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Ukrainischer Botschafter über EU-Beitritt
"Wir haben eine Sonderrolle, aber wir brauchen keine Sonderrabatte"

Der ukrainische Botschafter Olexij Makejew fordert zügige EU-Beitrittsverhandlungen für sein Land. Im Interview der Woche gibt er sich zuversichtlich, dass die Korruption in der Ukraine bekämpft werden kann.

Olexij Makejew im Gespräch mit Sabine Adler |
Der urainische Botschafter in Deutschland, Oleksij Makejew, bei einem Termin am Flughafen Halle/Leipzig
„Frieden fällt nicht vom Himmel, Frieden muss erkämpft werden“, sagt Olexij Makejew, der neue ukrainische Botschafter in Berlin. (IMAGO / Christian Grube / ArcheoPix)
Nach Andrij Melnyk hat Olexij Makejew den Posten des ukrainischen Botschafters in der Bundesrepublik übernommen. Makejew ist im Stil diplomatischer als sein Vorgänger. Im Interview der Woche spricht er sich für eine zügige Vorbereitung eines möglichen EU-Beitritts der Ukraine aus.

EU-Beitritt und Korruption

Die Integration der Ukraine in die EU liege im gemeinsamen Interesse, sagt Makejew. Die Ukraine sei sich über die zu erfüllenden Kriterien im Klaren. "Wir haben eine Sonderrolle, aber wir brauchen keine Sonderrabatte." Die Ukraine habe jedoch eine "Sondergeschwindigkeit" in der Vorbereitung verdient.
Zu den Kriterien für einen EU-Beitritt gehört auch die Bekämpfung der Korruption. Korruption sei eine Pest und müsse weg, sagt Makejew. Auf die Vorwürfe gegen Präsident Wolodymyr Selenskyj angesprochen, der laut der "Pandora Papers" über Briefkastenfirmen im Ausland Luxusimmobilien gekauft haben soll, betont Makejew, diese Recherchen bezögen sich auf Selenskyjs Zeit als Unternehmer, bevor er Präsident wurde. In den "Pandora Papers" ging es um Steuerhinterziehung von führenden Politikern.

Verhältnis zwischen Deutschland und Ukraine

Die Verstimmungen zwischen der Ukraine und Deutschland, die es wegen angeblich zögerlicher Waffenlieferungen der Bundesrepublik gab, führt der Botschafter auf Kommunikationsprobleme zurück. Er habe seinen Landsleuten immer wieder gesagt, dass Deutschland sehr viel liefere. Aber Russlands Propaganda habe behauptet, der Westen sei nicht hilfsbereit.
Ob es zu Friedensverhandlungen kommt, hänge von Russland ab, sagt Makejew. Der russische Präsident könne sofort den Befehl geben, alle Truppen zurückzuziehen. Aber dafür sieht der Botschafter keine Anzeichen. "Frieden fällt nicht vom Himmel, Frieden muss erkämpft werden", sagt er. Und alle Kriegsverbrecher müssten zur Rechenschaft gezogen werden.

Das Interview in voller Länge:

Sabine Adler: Herr Makejew, haben Sie sich eigentlich auf Berlin gefreut?
Olexij Makejew: Ich weiß nicht, was mir Freude bringt. Ja, ich habe mich gefreut, blauen Himmel zu sehen, in dem Zivilflugzeuge fliegen und keine Marschflugkörper. Das wünsche ich auch meinen Verwandten und Freunden in der Ukraine.
Adler: Nach dem Erdbeben diese Woche in der Türkei und in Syrien sind alle Länder aufgerufen worden zu helfen. Hat die Ukraine überhaupt Kapazitäten dafür?
Makejew: Die Ukraine hat Kapazitäten, und schon am ersten Tag sind unsere Retter losgefahren in die Türkei. Die sind jetzt vor Ort, auch Techniker und Hunde. Die Türkei ist unser guter Freund, und aus Solidarität mit der Türkei und dem türkischen Volk sind unsere Retter da.
Adler: Jetzt kommen ja aus dem Osten sehr viele Meldungen, dass es verstärkte Angriffe gibt. Es ist noch nicht ganz klar, ob Russland eine neue Offensive gestartet hat. Aber das, was wir jetzt beobachten, ist so massiv, sehr viel deutlicher, sehr viel mehr als das, was wir in den vergangenen Wochen gesehen haben, wo sich alles um Bachmut konzentriert hat. Sie haben in Bachmut viele Menschen, viele Kämpfer, Kämpferinnen verloren. Auch die russische Seite hat viele verloren. Wenn man jetzt diese beiden Größen gegenüberstellt, Russland 140 Millionen Einwohner, die Ukraine 40 Millionen Einwohner, wie lang können Sie das durchhalten?

"Wir haben keine andere Wahl"

Makejew: Bis zum Sieg. Wir verteidigen uns auf unserem Land. Wir sind angegriffen worden, übrigens nicht am 24. Februar 2022. Das war acht Jahre vorher mit der Invasion auf der Krim und dem Donbass. Und wir haben keine andere Wahl. Das ist ein von Russland gestarteter Vernichtungskrieg, ein genozidaler Krieg. Und Russland verweigert uns das Recht, zu existieren.
Wir kämpfen für Frieden. Wir kämpfen für unsere Freiheit und unsere Existenz. Und Sie haben recht, so viele Kräfte hat Russland rund um die Ukraine und in der Ukraine gesammelt. Die Hörer müssen sich vorstellen: Die aktive Kampflinie beträgt ungefähr 1.500 Kilometer. Und wenn wir noch dazu die belarussische und russische Grenze nehmen, dann sind das 3.500 Kilometer. Können Sie sich vorstellen, welche Kräfte die Ukraine bündeln muss, um diese Grenze im Auge zu behalten?
Adler: Ihr Präsident Wolodymyr Selenskyj hat in dieser Woche London besucht, Paris, Brüssel. Warum stand eigentlich Berlin nicht auf der Tour? Die Menschen in Deutschland könnten ja auch auf die Idee kommen, dass einmal mehr ein Zeichen der Kritik gesendet werden soll. Das steht ein bisschen im Widerspruch zu dem, was Deutschland leistet. Auf der einen Seite haben wir in dieser Woche erfahren, dass die Bundesregierung die Lieferung von Leopard-1-Panzern genehmigt. Das sollen über 170 Panzer sein. Und insgesamt, wenn man das alles zusammenrechnet, ist Militärhilfe für ungefähr 3,3 Milliarden geleistet worden, und zivile Hilfe für noch einmal 3,5 Milliarden Euro. Das ist ja nicht wirklich wenig. Und trotzdem hat Präsident Selenskyj jetzt in einem Interview gegenüber dem „Spiegel“ gesagt, dass es immer so schwierig ist, dass er Bundeskanzler Scholz drängen muss, zu helfen. Irgendwie passt das nicht zusammen.
Makejew: Ich weiß nicht, warum es nicht zusammenpasst. Vielleicht auch deswegen, weil erst jetzt Journalisten Einblicke bekommen haben, was geliefert worden war und was von Deutschland …
Adler: Da würde ich gern einhaken. Das ist nicht der Fall. Es ist nicht so, dass wir erst im Februar 2023 Einblicke haben, was geliefert worden ist von Deutschland in die Ukraine, sondern es gibt eine Webseite der Bundesregierung, wo man seit Monaten sehen kann, was alles geliefert wird. Es herrscht da eine Transparenz. Aber dieses Verhältnis, Deutschland leistet am meisten in Europa, steht an zweiter Stelle überhaupt unter den Unterstützern, und wird von der Ukraine dargestellt, dass der Kanzler gedrängt werden muss. Also: Entweder drängt der Präsident so gut, dass dann solche Leistung herauskommt, oder Scholz muss gar nicht so gedrängt werden.

Aktive Kommunikation mit der Öffentlichkeit

Makejew: Es gibt zwei Ebenen. Natürlich die diplomatische Arbeit, die wird nicht über Twitter geführt und Diplomaten sprechen vertraulich miteinander. Die andere Sache ist Kommunikation. Ich kann jetzt nicht so weit zurückblicken, aber was ich feststellen musste, dass zum Beispiel noch im September und Anfang Oktober letzten Jahres - als ich mich dann vorbereitet habe - das Einzige, was die Ukrainer von der deutschen Hilfe mitbekommen haben, immer noch die 5.000 Helme waren. Und alles darüber war weder von der Bundesregierung noch von den Medien stark kommuniziert worden.
Ich glaube, Deutschland hat einen sehr guten Weg zurückgelegt bei der strategischen Kommunikation. Und ich stimme zu, jetzt ist die volle Transparenz da und die Bundesregierung ist sehr aktiv im Gespräch mit der Öffentlichkeit: "Wir liefern das. Wir bereiten das und das vor.“ Und das ist auch richtig so. Das kommt jetzt bei den Ukrainern sehr gut an.
Und meine Wenigkeit? Ich habe mich auch immer wieder gefragt: Bin ich ein ukrainischer Botschafter in Deutschland oder deutscher Botschafter in der Ukraine? Denn ich habe immer wieder zu meinen Landsleuten gesagt: Deutschland liefert sehr viel. Schauen Sie auf Panzerhaubitzen und auf die Multiple Launch Rocket Systems. Schauen Sie auf IRIS-T, das einen tollen Job macht. Und die Geparden machen es möglich, die russischen Kamikaze-Drohnen abzuschießen und unsere Infrastruktur zu schützen.
Deswegen: Diese Kommunikation ist sehr wichtig. Und dann gibt es noch die dritte Ebene. Was ist in der Planung? Darüber wird geschwiegen, aber ganz eng zusammen koordiniert.
Adler: Es ist ja für Russland ein riesiger Vorteil, dass sowohl in der Europäischen Union als auch im transatlantischen Unterstützerbündnis für die Ukraine sehr genau aufgezählt wird, welche Waffen in Vorbereitung sind, was geliefert wurde, was noch geliefert werden muss. Und Russland kann sich eigentlich immer bestens schon mal darauf einstellen, was demnächst an Waffen gegenüberstehen wird. Ist das eigentlich richtig und klug? Oder erweist sich da die Demokratie mit der nötigen Transparenz auch als ein Kriegsnachteil?

Russische Propaganda

Makejew: Das ist eine Kriegsrealität. Russland hat immer versucht, mit Propagandamitteln ein Bild zu malen, als ob der Westen überhaupt nicht hilfsbereit ist. Russland spielt immer wieder mit der Bevölkerung von anderen Ländern, indem all die Parolen über Friedensinitiativen und besondere "Rechte" Russlands an der Ukraine hochgespielt werden. Und das war wahrscheinlich auch die Antwort darauf, dass andere Länder klar und öffentlich sagen: Nein, wir liefern der Ukraine Waffen, damit die Ukraine sich vor diesem brutalen Russland schützen und verteidigen kann. Das ist die Realität, die wir uns noch vor einem Jahr kaum vorstellen konnten.
Adler: Ich würde noch mal auf Ihre Rolle hier in Deutschland zurückkommen wollen. Wir haben Andrij Melnyk, Ihren Vorgänger, hier erlebt, der immer wieder sehr deutlich, sehr hartnäckig, auch undiplomatisch, gedrängt hat auf eine größere Unterstützung. Jetzt ist er der Vize-Außenminister in Kiew und Sie sind hier und schlagen - wie ich das wahrnehme in den letzten Wochen - andere Töne an. Spielen Sie jetzt sozusagen mit verteilten Rollen „Good Cop, Bad Cop“?

"Ich bin Diplomat, kein Cop"

Makejew: Ich bin Diplomat, kein Cop. Und ich bin der Botschafter. Andrij war der Botschafter bis Oktober und ich habe jetzt diese Rolle. Und in meinem Beglaubigungsschreiben steht, vom Präsidenten Selenskyj unterschrieben: „Glauben Sie allem, was dieser Botschafter in meinem Namen und im Auftrag unserer Regierung sagt.“ Die Töne, die angeschlagen werden, mögen anders sein. Dafür gibt es diese Diskussion mit der Bundesregierung. Und das freut mich immer wieder, zu sehen, was auch immer der ukrainische Botschafter sagt, wie diplomatisch er auch immer ist, da kommen immer die Schlagzeilen: „Makejew hat erneut gefordert.“ Obwohl ich ganz klar sage, wir brauchen dringend das und das und das. Es kommt immer wieder als Forderung und nicht als Bitte, eindringliche Bitte.
Adler: Was stört Sie daran?
Makejew: Es fehlt mir dieses Feingefühl. Deswegen habe ich meine Twitter-Follower gefragt: Wieso kommt immer wieder aus der Bitte eine Forderung? Und da habe ich sehr viele Antworten bekommen. Und da steht auch: Sie haben das Recht zu fordern, weil Sie kämpfen. Manchmal brauchen die Deutschen eher eine starke Forderung als eine höfliche Bitte. Ich komme nicht ins Bundeskanzleramt oder Verteidigungsministerium, schlage mit der Faust auf den Tisch und sage: Ich fordere Panzer. Das geht anders.
Adler: Nun kann man sich das gut vorstellen, dass es auch anders geht. Das ist wohl wahr. In dieser Woche in Brüssel wurden zwei Termine genannt. Präsident Selenskyj hat den Termin genannt, dass die Beitrittsverhandlungen noch in diesem Jahr, 2023, beginnen sollen für die Ukraine. Und man erinnerte sich an ein anderes Datum, das der Premierminister, Denis Schmyhal, genannt hat, nämlich den EU-Beitritt der Ukraine 2024. Das sind Zeitvorstellungen, die, wenn man das vergleicht mit anderen Beitrittskandidaten, wirklich sehr ambitioniert sind, wenn nicht sogar unrealistisch. Wir wissen auch, welche Probleme die Ukraine hat. Wie kommt das bei Ihnen an, wenn eine solche Agenda gesetzt wird, von der man weiß, die ist praktisch nicht zu erreichen, nicht einzuhalten?

Ambitionen eines "außerordentlichen" Volks

Makejew: Ukrainer sind sehr ambitioniert. Wir wollen den Krieg gegen Riesen-Russland gewinnen. Das ist eine einmalige Ambition. Gibt es noch ein Land, das acht Jahre gegen Russland kämpft und seit fast einem Jahr in einem riesigen Vernichtungskrieg die Linie halten kann? Ich bin mir sicher, das wird auch in vielen Hauptstädten verstanden und akzeptiert. Ukrainer sind ein außerordentliches Volk. Und mit diesen Ambitionen sind auch konkrete Pläne verbunden.
Adler: Das klingt für mich, als würden Sie sagen, damit kommt Ihnen auch eine Sonderrolle zu. Die Sonderrolle hat die Ukraine natürlich in gewisser Weise. Auf der anderen Seite nimmt die europäische Gemeinschaft ein Land auf, das all die Werte, all die Voraussetzungen erfüllen muss, die auch für andere gelten. Und das gilt dann in gewisser Weise auch für die Ukraine, auch wenn das auch im Moment total kleinlich erscheint.
Makejew: Sehr gut. Sie haben das Schlüsselwort gesagt: Sonderrolle. Diese Erkenntnis ist sehr wichtig für das weitere Vorgehen. Und wenn wir auch im ehrlichen Gespräch sind, da sage ich: Wir haben eine Sonderrolle, aber wir brauchen keine Sonderrabatte. Und es gibt Dinge, die erfüllt werden müssen, nicht für die Europäische Union, für uns, für die Ukraine. Wir sind uns im Klaren, dass wir all die Kriterien erfüllen müssen.
Aber wenn Sie sagen, wenn hier in Deutschland, in Brüssel, in Paris, in Warschau diese Grundeinstellung stimmt - die Ukraine hat eine Sonderrolle - dann wird die Ukraine nicht zögerlich integriert, sondern mit dem Willen integriert. Das brauchen wir als Ukraine. und das spüren wir besser und besser überall in Europa. Ja, man will uns integrieren. Man integriert uns nicht, weil wir so drängen, weil wir es fordern, sondern weil es im gemeinsamen Interesse ist.
Sonderrolle: gut. Sonderrabatte brauchen wir nicht. Sondergeschwindigkeit in der Vorbereitung, Sonder-Mitanteilnahme und -Miteinbeziehen der Ukraine ist, was wir, glaube ich, verdient haben. Und wie gesagt, an den Kriterien werden wir arbeiten, am besten mit der Unterstützung von europäischen Institutionen und europäischen Ländern. Aber wir müssen es zügig machen. Es ist in unserem Interesse. Und wie ich spüre bei Ihrem Wort Sonderrolle, auch im Interesse der Europäischen Union.
Adler: Kurz bevor in der vorigen Woche die EU-Kommissionsvertreter nach Kiew gekommen sind, gab es ein großes Reinemachen von Präsident Selenskyj innerhalb der Regierung. Es ist ein Vizeminister für Infrastruktur verhaftet worden, als er 400.000 Euro oder Dollar Schmiergeld entgegennehmen wollte. Es sind etliche Gouverneure abgesetzt worden. Es hat Ärger im Verteidigungsministerium gegeben, weil dort Lebensmittel zu überhöhten Preisen eingekauft worden sein sollen.
Kurzum, es sind einige Sachen aufgedeckt worden und auch angegangen worden, die sich natürlich keiner wünscht vermutlich, die aber auch das Bild von der Ukraine mitbestimmen - dass die Ukraine eben ein echtes Korruptionsproblem hat, das eigentlich nur noch innerhalb von Europa in Russland schlimmer ist.
Jetzt hat in dieser Woche eine ukrainische Internetzeitung geschrieben, dass Korruption zur Sicherheitsfrage wird. Zitat: „Die Zerstörung der Korruption bedeutet, dass wir zusätzliche Mittel für die Verteidigungsfähigkeit unseres Landes erhalten und das bedeutet, dass mehr Leben von Soldaten und Zivilisten gerettet werden.“ Ist Korruption, ist der Kampf gegen Korruption eine Sicherheitsfrage und damit weit mehr als ein Kriterium für einen EU-Beitritt?

"Korruption ist eine Pest"

Makejew: Ich stimme voll zu. Das ist eine Pest – Korruption – und muss weg. In der Einleitung haben Sie gesagt, Fälle sind entdeckt und angegangen worden. Und das ist auch genau richtig. In den letzten acht Jahren ist es uns gelungen, ein effizientes Antikorruptionssystem aufzubauen, um Korruption zu entdecken und dann sofort ranzugehen und Täter zur Rechenschaft zu ziehen. In den acht Jahren des Krieges - und besonders nach dem Beginn der Invasion - haben wir in der Ukraine, in der Gesellschaft, in den Medien null Toleranz gegenüber Korruption.
Die Bürger der Ukraine, die einmal Anfang des Jahres von der Regierung Zuschüsse bekommen haben, wenn sie sich impfen lassen gegen Corona, die haben um die 40 Euro aufs Konto gutgeschrieben bekommen und sofort das Geld zurück an die Armee überwiesen. Wie können Sie sich vorstellen, dass in dieser Gesellschaft noch Korruption akzeptiert wird? Deswegen bestätige ich, Korruption ist eine Sicherheitsfrage. Und ich bin mir sicher, wir sind auf dem guten Weg. Bis wir EU-Mitglied werden, werden wir ein gutes Beispiel für Antikorruption und für die Bekämpfung der Korruption sein.
Adler: Das Ganze ist ja noch einmal zusätzlich kompliziert, weil zum Beispiel selbst Wolodymyr Selenskyj in den Pandora Papers – das ist eine Enthüllungsleistung von internationalen Journalisten, die herausgefunden haben, welche Staatschefs in welchen Ländern in Korruptionsskandalen stecken beziehungsweise gegen welche Personen ein Verdacht geäußert wurde - genannt wird, er soll Briefkastenfirmen im Ausland haben und auch über diese Firmen Luxusimmobilien gekauft haben. Wann wird die Zeit kommen, dass solche Vorwürfe tatsächlich ermittelt werden und dann Personen – wenn es sich bewahrheitet – auch zur Verantwortung gezogen werden? Kann man so etwas eigentlich im Krieg machen?
Makeiev: Die Informationen der Pandora Papers beziehen sich auf Zeiten, als Präsident Wolodymyr Selenskyj ein Unternehmer war.
Adler:   Genau. Also auf 2019 und vor 2019.

Der Wert der Transparenz

Makejew: Natürlich ist es gut, dass diese Transparenz da ist. Und wir haben auch gesehen, wie ernst es der Präsident meint, Korruption zu bekämpfen und auch weitere Transparenz in den Staatsorganen zu schaffen. Ich glaube, die ukrainischen Beamten sind die transparentesten Beamten, denn es wird alles getrackt. Und auch in Zeiten des Krieges muss ich regelmäßig alle meine Einkünfte eintragen lassen. Keine einfache Aufgabe. Jetzt sind die vielen Data Bases aus verständlichen Gründen geschlossen, von den Beamten, mit allen Adressen. Aber wir haben auch eine riesige Diskussion in der ukrainischen Öffentlichkeit, damit es weiter geöffnet wird und für alle zugänglich bleibt. Das zeigt nochmals: Korruption muss bekämpft werden und wird in der Ukraine effektiv bekämpft werden. Ich hoffe, dass ich wenig Gründe haben werde, die Frage der Korruption in der Zukunft beantworten zu müssen.
Adler: Wir können nicht aus dem Gespräch rausgehen, ohne noch einmal über Friedensgespräche zu sprechen und nachzudenken. Es sind von beiden Seiten, sowohl vom Kreml als auch von Kiew, Voraussetzungen benannt worden. Die sind auf beiden Seiten so hoch, dass im Moment nicht absehbar ist, ob es überhaupt irgendeine Schnittmenge gibt. Wann ist – denken Sie – der Zeitpunkt gekommen, dass man sich tatsächlich mit der russischen Seite an einen Tisch setzt?
Makejew: Alles hängt von Russland ab. Der russische Präsident kann einen Befehl geben, Truppen zurückziehen, keinen Beschuss mehr des ukrainischen Territoriums, keine Tötungen, weg aus der Ukraine. Präsident Selenskyj sagt immer: Ich will Frieden. Und ich als Botschafter sage: Ich will Frieden. Aber wir Ukrainer verstehen, dass Frieden nicht vom Himmel fällt. Frieden muss erkämpft werden.
Wir haben kein Zeichen dafür, dass Russland interessiert ist, den Frieden zu erreichen. Was sie wollen, ist, dass Ukraine als Land nicht mehr existiert, dass die Ukrainer Putin anerkennen. Es gibt kein ukrainisches Volk, sagt er. Und die Russen, die russische Bevölkerung unterstützt Präsident Putin. Ich bin mir sicher, dass mit unseren Friedensinitiativen die ganze Welt verstanden hat: Die Ukraine meint es ernst.
Der Präsident hat einen 10-Punkte-Friedensplan ins Leben gerufen mit konkreten Maßnahmen, wie wir das erreichen können. Und das ist auch klar zu erklären. Viele hier in Deutschland verstehen, wann es zum Frieden kommen kann. Natürlich müssen die russischen Truppen all die besetzten Gebiete verlassen. Das versteht man auch hier in Deutschland. Jeder hier versteht, dass die Kriegsverbrecher zur Rechenschaft gezogen werden müssen und die für den Aggressionskrieg Verantwortlichen.
Es ist auch allen klar, dass die Kriegsgefangenen zurückkommen müssen und auch die verschleppten ukrainischen Kinder, die jetzt in Russland sind. Natürlich muss Russland für all die Gräueltaten und all die Vernichtungen bezahlen und auch für die Menschen, die Verwandte verloren haben, deren Häuser zerstört sind. Nicht nur die deutschen Steuerzahler oder die Europäer, die uns helfen – und für diese Hilfe sind wir sehr dankbar – auch Russland muss dafür bezahlen. Im großen Interesse der ganzen Welt wäre es auch, dass - nachdem dieser Krieg von der Ukraine gewonnen worden ist - Russland nie mehr einen Krieg startet und Nachbarn oder andere Länder attackiert mit Bomben, mit Raketen, mit Hass und Propaganda.
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Das Interview wird im Deutschlandfunk am Sonntag um 11:05 Uhr gesendet.