In der Hauptstadt Malé kann man die andere, dunkle Seite der Malediven besichtigen, eine Parallelwelt mit schmucklosen Wohn- und Bürotürmen, zwischen denen es kaum Grünflächen und Parks gibt, dafür aber Unmengen an Motorrädern. Überall drängen sich Menschen, darunter viele Gastarbeiter aus Bangladesch, Nepal und anderen "Drittweltländern". Die Wohnungsmieten sind aberwitzig hoch, der Drogenkonsum ist ein Problem, Jugendbanden gehören zum Alltag. Ende 2014 demonstrierten erstmals Sympathisanten der Terrorgruppe Islamischer Staat in Malé.
"Wir sind sehr besorgt, dass hinter den politischen Veränderungen eine dritte Kraft am Werk ist", sagt Mohamed Nasheed. Von 2008 bis 2012 war er Präsident des Inselstaats: der erste demokratisch gewählte Regierungschef der Malediven. Vor wenigen Tagen wurde der Meereswissenschaftler verhaftet und zu 13 Jahren Gefängnis verurteilt. Ein politisch motivierter Scheinprozess, urteilten Amnesty International, Indien und die Vereinigten Staaten. In seinem vermutlich letzten Interview, in Freiheit meinte er: "Schon kurz nach meinem Sturz war uns klar, dass es sich um Extremisten handelt, um eine dem Islamischen Staat nahe stehende Gruppierung. Innerhalb kürzester Zeit ist es ihnen gelungen, strategisch wichtige Positionen innerhalb der Polizei und des Militärs zu besetzen. Vor einiger Zeit ist ein Journalist spurlos verschwunden."
2008 feierte das ganze Land Nasheeds Wahlerfolg.Zuvor hatteder Autokrat Maumoon Abdul Gayoom die Geschicke des Inselstaats über dreißig Jahre lang kontrolliert. In dieser Zeit war Nasheed als Menschenrechtsaktivist tätig. Deshalb blieb er dem Gayoom-Regime stets ein Dorn im Auge, für sechs Jahre wurde Nasheed inhaftiert, achtzehn Monate saß er in Einzelhaft, in Handschellen und angekettet, manchmal bei vierzig Grad in einer Wellblechzelle auf der berüchtigten Gefängnisinsel Dhoonidhoo, er wurde geschlagen und gefoltert. Davon erzählt die mehrfach ausgezeichnete Filmdokumentation "The Island President".
Erst 2008 erste freie Wahlen
"2008 gab es auf den Malediven die erste Mehrparteienwahl. Davor hatten wir eine sehr lange Phase autokratischer Einparteien-Herrschaft. Mit dieser Wahl haben wir sozusagen das "Sultanat" hinter uns gelassen. 1965 wurden wir unabhängig und eine Republik. Aber: Das war nicht gleichbedeutend mit freier Meinungsäußerung, Demokratie und der Wahrung der Menschenrechte. Zwischen 2005 und 2008 - kam es dann zu Protesten im ganzen Land. Viele junge Leute wollten, dass sich politisch etwas ändert, wollten eine neue Verfassung. Wir wollten Präsident Gayoom davon überzeugen, dass die Zeit gekommen sei für demokratische Veränderungen, dass wir einen Mehrparteienstaat bräuchten. Wir hatten Glück, dass wir aus dem Nichts tatsächlich eine Partei gründen konnten."
Im Büro von Nasheed: Ein dunkles Atrium, keine Vorzimmerdamen, dafür aber junge Männer, wahrscheinlich bewaffnet, Bodyguards für den eher schmächtigen Mann, der täglich bedroht wird, ein Vater zweier Töchter, einer, der weiß, morgen vielleicht schon Opfer eines Anschlags werden zu können, beständig per Telefon mit Mord bedroht so wie gerade jetzt:
2012 sei er aus dem Amt geputscht worden, sagt Nasheed - eine Einschätzung, die viele politische Beobachter teilen.Bei der Wahl ein Jahr später gewann Nasheed den ersten Wahlgang, verpasste aber die absolute Mehrheit. Das Oberste Gericht annullierte die Wahl unter fragwürdigen Umständen. Mehrere Wahltermine folgten, wurden verschoben, bis der jetzige Präsident Abdullah Yameen, ein Halbbruder des langjährigen Diktators Gayoom, überraschend als Sieger aus den Wahlen hervorging. Man hatte offenbar so oft wählen lassen, bis das Ergebnis passte. Dem alten Regime nahestehende Kräfte gewannen schnell wieder an Einfluss, unterstützt von konservativen islamistischen Gruppierungen. Seitdem kämpft Nasheedaus der Opposition heraus gegen das Regime: "Ich bin abgesetzt und im Namen des Islams gestürzt worden. Man warf mir vor, unislamisch zu sein. Die islamische Religion dient hier als Mittel zum Zweck. Viele Leute machen das hier so, die Religion ist ein starkes politisches Werkzeug. Als Diktator Gayoom die Macht übernahm, hat er alle politischen Gegner unterdrückt. Die Religion wurde zur einzigen Möglichkeit, sich gegen das Regime zu stellen. Heute haben wir mehrere Gruppen, die sich offen zum Islamischen Staat bekennen. Wir schätzen, dass etwa 200 Malediver in Syrien und im Irak für den IS kämpfen … Wir werden noch mehr den Glauben an den Islam verlieren, wenn man ihn als Werkzeug der Unterdrückung, als Mittel der Propaganda benutzt. Ja, auf den Malediven ist der Islam ein politisches Werkzeug."
Der Westen muss demokratische Politiker unterstützen
Immer wieder habe es Übergriffe der Polizei gegeben auf Nasheed und die Anhänger seiner Maledivischen Demokratischen Partei MDP, berichtet Amnesty International. Vorläufiger Höhepunkt der Willkür: Am 13. März 2015 ist Nasheed zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Einen Verteidiger hat man ihm während des Prozesses verweigert. Das Gericht in Malé begründete die Verhaftung damit, dass Nasheed während seiner Amtszeit gegen nationale Anti-Terrorismus-Gesetze verstoßen habe. Tatsächlich hatte er 2012 einen ranghohen Richter unter Korruptionsvorwürfen festnehmen lassen. Die Richter urteilten nun, Nasheed habe den Richter damals - Zitat: - "entführt" und damit einen Terrorakt begangen.
"Der Westen muss demokratische Politiker und Regierungen unterstützen ebenso wie Toleranz in der politischen Auseinandersetzung. Wir sind sehr mutlos geworden angesichts der Tatsache, dass die westlichen Regierungen die Veränderungen auf den Malediven seit meiner Absetzung als Präsident nicht wahrgenommen haben. Das schockiert uns. Wir dachten, wir kämpfen auf der gleichen Seite. Wir brauchen Ihre Unterstützung – auch aus Deutschland. Alleine schaffen wir es nicht. Unsere Regierung kann mich heute oder morgen verhaften. Sie kann schalten und walten, wie sie will. Die demokratische Bewegung auf den Malediven ist massiv bedroht. Deshalb bitten wir Sie: Beobachten Sie so genau wie möglich, was bei uns geschieht!"
Zuletzt tauchten Videos im Internet auf, die zeigen, wie Nasheed von Polizisten über den Boden ins Gerichtsgebäude gezerrt wird. Bei der Festnahme, so wird berichtet, habe man ihm einen Arm gebrochen. Ärztliche Versorgung sei ihm erst später gewährt worden. Wo man Mohamed Nasheed zur Zeit inhaftiert hat, ist unbekannt, über seinen Gesundheitszustand läßt sich nur spekulieren. Dennoch: Die Malediven als Urlaubsziel zu boykottieren, davon hat Nasheed noch vor seiner Inhaftierung abgeraten.