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Mai 3D

Pop gilt noch immer als extrem marktwertsteigernder Begriff. Pop ist Innovation, ist Zeitgeist, ist Erfolg! Und nach Pop-Musik, Pop-Art, Pop-Theorie und dem popkulturellen Quintett präsentiert der Ullstein Verlag nun seine neueste Kreation: die Pop-Soap. Eine Seifenoper in Buchform, die "Mai 3D" heißt. Das klingt eher nach High-Tech als nach Literatur, und das soll auch so sein, denn die drei Autoren sind poperfahren und produzieren sich mutimedial. Alexa Hennig von Lange ist seit ihrem Debütroman "Relax" von Beruf "Bestsellerautorin" und Talk-Show-Gast, Till Müller-Klug hat Erfahrung als Slam-Poet und Daniel Haaksman arbeitet unter anderem als DJ, Produzent und Musikjournalist. So wurde bei der Buchpremiere im Berliner Shin-Shin-Club auch nicht nur gelesen, sondern "geslamt" und "gedeejayed". Alexa Hennig zu dem Gemeinschaftswerk:

Ralph Gerstenberg |
    "David, Marc und ich, wir jobben nebenbei als Trash-Models, weil unsere Gesichter im Moment extrem angesagt sind. Aber eigentlich sehen wir uns mehr als Künstler. Na ja. Künstler verdienen nicht so gut und darum arbeiten wir eben als Trash-Models und irgendwie finden das auch alle ganz cool, weil sie wissen, dass wir in sind. Marc versucht gleichzeitig, durch Stipendien noch Kohle reinzukriegen. Das wäre mir zu anstrengend. Da finde ich es schon besser, was David macht. Der legt Platten auf. Ich kriege Geld von meinen Eltern. Ich bin ja auch erst 24 jahre alt."

    "Mai 3 D" ist ein Tagebuchroman, in dem ein Monat im Leben dreier Aktivisten der urbanen Vergnügungskultur beschrieben wird. Theater und Musik, Drogenkonsum, Sex und Styling gehören zu ihrem Alltag. David, Marc und Kai sind jung und hipp und immer auf der Suche nach dem nächsten Kick. Obwohl sie befreundet sind, ist jeder sich selbst der nächste und nimmt, was er kriegen kann. Im Zweifelsfall auch die Freundin des Freundes. "Zuviel Rücksicht macht einsam", heißt es an einer Stelle in dem Buch. Doch hinter der Fassade aus Selbstbewußtsein und Zielstrebigkeit lauern Ängste und Einsamkeit. Gewissensbisse, Sinnkrisen und Zweifel an der eigenen Kreativität werden durch Sarkasmus, Konsum und Egozentrik kompensiert. Dazu Till Müller-Klug:

    "Ich leide unter Multitalentose. Neulich noch mit Kathrin diskutiert, ob es nicht ein super Film ist, wenn du alles mögliche kannst. Heute Künstler, morgen Doktorand, übermorgen Trash-Model. Alle entscheiden sich für eine sogenannte Karriere und du zappst dich überall durch. Sie leben ein Fernsehprogramm du hast hundert zur Auswahl. Perfekt. Der Überflieger. Nur verlierst du irgendwann den Anschluß. Du schaltest um und plötzlich fehlt dir der halbe Film. Irgendwelche Typen erzählen dir, was du verpaßt hast, was du zu tun hast, was du zu lassen hast. Wie dieses Vampir-Wesen Andreas. Wie diese Dumpfbacke von Fotograf, Mr. Stuttgart. Schluß jetzt! Ich will heute noch was Sinnvolles tun. Ich steh auf, rasier mich und leih mir von Kai einen Arsch voll Geld."

    Jede der drei Figuren des Romans wurde von einem anderen Autor beziehungsweise der Autorin entworfen, wobei sich Alexa Hennig von Lange ebenfalls für einen männlichen Protagonisten entschieden hat, um nicht - wie bei ihrem ersten Roman "Relax" - ständig mit ihrer Hauptfigur verwechselt zu werden. Über den Handlungsverlauf verständigte man sich während des Schreibprozesses. Die Unterschiede zwischen den Figuren sind jedoch weniger auffällig als ihre Gemeinsamkeiten: Sie sind alle männlich, ungefähr im gleichen Alter, haben die gleichen oder zumindest ähnliche Jobs und entstammen dem gleichen subkulturellen Milieu. Till Müller-Klug und Alexa Hennig von Lange erklären warum:

    Müller-Klug: "Na ich denke, dass die jetzt aus einer Szene kommen, das hängt natürlich auch damit zusammen, dass wir möglichst viel Interaktion haben wollten zwischen den Figuren. Also dass nur jeder sein Ding schreibt, sondern eben möglichst viel zwischen den Leuten passiert, und dafür ist es einfach notwendig, dass die sich begegnen und Sachen zusammen machen. Also darüber ist das auch entstanden." - Hennig v. Lange: "Ja, und was bedeutet das, in einer Szene zusamen zu sein? Ist man dann gleich Freund oder was passiert hinter dem Rücken des anderen? Wie wird übereinander geredet? Was man letztendlich natürlich schon weiß: Jeder lästert über jeden, grad in der Szene, also das ist bestimmt auch so ein gängiges Klischee, aber das auch noch mal in eine Geschichte zu packen und daraus auch einen gewissen Witz und einen gewissen Charme herauszuziehen, das war eigentlich auch so unser Anliegen."

    So wird viel darüber geredet, wer mit wem was und wie. Man erfährt, welche Clubs in der neuen Berliner Mitte gerade angesagt sind und woher die Kids das Geld bekommen, das sie mit vollen Händen für ihre ganztäglichen Freizeitbeschäftigungen rauswerfen - natürlich von den Eltern in der Hamburger Vorstadtvilla oder von der "Oma Else", die die Erbschaftssteuer sparen will. Es wird viel geredet über Dinge, die man eigentlich gar nicht wissen will oder die man sowieso schon weiß. Die Banalitäten und Eitelkeiten der Protagonisten bleiben stets unreflektiert. Und der Versuch einer ernsthaften Auseinandersetzung mit der eigenen Lebenssituation ist nicht erkennbar. So ist der Roman "Mai 3D" mehr eine Selbstdarstellung der sogenannten Spaßgeneration als eine Befindlichkeitsanalyse. Auch wenn das Bild, das entworfen wird, trotz der verschiedenen Perspektiven, eher eindimensional bleibt, es wirkt authentisch, denn die Autoren sind Teil des Milieus, das sie beschreiben. Ihr Buch soll vor allem Spaß machen - wie eine Party in einem der Clubs, an deren Türen der Zeitgeist kontrolliert wird. Ist das vielleicht eine Definition für Pop-Literatur? Doch Daniel Haaksman hält den Begriff eher für eine Erfindung der Verlage, um die Bücher junger Autoren zu verkaufen. Zugleich räumt er jedoch ein:

    "Also, ich würde unseren Roman schon so in die Nähe von einem Pop-Roman rücken, weil es bei uns um Szene, um Musik, um Jugendkultur geht, das ist ja eigentlich das, was Pop-Romane oft auch so auszeichnet, dass so das Lebensgefühl von jungen Leuten vermittelt wird. Gerade in Deutschland hat es in den letzten Jahren eine Renaissance junger Literatur gegeben, und die verkauft sich natürlich super, wenn man sagt, naja das ist halt Pop, das nimmt der ganzen Literatur auch so ein bisschen die Ernsthaftigkeit. (Alex Hennig v. Lange: Auch die Schwere!) Uns ist es auch nicht so ernst jetzt mit diesem Roman. Also wir wollen jetzt nicht das Dokument der Leute um die 25 Ende der 90er, Anfang des 21. Jahrhunderts formulieren."