Ob das Kunst sei, die Frage ist längst entschieden. Nach fotografischen Vorlagen zu arbeiten, also: Das Bild als Abbild eines anderen Bildes zu betrachten, ist ein gängiges Verfahren in Moderne und Postmoderne - seit Edgar Degas und Ernst Ludwig Kirchner. Die Frage ist eher, ob man aus dem Vorbild ganz Eigenes macht oder penibelst kopiert. Aber auch bei den akribischsten Fotorealisten zeigt sich sehr schnell, dass durch Malerei immer ein Eigenwert entsteht. Allein die verzogene Perspektivik, der Pinselduktus und die knalligen, eben malerischen Farben machen aus der angeblichen 1:1-Abbildung von fotografierter Wirklichkeit etwas ambivalent Fremdes.
In der von Daniel Schreiber kuratierten Ausstellung erweist sich das Provokationspotenzial, das die Fotorealisten der ersten Stunde gehabt haben müssen. Der große Saal der Tübinger Kunsthalle ist den Malern vorbehalten, die damals, 1972, auf der von Harald Szeemann kuratierten documenta 5 den Durchbruch schafften. Szeemann selber grinst auf einem bunten Großformat von Franz Gertsch munter vor sich hin, und etwas weiter hängt, mit glitzernder Außenhaut, Ralph Goings Airstream-Wohnwagen von 1970, eine funkelnde, phallische Ikone amerikanischer Mobilität und Unabhängigkeit. Gleich daneben feiert Richard Estes in vielen Spiegelungen eine Reihe von Telefonzellen, in denen die Menschen verschwinden. Wie zum Trost hängt gegenüber eines dieser hyperrealistischen Bilder von Robert Bechtle, der den amerikanischen Mittelklassealltag gern aus dem Familienalbum abkopierte. Das Bild ist zwar nach einer Automarke benannt, es könnte aber ebenso gut heißen "Omi vor ihrem Straßenkreuzer am Sonntagnachmittag". Und daneben lässt Richard McLean einen stolzen Besitzer sein Pferd präsentieren. Rührend.
Die Verdammung des Fotorealismus war damals, 1972, eher eine Abwehrschlacht des Abstrakten Expressionismus, der sein Monopol durch die böse Figuration bedroht sah. Dabei changierte der Fotorealismus selber zwischen Kitsch und naiver Feier der kapitalistischen Wirklichkeit, zwischen cooler Dingwelt und nicht so cooler Menschenwelt. Und so ist auch der heutige Besucher hin- und hergerissen zwischen Bewunderung für all die chromblitzenden Potenzsymbole, die blank polierten Kühlerhauben und forsch sich uns entgegenreckenden Motorrad-Gestänge, und einer gewissen achselzuckenden So-what-Haltung, wenn Ralph Goings in den 80er-Jahren Stillleben mit Marmeladeglas, Zuckerdose und Tomatenketchup malte.
Die bittere Wahrheit ist, dass der Fotorealismus neben Werbefoto und Road Movie, zwischen Comic und Illustrierter und Fernsehen irgendwie verloren ging und auch in der Gegenwartsmalerei nie einen eigenen Platz behaupten konnte. Wo, bitte, ist sein Mehrwert, von einer gewissen optischen Irritation abgesehen? Franz Gertsch hat in seinen späteren Jahren ganz neue Verfahren für Porträt und Landschaftsmalerei gefunden, eine Technik der Meditation. Die meisten anderen Fotorealisten sind beim Fetischcharakter des Banalen stehen geblieben, des Merkantilen, des Sexualobjekts. Das kann im Einzelfall reizvoll sein, zur wirklichen großen Kunstbewegung taugt es kaum. Wichtig sind vielleicht Ben Schonzeit mit seiner Airbrushtechnik oder Audrey Flack, die mit der Spritzpistole etwas schwülstige Stillleben nach Magazinfotos gestaltete. Ansonsten sehen wir merkwürdige Aktdetails wie aus dem Herrenmagazin und immerhin interessant fragmentierte Stadtlandschaften von Robert Cottingham, der aus dem Graphic Design kommt.
Der Kurator Daniel Schreiber hat die Geschichte des Fotorealismus aber weitergesponnen bis in die Gegenwart, zum Teil auch schöne Paarungen hergestellt. Die neueren Adepten der Schule verfügen, dank Computer und besserer Kameratechnik, über grandiose technische Möglichkeiten, das Fotografierte für die Malerei fruchtbar zu machen. Die Resultate sind optisch eindrucksvoll, aber oft auch banal. Das großformatige Weitwinkelbild einer Arnobrücke in Florenz von Anthony Brunelli wäre tauglich für jede Tourismusbroschüre. Und die blank polierten New-York-Ansichten von Robert Neffson mit sauberen Straßen und geputzten Schaufenstern wären eine Zierde für die Kampagne "unsere Stadt soll schöner werden". So macht der Fotorealismus von heute die Welt makelloser, als sie ist. Provozieren tut das niemanden mehr.
Weitere Infos zur Ausstellung:
Kunsthalle Tübingen
In der von Daniel Schreiber kuratierten Ausstellung erweist sich das Provokationspotenzial, das die Fotorealisten der ersten Stunde gehabt haben müssen. Der große Saal der Tübinger Kunsthalle ist den Malern vorbehalten, die damals, 1972, auf der von Harald Szeemann kuratierten documenta 5 den Durchbruch schafften. Szeemann selber grinst auf einem bunten Großformat von Franz Gertsch munter vor sich hin, und etwas weiter hängt, mit glitzernder Außenhaut, Ralph Goings Airstream-Wohnwagen von 1970, eine funkelnde, phallische Ikone amerikanischer Mobilität und Unabhängigkeit. Gleich daneben feiert Richard Estes in vielen Spiegelungen eine Reihe von Telefonzellen, in denen die Menschen verschwinden. Wie zum Trost hängt gegenüber eines dieser hyperrealistischen Bilder von Robert Bechtle, der den amerikanischen Mittelklassealltag gern aus dem Familienalbum abkopierte. Das Bild ist zwar nach einer Automarke benannt, es könnte aber ebenso gut heißen "Omi vor ihrem Straßenkreuzer am Sonntagnachmittag". Und daneben lässt Richard McLean einen stolzen Besitzer sein Pferd präsentieren. Rührend.
Die Verdammung des Fotorealismus war damals, 1972, eher eine Abwehrschlacht des Abstrakten Expressionismus, der sein Monopol durch die böse Figuration bedroht sah. Dabei changierte der Fotorealismus selber zwischen Kitsch und naiver Feier der kapitalistischen Wirklichkeit, zwischen cooler Dingwelt und nicht so cooler Menschenwelt. Und so ist auch der heutige Besucher hin- und hergerissen zwischen Bewunderung für all die chromblitzenden Potenzsymbole, die blank polierten Kühlerhauben und forsch sich uns entgegenreckenden Motorrad-Gestänge, und einer gewissen achselzuckenden So-what-Haltung, wenn Ralph Goings in den 80er-Jahren Stillleben mit Marmeladeglas, Zuckerdose und Tomatenketchup malte.
Die bittere Wahrheit ist, dass der Fotorealismus neben Werbefoto und Road Movie, zwischen Comic und Illustrierter und Fernsehen irgendwie verloren ging und auch in der Gegenwartsmalerei nie einen eigenen Platz behaupten konnte. Wo, bitte, ist sein Mehrwert, von einer gewissen optischen Irritation abgesehen? Franz Gertsch hat in seinen späteren Jahren ganz neue Verfahren für Porträt und Landschaftsmalerei gefunden, eine Technik der Meditation. Die meisten anderen Fotorealisten sind beim Fetischcharakter des Banalen stehen geblieben, des Merkantilen, des Sexualobjekts. Das kann im Einzelfall reizvoll sein, zur wirklichen großen Kunstbewegung taugt es kaum. Wichtig sind vielleicht Ben Schonzeit mit seiner Airbrushtechnik oder Audrey Flack, die mit der Spritzpistole etwas schwülstige Stillleben nach Magazinfotos gestaltete. Ansonsten sehen wir merkwürdige Aktdetails wie aus dem Herrenmagazin und immerhin interessant fragmentierte Stadtlandschaften von Robert Cottingham, der aus dem Graphic Design kommt.
Der Kurator Daniel Schreiber hat die Geschichte des Fotorealismus aber weitergesponnen bis in die Gegenwart, zum Teil auch schöne Paarungen hergestellt. Die neueren Adepten der Schule verfügen, dank Computer und besserer Kameratechnik, über grandiose technische Möglichkeiten, das Fotografierte für die Malerei fruchtbar zu machen. Die Resultate sind optisch eindrucksvoll, aber oft auch banal. Das großformatige Weitwinkelbild einer Arnobrücke in Florenz von Anthony Brunelli wäre tauglich für jede Tourismusbroschüre. Und die blank polierten New-York-Ansichten von Robert Neffson mit sauberen Straßen und geputzten Schaufenstern wären eine Zierde für die Kampagne "unsere Stadt soll schöner werden". So macht der Fotorealismus von heute die Welt makelloser, als sie ist. Provozieren tut das niemanden mehr.
Weitere Infos zur Ausstellung:
Kunsthalle Tübingen