte absinkt, in einer Region, wo sie das Mantelgestein um sich herum kühlt. Deshalb ist das Mantelgestein dort einfach zu kalt, um zu schmelzen. Stattdessen wandelt das freigesetzte Wasser die Mantelminerale um, und zwar in Serpentin, ein Mineral, das nur unterhalb von rund 700 Grad Celsius stabil ist und außerdem die seismischen Eigenschaften verändert: Der Erdmantel sieht dann für uns aus wie Erdkruste, die Grenze zwischen beiden zeichnet sich nicht klar ab."
    Doch wenn unter Mount St. Helens das Mantelgestein kalt ist, warum gibt es dort dann überhaupt einen Vulkan? Die Forscher vermuten, dass das Magma, das am Mount St. Helens austritt, 20 bis 50 Kilometer weiter im Osten entsteht - genau in der Vulkanlinie, die die Subduktion begleitet. Von dort fließt es unterirdisch über noch unbekannte Wege in Richtung des Mount St. Helens, wo es zwei flache Magmakammern speist.
    Mount St. Helens zapft sich sein Magma sozusagen ab. Warum das so ist und wie die Verbindung aussieht, sind jetzt die nächsten offenen Fragen.