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Malaria-Bekämpfung
"Artemisinin war eigentlich die Rettung"

Der diesjährigen Medizin-Nobelpreisträgerin Youyou Tu ist es einst gelungen, aus der Pflanze Einjähriger Beifuß den Wirkstoff Artemisinin zu gewinnen. "Artemisinine sind inzwischen das Nummer-Eins-Medikament gegen die Malaria", würdigte Jürgen May vom Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin die Leistung der Forscherin.

Jürgen May im Gespräch mit Lennart Pyritz |
    Überträgerin des Malaria-Erregers: die Anopheles-Mücke
    Überträgerin des Malaria-Erregers: die Anopheles-Mücke (picture alliance / dpa / NNS /Landov)
    Lennart Pyritz: Jürgen May ist Professor und leitet die Arbeitsgruppe Infektionsepidemiologie am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg. Die Gruppe forscht dazu, wie sich übertragbare Krankheiten eindämmen lassen. Im Fokus stehen dabei auch Malaria und eben der Einsatz von Artemisinin. Kurz vor der Sendung habe ich mit Professor May telefoniert und ihn gefragt, wie Artemisinin eigentlich im Körper wirkt.
    Jürgen May: Die Wirkung ist ja gegen die Parasiten gerichtet, die Malaria verursachen. Und diese Malaria-Parasiten finden sich die meiste Zeit - vor allen dann, wenn sie krankmachen - in den roten Blutkörperchen. Man braucht also ein Medikament, was in die roten Blutkörperchen eindringt, wo die Parasiten sind, und gleichzeitig den Menschen nicht schädigt. Die Wirksamkeit gegen die Parasiten ist nicht ganz genau geklärt, da gibt es verschiedene Hypothesen. Aber es ist wahrscheinlich eine sehr instabile Brücke, die sich in diesem komplexen Molekül befindet, die dann sogenannte Radikale ausbildet und dann den Parasiten in dem roten Blutkörperchen direkt schädigt.
    Pyritz: Wie würde Ihrer Einschätzung nach die Welt heute aussehen, wenn es diesen Wirkstoff nicht gäbe?
    May: Malaria ist immer noch die wichtigste parasitäre Erkrankung und eine der wichtigsten Infektionserkrankungen weltweit. Immer noch sterben mehr als ein Kind pro Minute an Malaria. Trotzdem wurden in den letzten Jahren Erfolge erzielt. Wir hatten noch vor fünf bis zehn Jahren eine Million Malaria-Tote pro Jahr. Jetzt sind es "nur" noch etwa 500.000 laut Weltgesundheitsorganisation. Und dieser Erfolg ist zum großen Teil - nicht ausschließlich, aber zum großen Teil - auf dieses Artemisinin zurückzuführen und insofern, um die Frage zu beantworten, wäre die Welt bezüglich Malaria wesentlich schlechter, weil die meisten anderen Medikamente schon Medikamentenresistenzen ausgebildet haben. Also Artemisinin war eigentlich die Rettung vor einigen Jahren.
    "Dieser Wirkstoff ist immer noch nicht komplett synthetisch herzustellen"
    Pyritz: Wie wird der Wirkstoff heute hergestellt - werden dafür immer noch Pflanzen gesammelt?
    May: Genau. Es gibt in verschiedenen Ländern, in Afrika zum Beispiel, große Plantagen, wo diese Pflanze angebaut wird. Das ist letztendlich eine Beifuß-Pflanze. Beifuß gibt es ja auch bei uns. Das ist, sagen wir mal ein Geschwister - nicht ganz genau das gleiche. Aber das, was bei uns auf den Verkehrsinseln wächst, das ist letztendlich die Pflanze, die relativ gut anzubauen ist, und aus der man Artemisinine dann herstellt. Dieser Wirkstoff ist immer noch nicht komplett synthetisch herzustellen. Da gibt es einige Wege, um das zu erreichen. Das wäre natürlich ein riesen Gewinn, weil man dann viel mehr Medikamente herstellen könnte und auch viel sauberer, als man das über die Pflanzen machen kann. Aber bisher ist es noch so, dass es ein pflanzlicher und aus Pflanzen hergestellter Wirkstoff ist.
    Pyritz: Wie sieht es mit den Kosten aus: Kann sich jedes Land, das malariageplagt ist, diesen Wirkstoff leisten?
    May: Das ist ein weiterer Vorteil, dass Artemisinine relativ günstig inzwischen sind. Das geht auch durch Unterstützung durch Institutionen in der Medikamentenherstellung. Aber das sind Cent-Beträge, die für die betroffenen Länder immer noch relativ viel sind, oder für die Individuen, aber die machbar sind.
    Pyritz: Sie sind selbst oft in Afrika unterwegs. Inwiefern arbeiten Sie dann dort selbst mit Artemisinin?
    May: Artemisinine sind inzwischen das Nummer-Eins-Medikament in diesen Ländern gegen die Malaria. Und insofern ist das sozusagen im täglichen Einsatz. Es gibt wie gesagt sehr viele Malariafälle in diesen Ländern und ohne Artemisinin wäre die medizinische Versorgung in diesen Ländern gar nicht mehr richtig denkbar.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.