Christoph Schmitz: Sein vollständiger Name barg die ganze abendländische Welt: Pablo, Diego, José, Francisco de Paula, Juan Nepomuceno, maría de los Remedios, Crispiniano de la Santísima Trinidad. Das waren die Vornamen des Jungen aus Malaga, wo er 1881 geboren wurde. Picasso war sein Familienname, von der Namenswelt blieb nur der Pablo. Und Pablo arbeitete früh wie ein Weltverschlinger, ein Menschenfresser, der das Leben und die Kunst der anderen aufsaugte und mit den Fermenten des eigenen Genius verdaute. Den Impressionismus und Expressionismus machte er für sich fruchtbar, das klassische Altertum, die moderne Fotografie, die Handschriften seiner Zeitgenossen, und doch war bei Pablo Picasso immer alles neu und originär in der blauen und rosa Periode, in der kubistischen Phase und auch in seinen politischen Kommentaren wie Guernica von 1937. Eine eigene Welt hat er auch bis zu seinem Tod 1973 geschaffen. Picassos Spätwerk, die letzten zehn Jahre, zeigt jetzt die Kunstsammlung NRW in Düsseldorf. Stefan Koldehoff, was hat denn der Kurator Werner Spies in Düsseldorf zusammengetragen?
Stefan Koldehoff: Er hat zusammengetragen rund 60 Gemälde, 30 Zeichnungen, acht Skulpturen und unzählige Radierungen, die entstanden sind zwischen 1961, dem Jahr, in dem Picasso - übrigens schon 80-jährig - mit seiner Frau Jaqueline nach Südfrankreich, nach Mougins in die Villa Notre-Dame-de-Vie gezogen ist, und seinem Tod 1973. Also tatsächlich stammen die letzten Werke, die man sehen kann in Düsseldorf, unmittelbar aus der Zeit vor dem Tod.
Schmitz: "Malen gegen die Zeit" heißt die Ausstellung im Untertitel. Verbindet das Spätwerk, wie es in Düsseldorf zusammengestellt ist, muss man ja sagen, etwas, was mit dem Malen gegen die Zeit, die abläuft, gegen das zu erwartende Ende zu tun hat?
Koldehoff: Es scheint so. Es ist jedenfalls ein irrsinniger Schaffenswirbel, der sich dort entfaltet. Picasso hat in diesen letzten zwölf Jahren in Mougins offenbar so produktiv gearbeitet wie nie zuvor in seinem Leben, und er war vorher schon reichlich fleißig. Also es müssen Berge von Zeichnungen und Gemälden gewesen sein, die dort nach seinem Tod zurückblieben. Dass man sich dieser konkreten Phase seines Schaffens widmet, geschieht übrigens nicht zum ersten Mal. Es gab eine Reihe von Ausstellungen. Schon 1973 selbst war eine Ausstellung in Avignon im Papstpalast geplant, als die Nachricht vom Tode Picassos kam, und man hat sich dort entschieden, auch die letzten Werke noch mit hinzuzunehmen kurzfristig. Es gab dann Ausstellungen 1981 in Basel und 1984 im Guggenheim Museum in New York und 1989 in Centre Pompidou im vergangenen Jahr noch im Museum Frieder Burda in Baden-Baden. Also immer hat dieses Spätwerk Picassos fasziniert, und ich glaube, das liegt daran, dass man ihm so gar nicht anmerkt, dass da jemand im Bewusstsein des nahen Todes schafft - das jedenfalls ist mein Eindruck nach dem Besuch dieser Ausstellung gewesen.
Schmitz: Beschreiben Sie doch mal einige profilierte Werke.
Koldehoff: Es gibt dieses eine Motiv, das immer wieder auftaucht. Man muss sich, bevor man zu den Bildern dieser letzten Jahre kommt, vergegenwärtigen, was Picasso vorher gemalt hat. Er hatte sich vorher an den alten Meistern abgearbeitet. Er hatte Delacroix paraphrasiert Mitte der fünfziger Jahre, Ende der fünfziger Jahre dann Velazquez, die Las Meniñas Bilder interpretiert, unmittelbar vor dem Umzug Manet, das Frühstück im Grünen, in mehr als 30 Fassungen interpretiert. Und nun kommt er also dort nach Südfrankreich und setzt sich plötzlich mit sich selbst auseinander, mit seiner Bildwelt, mit seiner Schaffenswelt, vor allen Dingen aber mit den Frauen, und die Frauen sind das beherrschende Motiv dieser späten Jahre. Üppige Frauen, nackte Frauen mit weit geöffneten Schenkeln, mit gut sichtbaren Geschlechtsteilen, sehr erotische Wesen, und daneben sehr, sehr häufig der alte Mann, mal als Musketier, mal als Matador, mal in anderen Rollen, mal einfach nur als Voyeur und sehr oft als derjenige, in dessen Physiognomie man Picasso erkennt. Nun ist daraus sehr oft gemacht worden, es sei ein sehr melancholisches Werk, Picasso sei sich des Endes seines Lebens sehr bewusst gewesen. Ich habe einen ganz anderen Eindruck gehabt: Es sind bukolische Bilder, es sind sinnenfrohe Bilder. Wenn von Melancholie die Rede sein kann, dann höchstens indirekt, vielleicht in der Unverbundenheit der weiblichen Figuren, die Picasso ganz eindeutig begehrt, und den alten Männern, die ihn selbst darstellen, die zwar ab und an eine Umarmung versuchen, die aber nicht wirklich in Kontakt mit diesen Frauen kommen, die sie bewundern, die vielleicht auch nach ihnen gieren, wenn man es so formulieren will, aber körperliche Liebe findet da nicht mehr statt, und wie gesagt, wenn man sich vor Augen führt, dass Picasso 80 war und dann mit über 90 erst starb, zwölf Jahre später, dann ist das vielleicht auch ganz verständlich. Verblüffend übrigens häufig die Formate dieser Bilder. Das sind riesige Leinwände, teilweise zwei mal drei Meter groß, die da hängen in Düsseldorf, und wenn man sich überlegt, dass ein Greis, ein zwar körperlich äußerst agiler, aber doch greiser Mensch diese Leinwände noch bewältigen musste - er hat ja im Gegensatz zu anderen Malern ohne Assistenten gearbeitet -, dann ist das schon sehr beachtlich.
Schmitz: Bei Picasso ist ja nicht zu erwarten, dass selbst ein Spätwerk einheitlich wird. Sie haben Einheitliches beschrieben. Welche Gegensätze in Stil und Themen gibt es dennoch?
Koldehoff: Es ist ein großer Traum, eine große Feier der Farbe und der Formen. Es gibt einen großen Kunsthistoriker, Pierre Daix, der über dieses späte Werk gesagt hat: Es scheint so, als wolle er alles noch mal ausprobieren, als wolle er das Chaos geordnet bekommen. Und der Eindruck kann tatsächlich entstehen. Es sind pastose Farbstriche, es ist immer figürlich, er ist ja nie abstrakt geworden, nie wirklich ungegenständlich, und, ja, ein Fest der Farben, der Formen, der Figuren und vor allen Dingen der Frauen, ich glaube, das trifft es am besten.
Stefan Koldehoff: Er hat zusammengetragen rund 60 Gemälde, 30 Zeichnungen, acht Skulpturen und unzählige Radierungen, die entstanden sind zwischen 1961, dem Jahr, in dem Picasso - übrigens schon 80-jährig - mit seiner Frau Jaqueline nach Südfrankreich, nach Mougins in die Villa Notre-Dame-de-Vie gezogen ist, und seinem Tod 1973. Also tatsächlich stammen die letzten Werke, die man sehen kann in Düsseldorf, unmittelbar aus der Zeit vor dem Tod.
Schmitz: "Malen gegen die Zeit" heißt die Ausstellung im Untertitel. Verbindet das Spätwerk, wie es in Düsseldorf zusammengestellt ist, muss man ja sagen, etwas, was mit dem Malen gegen die Zeit, die abläuft, gegen das zu erwartende Ende zu tun hat?
Koldehoff: Es scheint so. Es ist jedenfalls ein irrsinniger Schaffenswirbel, der sich dort entfaltet. Picasso hat in diesen letzten zwölf Jahren in Mougins offenbar so produktiv gearbeitet wie nie zuvor in seinem Leben, und er war vorher schon reichlich fleißig. Also es müssen Berge von Zeichnungen und Gemälden gewesen sein, die dort nach seinem Tod zurückblieben. Dass man sich dieser konkreten Phase seines Schaffens widmet, geschieht übrigens nicht zum ersten Mal. Es gab eine Reihe von Ausstellungen. Schon 1973 selbst war eine Ausstellung in Avignon im Papstpalast geplant, als die Nachricht vom Tode Picassos kam, und man hat sich dort entschieden, auch die letzten Werke noch mit hinzuzunehmen kurzfristig. Es gab dann Ausstellungen 1981 in Basel und 1984 im Guggenheim Museum in New York und 1989 in Centre Pompidou im vergangenen Jahr noch im Museum Frieder Burda in Baden-Baden. Also immer hat dieses Spätwerk Picassos fasziniert, und ich glaube, das liegt daran, dass man ihm so gar nicht anmerkt, dass da jemand im Bewusstsein des nahen Todes schafft - das jedenfalls ist mein Eindruck nach dem Besuch dieser Ausstellung gewesen.
Schmitz: Beschreiben Sie doch mal einige profilierte Werke.
Koldehoff: Es gibt dieses eine Motiv, das immer wieder auftaucht. Man muss sich, bevor man zu den Bildern dieser letzten Jahre kommt, vergegenwärtigen, was Picasso vorher gemalt hat. Er hatte sich vorher an den alten Meistern abgearbeitet. Er hatte Delacroix paraphrasiert Mitte der fünfziger Jahre, Ende der fünfziger Jahre dann Velazquez, die Las Meniñas Bilder interpretiert, unmittelbar vor dem Umzug Manet, das Frühstück im Grünen, in mehr als 30 Fassungen interpretiert. Und nun kommt er also dort nach Südfrankreich und setzt sich plötzlich mit sich selbst auseinander, mit seiner Bildwelt, mit seiner Schaffenswelt, vor allen Dingen aber mit den Frauen, und die Frauen sind das beherrschende Motiv dieser späten Jahre. Üppige Frauen, nackte Frauen mit weit geöffneten Schenkeln, mit gut sichtbaren Geschlechtsteilen, sehr erotische Wesen, und daneben sehr, sehr häufig der alte Mann, mal als Musketier, mal als Matador, mal in anderen Rollen, mal einfach nur als Voyeur und sehr oft als derjenige, in dessen Physiognomie man Picasso erkennt. Nun ist daraus sehr oft gemacht worden, es sei ein sehr melancholisches Werk, Picasso sei sich des Endes seines Lebens sehr bewusst gewesen. Ich habe einen ganz anderen Eindruck gehabt: Es sind bukolische Bilder, es sind sinnenfrohe Bilder. Wenn von Melancholie die Rede sein kann, dann höchstens indirekt, vielleicht in der Unverbundenheit der weiblichen Figuren, die Picasso ganz eindeutig begehrt, und den alten Männern, die ihn selbst darstellen, die zwar ab und an eine Umarmung versuchen, die aber nicht wirklich in Kontakt mit diesen Frauen kommen, die sie bewundern, die vielleicht auch nach ihnen gieren, wenn man es so formulieren will, aber körperliche Liebe findet da nicht mehr statt, und wie gesagt, wenn man sich vor Augen führt, dass Picasso 80 war und dann mit über 90 erst starb, zwölf Jahre später, dann ist das vielleicht auch ganz verständlich. Verblüffend übrigens häufig die Formate dieser Bilder. Das sind riesige Leinwände, teilweise zwei mal drei Meter groß, die da hängen in Düsseldorf, und wenn man sich überlegt, dass ein Greis, ein zwar körperlich äußerst agiler, aber doch greiser Mensch diese Leinwände noch bewältigen musste - er hat ja im Gegensatz zu anderen Malern ohne Assistenten gearbeitet -, dann ist das schon sehr beachtlich.
Schmitz: Bei Picasso ist ja nicht zu erwarten, dass selbst ein Spätwerk einheitlich wird. Sie haben Einheitliches beschrieben. Welche Gegensätze in Stil und Themen gibt es dennoch?
Koldehoff: Es ist ein großer Traum, eine große Feier der Farbe und der Formen. Es gibt einen großen Kunsthistoriker, Pierre Daix, der über dieses späte Werk gesagt hat: Es scheint so, als wolle er alles noch mal ausprobieren, als wolle er das Chaos geordnet bekommen. Und der Eindruck kann tatsächlich entstehen. Es sind pastose Farbstriche, es ist immer figürlich, er ist ja nie abstrakt geworden, nie wirklich ungegenständlich, und, ja, ein Fest der Farben, der Formen, der Figuren und vor allen Dingen der Frauen, ich glaube, das trifft es am besten.