Im Gefahrengebiet ist es ruhig. Draußen vor der Bäckerei 2000 nippen ein paar Punks an ihrem Sternburger Export. Frank, Anfang 50, Ex-Hausbesetzer zieht an seiner Selbstgedrehten. Er lebt jetzt in derselben Wohnung, die er mal besetzt hatte zur Miete - 1.000 Euro für 70 Quadratmeter.
"Ich habe hier von 1993 bis 2000 besetzt gewohnt. Jetzt hab ich meine eigene Wohnung gentrifiziert. Trotzdem bin ich immer noch erstaunt, dass es hier so entspannt ist."
Reporter: "Was schätzen Sie hier?"
"Das ungezwungene Miteinander - auch wenn ganz viele gewaltbereite junge Männer mit Uniformen hier rumstehen."
Die Bäckerei 2000, liegt an der Rigaer Straße, Ecke Liebigstraße in Berlin-Friedrichshain - von den Anwohnern liebevoll Dorfplatz genannt. Schräg gegenüber von der Hausnummer 94. Ein teilweise besetztes Haus, eines der letzten dieser Art in Berlin. Weiter unten ist die Straße seit über einem Jahr komplett abgesperrt. Extra für den Großinvestor Christoph Gröner. Der baut hier Luxusappartements.
"Bullenbesetzung" in der Rigaer Straße
Hier, auf wenigen hundert Metern der Rigaer Straße eskaliert die Auseinandersetzung um Wohnraum und Gentrifizierung: Der Konflikt, wem die Stadt gehört, er wird hier manchmal auch mit Gewalt ausgetragen.
Vor vier Jahren wurde die Gegend zum Gefahrengebiet erklärt. Seitdem sind hier jederzeit anlasslose Kontrollen der Polizei möglich. Fast jeden Abend rücken Polizisten in Mannschaftswagen an.
"Ich nenne das Bullenbesetzung."
Frank wird regelmäßig von der Polizei kontrolliert, sagt er, auch in seine Mietwohnung drei Häuser weiter kam er einmal nur nach einem "Schlüsseltest":
"Ich wurde von zwei Bullen zu meiner Wohnung begleitet, und als sie beobachtet haben, dass ich meinen Schlüssel in meine Wohnung gesteckt habe und keiner laut geschrien hat, wussten sie: Es ist meine Wohnung. Es darf hier anlasslos kontrolliert werden, wenn ich nach Hause laufe, halten die mich manchmal eine halbe Stunde fest."
Protestdemo "Gegen die Stadt der Reichen"
Am ersten Mai dürften die Auseinandersetzungen heftiger werden. Die Organisatoren der "Revolutionären 1. Mai"-Demo wollen den Protestzug durch die Rigaer Straße führen. Zwar haben sie die Demonstration nicht offiziell angemeldet - doch im Netz kursiert schon seit Wochen der Aufruf zur Demo "Gegen die Stadt der Reichen" und der geplante Streckenverlauf. Die Polizei hat bereits angekündigt, die Baustelle von Investor Gröner extra schützen zu wollen.
Ob und wo die Demonstranten letztendlich durch die Rigaer Straße ziehen dürfen, will die Polizei erst am Tag der Demonstration entscheiden, sagt Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik:
"Es gibt keine festgelegte Wegstrecke in dem Sinne, das ja, das nein. Sondern es geht um die Bedingungen dann vor Ort, um die Zahl der Versammlungsteilnehmer, haben wir 300 oder 20.000 - das macht für den Polizeiführer einen erheblichen Unterschied. Wir werden dort gesprächsbereit sein, mit Lautsprecherwagen aufrufen, die Versammlungsleitung mit uns ins Gespräch zu kommen um eine optimale Streckenführung zu finden."
Sollte die Demonstration weitgehend friedlich verlaufen und die Zahl der Teilnehmer nicht zu groß für die relativ enge Rigaer Straße, steht dem Aufzug auf dem größten Teil der Strecke also nichts entgegen. Die Versammlungsfreiheit sei ein hohes Gut, sagt Slowik:
"Und dazu gehört auch durchaus, dass man an seinen Szeneobjekten vorbei gehen kann."
5500 Polizisten im Einsatz
Die Demo in Friedrichshain ist nur eine von 15 größeren Veranstaltungen am ersten Mai in Berlin. Es dürfte die heikelste werden - mehrfach gab es im Netz Aufrufe zu Gewalt. Die Polizei wird mit 5500 Polizisten im Einsatz sein - 2.000 davon allein in Friedrichshain. Die Beamten sollen wie in den vergangenen Jahren zurückhaltend auftreten, sagt Innensenator Andreas Geisel. Durch diese Deeskalationsstrategie seien die Gewalttaten am 1. Mai mehr und mehr zurückgegangen.
"Wir können nicht von Anfang an davon ausgehen, dass das eine gewalttätige Demonstration wird, natürlich nehmen wir diese Erklärungen wahr, mit einer gewissen Besorgnis. Aber von Anfang an zu unterstellen, dass es gewalttätig sein wird und alle Teilnehmer gewalttätig sein werden, das steht uns an der Stelle nicht zu - Versammlungsfreiheit ist zu gewährleisten. Wir halten an der bewährten Doppelstrategie fest: Kommunikation mit allen, die zu Kommunikation bereit sind, und konsequentes und schnelles Vorgehen gegen alle Gewalttäter."
An diesem Abend ist es an der der Rigaer Straße ruhig, Frank hat sein Bier ausgetrunken. Gegenüber, am teilweise besetzten Haus an der Rigaer Str. 94 stellt sich ein junger Mann einen Klappstuhl vor die Tür. Der 27-Jährige, nennen wir ihn Julian, wohnt seit fünf Jahren in dem Haus.
"Es ist sehr herzlich hier, die Leute helfen sich untereinander. Es ist solidarisch, freundlich, offen. Hinzukommt, dass hier rassistisches und sexistisches Verhalten nicht akzeptiert wird."
Julian lebt zur Miete in der Rigaer 94, wie die meisten. Nur einzelne Räume, für die keine Mietverträge mehr bestehen, seien besetzt, erzählt er.
"Die meisten Menschen hier lehnen die Polizei ab, dadurch, dass es auch eine Treibjagd auf Menschen gab, die aus dem Haus kamen. Es wäre friedlicher, wenn die Polizei hier nicht wäre."
Sorge ums soziale Biotop
Als Autonomer würde er sich nicht bezeichnen, er habe auch noch nie Steine auf Polizisten geworfen. Deshalb ärgert ihn auch, dass die linken Hausprojekte in der Straße vor allem mit Gewalt und Linksextremismus in Verbindung gebracht werden.
"Ich finde die Darstellung, dass die Gewalt immer von diesem Haus ausgeht, absolut verkürzt. Ich finde es auf jeden Fall legitim, wenn sich Menschen wehren, gegen gesellschaftliche Zustände, die immer menschenverachtender werden und gegen eine Polizei, die als eigenständiger politischer Akteur auftritt."
Julian und seine Mitbewohner sorgen sich um ihr soziales Biotop.
"Das ist natürlich die größte Angst, dass das Projekt hier platt gemacht wird. Dass die Straße immer mehr angepasst wird, das ist auch eine Angst fernab von diesem Haus von Menschen, die hier wohnen, dass die Mieten so stark explodieren, dass man sich das nicht mehr leisten kann."
Dabei ist die Gentrifizierung ein paar Meter weiter unten auf der Großbaustelle schon fast abgeschlossen. Hinter dem Bauzaun und den Gerüsten sind schon die bodentiefen Fenster und großen Balkone zu sehen, das "Carré Sama Riga". Quadratmeterpreis ab 12,50 Euro.