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Malcolm-X-Biografie
Die Ikone lebt fort

Er galt als der zornigste Mann der USA: der schwarze Bürgerrechtler Malcolm X. Und anders als für Martin Luther King war für Malcolm X Gewalt ein durchaus probates Mittel, um den "amerikanischen Albtraum" zu beenden. Nun hat die Historikerin Britta Waldschmidt-Nelson eine neue Biografie über ihn verfasst. Ein kenntnisreiches, kluges und klar strukturiertes Buch.

Von Katja Ridderbusch |
    Der amerikanische Bürgerrechtler Malcolm X spricht am 14. Mai 1963 auf einer Kundgebung in New York.
    Malcolm X - die Rezeption des Bürgerrechtskämpfers in Gesellschaft und Politik hat bis heute nichts von ihrer Kraft verloren. (picture-alliance / dpa - UPI)
    Reporter: "Are you not afraid of what might happen to you?"
    Malcolm X: "Oh yes, I probably am a dead man already ... "
    Wahrscheinlich bin ich schon ein toter Mann, antwortete Malcolm X auf die Frage eines Reporters, ob er keine Angst habe, dass ihm etwas zustoßen könnte. Ein paar Monate später, am 21. Februar 1965, wurde Malcolm X in New York erschossen – von Mitgliedern der radikalen Bewegung Nation of Islam, der Malcolm X zuvor angehörte. 50 Jahre ist das her, aber die Ikone lebt fort – in der Popkultur, der Subkultur, der Gegenkultur. In Büchern und Filmen, auf Plakaten, in der Rap- und Hip-Hop-Szene.
    Jetzt hat die Historikerin Britta Waldschmidt-Nelson die erste umfassende auf Deutsch geschriebene Malcolm-X-Biografie vorgelegt. In ihrem Buch nutzt sie die bekannten Memoiren des Bürgerrechtsaktivisten als Grundlage - und spiegelt sie an unabhängigen Quellen.
    "Es war mir wichtig zu zeigen, dass diese Autobiografie, wie alle Autobiografien, ein Selbstbildnis zeichnet, das nicht unbedingt mit der Realität übereinstimmt, das politisches Propagandamaterial ist."
    "Cooles, hypermännliches Selbstbild"
    Malcolm X: Geboren als Malcolm Little in Omaha, aufgewachsen in der Nähe von Detroit. Der Vater starb bei einem Unfall, als Malcolm sechs Jahre alt war. Mit 15 zog er zu seiner Halbschwester nach Boston, schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch, nahm Drogen, wurde zum Kleinkriminellen. Allerdings stellte er selbst seine Gangsterkarriere dramatischer dar als sie gewesen sei, schreibt Waldschmidt-Nelson:
    "Indem er ein solch cooles, hypermännliches Selbstbild zeichnete, konnte Malcolm eigene Selbstzweifel und Frustrationen kompensieren und zugleich auf ein erhöhtes Maß von Respekt, ja sogar Bewunderung bei schwarzen Jugendlichen und Kleinkriminellen hoffen."
    Malcolm landete im Gefängnis. Während der sieben Jahre, die er in Haft saß, wurde er zum Autodidakten, las Bücher über Geschichte und Philosophie – und schloss sich der schwarz-nationalistischen Religionsgemeinschaft Nation of Islam an. Diese – vom orthodoxen Islam nicht anerkannte - Gruppe sollte die kommenden Jahre im Leben des jungen Malcolm bestimmen. Der ersetzte fortan seinen Nachnamen durch ein X, Synonym für den Bruch mit der eigenen Vergangenheit.
    "Nicht nur für Malcolm, sondern auch für viele andere afroamerikanische Strafgefangene waren die Kernpunkte der Nation-of-Islam-Lehre besonders attraktiv. Indem sie die bösen "weißen Teufel" für alles Elend und alle Not der Schwarzen verantwortlich machte, sprach sie die schwarzen Häftlinge weitgehend von Schuld frei und bot ihnen ein Ventil für ihre angestauten negativen Emotionen."
    Malcolm X stieg in den folgenden Jahren zum Wortführer der Nation of Islam auf. Und er wurde zur lebenden Antithese des moderaten Bürgerrechtlers und Baptistenpredigers Martin Luther King jr. Der fand mit seinem Konzept vom gewaltlosen Widerstand vor allem im Süden der USA immer mehr Anhänger. Dagegen Malcolm X:
    "To bring about the complete independence of all people of African descent here in the Western Hemisphere to bring about the freedom of these people by any means necessary."
    By any means necessary - mit allen nötigen Mitteln müsse die Freiheit der Afroamerikaner erkämpft werden: Malcolm X hat stets für die Selbstverteidigung, auch die bewaffnete Selbstverteidigung der Schwarzen plädiert – und sich damit scharf von Martin Luther King abgegrenzt. Ein Antagonismus, der beiden Symbolfiguren des schwarzen Widerstandes durchaus von Nutzen war, sagt Waldschmidt-Nelson:
    "Lange Zeit war das ein sehr angespanntes Verhältnis. Allerdings haben beide Seiten auch davon profitiert, den anderen zu haben als Gegenpol und sich daran zu reiben. Aus historischer Sicht ist das eine glaubhafte Überlegung zu sagen, dass durch diese Radikalität von Malcolm X einige Weiße dazu bewegt wurden, der Bürgerrechtsbewegung mehr Zugeständnisse zu machen, als das sonst der Fall gewesen wäre."
    Malcolm X - Projektionsfläche für unterschiedlichste Gruppierungen
    Ab 1963 kam es zur Entfremdung und 1964 zum Bruch zwischen Malcolm X und der Nation of Islam. Die Religionsgemeinschaft, so radikal sie war, lehnte aktives politisches Engagement ab – ganz im Gegensatz zu Malcolm. Eine Reise nach Mekka und durch mehrere afrikanische Staaten trug außerdem zu Malcolms Neuorientierung bei. Er schloss nun eine Koalition mit liberalen Weißen und gemäßigteren Vertretern der Bürgerrechtsbewegung nicht mehr aus. Malcolm X und Martin Luther King sind einander nur einmal kurz begegnet. Hätten beide länger gelebt, hätten sie vielleicht kooperiert, vermutet Waldschmidt-Nelson:
    "Ich glaube nicht, dass die beiden je ein Herz und eine Seele geworden wären. Aber im Hinblick auf bestimmte Punkte wie zum Beispiel das schwarze Wahlrecht oder die Gegnerschaft gegen den Vietnamkrieg – da hätte ich mir vorstellen können, dass die beiden zusammengearbeitet hätten."
    Malcolm X: Die Rezeption des Bürgerrechtskämpfers in Gesellschaft und Politik hat bis heute nichts von ihrer Kraft verloren. Gerade weil Malcolm X sich in seinem kurzen Leben immer wieder neu erfand, wurde er zur Projektionsfläche für unterschiedlichste Gruppierungen, schreibt seine Biografin:
    "So zitieren schwarze Separatisten gerne anti-weiße Parolen Malcolms aus der Zeit vor 1964 ( ... ). Er zählt zusammen mit Che Guevara zu den Lieblingshelden sozialistischer Protestbewegungen. ( ... ) Gleichzeitig loben konservative Schwarze (und einige Weiße) Malcolms strenge Moral und Selbstdisziplin und seine Wandlung vom drogensüchtigen Verbrecher zum belesenen Prediger und Familienvater."
    Zuletzt sah man Plakate mit dem riesigen Buchstaben "X" bei den Protesten in Ferguson, Missouri, im Spätsommer 2014. Dort gingen Tausende Menschen, schwarz und weiß, auf die Straße, nachdem ein weißer Polizist den unbewaffneten Afroamerikaner Michael Brown erschossen hatte.
    2Gerade dieser Punkt, Polizeibrutalität von Weißen gegenüber Schwarzen, ist ja etwas, was Malcolm immer vehement bekämpft hat. Und zwar zu allen Zeiten seines Lebens."
    Britta Waldschmidt-Nelson hat ein kenntnisreiches, kluges und klar strukturiertes Buch geschrieben, das informiert, einordnet und aufklärt - und bei all dem das Erzählen nicht vergisst. Eine Biografie, die ohne Eifer daherkommt, vielmehr mit einem gelassenen Grundton der Sympathie für ihren Protagonisten, den schwarzen Rebellen Malcolm X.
    Britta Waldschmidt-Nelson: "Malcolm X. Der schwarze Revolutionär"
    C.H. Beck Verlag, 384 Seiten, 18,95 Euro
    ISBN 978-3-406-67537-9