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Mahnung im Gedächtnis der Nationen

Deutschland fordert seit Langem die Rückgabe von russischer Beutekunst. In Russland selbst sieht man das anders. Dort heißen die Kunstwerke Trophäenkunst. Die Leiterin des Puschkin-Museums, Irina Antonova, erklärt, warum sie findet, dass die Kunst in Russland bleiben sollte.

Von Mirko Schwanitz |
    "Beutekunst" oder "Trophäenkunst" - bereits die unterschiedlichen, in Deutschland und Russland verwendeten Begriffe für die betroffenen Kunstschätze markieren das Problem. Berlin betrachtet die im Gefolge des Zweiten Weltkrieges in die Sowjetunion gebrachten Kunstwerke als geraubt. Auf die in einem Gespräch gestellte Frage, wann Moskau die Kunstwerke zurückgeben werde, antwortet die Präsidentin des Puschkins-Museums, Irina Antonova:

    "Es ist lächerlich, ein Gespräch auf dieser Basis führen zu wollen. Über die Rückgabe solcher Kunstwerke entscheidet der Präsident auf der Grundlage von Gesetzen. Ich finde nach wie vor, dass es eine gerechte Sache ist, dass sich ehemals deutsche Kunstwerke wie der Schatz von Troja in unserem Besitz befinden. Wir sollten sie auch weiterhin und sogar noch mehr davon ausstellen."

    Irina Antonova steht seit mehr als 60 Jahren dem Puschkin-Museum vor. Die heute 92-Jährige war als junge Mitarbeiterin des Puschkin-Museums bereits dabei, als 1945 Kunstwerke aus der Dresdner Gemäldegalerie in Moskau eintrafen.

    "Wenn wir über Dresden sprechen, so erinnere ich mich genau, unter welch schrecklichen Bedingungen die Nazis diese Kunstwerke zwischengelagert hatten. Nachdem wir sie gefunden hatten, mussten viele Gemälde aufwendig restauriert werden. Es erfüllt mich mit Traurigkeit, dass selbst junge Fachleute in Dresden heute nicht einmal mehr wissen, dass sich "Die Sixtinische Madonna" einmal bei uns befand - Fachleute!"

    Von 1955 bis 1960 hatte die Sowjetunion mehr als 1,5 Millionen Kunstwerke an die DDR zurückgegeben. Allein 1240 Bilder der Dresdner Gemäldegalerie und 16.000 Grafiken.

    "Ich muss Ihnen sagen, dass die Leute, die diese Entscheidung damals getroffen haben, nicht wussten, was sie taten. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich bin nicht der Meinung, dass wir alle Kunstschätze behalten sollten, aber doch einige. Warum? Weil dadurch sichtbar wird, was eine Nation verlieren kann, wenn sie einen Krieg beginnt. Der Verlust solcher Kunstschätze muss als Mahnung im Gedächtnis der Nationen bleiben."

    Vor diesem Hintergrund weist Irina Antonova darauf hin, dass Hitler-Deutschland in der Sowjetunion 427 Museen, über 4000 Bibliotheken und Kulturdenkmäler wie das Zarenschloss Petershof zerbombt habe. Deutschland gebe bis heute keine Auskunft, wo sich Tausende von den Deutschen während des Zweiten Weltkriegs geraubte Kunstschätze befinden. In Dresden sei ihr zudem aufgefallen, dass offenbar alle Hinweise auf die Rückgabe von Kunstwerken und Arbeit russischer Restauratoren entfernt wurden.

    "Im Gedächtnis des deutschen Volkes wird die Mahnung offenbar bewusst gelöscht. Auch deshalb bin ich der Meinung, dass die Haager Konvention zum Schutz des Weltkulturerbes geändert werden muss. Sie genügt schon lange nicht mehr den Ansprüchen der modernen Welt."

    Irina Antonova möchte, dass die Konvention um einen einzigen Satz erweitert wird: "Ein Land haftet mit seinen eigenen Kunstschätzen für den Schaden, dem es dem Kulturerbe einer anderen Nation zufügt". Solange Deutschland Ansprüche auf die "Trophäenkunst" erhebt, könnte sie weiterhin nur in Russland dem internationalen Publikum zugänglich gemacht werden, sagt die für die Sicherheit der Kunstwerke im Puschkin-Museum zuständige Mitarbeiterin, Tatjana Potapova.

    "Einige Länder baten uns zum Beispiel bereits mehrfach um eine Ausstellung des Schatzes von Troja. Dabei geht es um das Gold von Schliemann, das sich einst in deutschem Besitz befand. Doch solche Ausstellungen kann man nur machen, wenn man diese Trophäen auch zurückbekommt. Japan hat seine Gesetze geändert und verboten, dass solche Kunstschätze an Dritte ausgehändigt werden. Dort also wäre jetzt eine Ausstellung des Schatzes von Troja möglich."

    Deutschland solle endlich den Verbleib der restlichen, im Zweiten Weltkrieg in russischen Besitz gelangten Kunstwerke als Bestandteil der Nachkriegsordnung anerkennen. Dann gebe es sicher auch Möglichkeiten, diese Kunstwerke wieder in Deutschland zu zeigen. Darin sind sich Irina Antonova und Tatjana Potapova einig.