"Ich glaube, das ist eine Konsequenz des Denkens, in dem er sich Rechenschaft gibt, dass einem modernen Komponisten um 1905 die Positivität der 'Meistersinger' von 1870 nicht mehr gegeben ist", "
sagt Michael Gielen, einer der kompetentesten Mahler-Dirigenten unserer Tage. Die Ambivalenz ist ein Grundzug der Musik Mahlers, und ganz besonders in dieser Sinfonie, die wegen zweien von den insgesamt fünf Sätzen, die Nachtmusik I und Nachtmusik II heißen, von anderen "Lied der Nacht" genannt wurde. Aber dann hat sie einen irritierend auftrumpfenden Schlusssatz in der traditionell affirmativen Tonart C-Dur. Michael Gielen verweist nicht zu Unrecht auf Sigmund Freud, bei dem Mahler 1910 Rat und Hilfe suchte. Seine Frau Alma hatte den Architekten Gropius kennengelernt, und er stürzte in eine schwere Krise.
" "Die Psychoanalyse kennt ja den Begriff der Identifikation mit dem Feind, und er tut des Guten wirklich zu viel. Die Siebente versucht eben mit Gewalt, über dieses Todessyndrom, über diese Obsession mit dem eigenen Tod hinwegzukommen."
Auch der Mittelsatz, ein gespenstisches Scherzo, ist eigentlich ein Nachtstück. Aber bei der praktischen Arbeit mit einem anfangs nicht immer willigen Orchester hilft sich der unerbittlich präzise Dirigent mit Ironie. Und jetzt, am 10. September 1908, schreibt er aus dem Hotel "Blauer Stern" in Prag an sein "liebstes Almscherl":
"Ich [...] muss darüber nachdenken, wie man aus einem Wurstkessel eine Pauke, aus einer rostigen Gießkanne eine Trompete, aus einer Heurigenschenke ein Concertlokal machen kann... [...] Ein verzweifelter Trompeter hat gefragt: 'Jetzt möcht ich nur wissen, was da dran schön sein soll, wenn einer die Trompeten fortwährend in den höchsten Tönen gestopft bis zum hohen Cis hinauf blasen soll.' Diese Äußerung hat mich sofort auf das Innere des Menschen gewiesen, der auch sein eigenes Jammerleben, das sich in den höchsten Tönen gestopft herumquälen muss, nicht begreifen kann, [...] und wie dieses Gekreisch in der allgemeinen Weltensymphonie in den großen Akkord einstimmen soll."
aus: Alma Mahler, Erinnerungen an Gustav Mahler,
Briefe an Alma Mahler, Amsterdam 1940, Nachdruck Ullstein 1978
Mahler begriff diese "Weltensinfonie" als Collage. Als er 1907 Wien verließ, wo ihm reaktionäre und antisemitische Ranküne das Leben schwer gemacht hatte, ging er nach New York an die Metropolitan Opera. Hier ist er auch Charles Ives begegnet, der als Erfinder der musikalischen Collage gilt. Aber Mahler hat diese Entwicklung bereits vorweggenommen. Das Finale der Siebten hat die Züge einer Collage, mit übereinandergeschichteten heterogenen Elementen und deutlichen Zitaten aus den "Meistersingern".
Als Hitler Österreich annektierte, wurde die Mahlerstraße neben der Staatsoper in Meistersinger-Straße umbenannt, und das für ein Mahlerdenkmal gesammelte Geld wurde einem nationalsozialistischen Wohlfahrtsfonds zugeschanzt. Jetzt hat Wien wieder seine Mahlerstraße. Doch an der 7. Sinfonie reiben sich die Dirigenten noch immer, obwohl der einst verfemte Komponist längst zum unbestrittenen Publikumsliebling geworden ist.