Das Hotel Estrel in Neukölln wirkt wie der Marktplatz einer Kleinstadt. Eine Gruppe von Jugendlichen diskutiert leidenschaftlich. Auf Tischen liegen Broschüren aus, dahinter stehen Zeittafeln und Werbebanner. Sportler kommen und gehen. Mehr als 2000 Athleten und Betreuer aus 38 Ländern werden hier bis Mittwoch untergebracht sein. Viele von ihnen erleben dieses Gemeinschaftsgefühl selten, sagt Yaser Sisa. Er ist Vize-Präsident des türkischen Makkabi-Verbandes.
"Für uns ist das nicht leicht. Unser Verband ist der einzige, der hier aus einem islamischen Land vertreten ist. Wir bewerben Makkabi in der Türkei nur in der jüdischen Gemeinde, wir können damit nicht groß an die Öffentlichkeit gehen. Deshalb ist es ein Vergnügen, diese offenen Spiele in Berlin zu erleben."
Wandel hin zum offenen Judentum
Bei den vergangenen Europa-Spielen in Antwerpen, Rom und Wien waren zur Eröffnung meist nur die Sportler mit ihren Angehörigen vertreten. Am Dienstag in Berlin feierten 10.000 Zuschauer den Startschuss. Im Internet verfolgten weitere 40.000 die Übertragung. Makkabi Deutschland möchte einen Wandel prägen: Vom in sich gekehrten Judentum zu einem offenen, verbindenden Judentum. So seien von den 15 Mitarbeitern im Organisationsbüro nur drei jüdischen Glaubens. Von den 300 freiwilligen Helfern während der Spiele haben 50 eine jüdische Herkunft. Besonders deutlich wurde die Öffnung am Freitagabend beim Kabbalat Schabbat, dem Beginn des jüdischen Ruhetages. Weit mehr als 2000 Menschen nahmen an der Feier teil - ein Rekord für das Guinness-Buch. Alon Meyer, Präsident von Makkabi Deutschland:
"Sehr, sehr viele Nicht-Juden. Dass die das auch mal mitkriegen, wie solch eine Zeremonie von Statten geht beim Kabbalat Schabbat. Auch davor waren wir alle zusammen in der Synagoge. Da gab es auch Möglichkeiten: Orthodox, liberal, traditionell, also alle Richtungen auch bedient, die beten wollten in ihrer eigenen Glaubensrichtung. Und sehr viele haben das mitgenommen. Ich schätze mal, dass wir dort bestimmt 800, 900 Nicht-Juden waren. Mit dieser neuen Offensive: Ich bin sicher, dass Leute einfach merken, das ist normal, das ist selbstverständlich."
Alon Meyer und seine Mitstreiter in den 37 Makkabi-Ortsvereinen haben oft Antisemitismus erlebt. Auch in Berlin sind Teilnehmer beschimpft worden. Sie waren in der Nähe ihres Hotels durch Davidsterne und Kippa als Juden erkennbar gewesen. Die Polizei, die das Hotel und die Wettbewerbe mit 600 Beamten sichert, verstärkte ihre Streifen. Sportler und Betreuer reagierten gelassen, sie seien solche Maßnahmen gewöhnt, sagt der Mediziner Marc Backal aus der US-amerikanischen Gastdelegation.
"Auf der einen Seite empfinde ich ein ungutes Gefühl, zum ersten Mal in Deutschland zu sein. Wir haben das frühere KZ in Sachsenhausen und andere jüdische Erinnerungsorte besucht. Doch auf der anderen Seite sind wir auch stolz, hier sein zu können. Heute werden wir hier von den allermeisten Menschen akzeptiert. Ohne die Spiele hier hätten viele jüdische Sportler aus anderen Ländern vermutlich nie die Chance bekommen, nach Deutschland zu reisen."
Symbolisch aufgeladen
Bislang waren keine Europäischen Makkabi-Spiele so symbolisch aufgeladen. Das wurde bei der Eröffnungsfeier deutlich: In ausführlichen Reden, aber auch in Musik und Showeffekten spielte die Geschichte eine große Rolle: der 70. Jahrestag des Kriegsendes und der 50. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und Deutschland. Neben Bundespräsident Joachim Gauck waren auch Silvan Schalom anwesend, der stellvertretende Premierminister Israels, und Ronald Lauder, der Präsident des Jüdischen Weltkongresses. Zudem gab es Empfänge beim Auswärtigen Amt und beim Berliner Senat. Nie zuvor war der jüdische Sport in Deutschland so präsent. Doch wer sich im Hotel Estrel umhört, der merkt: Viele Sportler wünschen sich nach vorn gerichtete, leichtere Spiele. Und dennoch: Mit den Weltspielen, die alle vier Jahre in Israel stattfinden, seien die Europa-Spiele nicht vergleichbar, sagt der Berliner Tischtennisspieler Alexander Iskin:
"Die Welt-Makkabiade unterstütze ich nicht, weil sie sehr politisch genutzt wird. Weil der Jugend dort ein sehr gutes und positives Bild von Israel dargestellt wird. Wo, wenn man normale Mitbürger fragt, viele gar nicht zustimmen. Bei der Welt-Makkabiade machen sie Werbung für Wehrdienst und stellen dir Israel als ein wunderschönes, florierendes Land vor. Das finde ich falsch. Die Makkabiade hat zwar zionistische Ursprünge, aber das sollte heute nicht mehr aufgenommen werden."